Kapitel 2 - Wie geht es Männern? [Gesundheitliche Lage der Männer in Deutschland, 2014]
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Beiträge zur
Gesundheitsberichterstattung
des Bundes
Gesundheitliche Lage der Männer in Deutschland
Kapitel 2: Wie geht es Männern?
Robert Koch-Institut, Berlin 2014
2 Wie geht es Männern?
Das Kapitel 2 gibt einen Überblick über Aspekte des Gesundheitsstatus von Männern, die aus der Public Health-Perspektive besonders wichtig sind. Zunächst wird die geringere Lebenserwartung von Männern gegenüber Frauen dargestellt, bevor auf die altersspezifischen Haupttodesursachen vertiefend eingegangen wird. Es folgt mit den Unterkapiteln zu Herz-Kreislauf- und zu Krebserkrankungen die Darstellung der häufigsten chronischen Erkrankungen bei Männern. Ein wichtiges Thema ist nachfolgend das erhöhte Unfallrisiko von Männern, vor allem in Bezug auf Häufigkeit und Schwere. Epidemiologische Studien belegen eine unterschiedliche Geschlechterverteilung bei verschiedenen psychischen Störungen. Aus diesem Grund wird die Spezifik verschiedener Krankheitsbilder von bei Männern häufigen psychischen Störungen dargestellt. Sexuelle Funktionsstörungen, die Problematik der Unfruchtbarkeit und sexuell übertragbare Krankheiten sind wichtige Themen im Bereich Männergesundheit und werden daher ebenfalls in diesem Kapitel beschrieben. Während Männer von zahlreichen chronischen Krankheiten häufiger betroffen sind als Frauen und eine höhere Sterblichkeit aufweisen, schätzen sie ihre Gesundheit oftmals subjektiv besser ein als Frauen. Deswegen werden anhand empirischer Daten die Angaben der Männer zur Zufriedenheit mit dem eigenen Gesundheitszustand überprüft.
Da Männer mit niedrigem Sozialstatus in vielen Bereichen einen schlechteren Gesundheitsstatus aufweisen und in den verschiedenen Altersgruppen unterschiedliche gesundheitliche Störungen von Bedeutung sind, finden die Aspekte soziale Lage und Alter besondere Berücksichtigung. Ergebnisse zur Inanspruchnahme medizinischer Leistungen, u.a. von Krebsfrüherkennungsuntersuchungen, fließen in die Darstellungen zum Gesundheitsstatus mit ein. Weitere Kenngrößen des Versorgungsgeschehens von Männern sind jedoch kein Schwerpunkt dieses Kapitels.
2.1 Lebenserwartung und Sterblichkeit
Die Kennzahlen zur Lebenserwartung und Sterblichkeit sind wichtige Indikatoren zur Beschreibung der gesundheitlichen Lage der Bevölkerung, die auch dazu genutzt werden können, Rückschlüsse auf Präventions- und Risikoverhalten sowie die Versorgungsqualität zu ziehen.
Die Lebenserwartung der Männer ist geringer als die der Frauen und in fast allen Altersgruppen sterben mehr Männer als Frauen. Um diese Geschlechterunterschiede besser beschreiben zu können und auch innerhalb der Gruppe der Männer mögliche Besonderheiten aufzuzeigen, ist eine differenzierte Betrachtung erforderlich, welche die verschiedenen Determinanten der Lebenserwartung und des Sterblichkeitsgeschehens einschließlich der Todesursachen berücksichtigt.
2.1.1 Lebenserwartung
Wichtige Maßzahlen der Lebenserwartung sind die mittlere, die fernere sowie die gesunde Lebenserwartung. Die mittlere Lebenserwartung bei Geburt beschreibt, wie viele Jahre ein Mensch bei unveränderten gegenwärtigen Sterberisiken im Durchschnitt noch leben würde. Es handelt sich dabei um eine hypothetische Kennzahl, in welche die zum aktuellen Zeitpunkt geltenden Sterblichkeitsverhältnisse eingehen. Die fernere Lebenserwartung beschreibt die noch zu erwartende Lebenszeit in einem bestimmten Alter, z.B. im Alter von 65 Jahren. Die Maßzahl der gesunden Lebenserwartung wird herangezogen, um beschreiben zu können, wie viele Lebensjahre ohne gesundheitliche Einschränkungen zu erwarten sind [Übersicht bei 1]. Die gesunde Lebenserwartung kann anhand verschiedener Parameter (subjektiv eingeschätzter Gesundheitszustand, gesundheitsbedingte Einschränkungen der Alltagsaktivitäten oder Vorliegen chronischer Erkrankungen) berechnet werden. Die in diesem Kapitel berichtete Maßzahl der gesunden Lebenserwartung ( Healthy Life Years (HLY)) wird anhand der Sterblichkeitsverhältnisse und der Prävalenz lang andauernder Aktivitätseinschränkungen errechnet [2].
Die mittlere Lebenserwartung bei Geburt beträgt für Männer derzeit 77,7 Jahre. Sie ist damit aktuell fünf Jahre geringer als die der Frauen [3]. Insgesamt ist für Deutschland ein langfristiger Anstieg der mittleren Lebenserwartung bei Geburt festzustellen (siehe Abbildung 2.1.1).
Abbildung 2.1.1

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Allerdings profitieren Männer und Frauen in unterschiedlicher Weise von dieser Entwicklung. Beispielsweise stieg die Lebenserwartung seit 1991/1993 bei Männern um 5,3 Jahre, bei Frauen nur um 3,7 Jahre. Damit verringerte sich auch der Geschlechterunterschied in der Lebenserwartung von 6,5 auf 5,0 Jahre. Auch bei der ferneren Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren leben Männer mit 17,5 Jahren drei Jahre kürzer als Frauen (20,7 Jahre). Hierbei zeigt sich seit den 1990er- Jahren aber keine Annäherung bei der Differenz zwischen Männern und Frauen [3]. Wird die gesunde Lebenserwartung ab einem Alter von 65 Jahren betrachtet, zeigt sich nur noch ein geringer Unterschiede von ca. einem halben Jahr zwischen Männern und Frauen (6,7 vs. 7,3 Jahre) [4]. Die insgesamt höhere Lebenserwartung von Frauen bei Geburt und die Tatsache, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen im höheren Lebensalter wahrscheinlicher sind, führen dazu, dass die gesunde Lebenserwartung bei Frauen nicht so hoch liegt, wie diese entsprechend zu den anderen Maßzahlen der Lebenserwartung zu erwarten wäre.
2.1.1 Determinanten der Lebenserwartung
Der Geschlechterunterschied in der Lebenserwartung wird durch ein komplexes Zusammenwirken verschiedener Faktoren bewirkt. Es existieren dazu verschiedene Erklärungsansätze, die sowohl den Einfluss biologischer Ursachen als auch den von verhaltens- oder verhältnisbedingter Ursachen beschreiben. Wie stark der Einfluss der einzelnen Faktoren auf die Lebenserwartung ist bzw. auch deren komplexes Zusammenwirken, ist jedoch noch nicht umfassend aufgeklärt.
Um den Einfluss biologischer Faktoren auf die Lebenserwartung quantitativ zu bestimmen, untersuchten Forscher die Lebenserwartung von Nonnen und Mönchen, da davon auszugehen ist, dass diese nahezu identische Lebensbedingungen aufweisen. Im Ergebnis der Studie konnte geschlussfolgert werden, dass biologische Gründe nicht mehr als ein Jahr Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Männern und Frauen ausmachen [5].
Allerdings ist in der Allgemeinbevölkerung nicht von einer homogenen Gruppe von Männern (bzw. Frauen) auszugehen. Sie unterscheiden sich hinsichtlich verschiedener verhaltens- oder lebenslagenbezogener Faktoren, die wiederum Einfluss auf die Lebenserwartung haben. Interessant ist demnach die Frage, wie groß die Unterschiede in der Lebenserwartung innerhalb der Gruppe der Männer hinsichtlich verschiedener sozioökonomischer Einflussfaktoren sind. Anhand von Auswertungen des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) konnte ein Einkommensgradient in der Lebenserwartung bei Geburt nachgewiesen werden. Die Differenz zwischen höchster und niedrigster Einkommensgruppe betrug bei den Männern 10,8 Jahre. Auch bei der ferneren Lebenserwartung ab 65 Jahren waren die Unterschiede zwischen den beiden Einkommensgruppen sichtbar (Differenz 7,4 Jahre). Ein deutlicher Unterschied zwischen höchster und niedrigster Einkommensgruppe konnte auch für die gesunde Lebenserwartung belegt werden, der mit 14,3 Jahren sogar noch stärker ausfällt [6].
Neuere Auswertungen des SOEP konnten zudem zeigen, dass einige soziodemografische Faktoren in unterschiedlicher Weise auf die Lebenserwartung bei Männern und Frauen wirken. Danach erhöhen ein niedriges Bildungsniveau, eine niedrige Erwerbsklasse (einfacher Arbeiter) und fehlendes Wohneigentum nur bei Männern das Mortalitätsrisiko bzw. verringern die Überlebenswahrscheinlichkeit. Hingegen haben ein Migrationshintergrund, der Familienstand und Wohnen in Ostdeutschland bei Männern und Frauen den gleichen Effekt auf das Mortalitätsrisiko [7].
Sozioökonomische Unterschiede in der Lebenserwartung bei Männern gemessen am Lebensarbeitseinkommen lassen sich auch anhand der Mikrodaten des Forschungsdatenzentrums der Rentenversicherung (FDZ-RV) belegen. So konnte bei Rentnern bzw. Laufbahngruppen von Beamten gezeigt werden, dass letztere eine höhere fernere Lebenserwartung aufweisen. Einschränkend muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass zahlreiche Faktoren, wie z.B. Gesundheit, Bildung und Lebensführung das Lebensarbeitseinkommen direkt beeinflussen, jedoch nicht separat ausgewiesen werden können [8].
Eine Einschätzung darüber, ob sich die Lebenserwartung von Deutschen und in Deutschland lebenden Ausländern und Ausländerinnen bzw. Migranten und Migrantinnen unterscheidet, ist methodisch schwierig. In der amtlichen Statistik wird für ausländische Männer (und Frauen) ein geringer Vorteil in der Lebenserwartung ausgewiesen. Allerdings wird von einer Unterschätzung der Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer und damit auch des aktuellen Sterblichkeitsgeschehens ausgegangen, was in einer etwas höheren Lebenserwartung resultiert [9]. Für eine differenzierte Analyse möglicher Unterschiede sind zudem Herkunftsland bzw. Staatsangehörigkeit, Aufenthaltsdauer und -status sowie Grund der Migration zu berücksichtigen. Inwieweit diese und weitere soziodemografische Faktoren die Morbidität und Mortalität und damit auch die Lebenserwartung von Ausländern und Ausländerinnen bzw. Migranten und Migrantinnen beeinflussen, kann zurzeit aufgrund fehlender Datengrundlagen nicht beurteilt werden.
2.1.2 Sterblichkeitsgeschehen und Todesursachen
Die Beschreibung des Sterblichkeitsgeschehens erfolgt anhand der Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamtes. Grundlage der Erhebung aller Todesfälle in Deutschland sind die Todesbescheinigungen der Ärzte und Ärztinnen, die im Rahmen der Leichenschau ausgestellt werden. Das zum Tode führende Grundleiden wird dabei anhand des dreistelligen Schlüssels der 10. Revision der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) klassifiziert. Weiterhin werden demografisch relevante Merkmale, u.a. das Sterbedatum, Geschlecht und Alter der Verstorbenen sowie Informationen zu Staatsangehörigkeit, Religion und Familienstand, erfasst. Der Meldeweg erfolgt von den örtlichen Standes- und Gesundheitsämtern über die Statistischen Landesämter an das Statistische Bundesamt.
In fast allen Altersgruppen ist der Anteil der verstorbenen Männer größer als der der Frauen. In den Altersgruppen von 15 bis 35 Jahren ist er beispielsweise mehr als doppelt so hoch [10] (siehe Abbildung 2.1.2).
Abbildung 2.1.2

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Mit dem Konzept der vorzeitig verlorenen Lebensjahre wird ermittelt, wie viele potenzielle Lebensjahre durch bestimmte Todesursachen vor Erreichen eines bestimmten Alters verloren gehen. Je nach Fragestellung können dabei verschiedene Altersgruppen gewählt werden, z.B. die verlorenen Lebensjahre durch Tod unter 65 Jahren. Mit dieser Kennziffer ist vorzeitige, also vermeidbare Sterblichkeit beschreibbar. Die Daten belegen für das Jahr 2012 insgesamt eine 1,9-fach erhöhte Rate der vorzeitigen Mortalität unter 65 Jahren bei Männern gegenüber Frauen (3.033 verlorene Lebensjahre je 100.000 Männer, 1.758 verlorene Lebensjahre je 100.000 Frauen) [11]. Die Übersterblichkeit der Männer lässt sich auf eine begrenzte Zahl von bei Männern häufigen Todesursachen zurückführen. Wird dazu das Verhältnis der Haupttodesursachen von Männern gegenüber Frauen in den verschiedenen Altersgruppen betrachtet, fällt vor allem die Übersterblichkeit der Männer (bis 64 Jahre) aufgrund von Verletzungen und Vergiftungen und bestimmten anderen Folgen äußerer Ursachen auf (ICD-10: S00 bis T98) (siehe Tabelle 2.1.1). Diese ist 2,9- bis 3,7-fach erhöht. In diese Kategorie zählen vor allem Sterbefälle infolge von Unfällen, Suiziden oder tätlichen Angriffen. Besonders deutlich sind Sterblichkeitsunterschiede auch in den Kategorien Kreislaufkrankheiten (ICD-10: I00 bis I99) und Krankheiten des Verdauungssystems (ICD-10: K00 bis K93), hierbei allerdings vor allem in den Altersgruppen zwischen 35 und 64 Jahren. Bei den Neubildungen (ICD-10: C00 bis D48) ist eine Übersterblichkeit der Männer im Alter ab 55 Jahren erkennbar.
Tabelle 2.1.1
Jahre |
Jahre |
Jahre |
Jahre |
Jahre |
>=65 Jahre |
|
---|---|---|---|---|---|---|
Verletzungen, Vergiftung, Folgen äußerer Ursachen (S00 bis T98) | 3,2 | 3,7 | 3,2 | 2,9 | 2,9 | 1,3 |
Krankheiten des Verdauungssystems (K00 bis K93) | 1,7 | 2,6 | 2,8 | 2,4 | 2,3 | 1,1 |
Neubildungen (C00 bis D48) | 1,6 | 1,0 | 0,8 | 1,1 | 1,5 | 1,5 |
Krankheiten des Kreislaufsystems (I00 bis I99) | 1,3 | 1,9 | 2,5 | 2,9 | 2,9 | 0,9 |
Krankheiten des Atmungssystems (J00 bis J99) | 2,0 | 1,1 | 1,9 | 1,7 | 1,8 | 1,5 |
* | sex mortality ratio (ein Verhältnis der Sterblichkeit von Männern gegenüber Frauen je 100.000 Einwohner von größer 1 bedeutet eine Übersterblichkeit der männlichen Bevölkerung) |
---|---|
[10] |
Statistisches Bundesamt (2013) Todesursachenstatistik,
Fortschreibung des Bevölkerungsstandes:
Sterbefälle, Sterbeziffern (je 100.000 Einwohner, altersstandardisiert)
(ab 1998).
www.gbe-bund.de |
Eine Auflistung der drei Haupttodesursachen (Einzeldiagnose) in den verschiedenen Altersgruppen in der Reihenfolge ihrer Bedeutung ermöglicht eine Spezifizierung der geschlechtsspezifischen Unterschiede in den einzelnen Krankheitsgruppen (siehe Tabelle 2.1.2).
Tabelle 2.1.2
Männer | ||||
---|---|---|---|---|
Alters- gruppe (Jahre) |
ICD-10 |
Anzahl Sterbefälle je 100.000 Einwohner |
Anzahl absolut |
Anteil (%) |
15 bis 24 | ||||
T07 Nicht näher bezeichnete multiple Verletzungen | 5,9 | 274 | 14,1 | |
T71 Erstickung | 4,2 | 194 | 10,0 | |
S06 Intrakranielle Verletzung | 4,1 | 189 | 9,7 | |
25 bis 34 | ||||
T71 Erstickung | 6,8 | 347 | 11,4 | |
T07 Nicht näher bezeichnete multiple Verletzungen | 4,7 | 240 | 7,9 | |
R99 Sonstige ungenau oder nicht näher bezeichneten Todesursachen | 3,4 | 171 | 5,6 | |
35 bis 44 | ||||
T71 Erstickung | 8,5 | 472 | 6,8 | |
I21 Akuter Myokardinfarkt | 7,0 | 392 | 5,6 | |
R99 Sonstige ungenau oder nicht näher bezeichneten Todesursachen | 6,8 | 380 | 5,5 | |
45 bis 54 | ||||
I21 Akuter Myokardinfarkt | 29,8 | 2.067 | 8,2 | |
C34 Bösartige Neubildung der Bronchien und der Lunge | 29,2 | 2.028 | 8,1 | |
K70 Alkoholische Leberkrankheit | 20,7 | 1.436 | 5,7 | |
55 bis 64 | ||||
C34 Bösartige Neubildung der Bronchien und der Lunge | 114,7 | 5.993 | 11,9 | |
I21 Akuter Myokardinfarkt | 76,8 | 4.012 | 8,0 | |
I25 Chronische ischämische Herzkrankheit | 45,4 | 2.373 | 4,7 | |
>=65 | ||||
I25 Chronische ischämische Herzkrankheit | 435,2 | 31.732 | 9,7 | |
I21 Akuter Myokardinfarkt | 307,6 | 22.427 | 6,9 | |
C34 Bösartige Neubildung der Bronchien und der Lunge | 294,4 | 21.467 | 6,6 | |
Frauen | ||||
Alters- gruppe (Jahre) |
ICD-10 |
Anzahl Sterbefälle je 100.000 Einwohner |
Anzahl absolut |
Anteil (%) |
15 bis 24 | ||||
S06 Intrakranielle Verletzung | 1,6 | 71 | 9,2 | |
T07 Nicht näher bezeichnete multiple Verletzungen | 1,6 | 69 | 8,9 | |
T71 Erstickung | 0,9 | 39 | 5,0 | |
25 bis 34 | ||||
C50 Bösartige Neubildung der Brustdrüse | 1,5 | 74 | 5,6 | |
R99 Sonstige ungenau oder nicht näher bezeichneten Todesursachen | 1,3 | 65 | 4,9 | |
T07 Nicht näher bezeichnete multiple Verletzungen | 1,1 | 55 | 4,1 | |
35 bis 44 | ||||
C50 Bösartige Neubildung der Brustdrüse | 10,3 | 552 | 14,5 | |
C34 Bösartige Neubildung der Bronchien und der Lunge | 3,3 | 176 | 4,6 | |
R99 Sonstige ungenau oder nicht näher bezeichneten Todesursachen | 2,7 | 147 | 3,9 | |
45 bis 54 | ||||
C50 Bösartige Neubildung der Brustdrüse | 25,8 | 1.731 | 12,7 | |
C34 Bösartige Neubildung der Bronchien und der Lunge | 21,2 | 1.423 | 10,4 | |
K70 Alkoholische Leberkrankheit | 8,1 | 545 | 4,0 | |
55 bis 64 | ||||
C34 Bösartige Neubildung der Bronchien und der Lunge | 60,0 | 3.214 | 12,0 | |
C50 Bösartige Neubildung der Brustdrüse | 52,4 | 2.804 | 10,5 | |
I21 Akuter Myokardinfarkt | 20,8 | 1.115 | 4,2 | |
>=65 | ||||
I25 Chronische ischämische Herzkrankheit | 372,8 | 35.962 | 8,9 | |
I50 Herzinsuffizienzt | 314,5 | 30.340 | 7,5 | |
I21 Akuter Myokardinfarkt | 227,4 | 21.937 | 5,4 |
[10] |
Statistisches Bundesamt (2013) Todesursachenstatistik,
Fortschreibung des Bevölkerungsstandes:
Sterbefälle, Sterbeziffern (je 100.000 Einwohner, altersstandardisiert)
(ab 1998).
www.gbe-bund.de |
---|
Bei den Männern im Alter bis 44 Jahre sind Verletzungen und Erstickungen die zwei häufigsten Todesursachen. Bei Frauen sind diese Todesursachen vor allem in der Altersgruppe von 15 bis 24 Jahre vorherrschend. Wird eine Klassifizierung der Todesumstände vorgenommen (ICD-10: V01 bis Y84), ist die vorsätzliche Selbstbeschädigung (Suizid) die Hauptursache für Erstickungen. Transportmittelunfälle, vor allem mit dem PKW, sind die Hauptursache für die multiplen Verletzungen (siehe Kapitel 2.4 Unfälle). Auffällig ist, dass die Anzahl der Sterbefälle bei diesen Todesursachen bei Männern wesentlich höher liegt als bei Frauen.
Für die Erklärung und das Verständnis von Suiziden müssen stets die Lebensbedingungen jedes einzelnen Menschen betrachtet werden. Dazu zählen u.a. der Gesundheitszustand (z.B. bereits bestehende Erkrankungen), berufliche Konstellationen, schwere Lebensereignisse sowie Konfliktlösungspotenziale (siehe Kapitel 2.5 Psychische Störungen). Diese Faktoren der Lebensumstände werden im Rahmen der Todesursachenstatistik nicht erfasst, so dass eine diesbezügliche Interpretation, auch im Hinblick auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede, nicht möglich ist.
Die alkoholische Leberkrankheit ist bei Männern und Frauen im Alter von 45 bis 54 Jahren als eine der drei Haupttodesursachen auffällig. So waren bei Männern in dieser Altersgruppe im Jahr 2012 1.436 Sterbefälle an einer alkoholischen Leberkrankheit zu verzeichnen. Das entspricht 20,7 Sterbefällen je 100.000 Einwohner. Auch wenn die Anzahl der Sterbefälle vergleichsweise gering ist, liegt sie bei den Männern mehr als doppelt so hoch wie bei den Frauen. Diese Erkrankung wird durch langjährigen chronischen Alkoholmissbrauch verursacht und deutet darauf hin, dass bereits seit dem Jugendalter gesundheitsschädigende Mengen von Alkohol konsumiert wurden. Die Ursachen für die Geschlechtsunterschiede sind vor allem in den unterschiedlichen Konsumgewohnheiten sowie in den andersgearteten Motiven für Alkoholkonsum zu suchen (siehe Kapitel 3.4 Alkohol).
Bei Männern ab einem Alter von 35 Jahren sind Todesursachen aus der Gruppe der koronaren Herzkrankheiten (KHK, ICD-10: I20 bis I25) und Lungenkrebs die Haupttodesursachen, während bei den Frauen bis unter 65 Jahren Brustkrebs und Lungenkrebs die zwei häufigsten Todesursachen sind. Ab einem Alter von 55 Jahren sind bei ihnen die Todesfälle aufgrund koronarer Herzkrankheiten unter den drei häufigsten Todesursachen. Die Todesursachen bei den vorzeitigen Sterbefällen, d.h. vor einem Alter von 65 Jahren, deuten insgesamt auf einen höheren Anteil von verhaltensbedingten Risikofaktoren bei den Männern hin (siehe dazu auch Kapitel 2.2 Herz-Kreislauf-Erkrankungen, 2.3 Krebs, 3.3 Rauchen und 3.4 Alkohol).
2.1.3 Determinanten des Sterblichkeitsgeschehens
Ein Teil der Mortalitätsunterschiede zwischen Männern und Frauen kann auf gesundheitliches Risikoverhalten zurückgeführt werden. Die alkoholische Leberkrankheit infolge von Alkoholabusus, Lungenkrebs als Folge von Rauchen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen als mögliche Folge eines ungesunden Lebensstils hinsichtlich Ernährung, Bewegung, Übergewicht sowie Tabakkonsum sind bei Männern relevante Todesursachen. Hinzu kommen ein größeres Risiko, durch Verkehrsunfälle zu sterben sowie die häufigere Erwerbstätigkeit von Männern und die damit einhergehenden gesundheitlichen Gefährdungen. Der bestehende Geschlechterunterschied bei den Todesursachen wird dabei, wie die Lebenserwartung, durch Verknüpfung verschiedener sozialer und verhältnisbedingter Faktoren beeinflusst. Der Zusammenhang von sozialer Lage und Gesundheit ist vielfach nachgewiesen worden und zeigt sich auch bei der Mortalität [7, 12 bis 14]
Neben den Risiken sind aber auch Ressourcen identifiziert worden, die sich positiv auf den Gesundheitszustand und damit wiederum auf das Sterblichkeitsgeschehen auswirken. So konnte bei der Frage nach dem möglichen Einfluss des Familienstandes auf die Sterblichkeit ein protektiver Effekt von Ehe bzw. Partnerschaften nachgewiesen werden [z.B. 15, 16]. Werden in diesem Zusammenhang die einzelnen Todesursachen betrachtet, zeigt sich, dass der Unterschied vor allem bei solchen Todesursachen besteht, die verhaltensbedingt sind. Auffällig ist zudem, dass die Sterblichkeitsunterschiede zwischen Verheirateten und Nichtverheirateten bei den Männern größer sind, als dies bei den Frauen der Fall ist [17, 18]. Demnach scheinen Männer hinsichtlich der Sterblichkeit in größerem Maße von der Ehe/Partnerschaft zu profitieren als Frauen.
In Abhängigkeit von der Lebensform lassen sich Unterschiede in Gesundheit und Krankheit feststellen (siehe Kapitel 5 Lebensformen und Gesundheit). Auch hier finden sich Hinweise auf einen protektiven Effekt von Partnerschaft. Die für den Zusammenhang von Partnerschaft und Morbidität bzw. Mortalität gefundenen Erklärungsansätze beziehen sich zum einen auf die Selektionshypothese, wonach gesündere Personen eher eine (Ehe-)Partnerin/ einen (Ehe-)Partner finden als gesundheitlich eingeschränkte. Zum anderen geht die Protektionshypothese davon aus, dass die partnerschaftliche Unterstützung dazu beiträgt, gesünder zu leben und sozial stärker integriert zu sein, was sich insgesamt in einem besseren Gesundheitszustand zeigt. Auch wenn die genannten Erklärungsansätze für beide Geschlechter gelten, ist der Effekt bei Männern stärker als bei Frauen [15, 19 bis 23].
Als eine Erklärung wird diskutiert, dass überwiegend Frauen für gesundheitliche Belange innerhalb von Ehen und Partnerschaften verantwortlich sind [24]. Gesundheitliche Themen haben einen engen Bezug zu weiblichen Rollenmodellen. Insbesondere in eher traditionell geführten Partnerschaften sind überwiegend Frauen für gesundheitliche Belange verantwortlich [25] . Sie agieren als Vorbilder für die Kinder, vermitteln gesundheitliches Wissen und Einstellungen, stellen die Rahmenbedingungen und Regeln für ein gesundheitsförderliches Verhalten auf und bilden die Schnittstelle zum professionellen Gesundheitssystem [26]. Daher scheinen Frauen auch einen positiven Einfluss auf das Gesundheitsverhalten ihrer Partner zu haben. Im Falle einer Trennung zeigt sich dementsprechend, dass Männer sich relativ stark auf diese Ressource verlassen. Nach einem Beziehungsende leben sie häufig gesundheitlich riskanter als während der Partnerschaft [25, 27 bis 29].
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es wichtig ist, möglichst viele Merkmale bei der Beschreibung des Sterblichkeitsgeschehens zu berücksichtigen. Das trägt zu einer größeren Differenzierung bei der Beschreibung von gesundheitlichen Problemlagen bei, auch wenn der Einfluss der einzelnen Determinanten bzw. auch deren Kombination auf das Sterblichkeitsgeschehen bei Männern und Frauen noch nicht abschließend beurteilt werden kann.
Literatur
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3 |
Statistisches Bundesamt (2012) Statistik der natürlichen
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Lebenserwartung im Alter von... Jahren je Person.
www.gbe-bund.de (Stand: 16.12.2012) |
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Europäische Kommission, Eurostat (2012) Gesunde
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www.epp.eurostat.ec.europa.eu/portal/page/portal/statistics/search_database (Stand: 16.12.2012) |
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9 | Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2011) Morbidität und Mortalität von Migranten in Deutschland. BAMF, Nürnberg |
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Statistisches Bundesamt (2013) Todesursachenstatistik,
Fortschreibung des Bevölkerungsstandes:
Sterbefälle, Sterbeziffern (je 100.000 Einwohner, altersstandardisiert)
(ab 1998).
www.gbe-bund.de (Stand: 07.01.2014) |
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Statistisches Bundesamt (2013) Todesursachenstatistik,
Fortschreibung des Bevölkerungsstandes:
Vorzeitige Sterblichkeit (Anzahl, je 100.000 Einwohner,
verlorene Lebensjahre - mit/ohne Altersstandardisierung,
Tod unter 65/70 Jahren).
www.gbe-bund.de (Stand: 15.01.2014) |
12 | Mielck A (2000) Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Empirische Ergebnisse, Erklärungsansätze, Interventionsmöglichkeiten. Hans Huber, Bern |
13 | Robert Koch-Institut (2005) Armut, soziale Ungleichheit und Gesundheit., Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes. RKI, Berlin |
14 | Helmert U, Müller R, Voges W (2006) Die Bedeutung sozialschichtspezifischer und berufsbezogener Faktoren zur Erklärung der Differenz der Mortalitätsentwicklung zwischen Frauen und Männern in Deutschland. Ergebnisse von zwei prospektiven Studien im Zeitraum 1984 bis 2003. In: Geppert J, Kühl J (Hrsg) Gender und Lebenserwartung. Kleine Verlag GmbH, Bielefeld, S. 77 bis 91 |
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17 | Kolip P (2005) The association between gender, family status and mortality. Journal of Public Health 13 (6): 309 to 312 |
18 | Murphy M, Grundy E, Kalogirou S (2007) The increase in marital status differences in mortality up to the oldest age in seven European countries, 1990 to 99. Population Studies 61 (3): 287 to 298 |
19 | Lillard LA, Panis CWA (1996) Marital Status and Mortality: The Role of Health. Demography 33 (3): 313 to 327 |
20 | Lademann J, Kolip P (2005) Gesundheit von Frauen und Männern im mittleren Lebensalter. Schwerpunktbericht der Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Robert Koch-Institut, Berlin |
21 | Umberson D (1987) Family status and health behaviors: social control as a dimension of social integration. J Health Soc Behav 28 (3): 306 to 319 |
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23 | Kulik JA, Mahler HIM (2006) Marital quality predicts hospital stay following coronary artery bypass surgery for women but not men. Social Science & Medicine 63 (8): 2,031 to 2,040 |
24 | Faltermaier T (2004) Männliche Identität und Gesundheit. Warum Gesundheit von Männern? In: Altgeld T (Hrsg) Männergesundheit Neue Herausforderungen für Gesundheitsförderung und Prävention. Juventa, Weinheim, S. 11 bis 33 |
25 | Faltermaier T (2004) Männliche Identität und Gesundheit. Warum Gesundheit von Männern? . In: Altgeld T (Hrsg) Männergesundheit Neue Herausforderungen für Gesundheitsförderung und Prävention. Juventa, Weinheim, S. 11 bis 33 |
26 | Faltermaier T (2005) Gesundheitspsychologie. Verlag W. Kohlhammer Stuttgart |
27 | Williams K, Umberson D (2004) Marital status, marital transitions, and health: A gendered life course perspective. Journal of Health and Social Behavior 45 (1): 81 to 98 |
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29 | Helgeson VS (1995) Masculinity, men's roles, and coronary heart disease. In: Sabo D, Gordon DF (Hrsg) Men's health and illness/Gender, power, and the body. Sage, Thousand Oaks, S. 68 to 104 |
2.2 Herz-Kreislauf-Erkrankungen und ihre Risikofaktoren
Herz-Kreislauf-Erkrankungen (ICD-10: I00 bis I99) zählen in Deutschland zu den häufigsten Erkrankungen [1] und führenden Todesursachen [2]. Sie sind in großem Umfang für Arbeitsunfähigkeit, Invalidität und Frühberentung verantwortlich und sind oftmals mit einer reduzierten Lebensqualität der Betroffenen assoziiert [3]. Aufgrund dieser Tatsachen verursachen Herz-Kreislauf-Erkrankungen die höchsten Kosten im deutschen Gesundheitssystem [4].
In Deutschland, wie in den meisten Industrienationen, besteht ein deutlicher Geschlechterunterschied bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Mehr Männer als Frauen sind betroffen und sterben daran, vor allem vorzeitig, d.h. vor Erreichen des 65. Lebensjahres. Faktoren eines ungesunden Lebensstils, wie z.B. Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel begünstigen die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Viele dieser als vermeidbar geltenden Risikofaktoren finden sich bei Männern häufiger als bei Frauen ( siehe auch Kapitel 3 Gesundheitsverhalten). Zu den weit verbreiteten Erkrankungen, die wiederum eigenständige Risikofaktoren für die Entwicklung einer Herz-Kreislauf-Erkrankung darstellen, aber auch Bedeutung als Begleiterkrankungen haben, zählen Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Störungen des Fettstoffwechsels. Diese Erkrankungen zählen bei Männern und bei Frauen gleichermaßen zu den zehn häufigsten Diagnosen im Behandlungsgeschehen ambulanter Arztpraxen [5, 6]. Auch hier sind Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei der Häufigkeit dieser Diagnosen ersichtlich, vor allem auch im Altersverlauf, wobei mehr Männer betroffen sind [5, 6]. Weiterhin wird der bestehende Geschlechterunterschied bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit einem möglichen hormonellen Schutz bei Frauen bis zur Menopause als biologische Ursache diskutiert [7].
Seit den 1980er Jahren ist bei relativ gleichbleibender Erkrankungshäufigkeit (Morbidität) eine Abnahme der Sterblichkeit (Mortalität) an Herz- Kreislauf-Erkrankungen zu beobachten, wobei dieser Rückgang bei den Männern etwas deutlicher ausfällt (siehe Abbildung 2.2.1): Er beträgt 37,2%, bei den Frauen 32,1%. Der Geschlechterunterschied bleibt jedoch nach wie vor bestehen. Der Rückgang der Sterblichkeit wird vor allem mit dem früheren Erkennen und den verbesserten Behandlungsmöglichkeiten von Herz-Kreislauf- Erkrankungen in Zusammenhang gebracht, aber auch mit der Eindämmung von klassischen Risikofaktoren [8].
In Abbildung 2.2.1 ist die altersstandardisierte Sterblichkeitsrate dargestellt, die einen Vergleich von Bevölkerungen (Männer/Frauen) mit unterschiedlicher Altersstruktur über die Zeit ermöglicht. Werden die absoluten Zahlen betrachtet, ist im Zeitverlauf ebenfalls eine Abnahme der Sterbefälle zu beobachten. Bei Männern nahm der Anteil der Sterbefälle im Zeitraum von 2000 bis 2012 um 6,9% (von 161.360 auf 150.149 Sterbefälle), bei Frauen um 14,8% (von 233.683 auf 199.068 Sterbefälle) ab. Allerdings ist die absolute Zahl der Sterbefälle an Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen höher als bei den Männern [2]. Dies ergibt sich aus dem größeren Anteil von Frauen in den älteren Altersgruppen.
Abbildung 2.2.1

