Schutzimpfungen [Gesundheitsberichterstattung - Themenhefte, 2000; überarbeitete Neuauflage Januar 2004]
[Heft 2: Sterbebegleitung] [Abstrakt] [Inhaltsverzeichnis]
Heft 1 - Schutzimpfungen
aus der Reihe "Gesundheitsberichterstattung des Bundes"
Autoren: |
Robert Koch-Institut
Dr. Sabine Reiter Dr. Gernot Rasch |
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Redaktion: |
Robert Koch-Institut
Gesundheitsberichterstattung Dr. Cornelia Lange Dr. Thomas Ziese Seestraße 10 13353 Berlin |
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Herausgeber: |
Robert Koch-Institut
(Überarbeitete Neuauflage Januar 2004) |
Die Notwendigkeit von Schutzimpfungen
Schutzimpfungen erzeugen Immunität. Sie schützen
vor Infektionskrankheiten und zählen zu den
effektivsten und kostengünstigsten präventiven
Maßnahmen der modernen Medizin.
Infektionskrankheiten stellten in der Vergangenheit
die häufigste Todesursache dar. Die Influenza-
Pandemie von 1918/19 forderte weltweit
20 Millionen Todesopfer. Um 1900 verstarben im
Deutschen Reich allein an Keuchhusten, Diphtherie
und Scharlach jährlich noch 65.000 Kinder (bei
einer Einwohnerzahl von 58 Millionen). Die allgemeine
Verbesserung der sozioökonomischen und
hygienischen Bedingungen führte in den Industrienationen
zu einem drastischen Rückgang zahlreicher
Infektionskrankheiten. Dazu trugen in
hohem Maße auch Schutzimpfungen und die zunehmende
Verfügbarkeit von Antibiotika bei. Das
Mortalitätsgeschehen verlagerte sich in der Folge
hin zu chronisch-degenerativen Erkrankungen.
Die Morbidität von Infektionskrankheiten spielt
jedoch weiterhin eine große Rolle.
Groß angelegte Impfprogramme führten aber
nicht nur in den reicheren Industrienationen, sondern
auch weltweit zum Rückgang zahlreicher bedrohlicher
übertragbarer Krankheiten. Die Ausrottung
der Pocken 1980 und die weitgehende
Eliminierung der Poliomyelitis (Kinderlähmung)
sind dabei die besten Beispiele für die Effektivität
von Impfungen. Während der letzten großen Polio-
Epidemie in Deutschland erkrankten 1961 noch
fast 5.000 Personen. Auch die 96-prozentige Abnahme
der Haemophilus-influenzae-Infektionen (HIB) nach Einführung des Impfstoffes im Jahr 1990 in
Deutschland im Zeitraum von 1992 bis 1996 belegt
den großen Einfluss von Schutzimpfungen
auf das Krankheitsgeschehen
[1]
.
Bis in die achtziger Jahre glaubte man, dass in
den Industrienationen die Infektionskrankheiten
weitgehend besiegt seien. Dies hatte auch zur Folge,
dass das Wissen über die Gefährlichkeit von
Infektionskrankheiten und die Bedeutung von
Schutzimpfungen weitgehend aus dem Bewusstsein
der Bevölkerung verschwand und in Wissenschaft
und Forschung andere Prioritäten gesetzt
wurden. Unterschiedlichste Faktoren führten jedoch
zum Auftreten neuer Infektionsgefahren
(so genannte emerging infectious diseases) sowie
zum Wiederaufflammen alter Seuchen (so genannte
re-emerging infectious diseases
). Zu diesen
Faktoren zählen Armut und damit einhergehende
schlechte Hygiene, globale und regionale
Umweltveränderungen, die Zunahme von Handel,
die höhere Mobilität durch Reisen und Migration,
kriegerische Auseinandersetzungen u.a.. Die
Bedrohung durch bioterroristische Anschläge hat
zudem weltweit die Aufmerksamkeit auf eine
mögliche Wiederverbreitung der Pocken gelenkt.
In den letzten Jahrzehnten sind weltweit mindestens
30 neue Infektionskrankheiten bzw. Erreger
bekannt geworden. Hinzu kommen die Zunahme
von Resistenzentwicklungen bei Malaria
und Tuberkulose und neue, erregerbedingte Ursachen
von Erkrankungen. Der dramatische Anstieg
der Diphtherie in der ehemaligen UdSSR und die Polioepidemien 1992 in den Niederlanden
und 1996/97 in Albanien machten deutlich,
dass bei fehlendem Impfschutz längst besiegt geglaubte
Krankheiten wiederkehren können.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO)
konstatiert in ihrem Jahresbericht von 2002, dass
weltweit Infektionskrankheiten mit ca. 25% immer
noch an zweiter Stelle der Todesursachenstatistik
stehen. Millionen Todesfälle könnten durch
Impfungen vermieden werden. So starben im Jahr 2001 weltweit 745.000 Menschen an Masern, vor
allem Kinder in Entwicklungsländern. In Industrienationen
sind noch ca. 5% der Todesfälle durch
Infektionskrankheiten bedingt, sie spielen aufgrund
ihrer Häufigkeit oder der Schwere der Erkrankung
eine große Rolle für die Gesundheit der
Bevölkerung. Gleichzeitig erhielten nach Schätzungen
der WHO in diesem Zeitraum schätzungsweise
37 Millionen Kinder keine Routineimpfungen
im ersten Lebensjahr
[2
,
3
,
4]
.
Die Verhütung und Bekämpfung impfpräventabler
Infektionskrankheiten durch die Steigerung der Durchimpfungsraten und die Bereitstellung
von Impfstoffen für Entwicklungsländer stellen
daher eine globale Herausforderung und ein
prioritäres Gesundheitsziel für
Public Health
dar.
Ziele und Nutzen von Schutzimpfungen
Die Aktivierung des Abwehrsystems gegenüber bestimmten eindringenden Erregern und die Verhinderung einer Erkrankung sind die unmittelbaren Ziele von Impfungen für das Individuum. Insbesondere schützen Impfungen vor:
- schweren Infektionskrankheiten, bei denen es keine oder nur begrenzte Therapiemöglichkeiten gegen den Krankheitserreger gibt (z.B. Hepatitis B, Poliomyelitis, Tollwut, Diphtherie, Tetanus; Hepatitis A bei Erwachsenen);
- möglichen schweren Komplikationen bei Infektionskrankheiten (z.B. Masernenzephalitis [Gehirnentzündung] mit einer Letalitätsrate von 20 bis 30%);
- möglichen schweren Krankheitsverläufen bei Risikopatienten (z.B. Impfung leukämiekranker Kinder gegen Windpocken);
- Infektionskrankheiten, die während der Schwangerschaft (z.B. Röteln) oder der Geburt (z.B. Windpocken) zu schweren Schäden beim Kind führen können.