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Eine Geschlechterdifferenzierung in der Herz- Kreislauf-Forschung wurde erst mit der Frauengesundheitsbewegung thematisiert, da die frauenspezifische Relevanz von Herz-Kreislauf-Erkrankungen lange unterschätzt wurde [9]. Es wurden frauenspezifische Fragestellungen formuliert und im Zuge dessen neue Forschungsansätze entwickelt, welche die Verschiedenheit der Geschlechter berücksichtigen, vor allem bei der Untersuchung biologischer aber auch verhaltens- und umweltbedingter Faktoren. Außerdem wurde die Notwendigkeit der Erforschung geschlechtsspezifischer Einflussfaktoren, Symptomwahrnehmung [10, 11], Diagnostik, Krankheitsverläufe und Therapie[12] für die Optimierung von Präventions- und Versorgungsaspekten erkannt.
Bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind bei Männern die Gruppe der ischämischen Herzkrankheiten (ICD-10: I20 bis I25) inklusive Herzinfarkt und die Gruppe der zerebrovaskulären Krankheiten (ICD-10: I60 bis I69) inklusive Schlaganfall die vorherrschenden Krankheitsbilder. Daher liegt der Fokus dieses Kapitels auf der Beschreibung dieser beiden Krankheitsgruppen hinsichtlich Morbidität und Mortalität. Wie bereits erwähnt, sind Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel wesentliche Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie werden ausführlich im Kapitel 3 dieses Berichtes hinsichtlich der männerspezifischen Fragestellung, die diesem Bericht zugrunde liegt, beschrieben und daher hier nicht noch einmal aufgegriffen. Der Schwerpunkt der folgenden Ausführungen liegt auf der Analyse der soziodemografischen Risiko- und Einflussfaktoren, die bislang wenig im Fokus der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen standen, deren Bedeutung aber zunehmend erkannt wird.
Als Datengrundlage werden die mit einer Krankenhausbehandlung verbundenen Erkrankungshäufigkeiten (stationäre Morbidität) von Herz-Kreislauf-Erkrankungen analysiert. Zu beachten ist, dass es sich bei der Krankenhausdiagnosestatistik nicht um eine Personen-, sondern um eine Fallstatistik handelt. Das bedeutet, dass Personen bei mehreren Krankenhausaufenthalten auch mehrmals gezählt werden. Außerdem ist im Gesundheitswesen, bedingt durch medizinisch- technische Fortschritte, eine Verlagerung von stationär erbrachten Leistungen in die ambulante Versorgung zu beobachten [13]. Das dürfte auch für die Behandlung von Herz-Kreislauf- Erkrankungen bzw. deren Risikofaktoren gelten. Die stationäre Morbidität ist daher nur ein Ausschnitt bei der Beschreibung des Krankheitsgeschehens und kann nicht mit der allgemeinen Morbidität gleichgesetzt werden. Krankenkassendaten erlauben daneben Aussagen zur diagnosebezogenen Inanspruchnahme der ambulanten Versorgung (z.B. [6]). Sie liegen jedoch noch nicht flächendeckend für Deutschland vor und spiegeln in der Regel die Versichertenstruktur der einzelnen Krankenkassen wider [14]. Die Todesursachenstatistik wird für die Analyse der Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen herangezogen.
2.2.1 Ischämische Herzkrankheiten
Diese Gruppe von Erkrankungen (ICD-10: I20 bis I25), zusammengefasst auch als koronare Herzkrankheit (KHK) bezeichnet, wird meist durch eine Verkalkung (Arteriosklerose) der Herzkranzgefäße (Koronararterien) verursacht. Die Ablagerungen an den Gefäßwänden führen zu einer Versteifung und Verminderung des Gefäßdurchmessers und in Folge dessen zu einer Durchblutungsstörung und Minderversorgung der Herzmuskulatur mit Sauerstoff. Es bestehen verschiedene klinische Ausprägungen der KHK, als akute Manifestation ist der Herzinfarkt (akuter Myokardinfarkt) (ICD-10: I21 bis I22) von besonderer Bedeutung, da hierbei die Gefahr eines plötzlichen Herztodes besonders groß ist [15].
2.2.1.1 Symptomatik
Die klinische Manifestation einer KHK kündigt sich bei der Mehrzahl der Patienten und Patientinnen durch spezifische Symptome an: Belastungsabhängige Brustschmerzen und Atemnot sind dabei besonders häufig. Ein erster Hinweis auf die Entwicklung einer KHK kann bei Männern eine erektile Dysfunktion (ED) sein. Diese geht mit ihren Symptomen einer KHK im Mittel zwei bis drei Jahre voraus [16] und ist daher ein wichtiger Ansatzpunkt für weitere Diagnostik und Prävention (siehe Kapitel 2.6.1 Sexuelle Funktionsstörungen).
Bei der Symptomatik des akuten Herzinfarktes zeigen sich bei Männern und Frauen Unterschiede hinsichtlich Schmerzlokalisation und Symptomspektrum. Um rechtzeitig notfallmedizinische Hilfe zu holen, ist die Kenntnis der allgemeinen, wie auch der geschlechtsspezifischen Herzinfarktsymptomatik von besonderer Bedeutung. Unabhängig vom Geschlecht sind plötzlich einsetzende Brustschmerzen, die als stechend, brennend oder drückend beschrieben werden, mehr als fünf Minuten andauern und auch in Ruhe nicht abklingen, die häufigste Symptomatik. Frauen zeigen daneben aber oftmals andere Schmerzlokalisationen als Männer: Schmerzausstrahlungen in den linken Arm bzw. die linke Hand, Schulter, in den Rücken und den Kiefer- Halswinkel sowie unspezifische Symptome wie Luftnot, Übelkeit, Erbrechen und Schmerzen im Oberbauch sind bei ihnen häufiger [15, 17].
Studien zum Wissen über die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Symptomatik und die Bedeutung der schnellen medizinischen Versorgung des Herzinfarktes konnten für die USA eine geringere Symptomkenntnis bei Männern sowie bei Personen mit niedriger Bildung belegen [18, 19]. Auch für Deutschland konnten diese Unterschiede gezeigt werden. Mehr Männer als Frauen kannten Herzinfarktsymptome nicht und die geschlechtsspezifischen Unterschiede waren ihnen häufiger unbekannt [20]. Auffallend war außerdem, dass das Symptomwissen mit dem sozialen Status variiert: Vor allem bei Männern zeigte sich, dass in den niedrigen sozialen Statusgruppen das Herzinfarktsymptomwissen gering ist. Vor dem Hintergrund, dass Männer häufiger und in jüngerem Alter an Herzinfarkten versterben und bestimmte Risikofaktoren bei Männern (und Frauen) mit niedrigem sozioökonomischen Status häufiger anzutreffen sind [21], geben diese Ergebnisse Hinweise auf die Notwendigkeit verstärkter zielgruppenspezifischer Aufklärung.
2.2.1.2 Morbidität
Die zeitliche Entwicklung der Behandlungshäufigkeit von KHK insgesamt zeigt bei Männern eine Abnahme der stationären Fallzahlen im Zeitraum 2000 bis 2012 um 23,3%. So gab es im Jahr 2000 bei Männern 577.723 stationäre Fälle aufgrund einer KHK, im Jahr 2012 443.037 stationäre Fälle. Die altersstandardisierte Rate je 100.000 Einwohner nahm in diesem Zeitraum um 39,0% ab (siehe Abbildung 2.2.2). Die Zahlen zum akuten Herzinfarkt bleiben dabei aber weitgehend konstant.
Abbildung 2.2.2

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Für Aussagen zur Neuerkrankungsrate an Herzinfarkten liegen für Deutschland keine flächendeckenden Ergebnisse vor. Mit den Daten aus dem bevölkerungsbasierten MONICA/KORA Herzinfarktregister Augsburg können aber Aussagen zur Herzinfarkt-Inzidenz (tödliche und nichttödliche Erstinfarkte für die 25- bis 84-jährige Bevölkerung) in der Stadt und Region Augsburg getroffen werden. Für das Jahr 2011 wurden 247 erstmalige Herzinfarkt-Fälle je 100.000 Einwohner bei den Männern ermittelt [22].
Inwieweit die Abnahme der stationären Fallzahlen auch eine Abnahme der Erkrankungshäufigkeit bedeutet, oder ob es sich um eine Verlagerung der Behandlung in den ambulanten Bereich handelt, kann aber aufgrund der Datenlage nicht beurteilt werden.
Die Anzahl der stationären Aufenthalte aufgrund einer KHK war im Jahr 2012 bei Männern doppelt so hoch wie bei Frauen (Männer 440.403 Fälle, Frauen 221.844 Fälle). Wird nur die Diagnose Herzinfarkt betrachtet, ist die Anzahl der stationären Aufenthalte bei Männern 1,8-fach so hoch (Männer 143.682 Fälle, Frauen 78.688 Fälle). Die Altersverteilung der stationär im Krankenhaus behandelten Fälle zeigt, dass der Anteil der Männer in allen Altersgruppen deutlich überwiegt, in den Altersgruppen von 20 bis 64 Jahren ist er sogar mindestens dreimal so hoch wie bei Frauen (siehe Abbildung 2.2.3).
Abbildung 2.2.3

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2.2.1.3 Mortalität
Die koronare Herzkrankheit ist bei Männern bereits im mittleren Lebensalter eine häufige Todesursache, deren Anteil mit zunehmendem Lebensalter weiter ansteigt. Die Einzelindikationen »Akuter Myokardinfarkt« (ICD-10: I21) und »Chronische ischämische Herzkrankheit« (ICD-10: I25) sind bei Männern ab dem 35. Lebensjahr unter den drei häufigsten Todesursachen.
Gemäß der Todesursachenstatistik sind im Jahr 2012 15,9% (66.294 Sterbefälle) aller verstorbenen Männer an einer KHK (ICD-10: I20 bis I25) gestorben, fast die Hälfte davon (46,6%, 30.894 Sterbefälle) an einem Herzinfarkt (ICD-10: I21 bis I22). Das entspricht einer auf die Alte Europastandardbevölkerung altersstandardisierten Sterberate von 101,7 je 100.000 Einwohner für die KHK bzw. 48,9 je 100.000 Einwohner für den Herzinfarkt. Bei den Frauen waren 13,7% (61.877 Sterbefälle) an einer KHK gestorben, davon gut ein Drittel (39,6%, 24.531 Sterbefälle) an einem Herzinfarkt. Die altersstandardisierte Sterberate betrug bei ihnen 51,3 je 100.000 Einwohner für die KHK bzw. 22,2 je 100.000 Einwohner für den Herzinfarkt [2]
Die im Kapitel 2.1.2 Sterblichkeitsgeschehen und Todesursachen festgestellte allgemeine Übersterblichkeit der Männer ist also zu einem nicht unerheblichen Teil auf den Herzinfarkt zurückzuführen, weshalb dieser überwiegend als »Männerkrankheit « angesehen wird [23]. Das durchschnittliche Sterbealter lag bei Männern für KHK im Jahr 2012 bei 77,0 Jahren und war damit deutlich niedriger als bei Frauen (84,8 Jahre). An einem Herzinfarkt verstarben Männer noch früher, mit durchschnittlich 74,2 Jahren (Frauen: 82,5 Jahre) [24].
Eine KHK war bei 11,5% aller vorzeitigen Sterbefälle (unter 65 Jahren) bei Männern ursächlich, dabei mehrheitlich durch Herzinfarkt (insgesamt 7,8% aller vorzeitigen Sterbefälle bei Männern). Im zeitlichen Verlauf zeigt sich eine leichte Abnahme der vorzeitigen Sterblichkeit an KHK (altersstandardisiert). Im Jahr 2000 starben 13,5% aller im Alter unter 65 Jahren gestorbenen Männer an einer KHK, im Jahr 2012 waren es 11,0% [25]. Dennoch signalisieren diese Zahlen noch immer das erhebliche Präventionspotenzial bei dieser Krankheitsgruppe.
2.2.2 Zerebrovaskuläre Erkrankungen
Zu den zerebrovaskulären Erkrankungen (ICD-10: I60 bis I69) zählen alle Erkrankungen, die auf eine krankhafte Veränderung der Gefäße des zentralen Nervensystems zurückgeführt werden können. Unter dem Begriff Schlaganfall wird dabei eine heterogene Gruppe von Erkrankungen zusammengefasst (ICD-10: I60 bis I64), deren zentrales Merkmal eine plötzlich auftretende Schädigung von Hirnarealen ist, die infolge eines Gefäßverschlusses oder durch eine Hirnblutung entsteht. Etwa 80% der Schlaganfälle sind auf einen akuten Verschluss eines Hirngefäßes durch ein Blutgerinnsel mit entsprechender Mangeldurchblutung des betroffenen Hirnareals zurückzuführen [2].
2.2.2.1 Symptomatik
Die Symptome zerebrovaskulärer Erkrankungen sind vielfältig, weil sie vom Schädigungsort im Gehirn abhängen. Vorübergehende Seh- oder Sprachstörungen, Lähmungen oder Gefühlsstörungen oder plötzlich auftretende sehr starke Kopfschmerzen können Anzeichen für eine Minderdurchblutung des Gehirns sein. Sind diese Anzeichen schwerwiegend oder von Bewusstlosigkeit begleitet, ist ein Gefäßverschluss oder eine Blutung wahrscheinlich. Eine sofortige Einweisung ins Krankenhaus, möglichst bereits nach Auftreten der ersten Symptome, ist notwendig, um eine erfolgversprechende Therapie durchführen zu können, denn etwa jeder vierte Schlaganfälle verläuft tödlich [26, 27]. Auch beim Schlaganfall sind geschlechtsspezifische Unterschiede in der Symptomatik möglich [28], wobei eher seltenere Symptome des Schlaganfalls wie beispielsweise Bewusstseinsstörungen oder Schmerzen bei Frauen häufiger auftreten.
Sofortige medizinische Versorgung ist entscheidend für den Behandlungserfolg. Daher ist es wichtig, die Symptome des Schlaganfalls zu kennen. Auswertungen für Deutschland haben gezeigt, dass Männer etwas schlechter aufgeklärt sind als Frauen und insbesondere in der Hochrisikogruppe der Älteren eine intensivere Aufklärung notwendig zu sein scheint. Auch fanden sich Hinweise darauf, dass besser Gebildete mehr Schlaganfallsymptome kannten als Personen mit niedriger Bildung [29].
2.2.2.2 Morbidität
Aktuell liegen keine flächendeckenden Daten für Deutschland zur Schlaganfallinzidenz bzw. den zeitlichen Trends vor [30]. Aussagen zur Neuerkrankungsrate können anhand der Daten des populations- basierten Schlaganfallregisters Erlangen getroffen werden. Hier wurden in den Jahren 1994 bis 1996 alle auftretenden Schlaganfälle ohne Altersbeschränkung erfasst, unabhängig davon, ob sie ambulant oder stationär behandelt wurden. Bezogen auf die deutsche Bevölkerung ereignen sich danach jährlich ca. 262.500 Schlaganfälle (196.500 erstmalige und 66.000 wiederholte), davon 44,8% bei Männern [31].
Zur Einschätzung der Schlaganfallinzidenz kann aber auch die Zahl der Behandlungen in Krankenhäusern herangezogen werden, da Schlaganfälle in Deutschland überwiegend stationär behandelt werden. Im Jahr 2012 gab es bei Männern 182.273 stationäre Fälle aufgrund einer zerebrovaskulären Erkrankung (ICD-10: I60 bis I69), davon war die Mehrheit (82,8%) aufgrund eines Schlaganfalls (ICD-10: I60 bis I64). Die Zahl der stationären Behandlungsfälle von zerebrovaskulären Erkrankungen ist bei Männern im Zeitraum von 2000 bis 2012 von 395 pro 100.000 Einwohner auf 300 je 100.000 Einwohner (altersstandardisiert auf Alte Europastandardbevölkerung) gesunken. Dennoch ist die Rate der Männer über diesen Zeitraum 1,4-fach höher als die der Frauen.
Wird die Altersverteilung der stationär im Krankenhaus behandelten Fälle nach Geschlecht betrachtet, überwiegt der Anteil der Männer vor allem in den Altersgruppen von 50 bis 84 Jahren (siehe Abbildung 2.2.4).
Abbildung 2.2.4

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Neben der stationären Morbidität sind Aussagen zur Prävalenz des überlebten Schlaganfalls wichtig, da die betroffenen Personen in der Folge ggf. mit Gefäßoperationen und spezifischen medikamentösen Therapien und mit rehabilitativen oder pflegerischen Maßnahmen versorgt werden müssen [32]. Nach aktuellen Daten der »Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland« (DEGS1) des Robert Koch-Instituts beträgt die Lebenszeitprävalenz des nicht tödlichen Schlaganfalls in der Altersgruppe von 40 bis 79 Jahren bei Männern in Deutschland 3,3% (Frauen 2,5%) [30]. Auch diese Daten belegen einen deutlichen Anstieg der Prävalenz mit dem Alter, bei Männern von 0,7% im Alter von 40 bis 49 Jahren auf 8,1% im Alter von 70 bis 79 Jahren.
2.2.2.3 Mortalität
Die Mortalitätsraten der zerebrovaskulären Erkrankungen sind in den letzten Jahren stetig gesunken [24]. Dennoch gehört auch die Krankheitsgruppe Schlaganfall bei Männern (wie bei Frauen) nach wie vor zu den häufigen Todesursachen [24, 33]. Nach der Todesursachenstatistik war im Jahr 2012 eine zerebrovaskuläre Erkrankung (ICD-10: I60 bis I69) Todesursache bei 5,6% (23.286 Sterbefälle) aller verstorbenen Männer (Frauen 7,9%, 35.639 Sterbefälle). Die altersstandardisierte Rate der Sterbefälle, die auf zerebrovaskuläre Erkrankungen zurückzuführen war, lag bei Männern mit 34,8 je 100.000 Einwohner höher als bei Frauen mit 29,8 je 100.000 Einwohner [2]. Das Durchschnittsalter bei Tod durch einen Schlaganfall betrug bei Männern im Jahr 2012 78,6 Jahre, gegenüber 84,3 Jahre bei Frauen [24].
Schlaganfall ist als Todesursache in den höheren Altersgruppen von Bedeutung, kann aber auch bereits im mittleren Lebensalter Ursache eines vorzeitigen Todes sein. Im Jahr 2012 war bei Männern unter 65 Jahren bei 2,5% der Todesfälle ein Schlaganfall Ursache für eine vorzeitige Sterblichkeit (Frauen 2,9%) [25].
2.2.3 Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Neben dem höheren Lebensalter und einer vorliegenden familiären Disposition werden Herz- Kreislauf-Erkrankungen in ihrer Entstehung bei Männern und Frauen vor allem durch das Vorliegen von Vorerkrankungen (Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen) begünstigt. Daneben sind die Lebensstilfaktoren Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel, ungesunde Ernährungsgewohnheiten (geringe Aufnahme von Obst und Gemüse) sowie übermäßiger Alkoholkonsum wichtige Risikofaktoren. Außerdem wurde die Bedeutung der Depression als Risikofaktor für die Entstehung wie auch die Prognose von Herz-Kreislauf-Erkrankungen erkannt [34, 35]. Auch psychosoziale Determinanten wie soziale Isolation, bestimmte Formen von Stress oder belastende Lebensereignisse können das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ungünstig beeinflussen [36 bis 38]. Ferner wurden Faktoren, wie z.B. ungünstige sozioökonomische Bedingungen, hohe berufliche Belastungen (Stress) und mangelnde soziale Unterstützung als Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erkannt. Außerdem wurden weitere Parameter identifiziert, z.B. Entzündungsparameter im Blut, die mit einem Risikoanstieg für Herz-Kreislauf- Erkrankungen assoziiert sind, deren Rolle dabei aber noch nicht abschließend geklärt ist [39].
Anhand von groß angelegten epidemiologischen Studien konnte gezeigt werden, dass bei der Entstehung der verschiedenen Krankheitsbilder von Herz-Kreislauf-Erkrankungen einzelne Risikofaktoren bei Männern und Frauen unterschiedlich stark ins Gewicht fallen [40 bis 42] und sich auch geschlechtsspezifische Unterschiede im Hinblick auf die Stärke des Einflusses der jeweiligen Faktoren [11] zeigen. Auch wenn Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch viele Faktoren verursacht sein können, haben die Risikofaktoren Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und Rauchen große Bedeutung [41, 42]. Die Daten der INTERHEART-Study [42] ermöglichen es, kumulative Effekte verschiedener Risikofaktoren auf den Herzinfarkt zu bestimmen. Danach zeigte sich, dass sich bei Männern 56,5% der Herzinfarkte auf die Kombination ungünstiger Lebensstilfaktoren zurückführen lassen (Rauchen, kein täglicher Obst- und Gemüsekonsum, körperliche Inaktivität und übermäßiger Alkoholkonsum). Bei Frauen sind es 60,6%. Änderungen des Lebensstils würden das Herzinfarktrisiko der Männer (und Frauen) auf Bevölkerungsebene deutlich senken. Der Einfluss von Rauchen und Fettstoffwechselstörungen war vor allem bei Männern im jüngeren Alter (<55 Jahre) besonders ausgeprägt, was darauf hindeutet, dass gerade Herzinfarkte im jüngeren Alter mit der Elimination dieser Risikofaktoren vermeidbar sein könnten.
Für den Schlaganfall ist anhand der INTER-STROKE-Study eine unterschiedliche Verteilung von Risikofaktoren bei Männern und Frauen ersichtlich. Berechnungen geschlechtsspezifischer Risikofaktorenkombinationen wie beim Herzinfarkt werden für den Schlaganfall aber nicht ausgewiesen [41] und können daher nicht berichtet werden.
2.2.4 Die Bedeutung sozioökonomischer Faktoren und psychosozialer Belastungen bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Neben den »klassischen« Risikofaktoren sind auch sozioökonomische Faktoren eng mit dem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen verbunden. Dabei erhöht ein niedriger sozioökonomischer Status das Risiko einer Erkrankung [43, 44]. Ein Großteil der sozioökonomischen Unterschiede bei der Häufigkeit und Sterblichkeit von Herz- Kreislauf-Erkrankungen kann durch statusbezogene Unterschiede im Gesundheitsverhalten erklärt werden: Ungünstige Lebensstilfaktoren sind bei Männern mit niedrigem sozioökonomische Status bzw. bei Männern aus niedrigen Bildungsgruppen häufiger anzutreffen [45, 46] (siehe dazu Kapitel 3 Gesundheitsverhalten). Die sozioökonomischen Unterschiede können jedoch nicht allein auf ein ungünstiges Gesundheitsverhalten zurückgeführt werden [42, 47, 48]. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch der Einfluss von psychosozialen Belastungen [49], vor allem von Stress und von sozialer Isolation. Psychosoziale Belastungen gelten wiederum als Risikofaktoren für Depressionen, die inzwischen als eigenständiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gelten [34, 35]. Diese Risikofaktoren werden im Folgenden näher beschrieben.
2.2.4.1 Stress
Unter dem Begriff Stress wird im Allgemeinen eine belastend und schädlich wirkende Reaktion auf ein Übermaß an Anforderungen verstanden. Stress ist demnach durch ein Ungleichgewicht zwischen äußeren Anforderungen und den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, diese zu bewältigen, gekennzeichnet [50]. Die emotionalen und physiologischen Reaktionen auf Stress, und damit auch der Einfluss auf die Gesundheit, hängen von objektiven Bedingungen, subjektiven Einschätzungen der jeweiligen Situation und dem individuellen Umgang damit ( Coping) ab.
Die Auswirkungen von psychosozialen Belastungen auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind im Bereich der Arbeitswelt vielfach untersucht [51]. Wichtige theoretische Modelle, die erklären, wie arbeitsbedingter Stress entsteht, sind das Anforderungs- Kontroll-Modell von Karasek [52] und das Modell beruflicher Gratifikationskrisen von Siegrist [53]. Das Anforderungs-Kontroll-Modell bezieht sich auf eine spezifische Kombination stressauslösender Tätigkeitsmerkmale bei gleichzeitig geringem Grad an Entscheidungsspielraum. Stressreaktionen nach dem Modell beruflicher Gratifikationskrisen sind dort zu erwarten, wo ein Missverhältnis zwischen erbrachter Arbeitsleistung und der im Gegenzug gewährten Belohnung vorliegt. Beide Modelle wurden auf ihre Vorhersagekraft in Bezug auf das Neuauftreten von koronarer Herzkrankheit bzw. kardiovaskulären Krankheiten untersucht [54]. Anhand beider Modelle konnte eine Risikoverdopplung für die untersuchten Erkrankungen festgestellt werden, wobei die Effekte bei Männern besonders ausgeprägt waren. Verschiedene Studien konnten zudem belegen, dass die Assoziation zwischen psychosozialen Belastungen und kardiovaskulären Erkrankungen bei Männern mit niedrigem sozioökonomischen Status am stärksten ist [55, 56]. Aber nicht nur arbeitsbedingter Stress erhöht das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, sondern auch Arbeitslosigkeit [57]. Neben gesundheitsschädigenden Verhaltensweisen in Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit können auch daraus resultierende psychosoziale Stressreaktionen und deren Folgen ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen bedingen (siehe dazu ausführlich Kapitel 4 Arbeit und Gesundheit).
2.2.4.2 Soziale Unterstützung
Bei der Bewältigung von chronischen Krankheiten spielt soziale Unterstützung eine große Rolle [58]. Das betrifft sowohl quantitative Aspekte (wie viel) als auch qualitative Aspekte (wie gut) [59]. Soziale Isolation im Sinne eines Lebens ohne Partnerin/ Partner bzw. ohne Unterstützung durch soziale Netzwerke (social support) gilt einerseits als Risikofaktor für eine verkürzte Lebenserwartung von Herz-Kreislauf-Patienten und -Patientinnen [60]. Andererseits wird soziale Unterstützung als protektiver Faktor sowohl bei der Entstehung als auch bei schon bestehender Herz-Kreislauf- Erkrankung angesehen [61, 62]. Auch bei der sozialen Unterstützung zeigen sich Unterschiede nach sozioökonomischen Faktoren: Männer mit niedrigerem beruflichen Status gaben häufiger das Fehlen von sozialer Unterstützung an als Männer in höheren beruflichen Positionen [63].
Es gibt Hinweise darauf, dass sich Männer und Frauen hinsichtlich der sozialen Unterstützung unterscheiden. Danach erhalten Männer soziale Unterstützung durch Freunde oder Familie, geben aber selbst weniger soziale Unterstützungsleistung (support gap) [64, 65] (siehe dazu auch Kapitel 5 Lebensformen und Gesundheit). Diese Feststellungen treffen auch auf den Bereich der Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu [66]. Mögliche Erklärungsansätze für die Geschlechterunterschiede bei der berichteten sozialen Unterstützung sind eine höhere (Multi-)Morbidität von Herz-Kreislauf-Patientinnen aufgrund des höheren Alters und der Umstand, dass sie häufiger in einem Einpersonenhaushalt leben (z.B. aufgrund von Verwitwung) und dadurch oft weniger soziale Unterstützung erhalten als männliche Herz- Kreislauf-Patienten [67].
2.2.4.2 Depression
Wie bereits erwähnt gilt Depression als bedeutender Risikofaktor sowohl für das Auftreten als auch für einen schwerwiegenden Verlauf einer KHK [34, 35]. Als ursächlich dafür wird diskutiert, dass Depressionen verhaltensbezogene Risikofaktoren, wie z.B. Ernährung, Bewegung und Tabakkonsum ungünstig beeinflussen, aber auch akute oder chronische pathophysiologische Veränderungen bewirken [35]. Andererseits erzeugt eine KHK oftmals auch psychischen Stress, der wiederum mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung depressiver Symptome einhergehen kann [68]. Es ist noch nicht abschließend geklärt, ob depressive Störungen bei Männern und Frauen die gleichen Auswirkungen bezüglich der Entstehung und des Verlaufs von KHK haben. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass derzeit von einer Unterdiagnostizierung von Depressionen bei Männern ausgegangen wird (siehe Kapitel 2.5 Psychische Störungen). Es gibt Hinweise darauf, dass das Burn-Out-Syndrom bei Männern als Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen zu sehen ist [69]. Es ist davon auszugehen, dass sich hinter vielen Fällen mit Burn-Out-Syndrom eine depressive Erkrankung verbirgt bzw. die Symptome des Burn-Out-Syndroms auch als Risikofaktoren für depressive Erkrankungen gesehen werden (siehe dazu Kapitel 2.5 Psychische Störungen). Die psychische Verfassung von Patienten (und Patientinnen) sollte daher in der medizinischen Versorgung von Risikopersonen oder bereits erkrankten Personen besondere Berücksichtigung finden.
2.2.5 Diskussion
Vor dem Hintergrund der weiten Verbreitung kardiovaskulärer Risikofaktoren bei Männern (und Frauen) und der Zunahme des Anteils Älterer in der Bevölkerung ist, trotz verbesserter medizinischer Behandlungsmöglichkeiten, damit zu rechnen, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen und ihre Folgen bedeutende Gesundheitsprobleme bleiben werden. Auch wenn sich positive Entwicklungen bei der Mortalität von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zeigen, ist die vorzeitige Sterblichkeit bei Männern nach wie vor ein relevantes Problem. Neben dem auffallenden Geschlechterunterschied ist auch die Differenz in den verschiedenen sozialen Statusgruppen von Bedeutung, die zudem bei Männern stärker ausgeprägt ist. Die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bleibt daher eine vordringliche Aufgabe. Da bestimmte Risikofaktoren, wie Alter und Geschlecht, als gegeben bzw. nicht beeinflussbar hingenommen werden müssen, kommt denjenigen Risikofaktoren, die sich positiv beeinflussen lassen, ein großes präventives Potenzial zu. So senkt eine gesunde Lebensführung das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und hat außerdem positive Effekte auf die Hauptrisikofaktoren Adipositas, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörung und Bluthochdruck. Die genannten Ergebnisse zum Einfluss der einzelnen Risikofaktoren, wie auch ihre kumulativen Effekte auf die Entstehung und den Verlauf von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verdeutlichen dies eindrücklich [40, 70]. Die Schwierigkeit bei der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen liegt jedoch im multifaktoriellen Geschehen dieser Krankheitsbilder. Das bedeutet, dass neben den biologischen und genetischen Einflussfaktoren die soziale Lage, die psychische Konstellation aber auch Arbeits- und Umweltbedingungen eine entscheidende Rolle spielen.
Maßnahmen zur Primärprävention von Herz- Kreislauf-Erkrankungen bzw. deren Risikofaktoren werden in Deutschland von unterschiedlichen Akteuren angeboten. Wie die Analysen zur Inanspruchnahme zeigen, werden allerdings deutlich weniger Männer als Frauen durch diese Angebote erreicht (siehe Kapitel 6 Männerspezifische Prävention und Gesundheitsförderung). Studien belegen außerdem, dass sozial benachteiligte Männer (und Frauen) weniger an präventiven Maßnahmen teilnehmen, als sozial besser gestellte [71]. Andererseits gibt es Hinweise, dass präventive Maßnahmen vornehmlich von Menschen in Anspruch genommen werden, die sich ohnehin schon gesundheitsbewusst verhalten [72].
Derzeit wird die gesetzlich verankerte »Gesundheitsuntersuchung zur Früherkennung von Krankheiten« (»Check-up«) im Bereich der Sekundärprävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber auch von Diabetes mellitus und Nierenkrankheiten, allen gesetzlich Versicherten ab einem Alter von 35 Jahren im Abstand von zwei Jahren als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen angeboten. Im Rahmen dieser Untersuchung sollen auch die für diese Erkrankungen relevanten Risikofaktoren frühzeitig erkannt werden. Ein wichtiger Teil des Check-ups ist daher die abschließende ärztliche Beratung zum Risikofaktorenmanagement. Hierzu gehört auch, die Versicherten auf Möglichkeiten und Hilfen zur Vermeidung und zum Abbau gesundheitsschädigender Verhaltensweisen hinzuweisen (z.B. entsprechende Gesundheitsförderungsangebote der Krankenkassen) Ziel ist es, durch Lebensstilmaßnahmen und ggf. auch durch Medikamente die Risikofaktoren für die genannten Erkrankungen positiv zu beeinflussen. Die Inanspruchnahme weist keine bedeutenden Geschlechterunterschiede auf, ist aber für Deutschland insgesamt noch ausbaufähig. Im Zeitraum 2010 bis 2011 haben 44,7% der anspruchsberechtigten Männer und 47,6% der anspruchsberechtigten Frauen den Check-up in Anspruch genommen [73]. Wie Studien belegen, kommt bei dieser Untersuchung Ärzten und Ärztinnen für die Ansprache der Anspruchsberechtigten eine wichtige Rolle zu [74, 75]. Obwohl der Check-up in die vertragsärztliche Versorgung eingebunden ist, werden Männer im jüngeren Alter nicht so gut erreicht, da sie im Vergleich zu älteren Männern seltener eine Arztpraxis aufsuchen. Die ernst zu nehmenden Zahlen zur vorzeitigen Sterblichkeit an Herz-Kreislauf- Krankheiten bei Männern verdeutlichen, dass Prävention aber bereits bei jungen Männern ansetzen sollte, dies auch im Hinblick auf Zielgruppen mit besonders ausgeprägten gesundheitsschädigenden Verhaltensweisen. Die vorliegenden Ergebnisse verdeutlichen außerdem bestehende Wissenslücken zur Symptomatik von Herzinfarkt und Schlaganfall.
Ein wichtiges Ziel bleibt daher, sowohl die Aufklärung über kardiovaskuläre Risikofaktoren und Symptome von Erkrankungen als auch die präventiven Angebote und Zugangsmöglichkeiten zielgruppenspezifisch und geschlechtersensibel anzupassen.
Vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung von Stressbelastung im Arbeitsumfeld [76] sollten auch die Möglichkeiten der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen im betrieblichen Setting stärker in den Fokus rücken. Im Gegensatz zu anderen Angebotsformen von Prävention und Gesundheitsförderung werden Männer in diesem Umfeld besonders gut erreicht Die Maßnahmen betrieblicher Stressprävention sollten dabei branchenspezifisch und unter der Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Aspekte entwickelt und umgesetzt werden [54]. Darunter fallen sowohl Maßnahmen der Verhältnisprävention, z.B. Betriebsorganisation, als auch Maßnahmen der Verhaltensprävention auf individueller Ebene [50, 54].
Abschließend lässt sich festhalten, dass aus der epidemiologischen Forschung viele Erkenntnisse über geschlechtsspezifische Unterschiede in der Entstehung und im Verlauf von Herz-Kreislauf- Erkrankungen vorliegen. Bei der Umsetzung dieser Erkenntnisse in Konzepte und Maßnahmen der Herz-Kreislauf-Prävention besteht noch Verbesserungspotenzial. Im Bereich der ärztlichen Versorgungspraxis unter geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten sind erste Erfolge sichtbar. So berücksichtigt der Bereich Gender Medizin neben den biologischen vor allem auch die sozialen und psychologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern [12, 38].
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2.3 Krebs
Unter der Bezeichnung Krebs werden bösartige Gewebeneubildungen (maligne Tumoren), einschließlich Lymphome (Tumoren des Lymphgewebes) und Leukämien (Krebserkrankungen des blutbildenden Systems) verstanden. Sie zählen aufgrund ihrer Verbreitung und ihrer individuellen wie gesellschaftlichen Folgen zu den Krankheitsbildern mit hoher gesellschaftlicher Relevanz. Mit den Daten der epidemiologischen Krebsregister können die derzeitige Situation sowie die Entwicklung der einzelnen Krebserkrankungen beschrieben werden. Das Zentrum für Krebsregisterdaten (ZfKD) im Robert Koch-Institut (RKI) schätzt auf Basis der Daten aus den epidemiologischen Landeskrebsregistern die Zahl aller pro Jahr neu auftretenden Krebserkrankungen und berechnet die Krebssterberaten auf der Basis der Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamtes [1]. Die in diesem Kapitel dargestellten Ergebnisse beruhen auf den zuletzt verfügbaren Daten bis zum Jahr 2010. Für die Krebserkrankungen liegen neben den Kriterien Tumorlokalisation, Gewebeart und Stadium der Erkrankung nur die Angaben zu Alter und Geschlecht vor, jedoch keine weiteren soziodemografischen Merkmale zur Durchführung möglicher Zusammenhangsanalysen.
Aktuelle Schätzungen weisen für das Jahr 2010 477.300 Krebsneuerkrankungen (ohne nichtmelanotischen Hautkrebs) in Deutschland aus, wobei mittlerweile, seit dem Jahr 2000, insgesamt etwas mehr Männer als Frauen an Krebs erkranken. So betreffen aktuell 52,9% der nach RKI-Schätzung aufgetretenen Krebsneuerkrankungen Männer [1]. Im Zeitverlauf, seit dem Jahr 2000, betrachtet, hat die Zahl der Krebserkrankungen bei den Männern mit 21,5% deutlich zugenommen (Frauen: 14,1%) [2]. Diese Zunahme kann jedoch in der Hauptsache mit dem demografischen Wandel und der Zunahme des Anteils Älterer in der Bevölkerung erklärt werden. Werden hingegen die altersstandardisierten Raten (Alte Europastandardbevölkerung) betrachtet, in denen die altersstrukturbedingten Effekte berücksichtigt sind, zeigen sich bei Männern keine und bei Frauen geringere Zunahmen (Frauen: 7,0%) [3]. Die Betrachtung der altersspezifischen Verteilung von Krebserkrankungen ermöglicht eine genauere Beschreibung der Risikogruppen. Danach haben bei den Männern seit dem Jahr 2000 die altersstandardisierten Krebsneuerkrankungsraten (Alte Europastandardbevölkerung) nur in den Altersgruppen zwischen 20 bis 39 Jahren und zwischen 55 und 69 Jahren zugenommen [3], wobei der Anstieg bei den 55-jährigen und älteren Männern auf vermehrt in diesem Altersbereich diagnostizierte Prostatakrebserkrankungen zurückzuführen sein dürfte (siehe Abschnitt Prostatakrebs).
Krebserkrankungen nehmen unter den zehn häufigsten Todesursachen eine herausragende Stellung ein [4]. Es versterben insgesamt mehr Männer als Frauen an Krebs (54,0%) [5], doch im Gegensatz zu den Krebserkrankungsraten ist die Entwicklung der Krebssterberaten (beide auf die Alte Europastandardbevölkerung altersstandardisiert) für Männer und Frauen seit dem Jahr 1998 ähnlich und deutlich rückläufig (Männer um 21,3%, Frauen um 14,7%) [6]. Die Entwicklung von steigenden Erkrankungs- und fallenden Sterberaten bei den Männern kennzeichnet vor allem die Situation beim Prostatakrebs, zu der eine frühzeitigere Diagnosestellung beigetragen haben dürfte.
Obwohl Krebserkrankungen in der Öffentlichkeit mit einem höheren Lebensalter assoziiert werden, versterben durch bösartige Neubildungen viele Betroffene vorzeitig, d.h. vor Erreichen des 65. Lebensjahres. In Deutschland sind Krebserkrankungen bei Männern und bei Frauen die häufigste Ursache für vorzeitige Sterblichkeit. Im Altersbereich unter 65 Jahren versterben ebenfalls mehr Männer als Frauen (vorzeitig) durch eine Krebserkrankung, auch wenn der Unterschied in den letzten Jahren geringer geworden ist [7].
Sowohl bei Männern als auch bei Frauen treten die meisten Krebsneuerkrankungen an geschlechtshormonabhängigen Organen auf. Im Jahr 2010 war bei den Männern der Prostatakrebs mit 26,1% aller Krebsneuerkrankungen die häufigste Krebserkrankung (bei Frauen Brustkrebs mit 31,3%). Lungen- und Darmkrebs sind bei Männern die zweit- und dritthäufigste Krebsneuerkrankung, bei Frauen ist diese Reihenfolge umgekehrt. Lungenkrebs ist bei Männern weiterhin mit Abstand die häufigste Krebstodesursache mit knapp einem Viertel aller Krebssterbefälle (24,9%), gefolgt von Darmkrebs mit 11,4% der Krebssterbefälle und Prostatakrebs mit 10,8%. Bei Frauen ist Brustkrebs die häufigste Krebstodesursache (17,4%). Lungen- und Darmkrebs machen bei den Frauen 13,6% bzw. 12,5% der Krebssterbefälle aus [1].
2.3.1 Die drei häufigsten Krebserkrankungen bei Männern
2.3.1.1 Lungenkrebs
Lungenkrebs ist zwar die zweithäufigste Krebserkrankung der Männer, verursacht bei ihnen aber die meisten Krebssterbefälle. Im Jahr 2010 wurde schätzungsweise bei 35.040 Männern Lungenkrebs diagnostiziert. Das entspricht einer altersstandardisierten Neuerkrankungsrate (Alte Europastandardbevölkerung) von 60,7 je 100.000 Einwohner. Im Jahr 2010 starben 29.381 Männer an Lungenkrebs, was einer altersstandardisierten Sterberate (Alte Europastandardbevölkerung) von 49,9 je 100.000 Einwohner entspricht [1].
Der Hauptrisikofaktor für Lungenkrebs ist das Tabakrauchen. Derzeit ist bei neun von zehn Männern der Lungenkrebs auf aktives Tabakrauchen zurückzuführen [8]. Dabei steigt das Lungenkrebsrisiko mit der Anzahl der täglich gerauchten Zigaretten und der sogenannten Zahl der »Raucherjahre «. Die Erkrankung tritt im Durchschnitt 30 bis 40 Jahre nach Beginn des Rauchens auf. Neben den Raucherjahren ist das Einstiegsalter als unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung von Lungenkrebs bestimmend [9]. Rauchen gilt aber auch als Risiko für eine ganze Gruppe weiterer Krebserkrankungen, z.B. von Mundhöhle und Rachen, Kehlkopf und Speiseröhre [10, bis 13]. Aktuelle Berechnungen für Deutschland gehen davon aus, dass bei Männern ab 35 Jahren im Jahr 2008 22,8% aller Krebsneuerkrankungen auf Tabakrauchen zurückzuführen waren, bei Frauen 7,9% [14].
Der derzeitige Geschlechterunterschied bei Lungenkrebs ist vor allem dadurch zu erklären, dass in der Vergangenheit aufgrund gesellschaftlicher Gegebenheiten mehr Männer als Frauen geraucht haben. Seit den 1950er Jahren glich sich das Rauchverhalten von Frauen dem der Männer an, wobei in der Tendenz bei den Männern eine Abnahme und bei den Frauen eine Zunahme der Rauchquoten zu verzeichnen war. Aktuell (für den Zeitraum 2003 bis 2009) ist auch bei den Frauen ein leichter Rückgang der Rauchquote und damit eine Trendwende zu beobachten [15]. Die beschriebene Entwicklung wird bei den Männern langfristig zu einer Abnahme der Neuerkrankungen und der Sterblichkeit an Lungenkrebs führen, wohingegen bei den Frauen vorerst eine gegenläufige Entwicklung zu erwarten bzw. bereits zu beobachten ist. Der geringer werdende Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Männern und Frauen kann u.a. auf diese Entwicklung zurückgeführt werden (siehe Kapitel 2.1 Lebenserwartung und Sterblichkeit). Um die zeitlichen Veränderungen deutlich zu machen, werden im Folgenden die Schätzungen für Männer und Frauen für den Zeitraum 1980 bis 2006 dargestellt (siehe Abbildung 2.3.1), die aus dem Jahr 2010 stammen [8].
Abbildung 2.3.1

Die aktuellen Schätzungen der Krebsneuerkrankungs- und Sterberaten aus dem Jahr 2013 weichen durch eine geänderte Methodik von früheren Berechnungen ab und zeitliche Trends werden für einen kürzeren Zeitraum 1999 bis 2010 ausgewiesen. Ein direkter Vergleich ist nicht möglich. Der Trend, dass die altersstandardisierte Erkrankungs- und Sterberaten der Männer weiter sinken, während die der Frauen weiterhin zunehmen, zeigt sich aber auch bei diesen Berechnungen [1].
Auch wenn sich das Rauchverhalten ändert, rauchen noch immer mehr Männer als Frauen (im Jahr 2009: 36,6% vs. 29,5%) [15]. Zudem konnten Geschlechterunterschiede in den Beweggründen zu rauchen und in der Art der Inhalation des Tabakrauches ermittelt werden [16]. Danach rauchen mehr Männer gewohnheitsmäßig bzw. zur Verstärkung positiver Gefühle, während Frauen oftmals in geselligen Situationen rauchen, aber auch, um negative Gefühle zu dämpfen [17]. Zudem wird ein Einfluss des Geschlechts auf die Vulnerabilität gegenüber Tabakrauch diskutiert. Danach sind Frauen gegenüber der gesundheitsschädigenden Wirkung des Rauchens, unabhängig von der Intensität des Inhalierens, noch empfindlicher als Männer [18]. Außerdem können soziale Unterschiede im Rauchverhalten belegt werden, die sich folglich auch im Lungenkrebsgeschehen widerspiegeln [16, 19] (siehe Kapitel 3.3. Rauchen).
2.3.1.2 Prostatakrebs
Prostatakrebs ist die häufigste Krebserkrankung der Männer und rangiert auf Platz drei der Krebssterbefälle. Im Jahr 2010 wurde schätzungsweise bei 65.830 Männern Prostatakrebs diagnostiziert. Das entspricht einer altersstandardisierten Neuerkrankungsrate (Alte Europastandardbevölkerung) von 111,4 je 100.000 Einwohner. Im selben Jahr starben 12.676 Männer an Prostatakrebs, was einer altersstandardisierten Sterberate (Alte Europastandardbevölkerung) von 20,0 je 100.000 Einwohner entspricht [1].
Die Prostata gleicht beim erwachsenen Mann in Größe und Form einer Kastanie, wobei die Karzinome meist von den Zellen der äußeren Drüsenanteile ausgehen, was für die Früherkennung von Bedeutung ist (siehe Abschnitt Früherkennung von Prostatakrebs). Davon abzugrenzen ist eine gutartige Vergrößerung der Prostata, die sogenannte benigne Prostatahyperplasie (BPH). Diese entsteht meist im inneren Teil der Prostata, der die Harnröhre umschließt. Schwierigkeiten beim Wasserlassen sind deshalb ein typisches Symptom. Die BPH ist weit verbreitet, in einer repräsentativen Studie von Männern über 50 Jahren wurde eine Prävalenz der BPH von 26,9% ermittelt [20].
Über die Ursachen von Prostatakrebs ist relativ wenig bekannt. Die altersspezifischen Erkrankungsraten belegen jedoch, dass es sich bei Prostatakrebs um eine Erkrankung handelt, die Männer überwiegend erst ab 50 Jahren betrifft. Aktuell treten 1,2% aller Erkrankungen an Prostatakrebs bei unter 50-jährigen Männern auf, das Altersmaximum liegt derzeit bei 70 bis 79 Jahren [21]. Beim Prostatakarzinom handelt es sich in vielen Fällen um einen sehr langsam wachsenden Tumor, der in frühen Stadien keine Beschwerden verursacht. Dies hat Auswirkungen auf das Behandlungsschema, da sich nicht alle Befunde als behandlungsbedürftig erweisen [22].
Für die Darstellung der zeitlichen Entwicklung wird an dieser Stelle auch auf Berechnungen aus dem Jahr 2010 zurückgegriffen [8]. Danach zeigt sich, dass die Zahl der jährlich neu aufgetretenen Krebserkrankungen der Prostata bei Männern in den Altersgruppen bis 74 Jahren zu allen drei Zeitpunkten (1986, 1996 und 2006) deutlich angestiegen ist (siehe Abbildung 2.3.2). Wird die altersstandardisierte Rate (Alte Europastandardbevölkerung) für diesen Zeitraum betrachtete, ist eine Zunahme von 70,2 (1986) auf 110,1 (2006) je 100.000 Einwohner) zu verzeichnen. Aktuell (2010) wird, bei veränderter Berechnungsmethode, eine altersstandardisierte Rate (Alte Europastandardbevölkerung) von 111,4 je 100.000 Einwohner angegeben [1].
Abbildung 2.3.2

Der Anstieg der Krebsneuerkrankungen an Prostatakrebs ist vermutlich auf einen steigenden Einsatz der PSA-Bestimmung (Messung des prostataspezifischen Antigens im Blut) als privat zu zahlende Krebsfrüherkennungsmaßnahme zurückzuführen [1] (siehe Abschnitt Früherkennung von Prostatakrebs). In der zeitlichen Entwicklung ist zu beobachten, dass auch die Zahl der Sterbefälle an Prostatakrebs zugenommen hat, was zum Teil auf den demografischen Wandel mit einer Zunahme des Anteils Älterer in der Bevölkerung zurückzuführen ist. So starben im Jahr 1998 11.417 Männer an Prostatakrebs, im Jahr 2012 12.957 Männer. Wird die Entwicklung in der Alterszusammensetzung der Bevölkerung beachtet und altersstandardisierte Sterberate (Alte Europastandardbevölkerung) betrachtet, zeigt sich seit 1998 ein deutlicher Rückgang bei der Sterberate an Prostatakrebs um 29,8% [5].
2.3.1.3 Darmkrebs
Darmkrebs (kolorektales Karzinom) ist die dritthäufigste Krebserkrankung und die zweithäufigste Todesursache der Männer mit Krebserkrankungen. Im Jahr 2010 wurde bei 33.800 Männern Darmkrebs diagnostiziert (auf die Alte Europastandardbevölkerung altersstandardisierte Neuerkrankungsrate 57,8 je 100.000 Einwohner). Im Jahr 2010 starben 13.489 Männer an Darmkrebs (auf die Alte Europastandardbevölkerung altersstandardisierten Sterberate von 22,3 je 100.00 Einwohner). Auffällig sind die höheren altersstandardisierten Sterbe- und Erkrankungsraten (Alte Europastandardbevölkerung) bei den Männern, obwohl es sich um eine Krebserkrankung handelt, die beide Geschlechter gleichermaßen betreffen kann [1]. In der Entwicklung (dargestellt seit 1980) zeigt sich zwar für beide Geschlechter eine Abnahme der Neuerkrankungs- und der Sterberaten seit Ende der 1990er Jahre, Männer bleiben aber häufiger betroffen (siehe Abbildung 2.3.3). Wie bereits erwähnt, weichen die aktuellen Schätzungen der Krebsneuerkrankungs- und Sterberaten aus dem Jahr 2013 durch eine geänderte Methodik von früheren Berechnungen ab und ein direkter Vergleich ist nicht möglich. Der zeitliche Trend für den aktuell berechneten Zeitraum von 1999 bis 2010 zeigt aber ein ähnliches Bild [1].
Abbildung 2.3.3