Neben dem Schutz des Individuums gegen Erreger,
die von Mensch zu Mensch übertragen werden,
haben viele Impfungen noch einen weiteren
Effekt: Sie führen zu einem Kollektivschutz der
Bevölkerung, der so genannten Herdimmunität
(
herd immunity
). Dadurch wird das Auftreten von
Epidemien verhindert. Insbesondere werden Personen
geschützt, bei denen aus medizinischen
Gründen eine Impfung nicht durchgeführt werden
kann.
Ein Nutzen für den Gesundheitsschutz der
Allgemeinbevölkerung setzt jedoch erst ein, wenn
hohe Impfraten erzielt werden. Der Prozentsatz
an Personen, die in einer Bevölkerung geimpft
sein müssen, um einen sicheren Kollektivschutz
zu gewährleisten, ist dabei für jede Infektionskrankheit
unterschiedlich hoch. Für die Diphtherie
wird eine Herdimmunität bei ca. 80%, für
Mumps bei ca. 90% und für Masern bei 92 bis
95% erreicht. Bei hohen Durchimpfungsraten
können Krankheitserreger regional eliminiert und
schließlich weltweit ausgerottet werden.
Ökonomische Relevanz
Schutzimpfungen weisen neben dem Individual und
Kollektivschutz auch eine günstige Kosten-Nutzen-Relation auf. Sie tragen damit zu einer
erheblichen Kostensenkung im Gesundheitswesen
bei. Ein Vergleich der Kosteneffektivität von
500 lebensrettenden Maßnahmen in den USA ergab, dass die empfohlenen Impfungen im Kindesalter
weniger als 1 US-
Dollar
pro gerettetem
Lebensjahr kosten
[5]
.
In den alten Bundesländern wurden nach Einführung
der Schluckimpfung gegen Polio erhebliche
Summen eingespart: nämlich 90 Mark an
Krankenhaus-, Rehabilitations- und Wiedereingliederungskosten
für jede einzelne Mark, die für
die Impfung ausgegeben wurde. Der Kosten-Nutzen-
Index für die Masern-Impfung wird mit 1:32
angegeben. Durch die Impfung mit dem azellulären
Pertussis-Impfstoff werden pro Jahr in
Deutschland rund 450 Millionen DM allein an
direkten Krankheitskosten eingespart. Hinzu kommen
noch die indirekten Kosten für den Arbeitsausfall
der Eltern
[6]
. Bei der 1995 erfolgten Umsetzung
der WHO-Empfehlung, alle Säuglinge,
Kinder und Jugendlichen gegen Hepatitis B zu
impfen, wurde errechnet, dass diese Impfstrategie
unter Einbeziehung von direkten und indirekten
Kosten 10 Jahre nach Impfbeginn zu Kosteneinsparungen
führt
[7
,
8]
. Unter den Ausgaben
der Gesetzlichen Krankenversicherung machten
die Kosten für Impfungen im Jahr 2000 weniger
als 0,9% aus.
Richtlinien, Rechtsgrundlagen und Organisation des Impfwesens
Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten
sind eine globale Herausforderung.
Die Erreger übertragbarer Krankheiten kennen keine geographischen Grenzen. Sie werden durch
die zunehmende Mobilität und die klimatischen
Veränderungen noch schneller und weiter verbreitet.
Die internationale Zusammenarbeit soll
durch ein weltweites Netzwerk infektionsepidemiologischer
Überwachung und «internationale
Impfprogramme» effektiver werden. Das 1974 von
der WHO beschlossene Expanded Programme on
Immunisation (EPI) sieht die weltweite Eradikation
der Polio, die Elimination von neonatalem Tetanus,
die Reduzierung der Maserntodesfälle um
95% und der Masernfälle um 90% vor. Weitere
Zielkrankheiten sind Hepatitis B und Gelbfieber.
Durch die Einführung verbesserter Impfstoffe,
eine aktive Surveillance und die enge Zusammenarbeit
der nationalen Gesundheitsdienste mit der WHO und der UNICEF sowie der Förderung durch
nichtstaatliche Hilfsorganisationen konnte dieses
Ziel bis 1990 weitgehend erfüllt und die weltweite
Immunisierungsrate der Kinder seit 1974 von ca. 5% auf 80% gesteigert werden. Dadurch konnte
jährlich das Leben von 3 bis 4 Millionen Kindern gerettet
und 2 bis 3 Millionen Kinder vor den Folgen einer
chronischen Hepatitis B bewahrt werden
[4]
.
Die 2000 gegründete
Global Alliance for Vaccines
and Immunization
(GAVI), ein Zusammenschluss
aller wichtigen Partner in der Impfprävention, will
in erster Linie die weiterhin unzureichenden Impfraten
in einigen Entwicklungsländern steigern
und die Forschung und Entwicklung von Impfstoffen
für diese Länder fördern
[3]
.
Im Rahmen des europäischen WHO-Programms
«Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000»
wurden 1984 folgende Ziele formuliert: die Eliminierung
der einheimischen Erkrankungen an Poliomyelitis,
Diphtherie, Masern, angeborenen Röteln
und Neugeborenen-Tetanus bis zum Jahr 2000. Diese Zielvorstellung war - bis auf Polio
und Neugeborenen-Tetanus - nicht realistisch. Bei
Masern wird jetzt die Steigerung der Durchimpfungsraten
auf über 95% bis zum Jahr 2007 angestrebt,
damit bis zum Jahr 2010 die einheimischen
Masern eliminiert werden können. Bis
2010 soll die Mumps-Inzidenz unter 1 pro 10.000
Einwohner reduziert werden und die Rötelnembryopathie
kontrolliert sein.
Die angestrebte Harmonisierung der Impfpolitik
innerhalb der EU wird bisher noch durch
unterschiedliche Impfprogramme, Impfpläne und -empfehlungen, Impfstoffkosten, Surveillancemaßnahmen
und Durchimpfungsraten der Mitgliedsstaaten
erschwert.
Deutschland unterstützt die WHO-Ziele, ist
aber von ihrer Realisierung teilweise noch weit entfernt.
So gehört die Bundesrepublik gegenwärtig
noch zu den Ländern mit unzureichenden Durchimpfungsraten
gegen Masern, Mumps, Röteln sowie
einem noch nicht optimalen Surveillance-System
für einige impfpräventable Erkrankungen.
Zudem besteht eine weitgehende Aufgliederung
der Zuständigkeiten und der Aufgabenerfüllung
in der Impfprävention (siehe auch § 20 IfSG), was
eine einheitliche Präventionspolitik erschwert. Die
wesentlichen rechtlichen Bestimmungen für die
Durchführung von Schutzimpfungen werden
durch die Leistungsverträge der Kassenärztlichen
Vereinigungen mit den Krankenkassen, die Biostoffverordnung
und berufsgenossenschaftliche
Grundsätze geregelt, vor allem aber durch das am
01.01.2001 in Kraft getretene Infektionsschutzgesetz (IfSG).
Nach Ausrottung der Pocken wurde durch das
»Gesetz zur Aufhebung des Gesetzes über die Pockenschutzimpfung
« vom 24.11.1982 die gesetzliche
Impfpflicht gegen Pocken mit Wirkung vom
1.7.1983 aufgehoben. Im Gegensatz zur DDR gab
es in der Bundesrepublik seitdem nur noch Impfungen
auf freiwilliger Basis. Nach § 20 Absatz 6
und 7 IfSG können »Schutzimpfungen oder andere
Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe für
bedrohte Teile der Bevölkerung« durch Bund oder
Länder angeordnet werden, wenn eine übertragbare
Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen
auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung
zu rechnen ist. Bund und Länder haben
davon bisher aber keinen Gebrauch gemacht. Auf
der Grundlage der Empfehlungen der Ständigen
Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut
sprechen die Landesgesundheitsbehörden
nach § 20 Absatz 3 IfSG öffentliche Empfehlungen
für Schutzimpfungen aus. Das öffentliche Interesse
begründet sich aus dem hohen gesellschaftlichen
Nutzen von Schutzimpfungen und hat eine
Reihe von staatlichen Verpflichtungen bei der
Empfehlung von Impfungen, der Kontrolle von
Impfstoffen und der Entschädigung bei Impfschäden
zur Folge.
Empfehlungen zur routinemäßigen Durchführung
von Schutzimpfungen für Säuglinge, Kinder und Jugendliche bzw. für bestimmte Indikations-
oder Auffrischimpfungen erfolgen durch die STIKO. Zur Erhöhung der Durchimpfungsraten
orientiert sich der Impfkalender der STIKO an den
Vorsorgeuntersuchungen für Kinder. Die Übernahme
der STIKO-Empfehlungen in die öffentlichen
Impfempfehlungen der einzelnen Länder
liegt im Ermessen der obersten Landesbehörden.
Der überwiegende Teil der Bundesländer
übernimmt inzwischen die Empfehlungen der STIKO in der jeweils gültigen Fassung.
Der Impfplan muss allerdings laufend aktualisiert
werden, weil die etablierten Impfstoffe kontinuierlich
verbessert und neue Impfstoffe entwickelt
werden oder weil neue Erfahrungen beim
Einsatz von Impfstoffen vorliegen. So führte der 1962 eingeführte orale Impfstoff gegen Polio
innerhalb weniger Jahre zu einem drastischen
Rückgang der Kinderlähmung. Die letzten beiden
Erkrankungen durch Polio-Wildviren traten in
Deutschland in den Jahren 1986 und 1990 auf,
die letzten importierten Fälle wurden 1992 erfasst.
Zwischen 1991 und 1998 kam es jedoch weiterhin
zu vereinzelten Poliomyelitiserkrankungen, die
durch die Impfung ausgelöst wurden. Damit war
das Risiko der Lebendimpfung größer als die aktuelle
Infektionsgefahr, weshalb die STIKO 1998 eine Umstellung auf den inaktivierten Impfstoff
empfahl. Am 21.6.2002 erklärte die WHO in Kopenhagen
die 51 Staaten der Region Europa offiziell
für poliofrei. Wegen der Gefahr der Einschleppung
muss bis zur weltweiten Eradikation
jedoch noch weiter geimpft werden.
Zuständig für die staatliche Zulassung, die
Überwachung von Impfstoffen sowie die Erfassung
von Nebenwirkungen ist das Paul-Ehrlich-
Institut (PEI), Bundesamt für Sera und Impfstoffe.
In § 6 Absatz 1 Nr. 3 IfSG ist erstmals geregelt,
dass der Verdacht einer über das übliche Ausmaß
einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen
Schädigung gemeldet werden muss.
Wegen des öffentlichen Interesses an hohen Impfraten
sind - als einzigem Bereich in der medizinischen
Versorgung - für Schadensfälle bei Impfungen
staatliche Entschädigungen vorgesehen,
sofern die Impfungen öffentlich empfohlen oder
angeordnet wurden. Für die Begutachtung und
Anerkennung von Impfschäden sind die Versorgungsämter
der Länder zuständig. Voraussetzung
für die Gewährung laufender Versorgungsbezüge
sind dauerhafte Gesundheitsstörungen mit einer
Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens
25%. Der größte Teil der von 1972 bis 1999 anerkannten
Impfschäden betrifft Impfungen bzw.
Impfstoffe (z.B. Pocken, Polio-Schluckimpfung),
die heute von der STIKO nicht mehr empfohlen
werden
[9]
.
Die von der STIKO generell empfohlenen
Impfungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene
können zu Lasten der meisten gesetzlichen
Krankenkassen abgerechnet werden. Bei einem
beruflich erhöhten Risiko muss der Arbeitgeber
nach §15 Biostoffverordnung seinen Beschäftigten
bestimmte Impfungen anbieten. Seit Inkrafttreten
des Gesundheitsstrukturgesetzes von 1993 werden
die Kosten für Reiseimpfungen oder damit im
Zusammenhang stehende passive Immunisierungsmaßnahmen
nicht mehr von den gesetzlichen
Krankenkassen übernommen. Da Impfungen
keine Pflichtleistungen der Krankenkassen
sind, variieren Abrechnungsmodalitäten und Vergütung
je nach Krankenkasse und Bundesland.
Rein theoretisch kann eine Empfehlung der STIKO zu 16 verschiedenen Länderempfehlungen,
23 unterschiedlichen Regelungen im Bereich
der kassenärztlichen Vereinigungen und ca. 370
individuellen Kassenregelungen führen.
Die zentrale Rolle bei der Durchführung von
Schutzimpfungen kommt heute dem niedergelassenen
Arzt zu. Es wird davon ausgegangen, dass 85
bis 90% der Impfungen durch die niedergelassenen
Ärzte und 10 bis 15% durch die betriebsärztlichen
Dienste und den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) durchgeführt werden. Seit dem
4. Quartal 1999 sind alle an der vertragsärztlichen
Versorgung teilnehmenden Ärzte berechtigt, die
von der STIKO empfohlenen Schutzimpfungen
vorzunehmen, sofern sie eine entsprechende Qualifikation
durch ein Fortbildungszertifikat nachweisen
können.
Vor der Impfung muss der impfende Arzt ein
Aufklärungsgespräch mit dem Impfling bzw. den
Erziehungsberechtigten über die zu verhütende
Krankheit und die Impfung führen und die Impfung
anschließend im Impfausweis dokumentieren (§ 22 IfSG). Die Aufklärungspflicht über Impfrisiken
muss dabei so umfassend sein, dass dem
Patienten das Wissen vermittelt wird, das er für
eine wirksame Einwilligung in die Behandlung benötigt.