Als präventable Risikofaktoren für Darmkrebs gelten vor allem ungünstige Lebensstilfaktoren, wie eine kalorienreiche Kost mit einem geringen Ballaststoffanteil und einem hohen Anteil an rotem Fleisch oder verarbeitete Fleischprodukten [23], Bewegungsmangel und Übergewicht sowie Rauchen [24]. Viele dieser Faktoren sind bei Männern weiter verbreitet als bei Frauen (siehe Kapitel 3 Gesundheitsverhalten) und können so zu einem höheren Darmkrebsrisiko beitragen.
Hinsichtlich der Entstehung von Dickdarmkrebs ist bekannt, dass gutartige Schleimhautwucherungen (Polypen/Adenome) zumeist langsam wachsende Vorstufen der Erkrankung darstellen. Diese können im Rahmen der Krebsfrüherkennung (Darmspiegelung/Koloskopie) entdeckt und bei dieser Gelegenheit gleich gezielt entfernt werden (siehe Abschnitt Früherkennung von Darmkrebs).
2.3.1.4 Diskussion
Die vorliegenden Daten belegen, dass Krebserkrankungen weiterhin ein wichtiges Gesundheitsproblem darstellen. Die Gründe dafür, warum Männer ein höheres Risiko haben, an Krebs zu erkranken und daran zu versterben, sind multifaktoriell bedingt, aber häufig durch den Lebensstil beeinflusst [25]. Allerdings ändert sich das Muster der Verteilung der Krebsneuerkrankungen bei Männern, z.B. ist eine Abnahme der Lungenkrebsneuerkrankungen zu beobachten, die mit der Abnahme der Raucherprävalenz erklärt werden kann. Dennoch bleibt Tabakrauch weiterhin ein Risikofaktor mit großem Präventionspotenzial. Der Anstieg der Prostatakrebsfälle ist wahrscheinlich durch den Einsatz neuer Methoden in der Diagnostik erklärbar. Von Darmkrebs sind mehr Männer als Frauen betroffen. Ob eine weitere Verbreitung der ungünstigen Lebensstilfaktoren bei Männern dafür ausschlaggebend ist, kann mit den Daten nicht gezeigt werden. Für beiden dargestellten Krebslokalisationen Prostatakrebs und Darmkrebs besteht ein Krebsfrüherkennungsangebot der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) (Übersicht über das gesamte Angebot an Früherkennungsuntersuchungen siehe Kapitel 6 Männerspezifische Prävention und Gesundheitsförderung).
2.3.2 Angebot und Inanspruchnahme von Früherkennungsuntersuchungen auf Prostataund Darmkrebs
Das Ziel von Krebsfrüherkennungsuntersuchungen ist es, Krebserkrankungen in einem möglichst frühen Stadium zu entdecken und eine geeignete Therapie einzuleiten, die eine schonendere Behandlung mit größeren Erfolgsaussichten verspricht, als wenn die Krankheit in einem späteren Stadium entdeckt würde. Für häufig auftretende Krebserkrankungen stehen Männern und Frauen gesetzlich verankerte Früherkennungsuntersuchungen zur Verfügung, die in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) festgelegt sind [26]. Derzeit werden Untersuchungen zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs, Brustkrebs, Prostatakrebs, Darmkrebs und Hautkrebs angeboten. Das Angebot für die jeweilige Krebsfrüherkennungsuntersuchung richtet sich an die jeweiligen altersspezifischen Zielgruppen, in denen definierte Vorstufen oder frühe Stadien der jeweiligen Krebskrankheit vermehrt vorkommen. Durch heutige diagnostische Maßnahmen können somit die häufigste bzw. dritthäufigste Krebserkrankung bei Männern, Prostata- und Darmkrebs, frühzeitig erkannt und therapiert werden. Der Fokus des Kapitels liegt auf diesen beiden Untersuchungen.
2.3.2.1 Früherkennung von Prostatakrebs
Die Früherkennung von Prostatakrebs ist für Männer ab einem Alter von 45 Jahren im Leistungskatalog der GKV enthalten. Die jährlich angebotene Untersuchung umfasst eine gezielte Anamnese, die Inspektion und das Abtasten des äußeren Genitales, eine Tastuntersuchung der Prostata vom Enddarm aus (digital-rektale Untersuchung, (DRU)), eine Tastuntersuchung der Lymphknoten in dieser Körperregion und eine Befundmitteilung mit anschließender Beratung. Mit der Tastuntersuchung können jedoch nur die Tumoren auf der Prostataoberfläche der dem Darm zugewandten Seite erkannt werden, die bereits eine gewisse Größe erreicht haben, aber keine frühen Stadien. Wie bei allen Untersuchungen dieser Art ist das Untersuchungsergebnis dabei stark von der Erfahrung und den Fähigkeiten der untersuchenden Ärzte und Ärztinnen abhängig. Ein positiver Tastbefund bietet daher nur eine erste Orientierung und ist noch kein Nachweis für einen bösartigen Tumor, da z.B. eine vergrößerte Prostata mit zunehmendem Alter häufiger vorkommt.
Bei Verdacht auf Prostatakrebs auf Basis der Tastuntersuchung folgen zur weiteren Abklärung die Bestimmung der Konzentration des prostataspezifischen Antigens im Blutserum (PSA-Test) und eine Gewebeprobeentnahme (Biopsie) zur Diagnosesicherung. Zur Bestimmung des Stadiums der Erkrankung vor Beginn der Behandlung dienen u.a. verschiedene bildgebende und endoskopische Verfahren sowie weitere Verfahren zur Ausbreitungsdiagnostik bei möglicher Streuung des Tumors.
Ein PSA-Test wird aber auch als sogenannter Suchtest zur Früherkennung des Prostatakarzinoms durchgeführt [27], d.h. ohne Vorliegen eines positiven Tastbefundes. Allerdings ist der Nutzen des PSA-Tests als Screening-Maßnahme zur Prostatakrebsfrüherkennung wissenschaftlich nach wie vor umstritten [22, 28], so dass der PSA-Test als Suchtest nicht Bestandteil der gesetzlich verankerten Früherkennungsuntersuchungen ist. Wird der PSA-Suchtest zur Krebsfrüherkennung durchgeführt, müssen die Kosten von den Versicherten als sogenannte individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) selbst getragen werden.
Das prostataspezifische Antigen ist ein Eiweiß, das ausschließlich (daher spezifisch) in der Prostata produziert wird und dem Ejakulat für die Verflüssigung des Samens beigemischt ist. Da das PSA in geringen Mengen auch ins Blut übertritt, kann es mittels Labortest nachgewiesen werden. Ein Anstieg des PSA-Spiegels über den Normalbereich haben, z.B. Harnwegsinfektionen, Entzündungen der Prostata, sportliche Betätigung mit Druck auf die Prostata (Fahrradfahren), sexuelle Aktivität, gutartige Vergrößerung der Prostata aber auch Prostatakrebs. Somit ist ein erhöhter PSA-Wert nicht eindeutig auf Prostatakrebs zurückzuführen.
Über Nutzen und Risiken des PSA-Testes als Screening -Instrument zur Früherkennung von Prostatakrebs wird in Fachkreisen seit längerem gestritten. Befürworter sehen eine Chance, die Sterberate an Prostatakarzinomen zu senken [29]. Kritiker sehen die Gefahr in Überdiagnosen und -therapien und in einer fehlenden Senkung der Sterblichkeit [30]. Wie bereits erwähnt, ist das Prostatakarzinom in vielen Fällen ein langsam wachsender Tumor. Der PSA-Test führt aber auch zur Entdeckung von Krebsstadien, die klinisch wahrscheinlich nie in Erscheinung getreten wären. Zudem ist die falsch-positiv Rate des Testes relativ hoch [31]. Das (vermeintlich) positive Testergebnis hat neben den Sorgen, die diese Diagnose auslöst, zur Folge, dass ein erneuter Test bzw. eine Reihe von Biopsien nötig sind, einschließlich möglicher Nebenwirkungen.
Individuelle Gesundheitsleistungen werden im Auftrag des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (MDS) wissenschaftlich bewertet und sollen dazu beitragen, dass sich Versicherte fundiert für oder gegen bestimmte IGeL entscheiden. In deren Analyse fällt die Bewertung des PSA-Tests als individuelle Gesundheitsleitung tendenziell negativ aus. Das bedeutet, es gibt geringe Hinweise auf einen Nutzen, aber es liegen auch Belege für Schäden durch das PSA-Screening vor, vor allem durch die Überdiagnosen und die anschließend induzierte invasive Therapie [32]. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat die Aufgabe, Vor- und Nachteile medizinischer Leistungen für Patienten und Patientinnen objektiv zu überprüfen. Darüber hinaus stellt das Institut allgemeinverständliche Gesundheitsinformationen für alle Bürger und Bürgerinnen zur Verfügung. Für den PSA-Test hat das IQWiG die Vor- und Nachteile dieser Untersuchung zusammengestellt [33]. Es kann zusammenfassend festgehalten werden, dass es auf dem Gebiet der Früherkennung von Prostatakrebs weiteren Forschungsbedarf gibt [28]. Männer, die sich für einen PSA-Test entscheiden wollen, sollten daher vor einer Untersuchung gut informiert den potenziellen Schaden gegen den Nutzen abwägen [34].
Die Therapieoptionen bei Prostatakrebs richten sich danach, welches Tumorstadium vorliegt (T1: Klinisch nicht erkennbarer Tumor, T2: lokal begrenztes Prostatakarzinom, T3: Tumor durchbricht die Prostatakapsel, T4: fortgeschrittenes, benachbarte Strukturen infiltrierendes Prostatakarzinom). Zudem sind der histologische Differenzierungsgrad (Gleason-Score), der PSA-Spiegel im Serum, das Alter und der allgemeine Gesundheitszustand des Patienten ausschlaggebend [35]. Als Behandlungsverfahren stehen die aktive Beobachtung (unter Kontrolle abwarten), die sofortige Operation und in fortgeschrittenen Stadien die Strahlentherapie, die Hormontherapie und die Chemotherapie zur Verfügung [22]. Seit September 2009 gibt es eine interdisziplinäre Leitlinie (S3) zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V., als Entscheidungshilfe für Ärzte und Patienten [27].
Inwieweit Männer ab 45 Jahren Prostatakrebsfrüherkennungsuntersuchungen mittels DRU bzw. PSA-Test in Anspruch genommen haben, und was mögliche Einflussfaktoren für eine Teilnahme waren, wurde für Deutschland im Jahr 2004 untersucht [36]. Danach zeigte sich, dass die Mehrheit der befragten Männer (46,3%) im Alter von 45 bis 70 Jahren bereits beide Untersuchungen ein- oder mehrmals vornehmen ließ. 19,5% haben die DRU in Anspruch genommen, 1,9% haben nur den PSA-Test durchführen lassen. Ein Drittel der Befragten gab an, keine der Untersuchungen in Anspruch genommen zu haben. Nach der Regelmäßigkeit der Prostatakrebsfrüherkennung befragt, gaben 25,4% der Männer eine jährliche DRU an (PSA-Test: 19,5%). Alle zwei bis drei Jahre nahmen 18,5% der Männer an einer DRU teil (PSA-Test: 13,4%). Zusammengefasst ergab sich eine regelmäßige (alle 1 bis 3 Jahre) Teilnahmerate von 43,7% für die DRU und 32,8% für den PSA-Test. Unregelmäßig wurden die DRU von 22,1% und der PSA-Test von 15,3% der Befragten in Anspruch genommen. Hinsichtlich möglicher sozialer Einflussfaktoren für die Teilnahme an der Prostatakrebsfrüherkennung (DRU) konnten das Alter (je höher desto größer ist die Wahrscheinlichkeit), ein Leben in Partnerschaft, ein hoher Bildungsabschluss, ein hohes Einkommen und eine private Krankenkassenzugehörigkeit ermittelt werden. Einen größeren Einfluss auf die Teilnahme hatten jedoch die Arztempfehlung zur Teilnahme sowie eine berichtete regelmäßige Teilnahme an anderen Früherkennungsmaßnahmen, beispielsweise an der Gesundheitsuntersuchung (Check-up 35).
Aktuelle Daten zur Inanspruchnahme der Prostatakrebsfrüherkennungsuntersuchungen können aus der erste Welle der »Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland« (DEGS1) des Robert Koch-Instituts entnommen werden. Danach haben 38,9% der anspruchsberechtigten Männer ab 45 Jahren innerhalb der letzten 12 Monate vor Befragung eine Tastuntersuchung der Prostata vornehmen lassen [37]. Ein Gradient hinsichtlich des sozioökonomischen Status besteht nicht.
2.3.2.2 Früherkennung von Darmkrebs
Zur Früherkennung von Krebs des Rektums und Dickdarms wird Männern (und Frauen) im Alter von 50 bis 54 Jahren jährlich ein chemischer Stuhltest (Guajak-Test) zur Suche nach versteckter Blutbeimengung im Stuhl angeboten. Im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) kommen derzeit drei chemische Stuhltests zur Anwendung, der Hämoccult-, der HemoFec und der HemoCare-Test. Seit dem Jahr 2002 wird Personen ab einem Alter von 55 Jahren eine Darmspiegelung (Koloskopie) angeboten oder alternativ alle zwei Jahre ein chemischer Stuhltest, der bei auffälligem Befund koloskopisch abgeklärt wird. Bei unauffälligem Befund kann die Koloskopie als Angebot der GKV zur Früherkennung von Darmkrebs nach zehn Jahren wiederholt werden.
Der derzeit im Rahmen der Krebsfrüherkennung der GKV angebotene Guajak-Test steht in der Kritik, nicht so sensitiv zu sein, d.h. nicht so viele Karzinome zu entdecken, wie neuere immunologische Stuhltests (fäkale immunohistochemische Tests). Es ist daher zu erwarten, dass sich mittelfristig die neueren immunohistochemischen Stuhltests zur Darmkrebsfrüherkennung durchsetzen und auch in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen werden. Neue Testmethoden dürfen in der vertragsärztlichen Versorgung in der Regel dann zu Lasten der GKV erbracht werden, wenn der G-BA nach erfolgter Prüfung entsprechende Empfehlungen in seine Richtlinien aufgenommen hat [26, 38].
Eine Vergleichsstudie hat die Verfahren immunohistochemischer Stuhltest und Koloskopie untersucht [39] und in einem Zwischenfazit festgestellt, dass es bei der Entdeckung von Karzinomen zwischen diesen beiden Verfahren keinen Unterschied gibt. Mittels Koloskopie können jedoch Krebsvorstufen (Adenome) deutlich besser identifiziert und gleichzeitig entfernt werden. Im telefonischen Gesundheitssurvey »Gesundheit in Deutschland aktuell 2010« (GEDA 2010), ein Bestandteil des Gesundheitsmonitorings des Robert Koch-Instituts, war ein Modul zur Krebsfrüherkennung integriert, das auch Fragen zur Inanspruchnahme der Darmkrebs-Früherkennung beinhaltete. Neben der Kenntnis des Angebotes wurden die subjektive Informiertheit über Nutzen und Risiken der Untersuchung sowie ggf. Gründe für die Nicht-Teilnahme erfragt. Der Mehrzahl der befragten Männer (83,9%) war das Angebot der Koloskopie als Maßnahme der Krebsfrüherkennung bekannt (Frauen 88,4%). Dabei bestanden kaum Unterschiede in den einzelnen Alters- und Bildungsgruppen. Danach befragt, wie diejenigen, denen das Angebot bekannt ist, darauf aufmerksam wurden, gab die Mehrzahl der befragten Männer den Arzt bzw. die Ärztin als Informationsquelle an (61,8%), gefolgt von persönlichen Kontakten durch Familienangehörige, Freunde oder Bekannte (24,0%) und Bücher/ Zeitschriften (20,7%). Mehrfachantworten waren bei dieser Frage möglich.
Von den anspruchsberechtigten Männern (ab 55 Jahren) gaben über die Hälfte (58,9%) an, dass bei ihnen schon einmal eine Koloskopie durchgeführt wurde (Frauen: 57,5%). Bei den Maßnahmen zur Darmkrebs-Früherkennung fallen die Akzeptanzunterschiede zwischen Männern und Frauen damit eher gering aus. Das kann auch mit den Daten aus DEGS1 gezeigt werden [37]. Bei den Männern zeigt sich in GEDA 2010 in der Tendenz ein Bildungseinfluss. Der Anteil derer, die von einer Darmspiegelung berichten, ist bei Männern in der oberen Bildungsgruppe größer (63,6%) als in der mittleren (56,6%) und unteren (57,7%) Bildungsgruppe. Dieser Effekt bleibt nach Altersstratifizierung allerdings nur in der Gruppe der Männer ab 65 Jahren zwischen der mittleren und hohen Bildungsgruppe bestehen. Die Frage nach dem Anlass der Koloskopie zeigt in GEDA 2010, dass der größte Teil der Darmspiegelungen präventiv, d.h. im Rahmen der Krebsfrüherkennung durchgeführt wurde (45,4%). Nach den Gründen für eine (bisherige) Nicht-Teilnahme befragt, wird von den Männern in GEDA 2010 am häufigsten angegeben, dass sie keine Darmprobleme haben (56,3%), gefolgt von der Ansicht, dass die Untersuchung aus ihrer Sicht nicht notwendig (31,6%) oder unangenehm sei (19,3%). Hinsichtlich des Bildungsstandes zeigten sich bei diesen Angaben keine Unterschiede.
Schätzungen zur Beteiligung an Krebsfrüherkennungsmaßnahmen für Darmkrebs werden vom Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (ZI) anhand von Abrechnungsdaten der GKV vorgenommen. Danach wird die kumulierte Teilnahmerate (2003 bis 2011) bei der Koloskopie für die Männer im Alter von 55 bis 74 Jahre auf 19,3% der Anspruchsberechtigten geschätzt [40]. Als Ursachen für die Unterschiede zu den GEDA 2010-Daten kann angenommen werden, dass die Befragten nicht immer wissen, ob ihre Darmspiegelung präventiv, d.h. ohne Vorliegen von Beschwerden, oder kurativ, d.h. aufgrund von bestehenden Beschwerden (z.B. chronische Bauchschmerzen, Bauchkrämpfe), durchgeführt wurde. Diese beiden Indikationen werden jedoch unterschiedlich abgerechnet. Das ZI unterscheidet bei seiner Schätzung zwischen beiden Abrechnungsarten und kurative Koloskopien werden danach wesentlich häufiger abgerechnet als Früherkennungs- Koloskopien.
2.3.2.3 Diskussion
Am Beispiel der Früherkennung von Darmkrebs mittels Darmspiegelung zeigt sich, Männer kennen die Angebote der Krebsfrüherkennung und nehmen diese zum großen Teil auch in Anspruch. Studien zur allgemeinen Akzeptanz von Krebsfrüherkennungsuntersuchungen ergeben dagegen, dass die Untersuchungsangebote zur frühzeitigen Diagnose von Krebserkrankungen von Männern insgesamt weniger häufig [36, 40] und weniger regelmäßig angenommen werden als von Frauen [41] (Kapitel 6 Männerspezifische Prävention und Gesundheitsförderung). Mit den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchungen zu einer Früherkennungsmaßnahme, die Männern und Frauen gleichen Alters in genau gleicher Weise zu demselben Zweck angeboten wird, kann jedoch gezeigt werden, dass bei der Inanspruchnahme von Krebsfrüherkennungsmaßnahmen nicht immer bedeutsame Geschlechtsunterschiede bestehen. Zudem wird deutlich, dass bestimmte Faktoren die Inanspruchnahme bei Männern (wie bei Frauen) positiv beeinflussen. Dazu zählt die Empfehlung zur Teilnahme durch einen Arzt/ eine Ärztin. Diese kann Männer jedoch nur erreichen, wenn sie einen Arzt/eine Ärztin aufsuchen. Im Gegensatz zu Frauen, die z.B. Frauenärzte im Rahmen von Verhütung und Familienplanung regelmäßig konsultieren, haben viele Männer, vor allem im jüngeren Alter, kaum Anlass als Gesunde regelmäßig zum Arzt zu gehen und verfügen oftmals über keinen Arzt ihres Vertrauens. Die Empfehlung zur Teilnahme an Krebsfrüherkennungsuntersuchungen von einem Arzt/einer Ärztin erreichen sie daher seltener. Inwieweit andere Informationswege und Entscheidungshilfen zur Teilnahme an Krebsfrüherkennungsmaßnahmen Männer erreichen können, wird derzeit diskutiert. Die Vorschläge reichen von speziellen Männerärzten (Andrologen, Urologen), die eine Kompetenzund Anlaufstelle für Männer sein könnten, über »Männergesundheitstage« bis hin zur verstärkten Rolle von Krankenkassen und Betriebsärzten bei der Aufklärung über Nutzen und Risiken von Krebsfrüherkennungsuntersuchungen [41, 42]. Darüber hinaus wurde im Nationalen Krebsplan ein organisiertes, qualitätsgesichertes Darmkrebsfrüherkennungs- Programm mit einem Einladungsverfahren für Männer und Frauen empfohlen [38], wie es nunmehr im Rahmen des im April 2013 in Kraft getretenen Krebsfrüherkennungs- und -registergesetzes (KFRG) umgesetzt werden wird [43].
Der beobachtete Bildungseinfluss bei Männern ist auch aus anderen Untersuchungen bekannt [44], Männer der oberen Bildungsgruppe nehmen die angebotenen Krebsfrüherkennungsuntersuchungen häufiger wahr. Dabei dürften strukturelle Unterschiede in der gesundheitlichen Versorgung [45], aber auch andere Ursachen, wie zum Beispiel gruppenspezifische Unterschiede hinsichtlich des Gesundheitswissens und der Nutzung von gesundheitsrelevanten Informationsangeboten, eine Rolle spielen. Personen der niedrigen Sozialstatusgruppe bemühen sich beispielsweise seltener aktiv um Gesundheitsinformationen [46, 47].
Es gibt Hinweise darauf, dass Personen, vor allem auch Männer, mit Migrationshintergrund Angebote zu Prävention und Gesundheitsförderung in geringerem Ausmaß in Anspruch nehmen als die Mehrheit der deutschen Bevölkerung [48, 49]. Dies zeigt sich über alle Altersgruppen hinweg, beginnend mit der Vorsorgeuntersuchung bei Kindern [50]. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass sich die Aussagen auf eine nicht näher spezifizierte Gruppe von Migranten und Migrantinnen bezieht und wegen der Heterogenität der Zielgruppe stärker differenziert werden müsste. Die Datenlage zur Inanspruchnahme sämtlicher Leistungen der Gesundheitsversorgung durch Menschen mit Migrationshintergrund ist insgesamt noch unzureichend.
Aufgrund der weiten Verbreitung von Krebserkrankungen und den damit verbundenen Belastungen auch im Hinblick auf den demografischen Wandel, gewinnen Krebsfrüherkennungsuntersuchungen zunehmend an Bedeutung. Die Gründe dafür, warum nicht alle anspruchsberechtigten Männer gleich gut erreicht werden, sind sowohl auf Seiten der Leistungsanbieter als auch bei den Anspruchsberechtigten zu suchen und betreffen die Zugänglichkeit und Zielgruppenspezifität von Informationen, die Struktur und Organisation der Untersuchungen und nicht zuletzt die persönlichen Einstellungen zur Krebsfrüherkennung [51]. Im Nationalen Krebsplan und im Zuge dessen auch im Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz sind diese Aspekte mit dem Ziel integriert worden, Krebserkrankungen noch wirksamer zu bekämpfen [38, 43].
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www.bmg.bund.de/praevention/nationaler-krebsplan/der-nationale-krebsplan-stellt-sich-vor.html (Stand: 15.06.2012) |
39 | Quintero E, Castells A, Bujanda L et al. (2012) Colonoscopy versus fecal immunochemical testing in colorectal-cancer screening. New England Journal of Medicine 366 (8): 697 to 706 |
40 |
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und an Beratungen zur Prävention
des Darmkrebs (in Prozent der anspruchsberechtigten
Altersgruppe) im Jahr 2011.
www.zi.de/cms/fileadmin/images/content/PDFs_alle/Beteiligungsraten_2011_Deutschland_erw.pdf (Stand: 22.01.2014) |
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43 | Gesetz zur Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung und zur Qualitätssicherung durch klinische Krebsregister (Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz- KFRG), Bundesgesetzblatt, Jahrgang 2013, Teil I Nr. 16 vom 08.04.2013 Seite 617 |
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51 | Altgeld T (2003) Was spricht Männer an? Männergerechte Gesundheitskommunikation findet in der Gesundheitsförderung und Prävention kaum statt. Impulse Newsletter für Gesundheitsförderung 39: S. 8 |
2.4 Unfälle
Unfälle geschehen unbeabsichtigt und können schwere, mitunter tödliche Verletzungen nach sich ziehen. Unfallverletzungen sind, insbesondere unter präventiven Gesichtspunkten, klar abzugrenzen von beabsichtigten Verletzungen als Folge gewalttätiger Handlungen. Die Gewalt kann sich hierbei gegen die eigene Person richten oder als zwischenmenschliche oder kollektive Gewalt auftreten [1] (siehe Kapitel 3.6 Gewalt). Die Bedeutung von Unfällen begründet sich sowohl aus den individuellen wie volkswirtschaftlichen Folgen. Nach Schätzungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin gab es im Jahr 2011 in Deutschland etwa 8,72 Millionen Unfälle, von denen ca. 20.400 tödlich endeten [2]. Eine grobe Abschätzung der gesundheitsökonomischen Bedeutung von Unfällen kann über die Kosten von Verletzungen (ICD-10: S00 bis T98) erfolgen: Jährlich werden knapp 5% der direkten Krankheitskosten für ihre Behandlung aufgewendet [3].
Männer sind von Unfällen überproportional häufig betroffen, und auch hinsichtlich der Schwere von Unfällen wird ein klarer Geschlechterunterschied zuungunsten der Männer beobachtet. Besonders deutlich wird dies an der erhöhten Sterblichkeit durch Unfälle, speziell bei jüngeren Männern (siehe auch Kapitel 2.1 Lebenserwartung und Sterblichkeit). Die erhöhte Gefährdung von Männern sowie das präventive Potenzial machen Unfälle zu einem zentralen Thema der Männergesundheit.
Eine genaue Kenntnis des Unfallgeschehens in Deutschland ist Grundlage für die Prävention von unfallbedingten Verletzungen. Verschiedene Statistiken werden für die Darstellung des Unfallaufkommens herangezogen. Die Verkehrsunfallstatistik gibt detailliert Auskunft über polizeilich erfasste Unfälle im Straßenverkehr. Auch Arbeits- und Schulunfälle, soweit sie in die Zuständigkeit der gesetzlichen Unfallversicherung fallen, sind meldepflichtig. Heim- und Freizeitunfälle werden hingegen nicht systematisch erfasst, dabei erleiden schätzungsweise zwei Drittel der Unfallverletzten den Unfall zu Hause, beziehungsweise in der Freizeit [2]. Als weitere Quelle für Aussagen zum Unfallgeschehen ist die Todesursachenstatistik zu nennen. In der dort verwendeten ICD-10-Klassifikation werden Verletzungen im Kapitel 19 (S00 bis T98) beschrieben. Kapitel 20 (V01 bis Y98) erlaubt die zusätzliche Kodierung der äußeren Ursachen.
Weil sich das Unfallgeschehen in Deutschland allein auf der Basis amtlicher Statistiken nur unvollständig abbilden lässt, sind repräsentative Befragungen, wie der telefonische Gesundheitssurvey »Gesundheit in Deutschland aktuell« des Robert Koch-Instituts aus dem Jahr 2010 (GEDA 2010), eine wichtige Ergänzung. GEDA 2010 liefert einen Überblick über das gesamte nichttödliche Unfallgeschehen und enthält außerdem zahlreiche Detailinformationen zu den berichteten Unfällen, die mit soziodemografischen und sozioökonomischen Merkmalen verknüpft werden können. Nach einem geschlechtsspezifischen Überblick über das Unfallgeschehen auf Basis von GEDA 2010 werden sowohl Verkehrs- als auch Arbeitsunfälle im Folgenden mithilfe offizieller Statistiken, ebenfalls aus dem Jahr 2010, eingehender betrachtet. Das ermöglicht eine bessere Einordnung und Vergleichbarkeit mit den Ergebnissen aus GEDA 2010.
2.4.1 Sterblichkeit durch Unfälle
Generell gilt, dass Männer häufiger von Unfällen betroffen sind als Frauen. Nach der Todesursachenstatistik starben im Jahr 2010 in Deutschland insgesamt 10.956 (54,1%) Männer und 9.287 (45,9%) Frauen infolge eines Unfalls [4]. Insbesondere in der Jugend und im jungen Erwachsenenalter stellen Unfälle eine der häufigsten Todesursachen dar. So entfallen bei den 15- bis 19-jährigen Männern 38,7% aller Todesfälle auf Unfälle. Bei den 20- bis 24-jährigen Männern sind dies 34,9% und bei den 25- bis 29-jährigen immer noch 25,5% aller Sterbefälle. Frauen weisen insbesondere in jüngeren Jahren eine deutlich geringere unfallbedingte Mortalität auf als Männer (siehe auch Kapitel 2.1 Lebenserwartung und Sterblichkeit).
Im Altersgang nimmt die Bedeutung von Unfällen im Vergleich zu anderen Todesursachen sukzessive ab und macht bei Männern im Rentenalter noch einen Anteil von etwa 2% aller Sterbefälle aus.
Da Unfälle überwiegend das Sterbegeschehen in jüngeren Lebensjahrzehnten bestimmen, zeichnen sie auch für einen großen Anteil der durch vorzeitigen Tod verlorenen Lebensjahre verantwortlich. Die vor dem Erreichen des 65. Lebensjahres durch Unfälle verlorene Lebenszeit belief sich im Jahr 2010 bei den Männern auf 112.222 Jahre (9,9% aller verlorenen Lebensjahre) und bei den Frauen auf 36.615 Jahre (6,0%) [5]. Damit entfallen etwa drei Viertel aller durch Unfälle verlorenen Lebensjahre auf Männer, ein Umstand, der reflektiert, dass Männer im Vergleich zu Frauen nicht nur häufiger, sondern auch in jüngeren Jahren tödlich verunglücken.
2.4.2 Unfallgeschehen im Überblick
Mit den Daten von GEDA 2010 lässt sich das nichttödliche Unfallgeschehen in Deutschland umfassend beschreiben. Ausschlaggebend für die Klassifizierung als Unfall war hierbei, dass derbzw. die Betroffene einen Arzt/eine Ärztin aufgesucht hat bzw. im Krankenhaus behandelt wurde. Danach gaben 9,9% der männlichen sowie 6,0% der weiblichen Befragten an, in den 12 Monaten vor der Befragung mindestens einen Unfall erlitten zu haben. Mehr als einen Unfall hatten 16,0% der männlichen Unfallopfer. Darunter haben 12,0% der verunfallten Männer im letzten Jahr zwei Unfälle und weitere 4,0% drei oder mehr Unfälle erlebt. Auch hier gilt, dass Frauen seltener betroffen sind.
Bei Betrachtung der altersspezifischen Entwicklung der Unfallprävalenzen fällt auf, dass Unfälle in jüngeren Lebensjahren deutlich häufiger vorkommen (siehe Abbildung 2.4.1). Unter den 18- bis 24-Jährigen fällt der Anteil an Unfallbetroffenen mit einem Fünftel aller Männer besonders hoch aus und liegt damit annähernd neun Prozentpunkte über dem entsprechenden Anteil bei den Frauen. Im Altersgang nimmt der Geschlechterunterschied langsam ab, und bei den 65-Jährigen und Älteren weisen Männer sogar eine etwas niedrigere Unfallprävalenz auf als Frauen.
Abbildung 2.4.1

Wichtig für die Prävention von Unfallverletzungen ist der Unfallort, im Folgenden bezogen auf den letzten von ggf. mehreren erlittenen Unfällen. Generell gilt, dass Männer deutlich häufiger als Frauen am Arbeitsplatz und deutlich seltener zu Hause verunglücken. So haben bei den Männern 29,6% aller im letzten Jahr berichteten Unfälle am Arbeitsplatz stattgefunden (Frauen: 8,6%) und nur 22,8% zu Hause (Frauen: 41,2%). Weitere 16,8% waren Verkehrsunfälle, 1,7% fanden in Bildungsstätten wie Schulen oder Ausbildungsstätten statt, und 29,2% aller Unfälle bei Männern waren Freizeitunfälle. Im Altersgang zeigt sich bei beiden Geschlechtern eine deutliche Zunahme von häuslichen Unfällen und ein Rückgang von Freizeit- und Arbeitsunfällen. So geschieht mit 41,1% ein Großteil der Unfälle bei 18- bis 24-jährigen Männern in der Freizeit, während Männer ab 65 Jahren in nahezu der Hälfte der Fälle (46,3%) zu Hause verunglücken.
Darüber hinaus ist der Unfallort auch ein wichtiges Differenzierungsmerkmal bei der Betrachtung des Unfallgeschehens in den einzelnen sozioökonomischen Gruppen. Hierfür wurde ein dreistufiger Statusindex verwendet, der auf Angaben zum Bildungsniveau, zur beruflichen Stellung und zum Einkommen basiert [6]. Während Angehörige unterschiedlicher Statusgruppen grundsätzlich ähnlich häufig von Unfällen betroffen sind, variieren die Unfallorte der Unfallverletzten deutlich mit dem sozioökonomischen Status (siehe Abbildung 2.4.2). Statistisch bedeutsam ist vor allem die unterschiedliche Häufigkeit von Unfällen am Arbeitsplatz sowie in der Freizeit: Unfallverletzte mit niedrigem sozioökonomischen Status verunglücken auch nach statistischer Kontrolle des Alters häufiger am Arbeitsplatz und seltener in der Freizeit als Unfallverletzte mit hohem sozioökonomischen Status.
Abbildung 2.4.2

Neben den gesundheitlichen Einschränkungen für den Einzelnen haben Unfälle auch deutliche Auswirkungen auf das Gesundheitssystem und die Arbeitswelt. Bei 49,1% aller Unfälle war für die betroffenen Männer ein ambulanter, bei 18,2% ein stationärer Krankenhausaufenthalt die Folge. Zudem wurde bei 12,9% der Unfälle eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt, bei 2,5% erfolgte die Rehabilitation stationär. 61,2% der Unfälle bei Männern führten zu Krankschreibung und Arbeitsunfähigkeit. Auch bedingt durch die nach wie vor geringeren Erwerbsquoten lag dieser Anteil bei den Frauen mit 53,5% deutlich darunter. Es verwundert vor diesem Hintergrund nicht, dass Unfällen auch in Auswertungen zum Arbeitsunfähigkeitsgeschehen der Krankenkassen große Bedeutung zukommt. Mit 15,7% aller Arbeitsunfähigkeitstage lag die Hauptdiagnosegruppe Verletzungen und Vergiftungen (ICD-10: S00 bis T98; hier inkl. Selbst- und Fremdverletzungen) bei den pflichtversicherten männlichen AOK-Mitgliedern im Jahr 2010 an zweiter Stelle hinter den Krankheiten des Muskel- Skelett-Systems (ICD-10: M00 bis M99) [7].
2.4.3 Arbeitsunfälle
Wie sich in der Statistik der meldepflichtigen Arbeitsunfälle zeigt, sind Männer insbesondere bei der Arbeit deutlich häufiger von Unfällen betroffen als Frauen. Meldepflichtig sind Arbeitsunfälle, die mehr als drei Tage Arbeitsunfähigkeit oder den Tod der betreffenden Person nach sich ziehen. Nach Angaben der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), bei deren Mitgliedern insbesondere die sozialversicherungspflichtig beschäftigte Bevölkerung pflichtversichert ist, gab es im Jahr 2010 bei männlichen Versicherten 709.422 meldepflichtige Arbeitsunfälle (ohne Wegeunfälle), darunter 474 mit tödlichem Ausgang (alle Angaben ohne in der Landwirtschaft Beschäftigte) [8]. Dabei zeigt sich, dass Männer in der Arbeitswelt einem deutlich größeren Risiko ausgesetzt sind als Frauen. Sie werden nicht nur häufiger Opfer von Arbeitsunfällen, sondern laufen auch eher Gefahr, diese nicht zu überleben (siehe Tabelle 2.4.1). Während Männer nur gut die Hälfte der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ausmachen, liegt ihr Anteil bei den meldepflichtigen Arbeitsunfällen bereits bei drei Vierteln und bei den tödlichen Arbeitsunfällen sogar bei einem Anteil von über 90% [8, 9].
Tabelle 2.4.1
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte |
Meldepflichtige Arbeitsunfälle |
darunter: Tödliche Arbeitsunfälle |
|
---|---|---|---|
Männer | 54% | 74,3% | 91,3% |
Frauen | 46% | 25,7% | 8,7% |
[8] | Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (2012) Meldepflichtige Arbeitsunfälle. Sonderauswertung. DGUV, Berlin |
---|---|
[9] | Bundesagentur für Arbeit (2012) Arbeitsmarkt in Zahlen, Beschäftigung nach Ländern in wirtschaftsfachlicher Gliederung. Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg |
Dass dieser Unterschied vor allem mit der risikoreicheren Tätigkeit insbesondere von Männern in manuellen Berufen in Zusammenhang zu bringen ist, verdeutlicht die Aufschlüsselung der meldepflichtigen Arbeitsunfälle nach Wirtschaftszweigen. Danach entfielen im Jahr 2010 bei männlichen Versicherten 28% der meldepflichtigen Arbeitsunfälle auf das verarbeitende und weitere 16% auf das Baugewerbe. Fast die Hälfte aller am Arbeitsplatz verunglückten Männer ist damit in Branchen mit überwiegend risikoträchtigen beruflichen Anforderungen tätig, deren Erfüllung nach wie vor ganz überwiegend männlichen Erwerbstätigen obliegt. Besonders deutlich wird dies bei Betrachtung der geschlechtsspezifischen Unfallanteile in den einzelnen Wirtschaftszweigen (Abbildung 2.4.3). Angeführt wird die Aufstellung von der Baubranche, in der 97,5% aller meldepflichtigen Arbeitsunfälle auf Männer entfallen. Besonders deutlich ist der Überhang zudem im verarbeitenden Gewerbe sowie im Wirtschaftszweig Verkehr und Lagerei mit 85,6% bzw. 84,2% männlichem Anteil am Unfallgeschehen.
Abbildung 2.4.3

Im Altersgang zeigt sich bei den Männern eine Verteilung der meldepflichtigen Arbeitsunfälle, die vor allem durch die unterschiedliche Beteiligung der Altersgruppen am Arbeitsleben geprägt ist. Die noch geringe Arbeitsmarktintegration der unter 20-Jährigen wie auch die wieder abnehmende Erwerbstätigkeit ab einem Alter von etwa 55 Jahren führt in diesen Altersgruppen zu vergleichsweise niedrigen Anteilen am Gesamtaufkommen der meldepflichtigen Arbeitsunfälle. Der größte Teil der Arbeitsunfälle bei Männern entfiel im Jahr 2010 demnach mit 79,4% aller Unfälle auf die 20- bis 54-Jährigen. Ein etwas erhöhtes Risiko tragen innerhalb dieser Altersspanne die Altersgruppen der 20- bis 24-jährigen Männer mit 13,4% aller meldepflichtigen Arbeitsunfälle, aber auch die 40- bis 44-jährigen sowie die 45- bis 49-jährigen Männer, die 12,3% bzw. 12,6% der gemeldeten Unfälle auf sich vereinen. In der Tendenz ist bei der Zahl meldepflichtiger Arbeitsunfälle ein Rückgang zu verzeichnen. Lagen die Zahlen nach Angaben der DGUV im Jahr 2001 noch bei 987.868 Unfällen unter männlichen Versicherten, so ist dieser Wert bis zum Jahr 2010 auf 709.422 Fälle gesunken. Dieser Trend reiht sich ein in den allgemeinen Rückgang der Arbeits- und Wegeunfälle, der seit den 1960er Jahren im Wesentlichen anhält [10,11].
2.4.4 Verkehrsunfälle
Laut Schätzung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin verletzte sich im Jahr 2010 etwa jeder 22. Unfallbetroffene im Verkehr (4,5%). Wesentlich höher ist jedoch mit 18,9% der Anteil der Unfalltoten, die auf den Bereich Verkehr entfallen [12]. Unfälle mit Personenschäden sind als Teilbereich der Verkehrsunfallstatistik gut dokumentiert und sollen im Folgenden in ihrer Bedeutung für die Gesundheit von Männern eingehender beschrieben werden. Obwohl die Zahlen der im Straßenverkehr verletzten und getöteten Personen seit den 1980er Jahren rückläufig sind, haben Männer nach wie vor ein deutlich höheres Verkehrsunfallrisiko als Frauen [13]. Im Jahr 2010 waren in Deutschland 353.883 Männer direkt an Verkehrsunfällen beteiligt, bei denen Personen verletzt oder getötet wurden. Inklusive Mitfahrer verunglückten 208.284 Männer, unter diesen waren 38.704 Schwerverletzte und 2.651 Männer starben.
Unter den verunglückten Personen wird der Geschlechterunterschied bei den schwerverletzten und getöteten Personen besonders deutlich. Die Zahl der im Straßenverkehr getöteten Männer pro 100.000 Einwohner war im Jahr 2010 gegenüber den verunglückten Frauen nahezu um das Dreifache, die der schwerverletzten Männer um den Faktor 1,7 erhöht (siehe Tabelle 2.4.2). Wie bei den meldepflichtigen Arbeitsunfällen weisen Männer also auch im Straßenverkehr vor allem bei den folgenschweren Unfällen ein höheres Risiko auf als Frauen.
Tabelle 2.4.2
Beteiligte | Verunglückte | darunter: | |||
---|---|---|---|---|---|
Getötete | Schwerverletzte | Leichtverletzte | |||
Männer | 991,8 | 543,0 | 7,6 | 102,1 | 433,4 |
Frauen | 494,0 | 414,5 | 2,6 | 59,5 | 352,4 |
[13] | Statistisches Bundesamt (2011b) Verkehr. Verkehrsunfälle 2010. Fachserie 8 Reihe 7. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden |
---|
Im Altersgang zeigt sich zudem, dass insbesondere jüngere Männer gefährdet sind, bei Verkehrsunfällen zu verunglücken. In der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen erreichen die Unfallraten die höchsten Werte und gehen in den folgenden Altersgruppen deutlich zurück (siehe Tabelle 2.4.3). Von den 18- bis 24-Jährigen verletzten sich im Jahr 2010 1.142,7 pro 100.000 Männer leicht oder schwer und 14,6 von 100.000 starben. Bei den 65-Jährigen und Älteren sind noch 8,1 von 100.000 Männern getötet worden und 278,3 von 100.000 erlitten nichttödliche Verletzungen.
Tabelle 2.4.3
Schwere der Verletzung | Altersgruppen (Jahre) | |||||
---|---|---|---|---|---|---|
18 bis 24 | 25 bis 34 | 35 bis 44 | 45 bis 54 | 55 bis 64 | >=65 | |
Leichtverletzte | 936,1 | 573,5 | 462,7 | 392,2 | 295,4 | 206,5 |
Schwerverletzte | 206,5 | 111,6 | 95,4 | 96,9 | 79,3 | 71,7 |
Getötete | 14,6 | 8,1 | 5,6 | 6,5 | 5,4 | 8,1 |
[13] | Statistisches Bundesamt (2011b) Verkehr. Verkehrsunfälle 2010. Fachserie 8 Reihe 7. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden |
---|
Zur richtigen Einordnung der Geschlechterunterschiede ist zu berücksichtigen, dass Männer deutlich mobiler sind als Frauen und auch dadurch ein größeres Risiko eingehen, im Straßenverkehr verletzt oder getötet zu werden. Nach den Zahlen der Studie »Mobilität in Deutschland« aus dem Jahr 2008 legen Männer an einem durchschnittlichen Tag 45,9 Kilometer, Frauen hingegen nur 32,4 Kilometer zurück [14]. Es ist nicht verwunderlich, dass eine Personengruppe, die stärker am Verkehrsgeschehen teilnimmt, auch häufiger in Unfälle verwickelt ist. Dennoch zeigen entsprechende Untersuchungen, dass das Risiko, bei einem Verkehrsunfall getötet zu werden, für Männer auch dann noch um 83% erhöht ist, wenn die größere Mobilität in die Berechnungen einbezogen wird [15].
Laut Unfallstatistik neigen Männer zudem - stärker als Frauen - zu riskantem Fahrverhalten (siehe Tabelle 2.4.4). Das höhere Unfallrisiko von Männern ist also vor allem auch durch ein riskanteres Verkehrsverhalten zu erklären. Bei allen dargestellten Kategorien unfallrelevanten Fehlverhaltens weisen Männer deutlich höhere Raten pro 1.000 Beteiligte auf als Frauen. Besonders deutlich wird dies bei Fahrzeugführern, die unter Alkoholeinfluss an einem Unfall mit Personenschaden beteiligt waren (siehe Kapitel 3.4 Alkohol). So wiesen Männer im Jahr 2010 bei Unfällen mit Personenschaden mehr als dreimal so häufig wie Frauen eine aufgrund von Alkoholkonsum eingeschränkte Verkehrstüchtigkeit auf. Auch hier zeigt sich wieder eine stark altersspezifische Entwicklung. So wurde bei männlichen Fahrzeugführern im Alter zwischen 18 und 24 Jahren, die an Unfällen mit Personenschaden beteiligt waren, bei 226 von 1.000 Beteiligten eine nicht angepasste Geschwindigkeit festgestellt. Bis in die Altersgruppe der 65-Jährigen und Älteren ging dieser Wert auf 62 Fälle je 1.000 Beteiligten zurück. Bei der Einschränkung der Verkehrstüchtigkeit aufgrund von Alkoholeinfluss ging der entsprechende Wert von etwa 57 auf 17 Fälle von 1.000 beteiligten Männern zurück.
Tabelle 2.4.4
Männer | Frauen | ||
---|---|---|---|
Verkehrstüchtigkeit | 51,5 | 18,4 | |
darunter Alkoholeinfluss | 37,1 | 10,4 | |
darunter Einfluss anderer berauschender Mittel | 3,0 | 0,9 | |
Nicht angepasste Geschwindigkeit | 116,9 | 92,1 | |
Abstand | 86,4 | 74,4 | |
Überholen | 26,7 | 14,4 |
[13] | Statistisches Bundesamt (2011b) Verkehr. Verkehrsunfälle 2010. Fachserie 8 Reihe 7. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden |
---|
2.4.5 Diskussion
Abschließend lässt sich festhalten, dass das Auftreten von Unfällen stark mit dem Geschlecht und dem Alter zusammenhängt. Männer verunglücken in allen Lebensbereichen häufiger als Frauen und verlieren - durch sogenannte vorzeitige Sterbefälle (vor dem 65. Lebensjahr) - durch Unfälle mehr Lebensjahre. Besonders häufig sind Männer im jüngeren Erwachsenenalter von Unfallverletzungen betroffen, wohingegen sich die Geschlechterunterschiede mit zunehmendem Alter nach und nach abschwächen. Der soziale Status der Betroffenen macht sich vor allem dahingehend bemerkbar, dass unfallverletzte Männer mit niedrigem Sozialstatus im Vergleich zu Männern der höheren Statusgruppen häufiger am Arbeitsplatz und seltener in der Freizeit verunglückt sind.
Die hohe unfallbedingte vorzeitige Sterblichkeit von Männern und die höheren Unfallprävalenzen werden häufig durch riskantere Verhaltensweisen erklärt. Hierzu zählen vor allem Männern zugeschriebene Eigenschaften wie Wettbewerb oder Aggressivität bspw. beim Sporttreiben, im Berufsleben oder im Straßenverkehr [16 bis 18]. Dieses »Risiko suchende« Verhalten gilt als wichtiger Faktor für die Erklärung der geschlechtsspezifisch ausgeprägten Unfallhäufigkeiten. Es wird im Zuge der Identitätsbildung über Mutproben bereits im Kindes- und Jugendalter eingeübt und hilft, sich gegenüber anders- und gleichgeschlechtlichen Altersgenossen zu positionieren [19, 20]. Dementsprechend wird riskantes Verhalten in der Genderforschung durch tradierte Geschlechterverhältnisse sowie die Beziehung zwischen Männern erklärt: Aggression, Wettbewerb und Risikobereitschaft stellen danach mögliche Verhaltensmuster dar, über die Maskulinität in »ernsten Spielen« hergestellt werden kann (doing gender) [21]. Hierbei wird die Abgrenzung zum weiblichen Geschlecht ebenso vollzogen wie der Wettbewerb zwischen Männern. Der Straßenverkehr kann als eine der klassischen Arenen dieser Praxis verstanden werden. Die Neigung zu riskantem Fahrverhalten (sensation seeking) weist in empirischen Studien eine starke Geschlechter-, aber auch Altersabhängigkeit auf und wird maßgeblich für die unterschiedlichen Unfallraten verantwortlich gemacht [15, 22].
Im Bereich der Arbeitswelt zeigt sich, dass Männer in bestimmten Branchen überrepräsentiert sind und berufliche Tätigkeiten übernehmen, die mit typischen Belastungen und Unfallrisiken verbunden sind. Die entsprechende Berufswahl ist oftmals mit gesellschaftlichen Erwartungshaltungen und geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen verknüpft [23]. So existieren vor allem in manuellen Tätigkeitsbereichen arbeitsbezogene Männlichkeitsmuster, die mit erhöhten gesundheitlichen Risiken verbunden sind [24].
Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass es in gewissen Grenzen zu einer Aufweichung gendertypischer Verhaltensschemata gekommen ist, die mit einem erhöhten Unfallaufkommen bei Männern in Verbindung stehen. So gehören Männer in klassischen »Frauenberufen« (z.B. Pflege) oder Frauen in »Männersportarten« (z.B. Fußball) heute zwar zum Alltag. Doch lassen die Zahlen zum Unfallgeschehen bislang nicht die Auflösung der hiermit verbundenen Geschlechterstereotype erkennbar werden. Insofern stellen Unfälle und ihre Vermeidung auch weiterhin ein geradezu klassisches Betätigungsfeld für eine männerspezifische Gesundheitsforschung und Präventionspraxis dar.
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2 | Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
(2013) Gesamtunfallgeschehen. Unfalltote und
Unfallverletzte 2011 in Deutschland. www.baua.de/de/Informationen-fuer-die-Praxis/Statistiken/Unfaelle/Gesamtunfallgeschehen/pdf/Unfallstatistik-2011.pdf ?__blob=publicationFile&v=3 (Stand: 23.01.2014) |
3 | Statistisches Bundesamt (2010) Krankheitskostenrechnung. www.gbe-bund.de (Stand: 16.12.2012) |
4 | Statistisches Bundesamt (2013) Todesursachenstatistik,
Sterbefälle durch Unfälle nach äußeren Ursachen
und Unfallkategorien (ab 1998). www.gbe-bund.de (Stand: 23.01.2014) |
5 | Statistisches Bundesamt (2013) Todesursachenstatistik,
Fortschreibung des Bevölkerungsstandes,
Vorzeitige Sterblichkeit (Anzahl, je 100.000 Einwohner,
verlorene Lebensjahre - mit/ohne Alters
standardisierung, Tod unter 65/70 Jahren - ab
1998). www.gbe-bund.de (Stand: 23.01.2014) |
6 | Lampert T, Kroll LE, Müters S et al. (2013) Messung des sozioökonomischen Status in der Studie »Gesundheit in Deutschland aktuell« (GEDA). Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 56 (1): 131 bis 143 |
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Arbeitsunfähigkeit bei erwerbstätigen AOK-Mitgliedern
(Arbeitsunfähigkeitsfälle; Arbeitsunfähigkeitstage)
im Jahr 2010 nach ICD-10. www.gbe-bund.de (Stand: 13.08.2013) |
8 | Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (2012) Meldepflichtige Arbeitsunfälle. Sonderauswertung. DGUV, Berlin |
9 | Bundesagentur für Arbeit (2012) Arbeitsmarkt in Zahlen, Beschäftigung nach Ländern in wirtschaftsfachlicher Gliederung. Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg |
10 | Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2012) Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2010. Unfallverhütungsbericht Arbeit. BMAS, Berlin |
11 | Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (2011) Statistiken für die Praxis 2010. Aktuelle Zahlen und Zeitreihen aus der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. DGUV, Berlin |
12 | Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
(2011) Gesamtunfallgeschehen. Unfalltote und
Unfallverletzte 2010 in Deutschland. www.baua.de/de/Informationen-fuer-die-Praxis/Statistiken/Unfaelle/Gesamtunfallgeschehen/pdf/Unfallstatistik-2010.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (Stand: 16.12.2012) |
13 | Statistisches Bundesamt (2011b) Verkehr. Verkehrsunfälle 2010. Fachserie 8 Reihe 7. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden |
14 | Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH (Infas), Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) (2010) Mobilität in Deutschland 2008. Tabellenband. Infas, DLR, Bonn/Berlin |
15 | Limbourg M, Reiter K (2010) Verkehrspsychologie. Verkehrspsychologische Gender-Forschung. Handbuch Psychologie und Geschlechterforschung. VS Verlag, Wiesbaden, S. 203 bis 227 |
16 | Möller-Leimkühler AM (2003) The gender gap in suicide and premature death or: Why are men so vulnerable? European Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience 253 (1): 1 to 8 |
17 | Sieverding M (2000) Risikoverhalten und präventives Verhalten im Geschlechtervergleich: Ein Überblick. Zeitschrift für Medizinische Psychologie 9 (1): 7 bis 16 |
18 | Sieverding M (2010) Gesundheitspsychologie. Genderforschung in der Gesundheitspsychologie. In: Steins G (Hrsg) Handbuch Psychologie und Geschlechterforschung. VS Verlag, Wiesbaden, S. 189 bis 201 |
19 | Hurrelmann K (2002) Autofahren als Abenteuer und Risikoverhalten? Die soziale und psychische Lebenssituation junger Fahrer Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Unterreihe Mensch und Sicherheit (M 143): 12 bis 20 |
20 | Raithel J (2003) Mutproben im Übergang vom Kindes- ins Jugendalter. Befunde zu Verbreitung, Formen und Motiven. Zeitschrift für Pädagogik 49 657 bis 674 |
21 | Meuser M (2008) Ernste Spiele. Zur Konstruktion von Männlichkeit im Wettbewerb der Männer. In: Baur N, Luedtke J (Hrsg) Die soziale Konstruktion von Männlichkeit Hegemoniale und marginalisierte Männlichkeiten in Deutschland. Budrich, Opladen, S. 33 bis 44 |
22 | Bittner D (2011) Analyse menschlichen Risikoverhaltens
bei Verkehrsunfällen in Mecklenburg-Vorpommern.
Universität Greifswald, Greifswald. http://ub-ed.ub.uni-greifswald.de/opus/volltexte/2011/977/ (Stand: 17.02.2012) |
23 | Dinges M (2006) Männergesundheit in historischer Perspektive: Die Gene erklären nur den kleineren Teil des Geschlechterunterschieds. Blickpunkt Der Mann 4 (1): 21 bis 24 |
24 | Hien W (2009) Arbeiten Männer gesundheitsriskanter als Frauen? Neuere empirische Daten und Hypothesen. Jahrbuch für Kritische Medizin und Gesundheitswissenschaften 45: 135 bis 159 |
2.5 Psychische Störungen
Psychische Störungen umfassen ein breites Spektrum an Leidenszuständen [1], die multifaktoriell bedingt sind und zunehmend häufiger in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Psychische Störungen sind ein weltweites Problem [2]. Für Deutschland gehen jüngste Schätzungen davon aus, dass jährlich einer von drei Erwachsenen zumindest zeitweilig davon betroffen ist [3]. Neben den individuellen Folgen psychischer Störungen, wie verminderte Lebensqualität und Wohlbefinden, sind auf gesellschaftlicher Ebene die wirtschaftlichen Folgen z.B. durch Produktivitätsausfälle aufgrund der entstehenden Fehlzeiten am Arbeitsplatz zu nennen.
Zu den psychischen Störungen werden u.a. die affektiven Störungen (z.B. depressive Episode), Störungen durch psychotrope Substanzen (z.B. Alkoholabhängigkeit) oder auch somatoforme Störungen (z.B. Somatisierungsstörung) gezählt. Psychische Störungen entstehen aus dem Zusammenspiel von genetischen und nichtgenetischen Faktoren. Dazu zählen einerseits bestimmte physiologische oder genetische Konstellationen, andererseits psychische oder soziale Einflüsse, wie z.B. der Umgang mit belastenden oder kritischen Lebensereignissen.
Die Diagnosekriterien für psychische Störungen sind in der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision (ICD-10) oder im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV) festgelegt. Seit Mai 2013 ist die neue Version (DSM-V) verfügbar, in der einige Änderungen in der Klassifikation psychischer Störungen vorgenommen wurden. Einige der in diesem Kapitel vorgestellten Ergebnisse sind nach den Kriterien des DSM-IV ermittelt worden, welches zum Zeitpunkt der Erhebung das gültige Klassifikationssystem des DSM darstellte. Die Diagnosekriterien des DSM basieren auf den verschiedenen Symptomen, ihrem Fortbestehen, der Schwere, den daraus resultierenden Einschränkungen und Behinderungen sowie ihrem Verlauf.
Insgesamt zeigt sich anhand epidemiologischer Daten zu psychischen Störungen, dass Männer seltener betroffen sind als Frauen [4]. Allerdings gibt es psychische Störungen, an denen Männer im Vergleich zu Frauen häufiger leiden. Dazu zählen vor allem Suchterkrankungen.
Das Geschlechterverhältnis bei psychischen Störungen ist im Lebensverlauf betrachtet relativ stabil, jedoch zeigen sich besonders im Kindes- und Jugendalter Ausnahmen. In diesen Lebensphasen werden bei Jungen häufiger als bei Mädchen psychische Auffälligkeiten, wie Verhaltensprobleme, Hyperaktivität und emotionale Probleme, festgestellt [5]. Bis zu einem Alter von 13 Jahren treten hierfür bei Jungen höhere Prävalenzen auf, danach erfolgt eine Angleichung bzw. finden sich höhere Werte bei Mädchen [6]. Auch bei der Schizophrenie, einer psychotischen Störung, zeigt sich in jüngeren Altersgruppen ein häufigeres Auftreten bei Männern; das Lebenszeitrisiko ist für Männer und Frauen jedoch gleich, da sich die Schizophrenie bei Frauen später entwickelt [7]. Ein auffallender Geschlechterunterschied zeigt in allen Altersgruppen: Suizide werden häufiger von Männern verübt.
Im vorliegenden Kapitel werden depressive Störungen und Abhängigkeitserkrankungen näher betrachtet, auch weil sie einen großen Anteil am Fehlzeitengeschehen bei Männern haben. Außerdem wird das Burn-Out-Syndrom erläutert, da es zunehmend im Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit steht und bei Männern und Frauen eine deutliche Zunahme der Krankheitstage zu verzeichnen ist. Im Sinne einer Abhängigkeitsstörung wird neben der Alkohol-, Drogen- und Tabakabhängigkeit auf die Glücksspielsucht eingegangen. Dieser exzessiven Verhaltensform wird zunehmend mehr Aufmerksamkeit durch die Öffentlichkeit zuteil, und die zur Verfügung stehenden Daten zeigen, dass Männer ein höheres Risiko haben als Frauen, die Diagnose pathologisches Glücksspiel zu erhalten [8]. Die Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung wird vorgestellt, da Jungen dreimal häufiger als Mädchen betroffen sind [9]. Abschließend wird auf Auffälligkeiten oder Störungen des Essverhaltens eingegangen. Diese treten zwar vor allem bei Frauen in der Adoleszenz bzw. im frühen Erwachsenenalter auf, jedoch zeigen einige Daten, dass es in jüngeren Kohorten zu einem Anstieg der Raten z.B. bei Anorexia und Bulimia nervosa bei jungen Männern gekommen ist [10].
Aktuelle Daten zur Verbreitung psychischer Störungen in der Bevölkerung liefert die »Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland« (DEGS1) des Robert Koch-Instituts und deren Modulstudie »Zusatzuntersuchung psychische Gesundheit« (siehe www.degs-studie.de), deren Auswertungen für den Zeitraum 2012 bis 2014 vorgesehen sind. Weiterhin bieten die Daten der gesetzlichen Krankenkassen, die Krankenhausdiagnosestatistiken und amtliche Statistiken Auskunft über die Verbreitung psychischer Störungen.
2.5.1 Depressive Störungen
Der Sammelbegriff der affektiven Störungen (ICD-10: F30 bis F39) steht für verschiedene Formen depressiver und so genannter manischer bzw. manisch-depressiver Störungen, auch bipolare Störungen genannt. Zu den häufigsten affektiven Störungen zählt die depressive Episode (ICD-10: F32). Sie ist durch das mindestens zwei Wochen lange Andauern der depressiven Hauptsymptome, u.a. depressive Stimmung, Niedergeschlagenheit, Verlust von Interesse und Energie sowie einer deutlichen Veränderung gegenüber dem normalen Befinden, gekennzeichnet [11]. Zusätzliche Kriterien sind z.B. Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Verlust des Selbstwertgefühls sowie Suizidgedanken. Depressive Störungen verlaufen meist episodisch mit einem phasenhaften Auftreten einer depressiven Symptomatik im Wechsel mit längeren symptomfreien Zeiten. Der Beginn einer depressiven Episode kann akut (innerhalb von Tagen oder wenigen Wochen), subakut (innerhalb von Wochen bzw. Monaten) oder schleichend sein [11].
Von Rutz und Kollegen [12] wurde Mitte der 1990er Jahre erstmals das Konzept der männlichen Depression diskutiert, wonach Männer eine andere depressive Symptomatik aufweisen als Frauen. Diese umfasst Ärgerattacken, Feindseligkeit, gesteigerten Alkoholkonsum, eine Kombination aus Irritabilität, Aggressivität und antisozialem Verhalten. Dem Krisenerleben wird oft mit Suchtverhalten begegnet: exzessiver Alkohol- und Drogenkonsum, Arbeitssucht und Spielsucht gelten als Kompensation [13], auch im Sinne einer Selbstmedikation [14, 15].
Aktuelle Zahlen zu psychischen Störungen bei Männern ermöglichen die ersten Auswertungen aus DEGS1, wonach 7,8% der Männer im Alter von 18 bis 79 Jahren eine Lebenszeitprävalenz für eine diagnostizierte Depression haben (Frauen 15,4%). Innerhalb der 12 Monate vor der Befragung wurde bei 3,8% der Männer (8,1% der Frauen) eine Depression diagnostiziert [16].
Bei Männern und Frauen in stationärer Behandlung zeigen sich keine Unterschiede hinsichtlich der depressiven Syndrome [17]. Lediglich die selbst eingeschätzte Hoffnungslosigkeit ist bei Männern in diesem Kontext stärker ausgeprägt.
Verschiedene individuelle und soziale Faktoren sind für die Entstehung depressiver Störungen ursächlich. Für Männer und Frauen gleichermaßen steht die Lebensform (getrennt lebend, geschieden, verwitwet) in Zusammenhang mit dieser Störung [18] (siehe dazu Kapitel 5 Lebensformen und Gesundheit). Arbeitslosigkeit erhöht insbesondere bei Männern das Risiko für depressive Störungen und Dysthymie (chronische, depressive Verstimmung) [18, 19]. Zu beachten ist, dass auch Arbeit eine Quelle für psychosoziale Belastungen sein kann, die wiederum in depressiven Störungen münden können (siehe Kapitel 4 Arbeit und Gesundheit).
Eine der diskutierten Erklärungsmöglichkeiten für die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei Depression bezieht sich auf die bisher zur Verfügung stehenden Screeninginstrumente und die diagnostischen Kriterien: Gegenüber männlicher depressiver Symptomatik sind sie nicht sensitiv genug bzw. kommen bestimmte Symptome, wie z.B. Ärgerattacken, in den diagnostischen Kriterien der Klassifikationssysteme nicht vor [20]. In der Folge kommt es zu einer Unterdiagnostizierung der Depression bei Männern. Als weitere Erklärungen des Geschlechterunterschieds werden ein anders geartetes Hilfesuchverhalten von Männern, aber auch ein möglicher Verzerrungseffekt (Gender Bias) in der Diagnostik gesehen. Das bedeutet, dass Männer z.B. aufgrund der anderen Symptomatik und einer dysfunktionalen Stressverarbeitung (z.B. erhöhter Alkoholkonsum) nicht als depressiv erkannt werden [21]. Somit ist der Zugang zu professioneller Hilfe für depressive Männer erschwert und dem Ausmaß ihrer Hilfebedürftigkeit meist nicht angemessen [20]. Häufig ist die allgemeinmedizinische Praxis die erste Anlaufstelle bei einer Erkrankung. Untersuchungen belegen, dass Depressionen, vor allem bei jüngeren Männern, in der Allgemeinarztpraxis weniger häufig erkannt werden [22]. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass Männer mit einer Depression seltener als Frauen in Kontakt mit einer Einrichtung des Gesundheitswesens stehen [23].
Daneben beeinflussen auch individuelle und soziale Faktoren die Entscheidung, Hilfe in Anspruch zu nehmen. So ist z.B. das Äußern von Beschwerden für viele Männer mit ihrem Rollenverständnis nicht vereinbar, da sie einen Verlust von Ansehen, Autonomie und Männlichkeit befürchten [14, 24].
2.5.1.1 Burnout
Zunehmend wird der Begriff »Burnout« (Ausgebranntsein) in der öffentlichen Diskussion verwendet. Allerdings ist das Burn-Out-Syndrom derzeit weder als ein eigenständiges Krankheitsbild anerkannt, noch wird eine einheitliche Definition dafür verwendet [25 bis 28]. Das Burn-Out-Syndrom wird als ein emotionaler Erschöpfungszustand definiert, der in Zusammenhang mit chronischem (Arbeits-)Stress bzw. mit der Überforderung innerhalb von Arbeitsprozessen, ursprünglich im Kontext helfender Berufe, steht. Gegenwärtig ist davon auszugehen, dass sich in vielen Fällen hinter dem Burn-Out-Syndrom eine depressive Störung mit allen Krankheitszeichen für diese Diagnose verbirgt [27], bzw. die Symptome des Burn-Out-Syndroms als Risikofaktoren für depressive Störungen gesehen werden können [29]. Die Neigung zur Verleugnung des negativen Empfindens, zu teilweisem sozialen Rückzug und überhöhten Erwartungen (an unterschiedliche Wirkungsfelder, z.B. die eigene Person, den Beruf etc.) werden als männerspezifische Aspekte des Burn-Out-Syndroms diskutiert, die durch geschlechtsspezifische Rollenbilder und -muster geprägt sein können [30].
Angaben zur Häufigkeit des Burn-Out-Syndroms sind aufgrund der fehlenden einheitlichen Definitionskriterien oder Messinstrumente schwierig und die Zahlen variieren entsprechend [26, 31]. In DEGS1 wurde die Prävalenz des ärztlich diagnostizierten Burn-Out-Syndroms in der deutschen Bevölkerung erfasst. Danach berichten 3,3% der Männer (Frauen: 5,2%) jemals davon betroffen gewesen zu sein [32, 33]. Dies traf in den vergangenen 12 Monaten vor der Befragung für 1,1% der Männer zu.
Zwar gibt es für das Burn-Out-Syndrom keine eigenständige ICD-Klassifikation, jedoch wird zunehmend der ICD-Zusatz Z73.0 »Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung « angegeben. Für diese Diagnose ist ein deutlicher Anstieg bei den Krankheitstagen zu erkennen. Waren es im Jahr 2004 bei männlichen BKK-Versicherten (ohne Rentner) noch 3,5 Arbeitsunfähigkeitstage (AU-Tage) je 1.000 BKK Mitglieder, sind es 2011 bereits 68,4 AU-Tage (Frauen 2004: 6,0 Tage; 2011: 110,3 Tage) [34]. Damit sind Männer im Vergleich zu Frauen weniger häufig betroffen [35], aber auch bei ihnen ist die Zunahme klar zu erkennen. Besonders häufig ist das Burn-Out-Syndrom bei Personen in erzieherischen, therapeutischen sowie service- und leistungsorientierten Berufen [30, 35].
Als Folgen des Burn-Out-Syndroms gelten lange Krankheitszeiten, verminderte Erwerbsfähigkeit, Arbeitslosigkeit und Frühberentung [36]. Studien belegen einen Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastungen und kardiovaskulären Erkrankungen bei Männern [37]. Inzwischen konnte plausibel dargestellt werden, dass das Burn-Out- Syndrom auch als Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen bei Männern zu sehen ist [31, 38].
2.5.1.2 Suizid
Das Risiko für einen Suizid ist für Personen mit depressiven Störungen besonders hoch: Etwa 3 bis 4% aller depressiv Kranken versterben durch Suizid [39]. Schätzungsweise 65 bis 90% aller Suizide werden durch psychische Störungen verursacht [40]. In Deutschland wurden im Jahr 2012 insgesamt 7.287 Sterbefälle durch Suizid (ICD-10: X60 bis X84) bei Männern erfasst (Frauen: 2.603 Sterbefälle) (siehe Abbildung 2.5.1) [41]. Damit sind Suizide bei Männern deutlich häufiger als bei Frauen.
Bei der geschlechtsspezifischen Betrachtung zeigt sich, dass Männer häufiger andere Suizidtechniken als Frauen anwenden [14, 42]. Nach der Klassifikation von Bochnik [43] werden »harte« und »weiche« Methoden des Suizids unterschieden. Zu den »harten« Methoden, die häufiger von Männern gewählt werden, zählen z.B. Erhängen, das Einatmen von Abgas, sich vor ein sich bewegendes Objekt (z.B. Zug) werfen oder legen und Erschießen. Vorsätzliche Selbstvergiftung durch Tabletten und Drogen werden den »weichen« Suizidmethoden zugeordnet, die häufiger von Frauen angewendet werden. Hierin könnte auch eine Ursache für die Unterschiede in der Zahl der Suizide liegen. Da Frauen die weniger letalen Methoden anwenden, überleben sie häufiger [44, 45]. Es wird außerdem diskutiert, dass die Wahl der Suizidmethode durch die Geschlechterrolle beeinflusst werden kann und ein vollendeter Suizid in diesem Sinne als Ausdruck von Männlichkeit gilt [14].
Bei Männern sind die Suizidraten mit dem Alter erheblich erhöht (siehe Abbildung 2.5.1). Statistisch betrachtet sinkt die Anzahl der Suizidversuche im Alter, die Zahl der vollzogenen Suizide hingegen steigt und ist, auch weltweit, in der Altersgruppe über 75 Jahre am höchsten [46, 47].
Als mögliche Risiken für Suizide im höheren Alter werden der Renteneintritt und Verwitwung diskutiert [45]: So können für Männer mit dem Beginn der Rente mögliche Verluste von Sozialkontakten und der Verlust einer Quelle für ein gestärktes Selbstwertgefühl (Ernährerrolle) eine Rolle spielen. Witwer sind ebenfalls häufig in diesen Altersgruppen zu finden. Verheiratet zu sein gilt sowohl für Männer als auch für Frauen als Schutzfaktor für psychische Störungen, der Verlust der Bezugsperson scheint für Männer jedoch belastender zu sein [45].
Einige Studien können zeigen, dass unter homo- und bisexuellen Männern im Vergleich zu heterosexuellen ein erhöhtes Risiko für Suizidversuche besteht [48, 49]. Dies zeigt sich auch für die Suizidrate [50]. Als Risikofaktoren für Suizidalität (im Zusammenhang mit psychischen Störungen) werden in dieser Personengruppe z.B. fehlende soziale Unterstützung, diskriminierende Erfahrungen oder der HIV-Status diskutiert.
Abbildung 2.5.1