Die Notwendigkeit der Aufklärung ist dabei
nicht an eine bestimmte Häufigkeit der möglichen
Komplikation gebunden, sondern an die Frage, ob
diese Komplikation bei der jeweiligen Schutzimpfung
systematisch vorkommt, d.h. von der Impfung
verursacht werden kann. Für die Impfentscheidung
wesentlich ist dann das Verhältnis
zwischen dem Risiko durch die Erkrankung und
dem Risiko durch die Impfung. Die Aufklärung
ist grundsätzlich auch anhand eines Merkblattes
möglich. Der Patient muss dann in jedem Fall die
Möglichkeit haben, weitere Informationen in
einem persönlichen Gespräch mit dem Arzt
erhalten zu können.
Mit der Forschung und Fortbildung im Impfwesen
befassen sich - mit unterschiedlicher Intensität
und Aufgabenstellung - eine Reihe von
Institutionen. Dazu zählen Universitäten und
Forschungsinstitute, (medizinische) Fachgesellschaften,
Arbeitskreise und Berufsverbände, die
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), das Deutsche Grüne Kreuz, die Bundesvereinigung
für Gesundheit und die ihr angegliederten
Landesvereinigungen für Gesundheit sowie
kommerzielle Informationsanbieter.
Die Impfstoffhersteller sorgen für die Entwicklung
und Bereitstellung effizienter Impfstoffe
und finanzieren auch epidemiologische Studien,
Fortbildungsmaßnahmen und Präventionsmaterialien.
Nichtärztliche Berufsgruppen im Gesundheits-
und Erziehungswesen, Medien, Reiseveranstalter,
Selbsthilfegruppen u.a. engagieren sich
gleichfalls in der Impfprävention. Zunehmend
spielt auch das Internet als Informationsmedium
eine wichtige Rolle, sowohl für Impfbefürworter
als für Impfgegner
[10
,
11]
.
Im Gegensatz zur Bundesrepublik lag das
Impfwesen in der DDR ausschließlich in öffentlicher
Hand und wurde von speziell geschulten
Ärzten durchgeführt, die eine staatlich vorgeschriebene
Impfbefähigung erwerben und diese
alle drei Jahre erneuern lassen mussten. Für Impfungen
im Kindes- und Jugendalter bestand eine
gesetzliche Impfpflicht. Die Impfraten waren sehr
hoch wegen der zentralen Impfdokumentation, einer
Meldepflicht für alle Krankheiten, gegen die
geimpft wurde, aber auch wegen der epidemiologischen
Wochenberichte und der regelmäßigen
Surveillance der Immunitätslage verschiedener
Bevölkerungsgruppen
[12]
. Nach der Wiedervereinigung
sanken die Durchimpfungsraten durch die
Umgestaltung des Impfwesens zunächst teilweise
deutlich ab. Der Übergang von der in der DDR
üblichen Masernimpfung auf den Kombinationsimpfstoff
Masern-Mumps-Röteln war dagegen
sehr erfolgreich.
Wirkungsweise, Wirksamkeit und Anwendung von Schutzimpfungen
Entsprechend ihrem Wirkmechanismus wird
zwischen aktiven und passiven Immunisierungsmaßnahmen
unterschieden. Bei der aktiven Immunisierung
werden die körpereigenen, immunologischen
Abwehrsysteme genutzt, und zwar
durch Verabreichung abgetöteter bzw. stark abgeschwächter
Erreger oder bestimmter Erregerkomponenten.
Ein erneuter Kontakt mit denselben Erregern
führt dann nicht mehr zur Erkrankung.
Je nach Impfstoff kann dieser Schutz lebenslang
sein oder muss durch Auffrischimpfungen
wieder aktiviert werden. So erzeugt die Impfung
gegen Masern-Mumps-Röteln nach dem derzeitigen
wissenschaftlichen Erkenntnisstand bei fast
allen Geimpften eine lebenslange Immunität. Gegen
Diphtherie und Tetanus muss der Impfschutz
dagegen alle 10 Jahre aufgefrischt werden, gegen
das sich ständig ändernde Influenzavirus sogar
jährlich.
Bei der Durchführung von Impfungen müssen
bestimmte Zeitabstände eingehalten und eine
Reihe von Kontraindikationen beachtet werden.
Impfstoffe wurden gegen Viren, Bakterien bzw.
deren Toxine entwickelt und werden entsprechend
der Art der verwendeten Antigene in Lebend- und
Totimpfstoffe unterteilt.
Bei der passiven Immunisierung werden
fremde Antikörper gegen bestimmte Erreger oder
deren Toxine verabreicht. Sie können von Menschen
bzw. in einigen seltenen Fällen auch von Tieren
stammen. Es entsteht ein sofortiger Schutz, der
jedoch nur kurzfristig anhält - im Allgemeinen einige
Wochen bis maximal drei Monate. Die Gabe
dieser Immunglobuline wird empfohlen, wenn
kein geeigneter Impfstoff zur Verfügung steht. Sie
kann auch eingesetzt werden, wenn eine aktive Immunisierung
nicht mehr erfolgreich durchgeführt
werden kann oder wenn nach einem Erregerkontakt
ein sofortiger Schutz erforderlich ist.
Werden ein sofortiger Schutz und eine Dauerimmunität
benötigt (z.B. gegen Tetanus und gegen
Hepatitis B bei Neugeborenen infizierter
Mütter), ist eine gleichzeitige passive und aktive
Immunisierung möglich, die so genannte Simultanimpfung.
Die verabreichten Immunglobuline
schützen dann den Patienten bis zur Bildung
eigener Antikörper. Auch die Übertragung mütterlicher
Antikörper auf den Fötus führt zu einer
passiven Immunität des Kindes, die während der
ersten Lebensmonate Schutz gewährt.
Zum Aufbau eines frühen Immunschutzes
sollen die meisten öffentlich empfohlenen Impfungen
bereits im 3. Lebensmonat begonnen werden.
Nach den derzeit gültigen Empfehlungen der STIKO sollten Kinder spätestens bis zum vollendeten
14. Lebensmonat eine Grundimmunisierung
gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Polio, Hepatitis
B und Haemophilus influenza Typ b besitzen
sowie mindestens einmal gegen Masern,
Mumps und Röteln (MMR) geimpft sein. Die
2. MMR-Impfung sollte bis zum Ende des 2. Lebensjahres
erfolgen. Durch die Verwendung von
Kombinationsimpfstoffen können Kleinkinder
heute mit nur sechs Injektionen effektiv gegen
neun Infektionskrankheiten geschützt werden.