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Es existieren verschiedene Theorien zur Erklärung suizidalen Verhaltens. Grundsätzlich lassen sich soziologische bzw. gruppentheoretische von psychologischen bzw. individualtheoretischen Erklärungsmodellen unterscheiden. Erstere gehen von gesellschaftlichen Faktoren als Auslöser für eine Beziehungsstörung zwischen Individuum und Gesellschaft aus, letztere machen individuelle Faktoren verantwortlich. Wichtig ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass Suizid ein multifaktorielles Geschehen ist, bei dem sowohl individuelle als auch gesellschaftliche Faktoren eine Rolle spielen. Um dem Erfordernis einer geschlechterdifferenzierten Herangehensweise in der Suizidprävention stärker gerecht zu werden, existiert im Nationalen Suizid-Präventionsprogramm für Deutschland (NaSPro, www.suizidpraevention-deutschland.de/) eine zentrale Arbeitsgruppe »Gender Mainstreaming« zur Unterstützung der einzelnen gruppen- und themenspezifischen Arbeitsgruppen. Alle Arbeitsgruppen des NaSPro haben konstitutionell die Aufgabe, geschlechtsspezifische Aspekte in ihrer Arbeit zu berücksichtigen und bei Bedarf die Arbeitsgruppe »Gender Mainstreaming« hinzuzuziehen.
2.5.2 Abhängigkeit
Nach der ICD-10 werden dem Abhängigkeitssyndrom (F1x.2) eine Gruppe von Verhaltens-, kognitiven und körperlichen Phänomenen zugeschrieben, die sich nach wiederholtem Substanzgebrauch entwickeln. Typisch sind dabei der starke Wunsch, die Substanz einzunehmen, Schwierigkeiten, den Konsum zu kontrollieren und ein anhaltender Substanzgebrauch trotz schädlicher Folgen. In der Folge wird dem Substanzgebrauch Vorrang vor anderen Aktivitäten und Verpflichtungen gegeben. Es entwickelt sich eine Toleranzerhöhung und manchmal ein körperliches Entzugssyndrom. Dabei kann sich das Abhängigkeitssyndrom auf einen einzelnen Stoff beziehen (z.B. Alkohol), auf eine Substanzgruppe (z.B. opiatähnliche Substanzen), oder auch auf ein weites Spektrum pharmakologisch unterschiedlicher Substanzen. Im DSM-IV wird Abhängigkeit bei Erfüllung von mindestens drei der Kriterien: Toleranzentwicklung, Entzugssymptome, Konsum länger oder in größeren Mengen als beabsichtigt, Kontrollminderung, hoher Zeitaufwand für Beschaffung, Konsum oder Erholung, Einschränkung wichtiger Tätigkeiten und fortgesetzter Konsum trotz schädlicher Folgen definiert [51]. In der fünften Ausgabe des Klassifikationssystems DSM wird die bis dahin vorgenommene Unterscheidung zwischen Missbrauch (Substance Abuse) und Abhängigkeit (Substance Dependence) zugunsten der Kriterien einer Substanzgebrauchsstörung aufgegeben, bei der unterschiedliche Ausprägungsgrade der Störung bestimmt werden (erfüllt, moderat, schwer) [52].
2.5.2.1 Alkoholabhängigkeit
Werden zunächst die Daten zur Einschätzung des Alkoholkonsums der Bevölkerung betrachtet, zeigt sich, dass Männer häufiger riskant trinken als Frauen (riskanter Konsum: > 24g Reinalkohol pro Tag für Männer, 12g für Frauen) und das Risiko für Rauschtrinken bei Männern zwischen dreiund fünfmal höher liegt als bei Frauen (5 oder mehr alkoholische Getränke zu einer Trinkgelegenheit) [53]. Der Anteil der Männer, der nie Alkohol konsumiert, ist eher gering (12,9% im Vergleich zu 24,8% der Frauen) [54]. Bereits bei Jugendlichen sind diese Unterschiede im Konsummuster erkennbar (siehe Kapitel 3.4 Alkohol). Auch werden unterschiedliche Präferenzen für alkoholische Getränke deutlich: Jungen trinken mehr Bier, Biermixgetränke und Schnaps, Mädchen trinken neben Bier vor allem Wein oder Sekt [55]. Diese Unterschiede setzen sich im Erwachsenenalter fort [56].
Die Abhängigkeit von Alkohol entwickelt sich über einen längeren Zeitraum aus der Kombination aus langzeitig erhöhtem Alkoholkonsum, individueller genetischer Disposition und Vulnerabilität (Anfälligkeit). Von einer Alkoholabhängigkeit (ICD-10: F10.2) sind deutlich mehr Männer als Frauen betroffen: das Verhältnis Männer zu Frauen beträgt ungefähr 4:1 [57]. Bei Männern im Alter zwischen 20 und 40 Jahren ist das Risiko, eine Sucht zu entwickeln, am höchsten [58].
Die Alkoholabhängigkeit steht in engem Zusammenhang mit dem männlichem Rollenverständnis [59]: Der Konsum von Alkohol wird als Bewältigungsstrategie gesehen, oftmals bei Männern, die einer sehr maskulinen Geschlechtsrolle verhaftet sind. Es gilt: Je mehr man trinken kann, umso härter, stärker, ausdauernder und demzufolge männlicher ist man. Als weitere männerspezifische Ursachen werden Rollenzwänge diskutiert, aber auch Konsum von Alkohol als Ersatz für blockierte Gefühlswahrnehmungen oder als Mittel, um Konflikte zu regulieren [60].
Angaben zur Häufigkeit von Alkoholabhängigkeit in der Bevölkerung können für Deutschland nur geschätzt werden. Dazu stehen verschiedene Datenquellen zur Verfügung: der Epidemiologische Suchtsurvey des Instituts für Therapieforschung (IFT), die Krankenhausdiagnosestatistik und die Deutsche Suchthilfestatistik. Eine klinische Störung in Zusammenhang mit Alkohol (Missbrauch und Abhängigkeit) wurde nach Daten des Epidemiologischen Suchtsurveys 2012 bei 6,5% der Bevölkerung (18 bis 64 Jahre) diagnostiziert, als abhängig galten 4,8% der Männer (2,0% der Frauen) [53].
Nach der Krankenhausdiagnosestatistik wurden bei Männern im Jahr 2012 insgesamt 103.934 Behandlungsfälle aufgrund einer Alkoholabhängigkeit (ICD-10: F10.2) gezählt (bei Frauen 38.611 Fälle) (siehe Abbildung 2.5.2). Für Männer war der häufigste Einzelgrund für eine stationäre Behandlung aufgrund einer »Psychischen und Verhaltensstörung durch Alkohol« (ICD-10: F10). Auch wenn die Daten der Krankenhausdiagnosestatistik nur ein eingeschränktes Gesamtbild der Alkoholabhängigkeit wiedergeben, zeigen sie die Problematik, dass deutlich mehr Männer betroffen sind.
Die Daten der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) geben einen Einblick in das deutsche Suchthilfesystem. In der DSHS werden die Angaben aller teilnehmenden ambulanten und stationären Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe und der Klienten zusammengefasst. Für das Jahr 2012 waren das Angaben aus 794 ambulanten (z.B. Beratungsstellen, Fachambulanzen) und 198 stationären (z.B. teilstationäre Rehabilitationseinrichtungen) Einrichtungen. Bei der Hauptdiagnose Alkohol zeigt sich dabei insgesamt ein Verhältnis Männer zu Frauen von 2,6:1. Alkoholabhängigkeit war bei Männern und bei Frauen die häufigste Hauptdiagnose, sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich: Männer 51,4% bzw. 73,1%, Frauen: 58,9% bzw. 78,7% [62]. Auch in der Suchthilfestatistik zeigt sich bei der Hauptdiagnose Alkohol eine ähnliche Verteilung der Altersstruktur wie in der Krankenhausdiagnosestatistik (vgl. Abbildungen 2.5.2 und 2.5.3). Wie die Auswertungen der Suchthilfestatistik außerdem verdeutlichen, sind Personen mit einer primären Alkoholabhängigkeit auch sehr häufig von einer tabak- und cannabisbezogenen Störung betroffen [62].
Abbildung 2.5.2

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Bereits der riskante Konsum von Alkohol wird mit der Entstehung von Krankheiten wie koronare Herzkrankheiten, Krebs, neuropsychiatrischen Erkrankungen und Lebererkrankungen assoziiert [63] Ein Zusammenhang kann daher auch für Alkoholabhängigkeit angenommen werden. Besonders für neuropsychiatrische Erkrankungen werden geschlechtsspezifische Unterschiede sichtbar: Bei Männern sind 30% der Erkrankungen durch Alkohol bedingt (7% bei Frauen) [64]. Der Anteil der Krebserkrankungen, die auf den riskanten Konsum von Alkohol zurückzuführen sind, wird für Männer auf 18,5% (Frauen 4,6%) geschätzt [65]. Zudem ist das Risiko, einen Suizid zu begehen, unter Alkoholabhängigen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ebenfalls erhöht [66].
Zu den sozialen Folgen der Alkoholabhängigkeit zählen neben beeinträchtigten familiären Beziehungen Probleme am Arbeitsplatz, Arbeitsunfähigkeit, Unfälle, Aggressivität und Gewalt [64]. Häufig finden unter Alkoholeinfluss Aggressionsdelikte wie Körperverletzung oder Sachbeschädigung statt. Die Alkoholabhängigkeit geht mit einer erhöhten Kriminalitätsbelastung einher: Viele Alkoholabhängige sind durch Vorstrafen belastet. Insgesamt werden etwa 7% aller Straftaten unter Alkoholeinfluss verübt [67].
2.5.2.2 Drogenabhängigkeit
Die Abhängigkeit von Drogen birgt ein hohes Risiko für soziale Desintegration und Gesundheitsgefährdung [68]. Symptome der physischen und psychischen Abhängigkeit entstehen beim Konsum illegaler Drogen meist schneller und stärker als z.B. bei Alkohol. Drogenkonsum ist zudem häufig mit Straftaten, insbesondere mit Beschaffungskriminalität assoziiert [63]. Cannabis, Opioide (z.B. Heroin), synthetische Aufputschmittel (z.B. Amphetamine) und Kokain zählen zu den illegalen Drogen, die am häufigsten konsumiert werden [63].
Angaben darüber, wie viele Personen als von Drogen abhängig gelten (ICD-10: Abhängigkeitssyndrom nach Substanzklassen: F11.2 Opioide, F12.2 Cannabinoide, F14.2 Kokain, F15.2 Stimulanzien etc.), sind in Deutschland vor allem der Deutschen Suchthilfestatistik (s.o.) und Studien wie dem Epidemiologischen Suchtsurvey zu entnehmen. Der Epidemiologische Suchtsurvey untersucht den Konsum und Missbrauch von psychoaktiven Substanzen in der deutschen Allgemeinbevölkerung. Die Schwierigkeiten, Daten zum Gebrauch und zur Abhängigkeit von Drogen zu erheben, sind vor allem in der Illegalität dieses Verhaltens und der erschwerten Erreichbarkeit von abhängigen Personen begründet [68].
Nach Ergebnissen des Epidemiologischen Suchtsurveys aus dem Jahr 2012 gelten, im Sinne der angewandten DSM-IV-Kriterien im Zusammenhang mit dem Gebrauch von Cannabis, Amphetaminen und Kokain, 0,8% der Männer als abhängig von Cannabis, 0,3% als abhängig von Kokain und 0,2% von Amphetaminen [53] (zum Gebrauch illegaler Drogen siehe Kapitel 3.5). Die DSHS zeigt, dass bei den illegalen Drogen (Opioide, Cannabis, Kokain, Stimulanzien) männliche Klienten deutlich dominieren und je nach Substanzgruppe zwischen 72% und 87% der Behandlungsfälle ausmachen. Demgegenüber ist der Anteil der Männer in der Therapie von Beruhigungs- und Schlafmittelabhängigkeiten geringer als der von Frauen [62].
Die DSHS erlaubt auch Einschätzungen zur Bedeutung der einzelnen Substanzen, die als Hauptdiagnosen für Maßnahmen im Suchtbereich ursächlich sind. Dabei zeigt sich im Altersgang eine deutliche Verschiebung im Diagnosespektrum. Die Bedeutung des Alkohols als Hauptdiagnose bei Männern in der Suchthilfe nimmt mit dem Alter deutlich zu: im ambulanten Suchthilfebereich von 20,3% bei den unter 20-jährigen Männern auf 84,6% bei den 65-jährigen und älteren Männern (im stationären Suchthilfebereich von 18,3% auf 92,0%). Entsprechend nimmt die Bedeutung anderer psychotroper Substanzen mit zunehmendem Alter deutlich ab (siehe Abbildungen 2.5.3 und 2.5.4). Weiterhin zeigt sich eine Verschiebung von den Cannabinoiden zu den Opioiden als dominierenden Hauptdiagnosen mit dem Alter. Machen die Cannabinoide bei den unter 20-jährigen Männern in der ambulanten Suchthilfe noch 47,1% aller im Jahr 2012 erfassten Behandlungsfälle aus (stationär: 39,5%), sinkt dieser Anteil bei den 35- bis 39-Jährigen auf 7,0% (stationär: 3,7%). Demgegenüber erreichen die Opioide ihren höchsten Anteilswert mit 28,3% bei den 35- bis 39-jahrigen Mannern (stationar: 13,4%). Im stationären Bereich weist die Altersgruppe der 30- bis 34-jahrigen Männer mit 15,9% den höchsten Anteilswert bei den Opioiden auf.
Abbildung 2.5.3

Abbildung 2.5.4

2.5.2.3 Tabakabhängigkeit
Tabakabhängigkeit (ICD-10: F17.2) zählt weltweit zu der am weitesten verbreiteten Substanzstörung. Jährlich sterben zwischen 100.000 und 120.000 Menschen in Deutschland an den Folgen des Tabakkonsums [71]. Zu den ungefähr 4.000 verschiedenen Inhaltsstoffen, die in Tabak enthalten sind, zählt auch Nikotin [72], welches eine suchterzeugende Wirkung hat, die zu körperlicher und psychischer Abhängigkeit führt. Die Suchtsymptomatik ist charakterisiert durch den starken Wunsch bzw. Drang zu rauchen und den hohen bzw. gesteigerten Konsum von Tabak [73]. Weiterhin entwickeln sich eine Toleranzerhöhung und ein körperliches Entzugssyndrom.
Nach einer regionalen, norddeutschen Studie lag die Lebenszeitprävalenz für Tabakabhängigkeit (erfasst durch den Fagerström Test für Nikotinabhängigkeit) Mitte der 1990er Jahre für 18- bis 64-jährige Männer bei 24,2% (Frauen 17,7%) [74]. Die Daten des Epidemiologischen Suchtsurvey 2012 weisen für die gleiche Altersgruppe eine aktuelle Abhängigkeit (12-Monats-Prävalenz) nach den Kriterien des DSM-IV von 12,5% bei Männern (9,0% bei Frauen) [53] aus. Zur ausführlichen Darstellung des Tabakkonsums siehe Kapitel 3.3. Rauchen.
2.5.2.4 Glücksspielsucht und pathologischer Internet- und Computerspielgebrauch
Diese Form der Verhaltenssucht bezeichnet die missbräuchliche Nutzung des Glücksspiels, z.B. an Geldspielautomaten und bei Online-Spielen. Bei der Glücksspielsucht ist zwischen Gebrauch, Missbrauch und Abhängigkeit [75] und somit zwischen problematischem und pathologischem Spielverhalten [76] zu unterscheiden. Das pathologische Spielverhalten (ICD-10: F63.0) ist durch häufiges und wiederholtes episodenhaftes Glücksspiel gekennzeichnet, das die Lebensführung der Betroffenen beherrscht und zum Verfall der sozialen, beruflichen, materiellen und familiären Werte und Verpflichtungen führt.
Nach den Daten der vierten bundesweiten Repräsentativbefragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) aus dem Jahr 2013 sind in Deutschland 1,2% der Männer im Alter von 16 bis 65 Jahren von problematischem und 1,3% von pathologischem Spielverhalten betroffen. Die Anteile bei den Frauen liegen bei 0,2% (problematisch) bzw. 0,3% (pathologisch) [77]. Die Quote der problematischen oder pathologischen Glücksspieler war damit bei Männern ca. fünf Mal größer als bei Frauen. Daneben erhöhen Migrationshintergrund und Arbeitslosigkeit das Risiko für problematisches Spielverhalten [78]. Die Befragung zeigte außerdem, dass die Wahrscheinlichkeit pathologischen oder problematischen Glücksspielens mit steigendem Alter zurückgeht.
Die Deutsche Suchthilfestatistik für das Jahr 2012 zeigt, dass bei Personen mit der Diagnose »pathologisches Spielen« (F63.0) das Geschlechterverhältnis (Männer zu Frauen) in ambulanten Einrichtungen ca. 8:1, in stationären 9:1 beträgt [62]. Insgesamt liegt der Anteil Betreuungen bzw. Behandlungen aufgrund pathologischen Spielverhaltens als Hauptdiagnose in ambulanten Einrichtungen für Männer bei 7,1% (2,8% Frauen), stationär bei 3,8% (Frauen 1,2%) [62]. Damit sind deutlich mehr Männer als Frauen von pathologischem Glücksspiel betroffen [62, 79, 80]. Bei Männern dauert es im Vergleich zu Frauen jedoch länger bis o.g. spielbezogene Probleme auftreten; der Zeitraum zwischen Beginn des Glücksspielens und der Ausbildung der Verhaltenssucht ist größer als bei Frauen [81, 82]. Männer sind häufig jünger als Frauen, wenn sie mit dem Glücksspiel beginnen [83]. Spieler bevorzugen Glücksspiele mit hohem Einsatz, z.B. Kartenspiele, Sport- und Pferdewetten; und sind damit auf der Suche nach aufregenden Erlebnissen (sensation seeking). Bei pathologischen Spielern wird ein starkes Eingenommensein vom Spiel deutlich, ebenso wie die Bereitschaft Schulden zu machen bzw. hohe finanzielle Risiken einzugehen, um spielen zu können. Häufig gehen pathologische Spielerinnen der Sucht nach, weil sie damit Probleme und negative Gefühlszustände ausblenden wollen [83]. Es gibt Hinweise auf biologische Unterschiede dahingehend, dass aufgrund einer Variation an einem bestimmten Gen (Serotonin-Transporter-Gen) eine höhere Vulnerabilität für pathologisches Glücksspiel bei Männern auftritt [84]. In der Gruppe der Spieler sind sehr häufig Personen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit zu finden [79, 80].
Zu den Folgen der Glücksspielsucht zählen emotionale Belastungen sowie Konflikte innerhalb der Familie und am Arbeitsplatz [76]. Des Weiteren sind die Betroffenen sehr häufig hoch verschuldet: Daten aus der ambulanten Betreuung zeigen, dass viele pathologische Spieler hohe Schulden haben; lediglich 32,1% sind nicht verschuldet [85].
Im Sinne einer komorbiden Störung finden sich bei Personen mit pathologischem Spielverhalten häufig affektive und substanzbezogene Störungen, insbesondere Alkohol-, Tabak- und Cannabisabhängigkeit [62, 86] sowie Persönlichkeitsstörungen. Des Weiteren lässt sich eine erhöhte Prävalenz der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung bei dieser Personengruppe finden [87]. Die geschlechtsspezifischen Einflüsse auf pathologisches Glücksspiel und mögliche (psychische) Begleiterkrankungen müssen weiter untersucht werden, um die Chancen der Früherkennung und Behandlung zu erhöhen [88].
Seit einigen Jahren wird das Phänomen des pathologischen Computer- oder Internetgebrauchs beobachtet, dass durch exzessives Computerspielen bzw. Internetnutzung gekennzeichnet ist und bis zu einem Abhängigkeitsverhalten reichen kann. Aktuelle, vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte, Studien (Prävalenz der Internetabhängigkeit (PINTA) und Prävalenz der Internetabhängigkeit - Diagnostik und Risikoprofile (PINTA-DIARI)) weisen für die Gruppe der exzessiven Internetnutzer kaum Unterschiede zwischen Männern und Frauen aus [89, 90]. Allerdings unterscheiden sich Männer und Frauen bei den Abhängigkeitsmerkmalen: Abhängiges Computerspielen ist primär bei (jüngeren) Männern anzutreffen, abhängige Nutzung sozialer Netzwerke bei (jüngeren) Frauen. In der Studie »Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland« wurde im Jahr 2011 auch das Computerspielen und die Internetnutzung sowie das exzessive Computerspielen bzw. die exzessive Internetnutzung untersucht. Dabei zeigte sich, dass Offline-Computerspielen unter männlichen Jugendlichen weiter verbreitet ist als unter weiblichen [91].
Obwohl der pathologische Internetgebrauch und die Folgen immer wieder intensiv diskutiert wurden, lagen lange keine genau definierten Diagnosekriterien für die Internetabhängigkeit vor. Die American Psychiatric Association (APA) hat in der 5. Revision DSM Internet Gaming Disorder als ein eigenständiges Störungsbild aufgenommen, weitere Untersuchungen empfohlen und entsprechende Diagnosekriterien vorgeschlagen [52]. Auch existieren bereits Präventionsansätze und Maßnahmen zur Sensibilisierung gegenüber der Problematik des pathologischen Computeroder Internetgebrauchs [92].
2.5.3 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung
Zu den Hauptsymptomen der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zählen Unaufmerksamkeit, Impulsivität und motorische Unruhe (ICD-10: F90.-). Um eine Diagnose zu stellen, müssen die Symptome über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten auftreten, erstmals in einem Alter unter 7 Jahren sowie klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen in schulischen, sozialen oder beruflichen Bereichen einschließen. Erwachsene mit dieser Störung erleben im Altersverlauf einen Rückgang der motorischen Hyperaktivität, behalten aber eine innere Ruhelosigkeit bei [9]. Zudem sind psychische Belastungen durch ADHS bei vielen Betroffenen mit einer Abnahme der gesundheitsbezogenen Lebensqualität verbunden [93].
Jugendliche und Erwachsene mit ADHS zeigen insgesamt ein gesteigertes Risikoverhalten, sie haben ein hohes Risiko zu verunfallen und sie üben häufig Substanzmissbrauch aus [94]: Unter Erwachsenen mit ADHS liegt die Lebenszeitprävalenz für Substanzmissbrauch bei 52%.
Nach Daten des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) haben 7,9% der Jungen (1,8% der Mädchen) eine ärztlich bzw. von einem Psychologen/einer Psychologin diagnostizierte ADHS [95]. Der Geschlechtsunterschied besteht in allen untersuchten Altersgruppen (3 bis 17 Jahre). Im Erwachsenenalter wird von einer Prävalenz von 4,1% bei Männern (2,7% der Frauen) ausgegangen, wie Ergebnisse eines internationalen, länderübergreifenden Surveys zeigen [96].
Eine deutsche Studie berichtet eine deutlich erhöhte Prävalenz von ADHS unter inhaftierten Straftätern. Auf Basis der DSM-IV Diagnose waren 45,0% der inhaftierten Männer von ADHS betroffen (Frauen: 10,0%) [97, 98]. Es wird in diesem Zusammenhang jedoch darauf hingewiesen, dass sich diese hohen Zahlen aus dem möglichen Vorliegen einer Kombination von ADHS mit Störungen des Sozialverhaltens (Conduct Disorder (CD), DSM-IV 312.8) ergeben und nicht allein auf ADHS zurückgeführt werden können. Eine Typisierung dieser Kombination ist im DSM nicht enthalten. Beim Personenkreis Inhaftierter ist jedoch davon auszugehen, dass sie die diagnostischen Kriterien einer Conduct Disorder erfüllen, da diese fast vollständig illegale Verhaltensstile darstellen, die nach Strafgesetzbuch als Straftatbestände gelten [99]. Straftäter mit ADHS sind im Vergleich zu Straftätern ohne ADHS in jüngerem Alter straffällig geworden und sind häufiger Wiederholungstäter. Bei Personen mit ADHS und einer Störung des Sozialverhaltens in der Jugend besteht ein hohes Risiko für anhaltendes kriminelles Verhalten im Erwachsenenalter oder die Entwicklung einer antisozialen Persönlichkeitsstörung. Diese tritt, neben Abhängigkeitserkrankungen, häufig als komorbide Störung bei ADHS auf, insbesondere bei Männern [100]. Das unterstreicht den dringenden Bedarf psychiatrischer Betreuung im Strafvollzug [97].
Die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Diagnose ADHS können zum Teil durch einen Gender Bias in der Diagnostik erklärt werden, wonach die Behandelnden das Verhalten in Abhängigkeit des Geschlechts beurteilen [96]. Jungen wird danach häufiger eine diagnostische Abklärung hinsichtlich ADHS empfohlen. Mädchen werden meist zuerst aufgrund einer Depression behandelt, bevor die Diagnose ADHS gestellt wird. Auch scheint die Symptomatik bei weiblichen ADHS-Betroffenen von der männlichen abzuweichen, beispielsweise steht bei Frauen die motorische Unruhe nicht so sehr im Vordergrund wie Vergesslichkeit, Desorganisation, niedriger Selbstwert und emotionale Reaktivität [101].
Genauere Zahlen, wie viele Männer (und Frauen) in Deutschland von ADHS betroffen sind, können derzeit nicht berichtet werden. Es ist davon auszugehen, dass die Störung zuerst im Kindesalter auftritt, die Symptomatik sich im Jugendalter verändert, die Störung aber oftmals bis ins Erwachsenenalter aufrechterhalten bleibt.
2.5.4 Essstörungen
Essstörungen sind Verhaltensstörungen, die sich im Wesentlichen in drei Hauptformen unterscheiden lassen: Magersucht (Anorexia nervosa ICD-10: F50.0), Bulimie (Bulimia nervosa, ICD-10: F50.2) und Binge-Eating-Störung (wiederholte Episoden von Essanfällen ohne gewichtsregulatorische Maßnahmen, ICD-10: F50.9). Nicht alle Essstörungen lassen sich diesen Hauptformen zuordnen, zudem können die verschiedenen Formen ineinander übergehen. Das krankhaft veränderte Essverhalten kann dabei Ausdruck oder Lösungsversuch für seelische Probleme sein. Obwohl Essstörungen vor allem als weibliches Problem wahrgenommen werden, sind auch Männer betroffen. Die Prävalenz für Anorexia nervosa liegt in der Gesamtbevölkerung bei etwa 0,4%, für Bulimia nervosa bei etwa 1% [102]. Klinische und epidemiologische Studien finden ein Geschlechterverhältnis von 10:1 bei Anorexia nervosa und 4:1 für Bulimia nervosa zu Ungunsten der Frauen [103]. Die Binge-Eating-Störung zeigt eine 12-Monats-Prävalenz von 0,8% für Männer (1,6% für Frauen). Männer sind von dieser Essstörung häufiger betroffen als von anderen [102]. Es wird vermutet, dass es eine relativ hohe Dunkelziffer von essgestörten Männern gibt, auch mit leichteren Formen im Sinne gestörter Essmuster [104].
Die Entwicklung einer Essstörung ist sehr wahrscheinlich multifaktoriell bedingt. Es werden gesellschaftliche, familiäre, peerbezogene Risikofaktoren und bestimmte Persönlichkeitsmerkmale diskutiert [105]. Für die unterschiedliche Geschlechterverteilung werden neben soziokulturellen Ursachen vor allem genetische oder biologische Prozesse angenommen, wie die bei Jungen später einsetzende Pubertät. Gefahr für Männer, eine Essstörung zu entwickeln, scheint vor allem dort zu bestehen, wo der Körper, das Gewicht, die Figur und/oder die Leistung von übergeordneter Bedeutung sind, z.B. bei bestimmten Sportarten, wie Ringen, Bodybuilding, Reiten, Skispringen. Zudem kann ein Zusammenhang von sexuellen Missbrauchserfahrungen in der Kindheit und der Entwicklung einer Essstörung, insbesondere Bulimia nervosa, belegt werden [106]. In der Manifestation von Essstörungen und in ihrem Verlauf zeigen sich keine wesentlichen geschlechtsspezifischen Unterschiede. Psychiatrische Begleiterkrankungen (affektive Störungen, Substanzmissbrauch, -abhängigkeit) werden bei von Essstörungen betroffenen Männern mit 60 bis 80% angegeben [103].
Erste Anzeichen für eine Essstörung entwickeln sich meist im Übergang von der Kindheit zum Erwachsensein (Adoleszenz), wobei während der Geschlechtsreifung (Pubertät) die Gefahr besonders groß ist, eine Krankheit zu entwickeln. In dieser Entwicklungsetappe steht das männliche Schönheitsideal eines athletischen, muskulösen Körpers oftmals im Gegensatz zur Selbstwahrnehmung des sich verändernden eigenen Körpers. Körperunzufriedenheit und der Wunsch nach Körperveränderung, mit dem Ziel der Zunahme an Muskelmasse oder Gewichtsregulierung [107], können dazu führen, dass (junge) Männer restriktiv essen, exzessiv Sport treiben oder Substanzmissbrauch betreiben. Nach den Daten von KiGGS berichteten 17,8% der 11- bis 13-jährigen und 13,5% der 14- bis 17-jährigen Jungen Symptome von Essstörungen [108].
Essstörungen werden in der Öffentlichkeit als weibliches Problem assoziiert. Männliche Betroffene verkennen oder verleugnen daher häufig Symptome und willigen folglich seltener als Frauen in eine Behandlung ein [104, 109]. Für eine zielgruppenspezifische Aufklärung und Präventionsmaßnahmen besteht derzeit noch Potenzial [103]. Trotz vieler Ähnlichkeiten in der Symptomatik sprechen die vorliegenden Ergebnisse außerdem für geschlechtsspezifische Therapiekonzepte [104]. Diese werden bislang nur vereinzelt angeboten, so z.B. reine Männergruppen in Kliniken, die auf die Behandlung von Essstörungen spezialisiert sind [104].
2.5.5 Folgen psychischer Störungen
Entgegen dem allgemeinen Trend der Abnahme von Arbeitsunfähigkeitstagen in den meisten Krankheitsgruppen (z.B. Muskel- und Skeletterkrankungen), nahmen Krankschreibungen aufgrund psychischer Störungen bei Männern und Frauen in den letzten Jahren deutlich zu [110 bis 112]. Die Auswertungen von Krankenkassendaten verdeutlichen, dass die durchschnittliche Krankschreibung aufgrund einer psychischen Störung zwischen drei und fünf Wochen liegt [113 bis 117] und daher mit die längsten Fehlzeiten verursacht.
Für die Diagnosegruppe psychische Störungen ist der Anteil der Männer an den Krankgeschriebenen geringer als der der Frauen [118]. Werden die Einzeldiagnosen betrachtet, ist Arbeitsunfähigkeit durch alkoholbezogene Störungen bei Männern häufiger als bei Frauen. Bei Frauen sind depressive Episoden und Reaktionen auf schwere Belastungen häufigste Einzeldiagnosen der Arbeitsunfähigkeit [113, 119]. Trotz der insgesamt geringeren Zahl von Arbeitsunfähigkeitsfällen aufgrund psychischer Störungen bei Männern, liegt die mittlere Arbeitsunfähigkeitsdauer aufgrund dieser Diagnosen häufig über der von Frauen [114, 117, 118, 120]. Dies kann auf Unterschiede in den höheren Altersgruppen zurückzuführen sein, denn die Dauer der Erkrankung liegt bei 40-jährigen und älteren erwerbstätigen Männern über der von Frauen [118].
Zu den weiteren, langfristigen Folgen von psychischen Störungen zählt die vorzeitige Berentung. Während die Zahl der Erwerbsminderungsrenten wegen Herz-Kreislauf- und muskuloskelettaler Erkrankungen abnimmt, steigt sie bei Männern (und Frauen) aufgrund psychischer Störungen (siehe Abbildung 2.5.5). Im Jahr 2012 wurden über 32.500 Männer (und ca. 42.000 Frauen) wegen einer psychischen und Verhaltensstörung früh berentet [121]; dabei am häufigsten wegen depressiver Störungen (ICD-10: F30 bis F39: 34,2%) oder einer psychischen und Verhaltensstörung durch Alkohol (ICD-10: F10.2: 17,1%). Bis zum Erreichen des 50. Lebensjahrs werden Männer aufgrund einer psychischen Störung durchschnittlich zwei Jahre früher berentet als Frauen [122]. Danach nähern sich Frauen dem Berentungsalter der Männer an. Zu begründen ist dies u.a. darin, dass Männer mit der Diagnose Schizophrenie bereits sehr früh eine Erwerbsminderungsrente erhalten; bis zum 40. Lebensjahr sind bereits 50% der Erkrankten frühberentet [122]. Das Berentungsalter von Frauen mit der Diagnose Schizophrenie ist höher als das der Männer, was mit dem späteren Einsetzen der Krankheit bei Frauen zusammenhängt.
Abbildung 2.5.5