Impfungen haben jedoch eine Bedeutung für
alle Lebensalter. Neben dem Individualschutz im
Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter spielen
Impfungen auch eine wichtige Rolle als Prophylaxemaßnahmen
vor Reisen und beim Schutz von
Personengruppen, die durch ihren Beruf, ihren
Lebensstil, ihr Alter oder durch bestimmte Grunderkrankungen
besonders gefährdet sind. Empfehlungen
für Reiseimpfungen müssen neben dem
Reiseland auch den individuellen Reisestil, die Reiseroute und -dauer sowie mögliche Kontraindikationen
berücksichtigen. Tabelle 1 zeigt die Klassifizierung
von Schutzimpfungen nach den derzeit
aktuellen Empfehlungen der STIKO (Stand: Juli 2003).
Klassifikation | Definition | Infektionskrankheit |
---|---|---|
Regelimpfungen für Säuglinge, Kinder und Jugendliche |
Impfungen, die jedes Kind nach den Impfempfehlungen der STIKO routinemäßig erhalten sollte |
- Hepatitis B - Diphtherie - Tetanus - Poliomyelitis Haemophilus influenzae Typ B (Hib)-Infektion - Pertussis - Masern, Mumps, Röteln - Varizellen (ungeimpfte 12- bis 15- Jährige ohne vorherige Windpockenerkrankung) |
Auffrischimpfungen im Erwachsenenalter |
Impfungen, die bei Erwachsenen regel- mäßig aufgefrischt (1) bzw. bei fehlen- der Grundimmunisierung nachgeholt werden sollten (2) |
- Diphtherie (1) - Tetanus (1) - Poliomyelitis (2) |
Indikationsimpfungen bzw. Impfungen auf Grund eines erhöhten beruflichen Risikos |
Impfungen bei erhöhter Gefährdung von Personen, Berufsgruppen und bei Angehörigen bestimmter Alters- bzw. Risikogruppen |
- Influenza - Pneumokokken-Infektion - Hepatitis A und B - FSME - Meningokokken-Infektion - Poliomyelitis - Tollwut - Masern, Mumps, Röteln - Pertussis - Varizellen |
Reiseimpfungen | Impfungen gegen Erkrankungen, die in den Subtropen, Tropen bzw. anderen Endemiegebieten auftreten, wobei die von der WHO veröffentlichten Informa- tionen über Gebiete mit besonderen Infektionsrisiken zu beachten sind |
- Hepatitis A und B - Gelbfieber - FSME - Poliomyelitis - Typhus - Tollwut - Meningokokken-Infektion - etc. |
In den letzten Jahrzehnten wurden mehr Impfstoffe entwickelt und zugelassen als in den knapp zwei Jahrhunderten zuvor - seit Entwicklung des ersten Pockenimpfstoffes durch Edward Jenner im Jahr 1796. Zunehmend werden Impfstoffe heute als Kombinationsimpfstoffe angeboten, was die Akzeptanz von Impfungen deutlich erhöhen kann, da hierdurch weniger Injektionen und Arzttermine anfallen.
Neue Wege in der Impfstoffherstellung sind z.B.
- gentechnisch hergestellte Impfstoffe,
-
Forschungsversuche mit DNA-Vakzinen
sowie mit - essbaren Impfstoffen durch gentechnisch veränderte Früchte oder
- Nasal-Impfstoffe.
Diese Impfstoffe sind aber noch im Versuchsstadium.
Gegen eine Vielzahl von schwerwiegenden Infektionskrankheiten
stehen derzeit noch keine
Impfstoffe zur Verfügung. Es befinden sich jedoch
Impfstoffe in der Entwicklung bzw. der klinischen
Erprobung gegen die folgenden Krankheiten: AIDS, Borreliose, Chagas, Dengue-Fieber, Helicobacter
pylori, Malaria, Rift-Valley-Fieber, Rotavirus,
Shigellose u.a.. In Zukunft sollen Impfstoffe auch
zur Therapie von chronischen Krankheiten und
Karzinomen eingesetzt werden
[3
,
13]
.
Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Impfstoffen
Moderne Impfstoffe sind hoch wirksam und gut
verträglich. Alle Impfstoffe besitzen jedoch - wie
andere Arzneimittel auch - eine Wirksamkeit von
unter 100 Prozent. So zeigen z.B. die Impfungen
gegen Masern, Mumps, Röteln bei ca. 5 bis 7% der
Geimpften keine Immunantwort. Versagensursachen
können in der mangelhaften Qualität des
Impfstoffes, falschem Transport oder falscher
Lagerung, in einer fehlerhaften Impftechnik oder
beim Impfling selbst liegen
[14
,
15]
.
Schwere Nebenwirkungen nach einer Schutzimpfung
werden nur selten beobachtet. Grundsätzlich
ist nach dem Schweregrad der Nebenwirkungen
zwischen einer über das übliche Ausmaß
nicht hinausgehenden Impfreaktion, einer Impfkrankheit,
einer Impfkomplikationen und einem
bleibenden Impfschaden zu unterscheiden. Nach
einer Impfung können gelegentlich Impfreaktionen
in Form von Lokalreaktionen an der Injektionsstelle,
einem kurzzeitigen allgemeinen
Krankheitsgefühl oder leichtem Fieber auftreten.
Sie sind von kurzer Dauer und klingen ohne Komplikationen
ab.
Schwerere Nebenwirkungen und Impfkomplikationen
sind äußerst selten und beruhen vor allem
auf Überempfindlichkeitsreaktionen auf Begleitstoffe
des Impfstoffes. Impfkomplikationen
und Impfschäden können auch durch technische
Fehler, eine falsche Impftechnik oder durch das
Nichterkennen von Kontraindikationen hervorgerufen
werden. Sie beruhen jedoch zumeist auf einer
individuellen Reaktion des Impflings. Bleibende
gravierende Schäden nach einer Impfung
werden nach Einstellung der Pockenschutzimpfung,
der Schluckimpfung gegen Polio und der BCG-Impfung (Tuberkulose) praktisch nicht mehr
beobachtet. Vom 1.1.2001 bis 19.10.2001 wurden
insgesamt 236 Verdachtsfälle auf Impfkomplikationen
nach dem Infektionsschutzgesetz (§ 6 Abs.1 Nr. 3 IfSG) bei ca. 30 Millionen verabreichten
Impfdosen gemeldet. In neun Berichten wurde ein
bleibender Gesundheitsschaden mitgeteilt, ein
kausaler Zusammenhang mit der Impfung konnte
jedoch nicht hergestellt werden. Obwohl von einer
gewissen Untererfassung der Impfkomplikationen
ausgegangen werden kann, geben diese
Daten keine Hinweise auf erhöhte oder unbekannte
Impfrisiken
[6
,
16]
.
Wichtig ist der Vergleich der möglichen Komplikationen,
die bei einer Impfung bzw. bei der jeweiligen
Infektionskrankheit auftreten können.
Dieser Vergleich macht deutlich, dass Impfungen
sehr viel geringere Komplikationsraten aufweisen
als die Erkrankungen selbst. So erkranken z.B.
nach einer Infektion mit dem Masernvirus 98%
der Empfänglichen. Bei einem von 1.000 bis
2.000 der Erkrankten entwickelt sich dabei eine
Enzephalitis (Gehirnentzündung). Im zeitlichen
Zusammenhang mit einer Impfung gegen Masern
wird dagegen das Risiko, an einer Enzephalitis zu
erkranken, bei unter 1 zu 1 Million beobachtet. Ein
Kausalzusammenhang mit der Impfung ist bei
diesen Fällen jedoch fraglich
[4
,
17]
.
Impf- und Immunstatus in Deutschland
Für die Planung, Durchführung und Evaluation
von Impfprogrammen sind belastbare Daten über
das Auftreten übertragbarer Krankheiten sowie
über den Immun- und Impfstatus notwendig. Dies
gilt insbesondere für die qualifizierte Politikberatung
und für die Erhöhung der Impfakzeptanz bei
der Bevölkerung und Ärzteschaft. Diese Daten stehen
in der Bundesrepublik Deutschland bisher in
nur unzureichendem Maße zur Verfügung.
Durchgeführte Impfungen werden in Deutschland
nicht zentral dokumentiert. Deshalb sind Teilstichproben
heranzuziehen, die eine ungefähre
Einschätzung des Impf- und Immunstatus ermöglichen.
Repräsentative Impfstatusanalysen bei
Kindern im Alter bis zu sechs Jahren konnten
nachweisen, dass bei fast allen Kindern eine
Grundimmunisierung begonnen wurde. Ein Teil
der Kinder wird jedoch nicht termingerecht oder
nur unvollständig geimpft. Die vorhandenen Datenquellen
lassen insgesamt aber den Schluss zu,
dass die Impfraten in den letzten Jahren kontinuierlich
gestiegen sind
[18]
.
Ein Vergleich der bei den Schuleingangsuntersuchungen 1996 und 2000 bis 2002
1
ermittelten
Impfraten zeigt, dass die Impfraten gegen
Diphtherie, Tetanus und Polio zufrieden stellend
und in dem beobachteten Zeitraum noch angestiegen
sind; auch bezüglich der ersten Masern,
Mumps- und Rötelnimpfung zeigt sich eine erhöhte
Akzeptanz dieser Impfungen. Die stark angestiegenen
Raten der Hepatitis B-, HiB- und Pertussis-
Impfungen spiegeln die Aufnahme dieser
Impfungen in die STIKO-Empfehlungen und die
Finanzierung durch die gesetzliche Krankenversicherung
wieder (Abbildung 1).
zur Tabelle mit Werten

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Hib: Haemophilus influenza b
Der Impfschutz gegen Masern, Mumps und
Röteln ist trotz steigender Tendenz noch nicht zufrieden
stellend und für eine Eliminierung der
Masern unzureichend, da nur 30% der Kinder die
notwendige zweite Masernimpfung vor Schuleintritt
erhalten haben und die Impfraten in nicht
wenigen Kreisen selbst bei der Erstimpfung z.T.
deutlich unter 80% liegen. Entsprechend hoch
sind die Masern-Erkrankungszahlen in einigen
Kreisen in den alten Bundesländern mit schlechten
Impfraten. Hier kommt es immer wieder zu
Masernausbrüchen
[18
,
19]
. Zur Elimination der
Masern müssen in Deutschland noch erhebliche
Anstrengungen unternommen werden. Dies vor
allem, weil Deutschland die Erfolge anderer Länder
wie der USA und Schwedens gefährdet, denn
dorthin werden die Masern häufig durch deutsche
Touristen exportiert. Ein nationales Maserninterventionsprogramm
wurde nach längerer Vorbereitung
und Abstimmung Ende 1999 vorgelegt,
ist aber noch nicht ausreichend umgesetzt.
Obwohl wichtige Voraussetzungen für eine
erfolgreiche Impfprävention in Deutschland erfüllt
sind, erreicht Deutschland im Vergleich zu
anderen europäischen Ländern nur zum Teil befriedigende
Durchimpfungsraten. Repräsentative
Studien sowie serologische Untersuchungen zeigen,
dass bei Kleinkindern in Deutschland große
Impflücken existieren und häufig zu spät geimpft
wird
[20
,
21
,
22]
.
Die größten Impflücken bestehen bei den
Erwachsenen, die nur unzureichend die empfohlenen
Auffrischimpfungen gegen Tetanus und
Diphtherie erhalten haben. Die Daten aus dem repräsentativen
Bundes-Gesundheitssurvey von 1998 machen deutlich: Gegen Tetanus haben insgesamt
nur 63 % der Befragten in den letzten
10 Jahren eine Auffrischimpfung erhalten. Tetanus
hat eine Letalität von 30 bis 50%. Die Impfraten
waren bei den 18-bis 19-Jährigen mit 82%
noch am höchsten, mit zunehmendem Alter wurde
der Impfstatus immer schlechter. Frauen hatten
in allen Altersgruppen einen schlechteren Impfstatus
als Männer. In den neuen Bundesländern
waren die über 30-Jährigen deutlich besser geimpft
als in den alten Bundesländern. Fernreisende Frauen
und Männer waren in allen Altersgruppen besser
gegen Tetanus geschützt als diejenigen Frauen
und Männer, die keine entsprechenden Reisen
unternommen hatten (Abbildung 2).
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Fernreisende waren in der Regel auch besser
gegen Poliomyelitis geimpft als der Rest der Bevölkerung.
Dies mag ein Hinweis darauf sein, dass
eine Fernreise auch als Anlass zur Auffrischung
für diese Impfungen genommen wird. Gegen
Gelbfieber, Typhus und Hepatitis A waren die befragten
Fernreisenden jedoch nicht optimal
geimpft. Der laufende Rückgang der Hepatitis-A
Fälle zeigt jedoch eine zunehmende Impfbereitschaft
der Reisenden.
Im telefonischen Bundes-Gesundheitssurvey
des Robert Koch-Instituts (BGS-TEL 2002/2003)
gaben 22,7% der befragten erwachsenen Männer
und 22,4% der befragten erwachsenen Frauen an,
in den letzten zwölf Monaten (bezogen auf den
Zeitraum 2002/2003) gegen Influenza geimpft
worden zu sein. Entsprechend den STIKO-Empfehlungen,
die diese Impfung u.a. für alle über
60-Jährigen vorsieht, war dieser Anteil bei den
über 60-Jährigen mit 44,4% bei den Männern
und 42,9% bei den Frauen am höchsten. Nach Angaben
des Paul-Ehrlich-Instituts wurden für die
Saison 2002/2003 mehr als 12 Millionen Influenza-
Impfstoffdosen freigegeben (www.pei.de).