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Hinsichtlich der sozialen Lage konnte gezeigt werden, dass Männer mit einer niedrigen beruflichen Qualifikation ein vielfach höheres Risiko für eine Erwerbsminderungsrente aufgrund psychischer Störungen aufweisen im Vergleich zu Männern mit hoher Qualifikation [123]. Die Frühberentungen in den Diagnosegruppen der muskuloskelettalen und der Herz-Kreislauf-Erkrankungen zeigen jedoch noch größere Unterschiede hinsichtlich der beruflichen Qualifikationen.
2.5.6 Diskussion
In nahezu allen Lebensphasen werden psychische Störungen häufiger bei Frauen als bei Männern diagnostiziert. Die Gründe hierfür sind unterschiedlich, auch je nach Art der psychischen Störung. Biologische Erklärungsansätze gehen von genetischen und hormonellen Unterschieden als Auslöser für bestimmte psychische Störungen aus, was zu Geschlechtsunterschieden in der Häufigkeit führen kann. Häufiger werden jedoch die Ursachen in Unterschieden im Rollenverständnis und den damit verbundenen Erwartungen gesehen. Männlichkeit wird mit Stärke, Unabhängigkeit, Risikobereitschaft und dem Streben nach Status assoziiert. Dagegen gelten Hilflosigkeit, Unsicherheit, Traurigkeit als weibliche Attribute [4]. Unter anderem deshalb berichten Männer in ärztlichen Gesprächen weniger psychische Symptome als Frauen [124], und es werden bei ihnen häufiger somatische Symptome und Krankheiten diagnostiziert [125]. Zudem nehmen Frauen Leistungen des Gesundheitswesens stärker in Anspruch und haben daher eher die Möglichkeit, eine Diagnose oder Behandlung zu erhalten. Männer dagegen suchen unregelmäßiger Ärzte und Ärztinnen und andere Gesundheitsberufe auf und nehmen medizinische und nicht-medizinische Angebote weniger häufig in Anspruch [54, 126 bis 129]. In medizinischen Konsultationen stellen Männer weniger Fragen, nehmen ihre Symptome anders wahr und beschreiben sie unterschiedlich. Auf der anderen Seite erhalten sie weniger medizinische Ratschläge [42, 54], und auch Diagnose, Dauer der Behandlung, Therapie sowie Medikation unterscheiden sich häufig [28]. Auch von solchen Faktoren hängt ab, in welchem Maße psychische Erkrankungen erkannt werden, ob sie in eine medizinische oder psychologische Behandlung münden und inwieweit diese Hilfsangebote angenommen werden.
Werden psychische Störungen nicht erkannt und bleibt auch die psychotherapeutische und/ oder pharmakologische Hilfe aus, kann das einen Anstieg der Inanspruchnahme somatomedizinischer Leistungen zur Folge haben [130]. Dies mündet potenziell in hohen Kosten und langfristig in einer Chronifizierung der psychischen Störung.
Gesellschaftliche Umbrüche und Stressfaktoren, wie zunehmende Arbeitsplatzunsicherheiten und diskontinuierliche Erwerbsbiografien, aber der mögliche Wegfall von sozialer Unterstützung oder familiärem Zusammenhalt als Ressourcen, sind im Zusammenhang mit der Entstehung und Manifestation psychischer Störungen bedeutsam. Für Männer (und Frauen) ergeben sich aus den genannten Entwicklungen Risiken im Hinblick auf ihre psychische Gesundheit. Hinzu kommt, dass diese Einflussfaktoren im Lebensverlauf für Männer und Frauen unterschiedlich verteilt sind bzw. auch anders von ihnen wahrgenommen werden. Beispielsweise werden für Männer im Vergleich zu Frauen Arbeitslosigkeit, Gratifikationskrisen, Alleinleben, Trennung, Scheidung oder Tod der Partnerin/des Partners als bedeutsamere Faktoren diskutiert [4, 66]. Für Frauen sind es Risiken, wie z.B. alleinerziehend, erwerbslos mit mehreren Kleinkindern, geringes Bildungsniveau oder Pflege von Angehörigen.
Ein deutlicher Zusammenhang besteht zwischen sexuellem Missbrauch im Kindesalter und dem Auftreten psychischer Störungen im Erwachsenenalter. Nach Angaben der polizeilichen Kriminalstatistik sind Mädchen/Frauen häufiger von sexuellem Missbrauch und sexueller Gewalt betroffen [131], was auch zur Erklärung der Prävalenzunterschiede psychischer Störungen beitragen kann. In der Folge dieser Erfahrungen zeigen sich für beide Geschlechter schwerwiegende psychische Probleme. Für die Opferhilfe ist jedoch wichtig zu berücksichtigen, dass diese Erfahrungen von Jungen/Männern oft anders kompensiert werden als von Mädchen/Frauen [132 bis 134].
Ein weiterer Beitrag zur Erklärung der Geschlechtsunterschiede bei psychischen Störungen könnte im Diagnoseverhalten von Ärzten und Ärztinnen liegen. Dies kann sowohl vom Geschlecht der Behandler als auch vom Geschlecht des zu Behandelnden beeinflusst werden [135]. Beispielsweise ließ sich zeigen, dass bestehende Geschlechterstereotype, also über »die typische Patientin« bzw. »den typischen Patienten«, und deren Krankheitsbilder, die Beurteilung von Beschwerden durch medizinisches Personal beeinflussen. Im Rahmen der Diagnostik psychischer Störungen wird auch diskutiert, ob die zur Verfügung stehenden Diagnoseinstrumente, tatsächlich sensitiv genug für Männer sind [4].
In der Art der Kommunikation und der damit verbundenen Präsentation der Symptomatik durch Patientinnen und Patienten sind ebenfalls geschlechtsspezifische Unterschiede zu erwarten. So finden sich Unterschiede in der Selbstwahrnehmung und Selbstattribution von Beschwerden bei Männern und Frauen [135].
Bei den Einschätzungen zur Verbreitung psychischer Störungen ist stets auch zu berücksichtigen, dass es sich bei den Betroffenen um Personen handelt, die bereits in Kontakt mit dem Gesundheitssystem stehen und im besten Falle die richtige Diagnose bekommen haben. Unklar ist, wie hoch der Anteil der Personen ist, die noch nicht (korrekt) diagnostiziert worden sind. Aufgrund der hier dargestellten Ergebnisse kann vermutet werden, dass der Anteil bei Männern sehr hoch ist. Werden beispielsweise die Zahlen der epidemiologischen Studien mit den administrativen Daten verglichen, zeigen sich Unterschiede: Mehr Personen geben an, von einer psychischen Störung betroffen zu sein, als beispielsweise die Zahlen zur Arbeitsunfähigkeit vermuten lassen [112].
Zukünftig sollte daher erforscht werden, wie das Geschlecht das Risiko für psychische Störungen, aber auch den Zugang zum Gesundheitssystem beeinflusst. Des Weiteren sollte die Aufmerksamkeit auf die Manifestation psychischer Krankheiten bei Männern gelenkt werden und weniger darauf, welche Krankheiten häufig bei ihnen auftreten [136]. Dabei sind auch die Folgen der psychischen Störung für Männer und Frauen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene zu verschiedenen Zeitpunkten im Lebensverlauf zu berücksichtigen [132, 137, 138].
Es bleiben viele Bereiche, in denen männerspezifische Fragen noch unbeantwortet sind, z.B. wie sich die verstärkt auftretenden Änderungen in der Arbeitswelt und die Zunahme von Tempo, Termindruck und Komplexität auf die psychische Gesundheit von Männern auswirken, insbesondere unter dem Aspekt der verlängerten Lebensarbeitszeit (siehe Kapitel 4 Arbeit und Gesundheit). Ein weiterer Forschungsaspekt ist der Einfluss der reproduktiven Gesundheit auf die männliche Psyche. Von Frauen ist bekannt, dass z.B. Unfruchtbarkeit das Risiko erhöht, an einer affektiven Störung zu erkranken. Bei Männern ist dies noch nicht abschließend untersucht (siehe Kapitel 2.6.2 Unfruchtbarkeit). Wichtig ist außerdem die Erforschung dessen, was männerfreundliche Versorgungsangebote auszeichnet bzw. wie die Inanspruchnahme medizinischer und psychosozialer Einrichtungen durch Männer erhöht werden kann. Angesichts der genannten Punkte wird deutlich, dass für den Bereich der psychischen Gesundheit von Männern noch viele Fragen unbeantwortet sind, die zukünftig zu klären sind.
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in der Gesetzlichen Rentenversicherung im Laufe
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2.6 Sexual- und Fertilitätsstörungen
2.6.1 Sexuelle Funktionsstörungen
Das Spektrum der Krankheitsbilder sexueller Funktionsstörungen kann die verschiedenen Phasen der sexuellen Reaktion betreffen und sowohl das sexuelle Verlangen (Appetenz), die sexuelle Erregung als auch den sexuellen Erregungshöhepunkt (Ejakulation/Orgasmus) beeinträchtigen [1]. Sexuelle Funktionsstörungen können sowohl als unabhängige Erkrankungen als auch in Folge von anderen Erkrankungen sowie deren Behandlung auftreten [2]. Für ein erfülltes sexuelles Erleben sind neben den körperlich-funktionalen Aspekten die individuellen Ansprüche entscheidend, die auch von gesellschaftlichen und kulturellen Vorstellungen von Sexualität geprägt sind [3]. Sexuelle Funktionsstörungen sind daher meist multifaktoriell bedingt. Dabei können sowohl physische als auch psychische Ursachen eine Rolle spielen bzw. auch deren Kombination.
Eine als befriedigend erlebte Sexualität hat entscheidenden Einfluss auf die Lebensqualität [2, 4]. Somit verursachen sexuelle Funktionsstörungen Leidensdruck bei den Betroffenen selbst, sie können sich aber auch auf die Partnerschaft und andere Lebensbereiche auswirken. Zur Diagnostik und Behandlung sexueller Dysfunktionen bei Männern ist deshalb eine fachübergreifende Zusammenarbeit von Andrologie, Urologie, psychosomatischer Medizin und Psychiatrie erfolgversprechend, in die auch die Partnerin/der Partner einbezogen werden sollten. Denn die Auseinandersetzung mit der eigenen und der partnerschaftlichen Sexualität kann bereits wichtiger Teil der Behandlung sein [5].
Bei Aussagen zur Häufigkeit (Prävalenz) sexueller Funktionsstörungen aus Bevölkerungsstudien ist zu beachten, dass die Erhebungen einen Bereich betreffen, der von den meisten Menschen als privat und intim empfunden wird. Demzufolge kann von einer gewissen Untererfassung sowie einer möglichen Verzerrung (bias) bei den Befragungsteilnehmern und -teilnehmerinnen ausgegangen werden [2]. Die Einordnung sexueller Funktionsstörungen erfolgt anhand der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision (ICD-10) [6] oder dem Diagnostischen und Statistischen Handbuch Psychischer Störungen (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV)) [7].
2.6.1.1 Störungen des sexuellen Interesses und Verlangens (Appetenzstörung)
Die Diagnose Appetenzstörung (ICD-10: F52.0, DSM-IV: 302.71) wird gestellt, wenn das Fehlen sexuellen Interesses und Verlangens das Grundproblem ist, ohne dass andere sexuelle Funktionsstörungen als Ursache vorliegen und dieser Mangel von den Betroffenen als Verlust wahrgenommen wird. Als Ursachen gelten eine Reihe psychosozialer, aber auch medizinischer Gründe. Dazu gehören z.B. Beziehungskonflikte, psychische Störungen, allgemeinmedizinische Erkrankungen, urogenitale Erkrankungen sowie Medikamenteneinnahme.
Ergebnisse verschiedener Befragungen zeigen, dass das sexuelle Verlangen bei der Mehrzahl der Männer vorhanden ist und in Abstufungen bis ins hohe Alter erhalten bleibt. Eine repräsentative Befragung aus Deutschland konnte eine Abnahme des sexuellen Verlangens bei Männern im Altersverlauf zeigen. Der Anteil der Männer, die angeben, in den letzten vier Wochen kein sexuelles Verlangen gespürt zu haben, lag bei den 18- bis 49-Jährigen bei 0,4%, bei den 51- bis 60-Jährigen bei 4,5% und stieg auf 47,0% bei den über 70-Jährigen [8]. Bei der Berücksichtigung verschiedener Determinanten der Häufigkeit sexuellen Verlangens (u.a. Vorliegen einer Partnerschaft) war das zunehmende Alter der stärkste Prädiktor für die Abnahme des sexuellen Verlangens. Demnach kommt es bei Männern zu einer Abschwächung des sexuellen Verlangens im Altersgang. Eine weitere Studie kommt zu dem Schluss, dass nur ein Teil der Befragten unter der Verminderung des sexuellen Verlangens zu leiden scheint und daher größtenteils von einer Angleichung der sexuellen Präferenzen an das Lebensalter auszugehen ist [9].
2.6.1.2 Erektionsstörungen/Erektile Dysfunktion
Unter erektiler Dysfunktion (ED) wird die Schwierigkeit verstanden, eine für einen befriedigenden Geschlechtsverkehr notwendige Erektion zu erlangen oder beizubehalten (ICD-10: F52.2, DSM-IV: 302.72). Die Ursachen sind aufgrund der Komplexität der Erektionsentstehung vielfältig und können organisch, psychogen oder durch andere Erkrankungen bzw. deren Behandlung bedingt sein.
Es liegen zahlreiche Studien zur Verbreitung (Prävalenz) von ED vor, die aber aufgrund unterschiedlicher Erhebungsinstrumente und einer unterschiedlichen Zusammensetzung der jeweiligen Studienpopulation auch zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
So ergeben Untersuchungen aus Deutschland Gesamtprävalenzen von ED für die jeweilige Studienpopulation von: 7,9% (altersstandardisiert, Global Study of Sexual Attitudes and Behaviors (GSSAB) Deutschland) [10], 19,2% (30 bis 80 Jahre, Kölner Männerstudie) [11] bis 40,1% (18 bis 79 Jahre, Cottbus Survey) [12]. In der Berliner Männerstudie wurde das Vorliegen einer Erektionsstörung mittels zwei verschiedener Verfahren bestimmt, der Erectile Function Domain (EF-Domain), einer 6-Item-Checkliste, und den DSM-IV-Kriterien. Diese unterscheiden sich dadurch, dass bei den DSM-IV-Kriterien eine Erektionsstörung nur dann angenommen wird, wenn die Symptomatik mindestens sechs Monate vorliegt und ein mit der Erektionsstörung in Zusammenhang stehender Leidensdruck angegeben wird. Die Ergebnisse variieren je nach zugrunde gelegter Definition. Es zeigt sich ein deutlicher Unterschied bei der (altersstandardisierten) Gesamtprävalenz, wenn die erektile Funktionsfähigkeit auf Grundlage der EF-Domain bestimmt wurde (47,9%) zu der, wenn die internationalen Diagnosekriterien des DSM angewendet wurden (17,8%) [4, 13]. Die Autoren der Studie plädieren deshalb dafür, zwischen Funktionsstörung mit Krankheitswert (mit Leidensdruck) und Funktionsstörung ohne Krankheitswert (ohne Leidensdruck) zu unterscheiden.
Die verschiedenen Untersuchungen konnten einen Zusammenhang zwischen erektiler Dysfunktion und höherem Lebensalter nachweisen [14], der je nach eingesetztem Erhebungsinstrument unterschiedlich stark ausfällt. Außerdem wurde deutlich, dass ED oftmals mit allgemeinmedizinischen Krankheitsbildern zusammen auftritt (Komorbidität), vor allem Diabetes mellitus, Bluthochdruck sowie Herzkrankheiten. Eine wesentliche Erkenntnis der letzten Jahre ist, dass das Auftreten von ED ein erster Indikator für eine chronisch-ischämische Herzkrankheit bei Männern sein kann [15] und daher unbedingt diagnostisch abgeklärt werden sollte [16].
2.6.1.3 Störungen der Ejakulation und des Orgasmus
Vorzeitige Ejakulation (ICD-10: F52.4, DSM-IV: 302.75) wird definiert als anhaltende oder wiederkehrende Ejakulation bei minimaler Stimulation und bevor der Betroffene es wünscht. Die Ejakulation kann also nicht ausreichend kontrolliert werden, damit der Geschlechtsverkehr für die beteiligten Partner befriedigend ist. Diese Störung kann sowohl psychische, krankheitsbedingte als auch neurobiologische Ursachen haben. Vorzeitige Ejakulation ist relativ weit verbreitet. In der Global Study of Sexual Attitudes and Behaviors (GSSAB) gaben in Deutschland 15,4% der Befragten von 40 bis 80 Jahren an, dieses Problem zu haben. 2,9% berichteten, dass diese sexuelle Funktionsstörung bei ihnen häufig sei [10]. Ein Einfluss des Alters konnte nicht festgestellt werden.
Orgasmusstörung bezeichnet die Verzögerung oder das Fehlen des Orgasmus (ICD-10: F52.3, DSM-IV: 302.75). Die Gründe für die Orgasmushemmung können organisch oder psychisch bedingt sein. In der GSSAB-Studie gaben in Deutschland 5,6% der befragten Männer an, keinen Orgasmus erreichen zu können. Auch bei dieser Störung scheint es eine Zunahme im Altersgang zu geben [17].
2.6.1.4 Diskussion
Aufgrund der vorliegenden Daten sind sexuelle Funktionsstörungen als ernsthaftes und weit verbreitetes Gesundheitsproblem einzustufen. Inwieweit aus diesen Daten auf einen Behandlungsbedarf geschlossen werden kann, ist nicht einfach abzuschätzen. Aus der GSSAB für Deutschland ist bekannt, dass 17,6% der von Sexualstörungen betroffenen Männer medizinische Hilfe gesucht haben [18]. Damit besteht eine deutliche Abweichung zwischen der Verbreitung sexueller Funktionsstörungen und der Inanspruchnahme medizinischer Hilfe. Als mögliche Gründe werden fehlender Leidensdruck (auch aufgrund der Angleichung der Verhaltenspräferenzen an den jeweiligen Zustand), aber auch Hemmungen und fehlende Kenntnisse über Behandlungsmöglichkeiten bei den Betroffenen diskutiert [2]. Es sind jedoch auch unzureichende Versorgungsangebote auf Seiten der Medizin auszumachen. Dazu zählt, dass die Verbreitung von sexuellen Funktionsstörungen von Seiten der Ärzteschaft teilweise unterschätzt wird. Auch bestehen Ängste, das Thema von sich aus anzusprechen, z.T. aufgrund mangelnder Kenntnisse [2, [19]. Danach befragt, ob ein Arzt/ eine Ärztin routinemäßig gezielte Fragen nach sexuellen Problemen stellen sollte, bejahen dies jedoch laut GSSAB über die Hälfte der Männer in allen Altersgruppen [20].
Einschränkend ist bei den Ergebnissen zur Prävalenz von sexuellen Funktionsstörungen auf Grundlage der GSSAB darauf hinzuweisen, dass die Studie von der Pfizer GmbH finanziert wurde. Das Pharmaunternehmen hatte 1998 als erster Arzneimittelhersteller ein Mittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion auf den Markt gebracht. In der Kritik steht in diesem Zusammenhang, dass normale Lebensabläufe bzw. Alterungsprozesse, nicht zuletzt von der Pharmaindustrie, als therapiebedürftig deklariert werden (disease mongering, deutsch üblicherweise als Krankheitserfindung übersetzt) [21]. Das oft in der Öffentlichkeit vermittelte Männlichkeitsbild mit Zuschreibungen wie z.B. stark, sexuell omnipotent und immer bereit [22], lässt die normalen, individuell vielfältigen Abweichungen von der »Norm« außer Acht. Der so entstehende Zwiespalt zwischen öffentlich vermittelten Ansprüchen und der Wirklichkeit bzw. dem damit verbundenen Leistungsdruck kann dazu führen, dass Medikamente gegen sexuelle Funktionsstörungen ohne die Abklärung von organischen Schäden und/oder der Beziehungsaspekte von Sexualität eingesetzt werden.
Da sexuelle Funktionsstörungen (vor allem die erektile Dysfunktion) aber erste Symptome für Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes mellitus sowie neurologische Erkrankungen sein können, ist eine sorgfältige Diagnostik und Therapie besonders wichtig [2]. Mit der Einführung von selektiven Phosphodiesterase-5-Hemmern (z.B. Sildenafil bzw. »Viagra«) zur Behandlung der erektilen Dysfunktion ist jedoch zu beobachten, dass diese Medikamente oft vor einer umfassenden Diagnostik eingesetzt werden [23]. Somit werden mögliche somatische Ursachen, aber auch psychosoziale und psychosexuelle Aspekte der Erkrankung vernachlässigt und diesbezügliche Therapieoptionen nicht geprüft. Auf Seiten der Ärzteschaft wurde der Bedarf zur Weiterbildung erkannt [5, 14]. Der Ärztetag 2010 hat beschlossen, dass die Qualifizierung »Sexualmedizin« in Form einer Zusatz-Weiterbildung bundesweit etabliert werden soll [24].
2.6.2 Unfruchtbarkeit
Nach Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gilt eine Partnerschaft von Mann und Frau als unfruchtbar, wenn innerhalb eines Jahres trotz regelmäßigen ungeschützten Geschlechtsverkehrs kein Kind gezeugt worden ist [25]. Wenn der Kinderwunsch eines Paares nicht in Erfüllung geht, sind männliche Fruchtbarkeitsstörungen eine häufige Ursache. Die Ursachen liegen zu etwa 20% der Fälle beim Mann, zu 39% bei der Partnerin und zu 26% bei beiden Partnern (gemischte Sterilität). In 15% der Fälle kann der Grund für die Unfruchtbarkeit eines Paares nicht ermittelt werden [26].
Repräsentative Daten zur Verbreitung männlicher Unfruchtbarkeit liegen für Deutschland nicht vor. Zwar kann das Merkmal »kinderlos« auf alle Personen angewendet werden, die (noch) keine Kinder haben. Damit kann jedoch keine Einschätzung darüber abgegeben werden, ob es sich um gewollt oder ungewollt kinderlose Personen handelt und ob ggf. (männliche) Unfruchtbarkeit als Grund vorliegt. In der Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung werden alle Geburten erfasst, allerdings ist die ausgewiesene Fertilitätsrate an das weibliche Geschlecht geknüpft. Im Mikrozensus, einer repräsentative Befragung der Statistischen Landesämter zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Bevölkerung, bei der 1% aller Haushalte in Deutschland befragt werden, wird seit dem Jahr 2008 auch eine Frage nach den geborenen Kindern erhoben, allerdings nur bei Frauen. Somit können auch hier keine Aussagen darüber getroffen werden, ob und wie viele Kinder die befragten Männer gezeugt haben. Der Generations and Gender Survey (GGS) des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), eine international vergleichenden Panelstudie, untersucht wesentliche Faktoren zur Erklärung von Fertilität, Partnerschaft und Generationenbeziehungen. Dazu werden in einer Zufallsstichprobe 18 bis 79 Jahre alte Männer und Frauen in regelmäßigen Abständen befragt. Nach Ergebnissen des Jahres 2005 zeigt sich, dass Männer im Vergleich zu Frauen seltener und weniger Kinder haben [27]. Der Anteil der Männer ohne Kinder liegt bei den Männern im Alter über 60 Jahre, von denen angenommen werden kann, dass ihre reproduktive Phase abgeschlossen ist, bei über 20%. Der Anteil der kinderlosen Frauen in der gleichen Altersgruppe (auf Grundlage des Mikrozensus 2008 ermittelt) liegt deutlich niedriger bei 11,6% [28]. Allerdings ist eine klare Unterscheidung von gewollter und ungewollter Kinderlosigkeit nicht möglich.
Anhand der Daten des Deutschen IVF-Registers (In-vitro Fertilisation) lassen sich Angaben über die Indikationen für die Behandlungen mit künstlicher Befruchtung in Deutschland entnehmen. Als Maßnahme der Qualitätssicherung in der Reproduktionsmedizin ist eine Teilnahme am IVF-Register für Zentren/Praxen im Bereich der Reproduktionsmedizin verpflichtend. Allerdings erlauben die Daten keinen Bevölkerungsbezug, da nur die Befunde der Paare dokumentiert werden, die mit Methoden der künstlichen Befruchtung behandelt wurden. Im Jahr 2011 wurden deutschlandweit 80.943 Behandlungen im Rahmen einer Kinderwunschtherapie durchgeführt. Bei etwa der Hälfte aller ungewollt kinderlosen Paare in Behandlung liegt ein Problem bei der Zeugungsfähigkeit des Mannes vor. Bezogen auf die Paare, welche Maßnahmen der künstlichen Befruchtung in Anspruch nehmen, überwiegt bei Männern die eingeschränkte Samenqualität als Ursache [29, 30]. Hierunter wird die eingeschränkte Bildung normaler, gut beweglicher Samenzellen verstanden. Von einer eingeschränkten Samenqualität wird ausgegangen, wenn 1ml Samenflüssigkeit weniger als 20 Millionen Spermien enthält, wovon weniger als ein Drittel ein normales Aussehen (Morphologie) aufweist und mehr als die Hälfte eine eingeschränkte Beweglichkeit zeigt. Zur Basisdiagnostik beim Mann gehört deshalb zunächst die Untersuchung des Ejakulats (Spermiogramm). Für die männliche Unfruchtbarkeit sind verschiedene Ursachen bekannt, wie z.B. höheres Lebensalter, Krankheiten oder Rauchen. Da nicht alle Ursachen für Unfruchtbarkeit dauerhaft sind, ist neben der Beurteilung der Spermienqualität die Einschätzung bzw. Untersuchung der gesundheitlichen Situation der betroffenen Männer sowie deren gesundheitlichen Verhaltens erforderlich.
2.6.2.1 Diskussion
Die Diagnose Unfruchtbarkeit kann für die betroffenen Männer sehr belastend sein. Der gefühlte Kontrollverlust über die eigene Lebensplanung sowie mögliche Schwierigkeiten für die Paarbeziehung, wenn diese auf eine Familienplanung ausgerichtet ist, sind hierbei zu nennen. Unfruchtbarkeit steht zudem dem gesellschaftlichen Stereotyp der Vater-Mutter-Kind-Familie entgegen.
Mit der Etablierung der Methode zur Sameninjektion (intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI)) im Rahmen einer Kinderwunschtherapie besteht auch für unfruchtbare Männer die Chance, Kinder zu zeugen, wobei reproduktionsmedizinische Maßnahmen keine Garantie auf ein eigenes Kind bedeuten. Psychische Belastungen als Begleiterscheinung dieser Therapie, vor allem, wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt, werden auch für Männer berichtet [31]. Wenn männliche Unfruchtbarkeit der Grund der ungewollten Kinderlosigkeit von Paaren ist, sind Männer stärker von psychischen Belastungen betroffen als Männer in Partnerschaften, bei denen andere Gründe der Unfruchtbarkeit vorliegen [32, 33]. Insgesamt werden für unfruchtbare Paare im Vergleich zur Gesamtbevölkerung keine erhöhten Raten psychischer Erkrankungen gefunden. Es werden aber Häufungen von Selbstzweifeln, reduzierter sexueller Zufriedenheit und seelischen Verstimmungen beschrieben [34]. Bei unfruchtbaren Paaren ließen sich Geschlechterunterschiede innerhalb der Beziehung dahingehend feststellen, dass Männer anfälliger dafür waren, weniger emotionale Unterstützung von ihrem Umfeld zu erhalten und sich mit höheren Anforderungen ihrer Partnerinnen konfrontiert sahen als Frauen von ihren Partnern [31].
Für die gynäkologische Praxis und Beratung, in deren Kontext die Kinderwunschtherapie stattfindet, wurden inzwischen Richtlinien zur Beratung von Paaren mit Kinderwunsch entwickelt [35]. Diese können bei ungewollter Kinderlosigkeit zu einer Verbesserung der individuellen und partnerschaftlichen Situation führen.
Die derzeitigen Regelungen zur Sterilitätsbehandlung gesetzlich Versicherter sehen vor, dass die Kosten für die Diagnostik der Kinderlosigkeit sowie für die Hormonbehandlungen, welche ausschließlich der Verbesserung der Eizellreifung dienen, übernommen werden [36]. Die Kostenübernahme erfolgt nur bei verheirateten Paaren und ist an eine Altersgrenze gebunden: Beide Ehepartner müssen vor Therapiebeginn das 25. Lebensjahr vollendet haben und die Ehefrau darf bei Therapiebeginn das 40., der Ehemann das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet haben [36]. Die Kosten für eine jeweils begrenzte Anzahl anderer Leistungen der künstlichen Befruchtung, wie Inseminationen, IVF-Behandlung und ICSI-Behandlung werden nicht voll übernommen. Für diese Behandlungen müssen die Patienten eine Eigenleistung von 50% der entstandenen Kosten erbringen. Voraussetzung dafür ist ein vorher durch die gesetzliche Krankenkasse genehmigter Behandlungsplan. Der Gesetzgeber hat mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz seit dem Jahr 2012 den Krankenkassen die Möglichkeit gegeben, zusätzliche Satzungsleistungen, auch im Bereich der künstlichen Befruchtung, anzubieten. Damit kann insbesondere die Eigenleistung der betroffenen Paare reduziert werden.
Die Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung über eine Erweiterung des anspruchsberechtigten Personenkreises auf nicht verheiratete Paare ist noch nicht abgeschlossen. Eine Rechtsänderung ist im Koalitionsvertrag nicht vereinbart.
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2.7 Sexuell übertragbare Infektionen
Als sexuell übertragbare Infektionen (sexually transmitted infections, STI) werden verschiedene Infektionen zusammengefasst, deren gemeinsames Merkmal darin besteht, dass die Erreger hauptsächlich durch sexuelle Kontakte übertragen werden. Unterschiede bestehen jedoch hinsichtlich der Art der Erreger (Bakterien, Viren, Parasiten oder Pilze), deren Ansteckungsfähigkeit, des Krankheitsverlaufes sowie der Möglichkeiten der Behandlung.
STI stellen ein ernstzunehmendes Gesundheitsproblem dar. Hierbei sind vor allem die Ansteckungsgefahr, ein Krankheitsverlauf mit chronischen Gesundheitsschäden bei einem Teil der Infektionen, eine mögliche Stigmatisierung der Betroffenen, die Einbußen in der Lebensqualität der Betroffenen und nicht zuletzt hohe Folgekosten für die Gesellschaft zu nennen. Aus diesem Grund ist die Meldepflicht für bestimmte STI im Infektionsschutzgesetz (IfSG) verankert. Ziel dieses Gesetzes ist es, Infektionen vorzubeugen bzw. frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern [1]. Das im Jahr 2001 in Kraft getretene IfSG hat das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten (GeschlKrG) abgelöst. Gesetzlich neu geregelt wurden die Meldepflicht, die Aufgaben des öffentlichen Gesundheitswesens und der Umgang mit Krankheitserregern auf dem Gebiet der sexuell übertragbaren Infektionen. Für STI sieht das IfSG eine nichtnamentliche Meldepflicht für Syphilis und HIV-Infektionen vor. Darüber hinaus sind neu diagnostizierte Hepatitis-Infektionen (A bis D) namentlich meldepflichtig, wobei Hepatitis B sexuell übertragen werden kann. Für Hepatitis C ist eine sexuelle Übertragung grundsätzlich möglich, auch wenn das Risiko im Allgemeinen gering ist. Der Schwerpunkt des IfSG liegt im Gegensatz zum GeschlKrG nicht mehr auf der Identifikation von Infizierten und den Vorschriften für den Umgang mit ihnen, sondern auf der Prävention.
Um dennoch die epidemiologische Gesamtsituation der STI in Deutschland beurteilen zu können, wurde von 2002 bis 2009 ein Sentinel-Surveillance- System betrieben. Auf der Grundlage von stichprobenartigen anonymen Erhebungen bei niedergelassenen Ärzten und Ärztinnen, STI-Beratungsstellen der Gesundheitsämter und Fachambulanzen konnte auf die Verbreitung von STI in der Bevölkerung geschlossen werden. Seit Ende der 1980er Jahre gibt es vor dem Hintergrund der besonderen Betroffenheit homosexueller Männer durch HIV/AIDS in regelmäßigen Abständen Befragungen von Männern, die Sex mit Männern haben. Ziel der Studie ist es, u.a. einschätzen zu können: wie hoch bei Sexualkontakten das Niveau der möglichen HIV-Übertragungen ist, wie ausgeprägt die Inanspruchnahme vorhandener Präventionsangebote ist und welche Informationen gebraucht werden, um die Präventionsangebote zielgruppengenauer zu gestalten. Die aktuelle Befragung (2010) fand im Rahmen des »European MSM InternetSurvey« (EMIS) ausschließlich onlinebasiert statt. Es wurden dabei 54.387 Fragebögen von in Deutschland lebenden Männern ausgewertet [2].
Einen Einfluss auf die Häufigkeit von STI haben das Sexualverhalten, demografische und soziale Faktoren (z.B. Alter, Migrationsstatus, (Beschaffungs-)Prostitution), aber auch der Zugang zum Gesundheitssystem. Außerdem bestehen zum Teil deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede in der Häufigkeit bestimmter STI. Neben den biologischen Unterschieden zwischen Männern und Frauen bei der Übertragung von und dem Infektionsrisiko mit STI werden Unterschiede im sexuellen Risikoverhalten diskutiert. Die im Kapitel dargestellten STI wurden hinsichtlich ihrer Verbreitung (siehe Abbildung 2.7.1) sowie bezüglich spezifischer Präventionsaspekte bei Männern ausgewählt.
Abbildung 2.7.1