Untersuchungen zum Impfstatus einzelner
Bevölkerungsgruppen konnten ebenfalls erhebliche
Impfdefizite feststellen. Dies gilt selbst für Beschäftigte
im Gesundheitswesen. Obwohl sie in
der Regel einer höheren Infektionsgefahr ausgesetzt
sind als die Allgemeinbevölkerung, verfügen
sie über keinen ausreichenden Impfschutz, z.B.
gegen Hepatitis B und Influenza. Sie können somit
sich und ihre Patienten infizieren.
Es sind also gezielte Aufklärungs- und Impfkampagnen
notwendig, sowohl für die Allgemeinbevölkerung
als auch für bestimmte Zielgruppen
wie Eltern, Senioren, Fernreisende und
das medizinische Personal.
Ursachen der unzureichenden Impfakzeptanz
Aufgrund der Freiwilligkeit von Schutzimpfungen in Deutschland spielt die Akzeptanz von Impfungen eine zentrale Rolle. Die Zahl der absoluten Impfgegner wird auf weniger als 2% der Bevölkerung in Deutschland geschätzt. Der Anteil impfskeptischer Eltern, d.h. Eltern, die einzelne Impfungen ablehnen, beträgt etwa 10% [20] . Die Mehrheit der Allgemeinbevölkerung ist weder ablehnend noch skeptisch gegenüber Impfungen eingestellt, sondern eher unerfahren oder sorglos gegenüber Infektionskrankheiten. Die Aktivitäten von Impfgegnern haben in den letzten Jahren in einigen Industrieländern allerdings zu einem deutlichen Rückgang der Impfraten geführt [11] .
Als allgemeine Ursachen der unzureichenden Durchimpfungsraten können angesehen werden:
- ein mangelndes Bewusstsein über die Gefährlichkeit von Infektionskrankheiten sowie
- ein unzureichendes Wissen um den Nutzen und die Notwendigkeit von Schutzimpfungen sowie die Sicherheit von Impfstoffen in weiten Teilen der Allgemeinbevölkerung und bei einigen Ärzten.
- Weitere wichtige Ursachen sind ferner:
- der geringe Stellenwert der Präventivmedizin,
- eine unzureichende Thematisierung in der Schule,
- die Verunsicherung der Eltern durch Impfgegner,
- das Vergessen einer Impfung oder Auffrischimpfung,
- eine unzureichende Nutzung der Arzt-Patienten- Kontakte zur Überprüfung des Impfschutzes und zur Auffrischung der Impfung,
- die Angst vor Nebenwirkungen und falsche Kontraindikationen,
- infrastrukturelle Hindernisse wie die schlechte Datenlage zum Impf- und Immunstatus,
- die uneinheitlichen Kostenübernahmeregelungen durch die Krankenkassen,
- die Verunsicherung der Ärzte wegen der Haftungsproblematik,
- die geringe Honorierung der Impfleistung,
- die mangelnde Kooperation der Akteure in der Impfprävention sowie
- Informationsdefizite bei Teilen der niedergelassenen Ärzteschaft.
Auch soziale Faktoren können einen Einfluss auf
die Höhe der Impfbeteiligung haben: Schichtzugehörigkeit,
Einkommen, Bildungsabschluss, Nationalität
und familiäre Merkmale (z.B. alleinerziehende
Eltern, Kinderzahl, Geschwisterrang und
Alter der Eltern).
Einen großen Einfluss auf die Impfmotivation
und -beteiligung hat der impfende Arzt. Das zeigt
eine Vielzahl von Studien: Nach dem Rat des Arztes
würden sich 85% der Befragten richten
[23
,
24]
.
Jeder Arzt-Patienten-Kontakt sollte daher zur
Überprüfung des Impfschutzes und zur Durchführung
und Auffrischung der empfohlenen Impfungen
genutzt werden.
Empfehlungen
Schutzimpfungen sind, umfassend durchgeführt,
eine der effizientesten Maßnahmen zur Prävention
zahlreicher Infektionskrankheiten. Sie haben
einen hohen Kosten-Nutzen-Effekt.
Trotz großer Erfolge bei der Verhütung zahlreicher
impfpräventabler Infektionskrankheiten
sind flächendeckende und gezielte Interventionsmaßnahmen
zur Steigerung der Durchimpfungsraten
erforderlich. Dies vor allem wegen der
epidemiologischen Ausgangslage und der unzureichenden
Immunitätslage der deutschen Bevölkerung.
Diese Maßnahmen sollen nicht nur dem
Schutz der Bevölkerung dienen, sondern sind
auch notwendig, um den internationalen Verpflichtungen
und Zielstellungen nachzukommen.
- die Definition und Umsetzung von nationalen Impfzielen,
- die Verbesserung der Datenlage zum Impf- und Immunstatus,
- die weitere Verbesserung der Erfassung von Impfkomplikationen,
- eine kontinuierliche Information der Ärzteschaft sowie eine verbesserte Aus- und Weiterbildung,
- eine zielgruppenspezifische Aufklärung der Allgemeinbevölkerung über den Nutzen und die Notwendigkeit von Schutzimpfungen sowie
- die Beseitigung bestehender infrastruktureller Impfhindernisse.
In der Bundesrepublik gibt es eine Vielzahl von Institutionen
und Organisationen, die in der Impfprävention
erfolgreiche Arbeit leisten. Eine effektivere
Kooperation, abgestimmte bundesweite
Impfprogramme und eine Harmonisierung der
Präventionsbotschaften können die Impfsituation
wesentlich verbessern. Dies ist jedoch nur durch
ein kontinuierliches Engagement und unter Beteiligung
aller in der Impfprävention Tätigen möglich.
Die jüngsten Entwicklungen und zahlreiche
Impfprojekte zeigen, dass dem Thema Schutzimpfungen
in der gesundheitspolitischen Diskussion
insgesamt wieder ein höherer Stellenwert eingeräumt
wird. Das Infektionsschutzgesetz mit der
verbesserten Meldepflicht für Infektionskrankheiten
(z.B. Masern, FSME) und der Meldung von
Impfkomplikationen, der verbesserten Impferfassung
und der Stärkung des Präventionsgedankens
ist ebenfalls ein wichtiger Beitrag zur Erhöhung
der Impfakzeptanz und zur Planung, Durchführung
und Bewertung von Impfprogrammen.
Literatur
1. | André FE (2001) The future of vaccines, immunisation concepts and practice. Vaccine 19: 2.206 to 2.209 |
2. |
World Health Organisation (2002 a) World
Health Report. Reducing risks, promoting
healthy life 2002. WHO, Genf
http://www.who.int/whr/2002/en |
3. |
World Health Organisation (2002 b) State of
the world's vaccines and immunization. WHO,
Genf
http://www.who.int/vaccines-documents |
4. | Dittmann S (2002) Risiko des Impfens und das noch größere Risiko, nicht geimpft zu sein. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung -Gesundheitsschutz 4: 316 bis 322 |
5. | Tengs TO, Adams ME, Pliskin JS et al. (1995) 500 lebensrettende Maßnahmen und ihre Kosteneffektivität. Risk Analysis 3: 1 bis 33 |
6. | Schmitt HJ (2003) Akzeptanz von Impfungen. In: Schmitt HJ, Hülße C, Raue W. Schutzimpfungen 2003. Infomed Medizinische Verlagsgesellschaft Berlin, 3. Auflage, S. 17 bis 37 |
7. | Windorfer A, Dreesman J (1998) Impfen als primäre Prävention: Kosten-Nutzen-Aspekt am Beispiel Hepatitis-B-Impfung bzw. Hepatitis-B Krankheit. Kinderärztliche Praxis, Sonderheft Impfen, S. 50 bis 52 |
8. | Szucs TD, Ruckdäschel S, Berger K et al. (1997) Die Kostenstruktur der Hepatitis-B-Infektion. Fortschritte der Medizin 115, I: 9 bis 15 |
9. | Meyer C, Rasch G, Keller-Stanislawski B et al. (2002 a) Anerkannte Impfschäden in der Bundesrepublik Deutschland 1990 bis 1999. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 4: 364 bis 370 |
10. | Wolfe RM, Sharp LK, Lipsky MS (2002) Content and design attributes of antivaccination web sites. JAMA 2.87: 3.245 to 3.248 |
11. | Isenberg H (1998) Hib-Impfung. In: Sitzmann FC (Hrsg) Impfungen. State of the Art und aktuelle Empfehlungen. Hans Marseille Verlag GmbH, München, S. 47 bis 53 |
12. | Thilo W (1992 ) Erfahrungen in der ehemaligen DDR; derzeitige Situation in den neuen Bundesländern. In: Spiess H, Maass G (Hrsg) Neue Schutzimpfungen - Impfempfehlungen, Aufklärung, Widerstände. Marburg, S. 213 bis 214 |
13. | Clemens R (1999) Auf welche neuen Impfstoffe müssen wir uns vorbereiten? Bundesgesundheitsblatt -Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz 4: 319 bis 322 |
14. | Tischer A, Gerike E (2003) Masern. In: Schmitt HJ, Hülße C, Raue W Schutzimpfungen 2003. Berlin 3. Auflage S. 138 bis 145 |
15. | Jilg W (2000) Schutzimpfungen: Kompendium zum aktiven und passiven Impfschutz. ecomed Verlag, 2. Auflage Landsberg/Lech |
16. | Keller-Stanislawski B, Hartmann K (2002) Auswertung der Meldungen von Verdachtsfällen auf Impfkomplikationen nach dem Infektionsschutzgesetz. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung -Gesundheitsschutz 45: 344 bis 354 |
17. | Gerike E, Tischer A (1999) Masernimpfung in Deutschland: Das Ziel ist die Elimination der Masern in Europa. Immunologie & Impfen 2: 110 bis 120 |
18. | Meyer C, Reiter S, Siedler A et al. (2002 b) Über die Bedeutung von Schutzimpfungen. Bundesgesundheitsblatt -Gesundheitsforschung -Gesundheitsschutz 4: 323 bis 331 |
19. | Siedler A, Tischer A (2002) Masernerkrankungen in Deutschland - Wo, Wer und Warum? Kinderärztliche Praxis 73: Sonderheft Impfen, S. 8 bis 12 |
20. | Koch J, Kirschner W, Kirschner R et al. (1995) Verbesserung des Kenntnisstandes zur Verbreitung von impfpräventablen Erkrankungen und zum Impfverhalten in der Bundesrepublik Deutschland. Epidemiologische Forschung Berlin |
21. | Laubereau B, Herrmann M, Weil J et al. (2001) Durchimpfungsraten bei Kindern in Deutschland 1999. Monatsschrift für Kinderheilkunde 149: 367 bis 372 |
22. | Gerike E, Tischer A, Santibanez S (2000) Einschätzung der Masernsituation in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz 43: 11 bis 21 |
23. | Hofmann F (1994) Akzeptanz von Impfungen. In: Spiess H (Hrsg) Impfkompendium. Stuttgart - New York. Georg Thieme Verlag, S. 86 bis 88 |
24. | Ley S (1987) Impfverhalten in der Bevölkerung -Impfmotivation und Impfbarrieren. In: Bundesvereinigung für Gesundheitserziehung e.V.(Hrsg) Impfen nützt - Impfen schützt. Bonn- Bad Godesberg, S. 207 bis 211 |
Fussnote
1 Diese Aussagen beruhen auf den Daten der Schuleingangsuntersuchungen im Zeitraum von 1996 und 2000 bis 2002 aus 15 Bundesländern bei rund 680.000 einzuschulenden Kindern mit Impfausweis, die entsprechend § 34 Abs. 11 IfSG über die obersten Landesgesundheitsbehörden dem Robert Koch-Institut zu übermitteln sind.
Tabellen mit Werten aus Abbildungen 1 und 2
Impfungen | 1996 | 2000 bis 2002 |
---|---|---|
Diphterie | 93,9 | 96,4 |
Tetanus | 94,1 | 96,6 |
Pertussis | 34,5 | 86,7 |
Hib | 54,7 | 87,3 |
Poliomyelitis | 93,5 | 94,6 |
Hepatitis B | 7,8 | 67,6 |
1.Masern | 86,6 | 91,3 |
1.Mumps | 81,1 | 91,1 |
1.Röteln | 68,3 | 87,3 |

Altersgruppe | Reisende Männer |
Reisende Frauen |
Nicht-Reisende Männer |
Nicht-Reisende Frauen |
---|---|---|---|---|
18 bis 19 | 100 | 92,0 | 80,7 | 79,3 |
20 bis 29 | 90,9 | 83,2 | 76,9 | 70,2 |
30 bis 39 | 84,5 | 86,1 | 69,1 | 62,7 |
40 bis 49 | 64,2 | 72,3 | 60,3 | 58,4 |
50 bis 59 | 74,9 | 74,9 | 54,0 | 50,1 |
60 bis 69 | 76,7 | 72,0 | 54,4 | 46,4 |
70 bis 79 | 47,6 | 46,2 | 43,1 | 37,8 |