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2.7.1 Übertragungsweg
Erreger von STI finden sich in den Schleimhäuten infizierter Personen sowie in verschiedenen Körperflüssigkeiten (z.B. Blut, Sperma, Scheidenflüssigkeit, Flüssigkeitsfilm auf der Darmschleimhaut, Flüssigkeit aus Bläschen und Geschwüren, Eiter, Wundflüssigkeit und Absonderungen von Entzündungen). Hauptübertragungsweg von STI ist der ungeschützte Geschlechtsverkehr (eindringender Vaginal-, Anal- und Oralverkehr), bei dem die Erreger über die Schleimhäute übertragen werden. Eine Übertragung von STI ist in manchen Fällen auch durch Küssen, Petting, Schmierinfektionen oder durch kontaminierte Gegenstände, z.B. Sexspielzeug möglich (u.a. Syphilis, Humane Papillomaviren, Hepatitis B). STI können aber auch auf nichtsexuellem Weg übertragen werden, z.B. über intravenösen Drogenkonsum (gemeinsame Benutzung von Spritzbesteck/Zubehör) [4].
2.7.2 Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Immunantwort
Die Immunreaktion auf Infektionen unterscheidet sich bei Männern und Frauen, was u.a. auf die unterschiedliche Verteilung der Geschlechtshormone (Östrogene und Testosteron) zurückgeführt wird. Forschungen belegen einen immunstimulierenden Effekt für Östrogene, hingegen einen immunsuppressiven Effekt für Testosteron. Damit wirken sie vor- bzw. nachteilig auf die Infektionsanfälligkeit von Frauen und Männern [5, 6].
2.7.3 Risikoverhalten
Von Syphilis und HIV/AIDS, Hepatitis B und C sind signifikant mehr Männer als Frauen betroffen [7]. Risikoverhalten, wie z.B. der Verzicht auf Kondome zum Schutz vor STI kann dabei eine Ursache sein, auch wenn die Hauptbetroffenengruppen nicht mit Risikogruppen gleichzusetzen sind. Für die meldepflichtigen STI werden die Infektionsrisiken bzw. der wahrscheinliche Infektionsweg erfasst. Nach Infektionsweg unterschieden zeigt sich, dass vor allem Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), von HIV und Syphilis betroffen sind. Bei der Betrachtung des zeitlichen Verlaufs der Diagnose-Inzidenzen für HIV und Syphilis bei MSM konnte festgestellt werden, dass dem Anstieg der HIV-Diagnosen ein Anstieg der Syphilis-Diagnosen vorangeht [8]: Anfang 2010 kam es bei MSM zu stetig ansteigenden Syphilis- Zahlen, denen ein erneuter Anstieg der HIV-Neudiagnosen seit 2011 folgte.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass eine Syphilis-Infektion, aber auch Infektionen mit anderen STI (z.B. mit Gonokokken oder Chlamydien), die Übertragung von HIV oder anderen STI begünstigt [8]. Die Abnahme der Zahl der HIV-Neuinfektionen von Mitte der 1980er Jahre bis Mitte der 1990er Jahre war vor allem durch Verhaltensänderungen seit dem Auftreten von HIV/AIDS bedingt. Dazu zählten ein Rückgang der Partnerzahlen, eine Einschränkung des sexuellen Repertoires durch Verzicht auf penetrierende Sexualpraktiken und eine deutliche Zunahme des Gebrauchs von Kondomen [2, 9]. Die Ergebnisse der EMIS-Studie aus dem Jahr 2010 belegen einen Rückgang des Anteils von Teilnehmern mit mehr als zehn Partnern im Jahr vor der Befragung. Allerdings zeigen die Ergebnisse auch, dass sexuell aktivere MSM mit höheren Partnerzahlen (mehr als zehn in den zwölf Monaten vor der Befragung) häufiger Risikokontakte eingehen, d.h. ungeschützte analgenitale Kontakte mit Sexpartnern, deren HIV-Testergebnis unbekannt war oder unterschiedlich zum eigenen Testergebnis (diskordant). Hinsichtlich der Verbreitung von STI zeigt sich, dass die Partnerzahl entscheidend für die Häufigkeit ist, da Befragte mit mehr als zehn Sexualpartnern häufiger von STI betroffen sind als Befragte mit weniger Sexualpartnern [2].
Als weitere wichtige Infektionswege bei STI sind gegenwärtig die heterosexuelle Übertragung sowie der intravenöse Drogengebrauch mit der gemeinsamen Nutzung von Spritzenbesteck zu nennen. Das weist darauf hin, dass Risikoverhalten in diesen Gruppen existiert.
2.7.4 Meldepflichtige STI
Unter epidemiologischen und klinischen Aspekten besitzen gegenwärtig in Deutschland bei Männern folgende meldepflichtige STI besondere Bedeutung: HIV-Infektionen, Syphilis und Hepatitis B-Infektionen.
2.7.4.1 HIV-Infektionen
Das Human Immunodeficiency Virus (HIV) schädigt die zelluläre Immunität und verursacht eine lebensbedrohliche Erkrankung (Acquired Immune Deficiency Syndrome (AIDS)), die unbehandelt zum Tod führt. Die chronische Infektion durch HIV bleibt lebenslang bestehen, ein präventiv wirkender Impfstoff existiert derzeit nicht und eine Heilung ist nicht möglich. Der Krankheitsprozess von der HIV-Infektion zur Entwicklung von AIDS kann heute mittels antiretroviraler Medikamente verlangsamt bzw. eingedämmt werden, sofern diese verfügbar sind und das Behandlungsregime strikt eingehalten wird.
Entsprechend der Meldedaten [3] ist im Jahr 2013 bei 3.263 Menschen eine HIV-Infektion neu diagnostiziert worden, in der Mehrzahl (81,8%) Männer. Die Inzidenz der neu diagnostizierten Fälle lag bei den Männern bei 6,6 pro 100.000 Einwohner und war damit 4,7-fach höher als bei den Frauen (1,4 pro 100.000 Einwohner). Hinsichtlich der Altersverteilung zeigt sich bei Männern eine Häufung der HIV-Inzidenz bei den 25- bis 29-Jährigen (16,9 pro 100.000 Einwohner). Nach den Angaben zum Infektionsweg (n=2.450), waren MSM mit 70,8% die größte Betroffenengruppe. Der zweithäufigste Weg (24,2%) war eine HIV-Infektion durch heterosexuelle Kontakte. Hinsichtlich der geografischen Verteilung in Deutschland wurde die höchste Inzidenz von HIV-Neudiagnosen für die Stadtstaaten Berlin (14,8 Fälle pro 100.000 Einwohner), Hamburg (9,2) und Bremen (7,4) ermittelt. In den Großstädten Köln und Frankfurt/Main lagen die Inzidenzen noch über der von Berlin [10].
Die Anzahl der Meldungen von HIV-Neudiagnosen ist im Jahr 2013 gegenüber dem Jahr 2012 gestiegen. Zwar sind MSM weiterhin die Hauptbetroffenengruppe, ihr Anteil sank gegenüber 2012 um jedoch um 3%. Ein Anstieg ist bei Personen, die ihre HIV-Infektion durch heterosexuelle Kontakte erworben haben, zu verzeichnen (um 3%). Damit ist nach einer mehrjährigen Phase mit relativ geringen Schwankungen zwischen den jährlich gemeldeten Erstdiagnosen seit dem Jahr 2012 insgesamt ein Anstieg der Zahl der HIV-Erstdiagnosen zu beobachten. Die Zahl der Neudiagnosen bei MSM verbleibt bundesweit auf gleichbleibend hohem Niveau. In einigen Großstädten ist jedoch eine Zunahme der Zahl der HIV-Neudiagnosen bei MSM zu beobachten, deren mögliche Ursachen derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden können [3].
2.7.4.2 Syphilis
Syphilis wird durch eine Infektion mit dem Bakterium Treponema pallidum ausgelöst. Die Erkrankung verläuft meist phasenweise (Primäraffekt, Sekundärstadium, Tertiärstadium). Die einzelnen Phasen sind durch spezifische Symptome gekennzeichnet (Primäraffekt: schmerzloses Geschwür an der Eintrittsstelle; Sekundärstadium: Allgemeinsymptome, Hauterscheinungen; Tertiärstadium: Schädigung von Gehirn und Blutgefäßen) und wechseln sich mit mehr oder weniger langen beschwerdefreien Zeiten (Latenzphase) ab. Vor der Entdeckung des Penicillins war Syphilis eine schwere Erkrankung, die oftmals tödlich endete. Heute ist Syphilis zwar durch Antibiotika heilbar, hat aber aufgrund ihrer Verbreitung und der Infektiosität wieder eine große Bedeutung.
Im Jahr 2013 wurden 5.015 Syphilis-Fälle gemeldet [3], 92,5% der Fälle waren Männer. Die Inzidenz der neu diagnostizierten Fälle lag bei den Männern bei 11,5 pro 100.000 Einwohner und war damit ca. 12,8-fach höher als bei den Frauen (0,9 pro 100.000 Einwohner). Die höchste Neuerkrankungsrate bei den Männern fand sich in der Altersgruppe der 30-bis 39-Jährigen (26,2 Fälle pro 100.000 Einwohner). Allerdings waren auch die 25-bis 29-Jährigen und 40-bis 49-Jährigen ähnlich häufig erkrankt. Bei Angaben zum Infektionsweg (n=3.590) wurde in 81,4% der Fälle Sex zwischen Männern als wahrscheinlicher Infektionsweg angegeben, in 18,5% der Fälle eine Ansteckung über heterosexuelle Kontakte. Die höchsten Neuerkrankungsraten wurden in den Stadtstaaten Berlin (23,6 Fälle pro 100.000 Einwohner), Hamburg (18,5) und Bremen (8,0) registriert.
Die Meldezahlen für Syphilis sind im Jahr 2013 gegenüber dem Jahr 2012 um 13,5%, angestiegen. Damit nimmt die Anzahl der gemeldeten Syphilis-Fälle seit dem Jahr 2010 weiterhin zu. Eine Zunahme ist vor allem bei Frauen zu verzeichnen (Anstieg um 25,5%), aber auch bei Männern (12,7%). Eine Zunahme wurde bei Männern (und Frauen) in allen Altersgruppen registriert. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass das Risiko einer HIV-Übertragung bei Vorliegen einer Syphilis-Infektion steigt [11]. Auch aus diesem Grund ist es wichtig, dass Syphilis-Infektionen erkannt und behandelt werden [12]. Unter präventiven Aspekten ist ein niedrigschwelliges Angebot für Screening-Untersuchungen auf Syphilis vor allem für MSM mit wechselnden Partnern wünschenswert und die Verwendung von Kondomen ein wesentlicher Bestandteil der STI-Präventionsstrategie [3].
2.7.4.3 Hepatitis B
Hepatitis B-Infektionen sind aufgrund ihrer weiten Verbreitung (weltweit die häufigste Virusinfektion) von besonderer Bedeutung. Das Virus löst eine Leberentzündung aus, die bei Erwachsenen größtenteils ausheilt, allerdings bei ca. 5 bis 10% der Fälle chronisch verläuft und Ursache für eine Leberzirrhose oder ein Leberzellkarzinom sein kann [3]. Gegen Hepatitis B gibt es eine wirksame Schutzimpfung, die gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) Säuglingen, Kindern und Jugendlichen sowie definierten Risikogruppen (z.B. bei Sexualverhalten mit hoher Infektionsgefährdung, i.V. Drogengebrauch) empfohlen wird [13].
Im Jahr 2013 haben sich, entsprechend den Meldedaten, 691 Menschen neu mit Hepatitis B infiziert [3]. Die Inzidenzrate lag bei Männern bei 1,1 pro 100.000 Einwohner und war damit fast doppelt so hoch wie bei den Frauen (0,6 pro 100.000 Einwohner). Hinsichtlich der Altersverteilung zeigt sich bei den Männern eine Häufung der Hepatitis B-Inzidenz bei den 30- bis 39-Jährigen (1,9 pro 100.000 Einwohner). Bei den Meldungen mit Angaben zum Übertragungsweg (n=83), wurde sexuelle Übertragung am häufigsten angegeben (38 Fälle). Darunter waren in 16 Fällen gleichgeschlechtliche Kontakte unter Männern angegeben worden. Nach Bundesland wurden 2013 die meisten Fälle in den Stadtstaaten Bremen (2,0 je 100.000 Einwohner), Hamburg (1,9) und Berlin (1,8) gemeldet.
Nachdem seit dem Jahr 2001 ein Rückgang der jährlichen Inzidenz an Hepatitis-B beobachtet worden war, stagniert dieser Trend mit geringen Schwankungen seit dem Jahr 2009. Der rückläufige Trend bei den Hepatitis B-Erkrankungen wird dabei auf einen verbesserten Impfschutz in der Bevölkerung zurückgeführt. Die höhere Neuerkrankungsrate bei Männern, die Häufung in der Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen und die sexuelle Übertragung als häufigster Übertragungsweg sprechen dafür, dass die in den STIKO-Empfehlungen aufgeführten Risikogruppen mit hoher Infektionsgefährdung (MSM, i.V. Drogengebraucher) das Angebot der Schutzimpfung wahrnehmen bzw. andere Präventionsstrategien anwenden sollten (geschützter Geschlechtsverkehr).
2.7.5 STI ohne Meldepflicht
Bei den STI, die nicht meldepflichtig sind, sind Infektionen mit Humanen Papillomaviren (HPV), Gonokokken und Chlamydien von Bedeutung, da sie zu den häufigsten sexuell übertragenen Infektionen zählen [14], vor allem im jugendlichen Alter. Aufgrund der fehlenden Meldepflicht gibt es über die Zahl der Neuinfektionen jedoch nur Schätzungen.
2.7.5.1 Infektionen durch Humane Papillomaviren (HPV)
Eine Infektion mit bestimmten Typen von Humanen Papillomaviren (HPV) steigert bei Männern (und Frauen) das Risiko für die Entstehung von Krebserkrankungen im Hals- und Rachenraum. Bei Frauen ist durch eine Infektion mit den Virustypen HPV-16, HPV-18 vor allem das Risiko für Gebärmutterhalskrebs erhöht. Diese Virustypen sind ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für Analkarzinome und Peniskrebs verbunden. Die Verbreitung von genitalen HPV-Infektionen ist bei Männern relativ hoch und wird je nach Studie mit bis zu 30% für die krebsauslösenden Virustypen angegeben [15, 16]. Konsequenter Kondomgebrauch und eine geringere Sexualpartnerzahl minimieren das Risiko für HPV-Infektionen. Männer erkranken wesentlich seltener als Frauen an durch HPV hervorgerufenen Tumorerkrankungen, allerdings liegen bislang wenige epidemiologische Studien dazu vor [17]. Schutz vor den HPV-Typen 16 und 18, die das Risiko für die Entstehung von Gebärmutterhalskrebs erhöhen, bietet eine Impfung, die sexuell noch nicht aktiven Mädchen und jungen Frauen zwischen 9 bis 14 Jahren von der STIKO empfohlen wird [13]. Spätestens bis zum vollendeten 18. Lebensjahr sollen versäumte Impfungen gegen HPV nachgeholt werden. Bislang liegen für Deutschland und Europa keine ausreichenden Daten zum Nutzen der Impfung bei Jungen und Männern vor [18, 19]. Aus diesem Grund wurde die Impfempfehlung der STIKO nicht auf diese Gruppen ausgedehnt [20]. In den USA ist die Impfung für Jungen und Männer bereits zugelassen [21] und ist seit dem Jahr 2012 auch in den amerikanischen Impfempfehlungen festgehalten [22]. Aufgrund der geringen Durchimpfungsrate von Mädchen und Frauen (je nach Studie 25% bis 51% [23, 24]) wird in Deutschland vereinzelt diskutiert, auch Jungen gegen die HPV-Infektion mit bestimmten Virustypen zu impfen, um eine Herdenimmunität aufzubauen. Das bedeutet, dass durch eine ausreichend hohe Impfquote auf Bevölkerungsebene eine schützende Wirkung für die gesamte Bevölkerung erreicht wird.
2.7.5.2 Infektionen mit Gonokokken
Gonorrhö, auch als Tripper bezeichnet, wird durch den Erreger Neisseria gonorrhoeae (Gonokokkus) hervorgerufen. Die Gonorrhö ist eine weltweit verbreitete, ausschließlich beim Menschen vorkommende Infektionskrankheit. Die Infektion mit Gonokokken äußert sich vor allem durch Symptome der Schleimhautinfektion an der Eintrittspforte, die lokale Komplikationen hervorrufen können. Aufsteigenden Infektionen der inneren Genitalorgane sowie eine verbreitete (disseminierte) Gonokokken-Infektion mit Entzündungen von Haut, Sehnenscheiden, Gelenken, Herz, Hirnhaut und Leber sind möglich.
Da seit dem Jahr 2001 in Deutschland keine Meldepflicht für Gonorrhö besteht, stehen in Deutschland kaum aktuelle epidemiologische Daten zur Verfügung. Ergebnisse aus Ländern der Europäischen Union/des Europäischen Wirtschaftsraumes zeigen insgesamt eine Abnahme der Meldedaten im Zeitraum von 2006 bis 2010. Im Jahr 2010 wurden insgesamt 31.983 Fälle von Gonorrhö an die europäische Meldebehörde übermittelt, wobei aber erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern bestehen. Generell zeichnet sich bei diesen Daten ab, dass mehr Männer als Frauen betroffen sind, fast drei Viertel aller Fälle sind männlich. Bei mehr als einem Viertel aller Infektionen mit Gonokokken wurde MSM als Infektionsweg angegeben [25]. In Deutschland waren in der von 2009 bis 2010 durchgeführten PARIS-Studie unter MSM in Arztpraxen 4,6% der rektalen Abstriche positiv [26].
Gonorrhö galt bislang als gut therapierbar. Nun zeigen aber die internationalen Daten, dass zunehmend Antibiotika-Resistenzen bei Neisseria gonorrhoeae auftreten, vor allem gegen die derzeit empfohlenen Standardmedikamente (Cefixim, Ceftriaxon). Der Verlust dieser Behandlungsoptionen, zumal beim oral einzunehmenden Cefixim, kann höhere Kosten und zunehmende Compliance-Probleme mit sich bringen. Aus diesem Grund ist bei der Therapie der Gonorrhö eine Resistenzprüfung durchzuführen, damit die weitere Übertragung des Erregers vermieden wird [25].
2.7.5.3 Infektionen mit Chlamydia trachomatis
STI durch Chlamydien (Chlamydia trachomatis) sind sehr weit verbreitet. Das European Center for Disease Control and Prevention (ECDC) schätzt, dass Chlamydien-Infektionen zu den häufigsten STI in Europa zählen [27]. Sie treten vor allem bei jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren auf (77,6%). Im Jahr 2011 wurden dem ECDC europaweit 346.911 Fälle gemeldet [27]; nicht alle Länder in Europa haben allerdings eine Meldepflicht für Chlamydien. Es wurden 42,8% mehr Fälle bei Frauen als bei Männern gemeldet. Dieser Fakt wird dahingehend interpretiert, dass Frauen auch mehr Gelegenheiten haben, getestet zu werden als Männer. Dies ist zum Beispiel im Rahmen der regelmäßigen gynäkologischen Konsultationen zur Schwangerschaftsverhütung, Familienplanung, Krebsfrüherkennung und dem gezielten Chlamydien-Screening (s.u.) der Fall. Nach Informationen zum Infektionsweg ist die heterosexuelle Übertragung am häufigsten (86%), die Übertragung durch gleichgeschlechtliche Kontakte (MSM) betrug nach den Daten des ECDC 5% [27]. Anhand der Daten der »Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland« (KiGGS) und der »Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland« (DEGS) wird die Verbreitung von Chlamydien-Infektionen von 4,4% bei sexuell aktiven 17-jährigen Frauen, 4,5% bei 18- bis 19-jährigen Frauen und 4,9% bei 25- bis 29-jährigen Männern geschätzt [28, 29]. Eine deutsche Studie zur Verbreitung von Chlamydien bei Männern, die Sex mit Männern haben, fand Prävalenzen von 1,5% bis 8% (je nach Ort des Abstrichs: Rachen, Enddarm, Harnröhre) [30]. Unbehandelt können Chlamydien-Infektionen bei Männern (wie bei Frauen) schwerwiegende gesundheitliche Folgen hervorrufen. Bei Männern können entzündliche Erkrankungen der Harnröhre, der Nebenhoden und der Prostata auftreten. Unbehandelt sind außerdem Langzeitschäden möglich, da Chlamydien-Infektionen meist nicht von allein ausheilen. Das kann zu Unfruchtbarkeit führen, bei Männern über Prostata- und Samenleiterentzündungen, bei Frauen über Entzündungen von Gebärmutter und Eileitern. Da die genitalen Chlamydien-Infektionen bei Männern (und bei Frauen) meist asymptomatisch verlaufen, bleiben sie jedoch häufig unerkannt [31].
Wie bei HPV-Infektionen, ist das Risiko mit der Sexualpartnerzahl und dem Kondomgebrauch assoziiert. Eine rechtzeitige Behandlung der Chlamydien-Infektion mit Antibiotika, bei der auch die Sexualpartner mit einbezogen werden sollten, kann die Folgeerkrankungen großenteils verhüten. Deshalb wurde für alle sexuell aktiven Frauen bis zum abgeschlossenen 25. Lebensjahr ein Chlamydien-Screening mit einer jährlich angebotenen Untersuchung eingeführt. Aufgrund der Häufigkeit der Chlamydien-Infektionen bei Männern, gab es Überlegungen, das Screening-Angebot auch auf diese Zielgruppe auszuweiten. Allerdings wird die Datenlage dazu derzeit als unzureichend eingeschätzt [32].
2.7.6 Diskussion
Individuelle Vorstellungen von Sexualität, aber auch gesellschaftliche und kulturelle Auffassungen haben Einfluss darauf, wie Sexualität gelebt werden kann. Entscheidend bei der Prävention von STI ist, Verantwortung für das eigene Handeln und für die eigene Gesundheit sowie für die der Sexualpartnerin/des Sexualpartners zu übernehmen.
Aufgrund der Daten zur epidemiologischen Situation von STI lassen sich Hauptbetroffenengruppen identifizieren, die gezielt präventiv angesprochen werden sollten. MSM sind eine zentrale Zielgruppe in der HIV-Prävention. Vor dem Hintergrund der steigenden Zahlen der HIV-Neudiagnosen bei MSM ist es wichtig, mögliche Präventionslücken in dieser Gruppe aufzudecken. MSM werden daher in regelmäßigen Wiederholungserhebungen zu ihrem Sexualverhalten befragt [33]. Die jüngsten Ergebnisse [2] belegen Erfolge in der HIV-Prävention, aber auch Lücken bei der Aufklärung und Vermittlung von Präventionsbotschaften. So fanden sich keine Hinweise auf eine Präventionsmüdigkeit beim Kondomgebrauch, allerdings Unsicherheiten beim Wissen über die Wirksamkeit anderer Strategien der Risikoreduzierung. Diese zeigten sich vor allem bei Männern mit niedrigerem Bildungsniveau und Einkommen.
Die relativ hohe Verbreitung von STI bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen weist auf eine weitere Zielgruppe von Präventionsmaßnahmen hin. Verschiedene Akteure engagieren sich in Deutschland auf dem Gebiet der Sexualaufklärung und Prävention von STI [34]. Durch spezifische Maßnahmen auf verschiedenen Kommunikationsebenen soll das Informations- und Schutzverhalten der Zielgruppen verbessert werden. Beispielsweise richtet sich die Kampagnen »ICH WEISS WAS ICH TU« (www.iwwit.de) der Deutschen AIDS-Hilfe an schwule, bisexuelle und andere Männer, die Sex mit Männern haben. Ziel ist es, Männer darin zu bestärken, sich vor HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen zu schützen. Aber auch, Männer dazu zu befähigen, ihr Risikoverhalten selbst einzuschätzen. Der Ansatz ist dabei, Präventionsbotschaften in einer lebens- und lustfreundlichen Weise zu vermitteln. Über verschiedene Medien (Zeitschriften, TV, Internet), die individuelle Beratung (vor Ort, Telefon, Internet) und Vor-Ort-Aktionen wird versucht, die Lebenswirklichkeiten der Zielgruppen einzubeziehen. Auch die aktuelle »mach's mit«-Kampagne (»Gib Aids keine Chance«) (www.machsmit.de) der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist nicht mehr nur eine Kampagne zur HIV-Prävention, sondern schließt inzwischen Aspekte der Prävention sexuell übertragbarer Infektionen ein. Die Botschaft »Wissen & Kondom schützen vor HIV- und anderen sexuell übertragbaren Infektionen« richtet sich an eine breite Öffentlichkeit verschiedener Altersgruppen, die über diverse Medien (Plakate, Poster, Anzeigen, Postkarten, Onlinebanner, Messestände) angesprochen wird.
Hinsichtlich Migration oder Wohnortwechsel und STI sind verschiedene Aspekte von Bedeutung. Sie betreffen den Personenkreis (meist jüngere Menschen ohne familiäre Bindungen), den Grund (z.B. Nichtakzeptanz verschiedener sexueller Orientierungen in der Heimatregion) und die Dauer des Aufenthalts (bei befristeten Aufenthalten werden seltener feste Partnerschaften eingegangen, aber dennoch sexuelle Beziehungen). Die neue Umgebung erfordert eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Werten und Normen, ermöglicht aber auch, verschiedene Formen von Sexualität und Partnerschaft zu leben. Dadurch kann die Ausbreitung von STI begünstigt werden. Bei Migranten und Migrantinnen spielen zudem sprachliche, soziale und kulturelle Barrieren beim Zugang zu Informationen sowie beim Zugang zu medizinischen und sozialen Angeboten der STI-Diagnostik, -Behandlung und -Beratung eine große Rolle [35].
Aufgrund der Art der Verbreitung, der Ansteckungsgefahr, der möglichen Folgen und der damit verbundenen individuellen wie gesellschaftlichen Krankheitslast stellen STI besondere Anforderungen an die Prävention. Standards der Prävention sexuell übertragbarer Infektionen wurden im Jahr 2010 von einer Arbeitsgruppe innerhalb der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft »Sexuelle Gesundheit« vorgestellt [36]. Sie beschreiben allgemeingültige Kriterien zum sozialen, ethisch-moralischen, klinischen und wissenschaftlichen Umgang mit dem Thema Prävention von STI. Um die sexuelle Gesundheit zu fördern, zu bewahren und wiederherzustellen, kommt auch der Beratung zu sexuell übertragbaren Infektionen besondere Bedeutung zu, sowohl im Hinblick auf Prävention als auch auf Diagnostik und Therapie. Die Sektion Sexuelle Gesundheit der Deutschen STI-Gesellschaft (DSTIG) hat es daher übernommen, Empfehlungen speziell für die Beratung zu sexuell übertragbaren Infektionen zu entwickeln [37]. In den Empfehlungen werden auch Aspekte der Beratung in besonderen Situationen einbezogen, die sowohl verschiedene Beratungsanlässe (z.B. Abklärung von Symptomen oder eines möglichen Risikos) als auch verschiedene Betroffenengruppen (MSM, Sexarbeiter und -arbeiterinnen, Jugendliche und Erwachsene bis zu einem Alter von 25 Jahren) berücksichtigen.
Literatur
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Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
(2012) Gib AIDS keine Chance. Das Wissensportal
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8 | Robert Koch-Institut (2012) Mögliche Ursachen für den erneuten Anstieg von HIV-Neuinfektionen bei MSM - Wechselwirkungen zwischen HIV- und STI-Koepidemien. Epidemiologisches Bulletin 47: 472 bis 476 |
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10 | Robert Koch Institut (2014) HIV-Infektionen und AIDS-Erkrankungen in Deutschland - Bericht zur Entwicklung im Jahr 2013 aus dem Robert Koch-Institut. Epidemiologisches Bulletin 26: 213 bis 232 |
11 | Funnye AS, Akhtar AJ (2003) Syphilis and human immunodeficiency virus co-infection. J Natl Med. Assoc 95 (5): 363 to 382 |
12 | Robert Koch-Institut (2012) Erneuter Anstieg der Syphilis-Meldungen in 2011. Epidemiologisches Bulletin 24: 221 bis 223 |
13 | Robert Koch Institut (2014) Mitteilung der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (RKI) Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut/Stand: August 2014. Epidemiologisches Bulletin 34: 305 bis 340 |
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15 | Giuliano AR, Lee JH, Fulp W et al. (2011) Incidence and clearance of genital human papillomavirus infection in men (HIM): A cohort study. The Lancet 377 (9.769): 932 to 940 |
16 | Leszek W, Slawomir D, Andrzej M (2013) Incidence and prevalence of multiple types of genital human papillomavirus (HPV) infection in men: A study in poland. Ginekologia Polska 84 (2): 112 to 115 |
17 |
Deutsches Krebsforschungszentrum (2009) Krebsinformationsdienst. www.krebsinformationsdienst.de (Stand: 20.12.2012) |
18 | Schreckenberger C, Kaufmann AM, Schneider A (2007) Implementierung der HPV-impfung in Deutschland. Deutsche Medizinische Wochenschrift 132 (42): 2.221 bis 2.224 |
19 | European Centre for Disease Prevention and Control (2012) ECDC Guidance. Introduction of HPV vaccines in European Union countries - an update. European Centre for Disease Prevention and Control, Stockholm |
20 | Deleré Y (2009) Die Impfung gegen HPV. Empfehlungen im europäischen Vergleich. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 52 (11): 1.065 bis 1.068 |
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22 | Advisory Committee on Immunization Practices (2012) Recommended Adult Immunization Schedule: United States, 2012. Annals of Internal Medicine 156 (3): 211 to 217 |
23 | Roggendorf H (2009) Erste Erfahrungen zur Akzeptanz der HPV-Impfung: Durchimpfungsrate eines Jahrgangs in einer Großstadt 1 Jahr nach Impfempfehlung durch die STIKO. Monatsschrift für Kinderheilkunde 157 (10): 982 bis 985 |
24 | Wild F (2011) Impfung gegen humane Papillomviren (HPV). Eine Analyse der Verordnungsdaten Privatversicherter. WIP-Diskussionspapier 3/2011. Wissenschaftliches Institut der PKV, Köln |
25 | European Centre for Disease Prevention and Control (2013) Annual Epidemiological Report 2012. Reporting on 2010 surveillance data and 2011 epidemic intelligence data. ECDC, Stockholm |
26 | Robert Koch-Institut (2013) RKI-Ratgeber für Ärzte. Gonorrhö (Tripper). Epidemiologisches Bulletin 14: 115 bis 119 |
27 | European Centre for Disease Prevention and Control (2013) Annual Epidemiological Report 2013. Reporting on 2011 surveillance data and 2012 epidemic intelligence data. ECDC, Stockholm |
28 | Desai S, Meyer T, Thamm M et al. (2011) Prevalence of Chlamydia trachomatis among young German adolescents, 200506. Sexual Health 8 (1): 120 to 122 |
29 | Robert Koch Institut (2013) Chlamydia trachomatis - Laborsentinel. Epidemiologisches Bulletin 46: 469 bis 475 |
30 | Marcus U (2011) Wer sucht der findet. Prävalenz pharyngealer und rektaler Infektionen durch Gonokokken und Chlamydien bei Männern, die Sex mit Männern haben. Vortrag auf dem Deutschen STD-Kongress, Köln |
31 | Robert Koch-Institut (2009) RKI-Ratgeber Infektionskrankheiten - Merkblätter für Ärzte. Infektionen durch Chlamydien (Teil 1): Erkrankungen durch Chlamydia trachomatis. Epidemiologisches Bulletin 37: 369 bis 373 |
32 | Unterausschuss Familienplanung des Gemeinsamen Bundesausschusses (2008) Screening auf genitale Chlamydia trachomatis-Infektionen bei Frauen. Abschlussbericht des Unterausschusses »Familienplanung« des Gemeinsamen Bundesausschusses. Gemeinsamer Bundesausschuss, Siegburg |
33 | Schmidt AJ, Bochow M (2009) Trends in Risk Taking and Risk Reduction Among German MSM. Results of Follow-Up Surveys »Gay Men and AIDS« 1991 bis 2007. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Berlin |
34 | Corsten C, Von Rüden U (2013) Prävention sexuell übertragbarer Infektionen (STI) in Deutschland. Von der HIV- zur STI-Prävention. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 56 (2): 262 bis 268 |
35 | Nitschke H, Oliveira F, Knappik A et al. (2011) Seismograf für Migration und Versorgungsdefizite STD-Sprechstunde im Gesundheitsamt Köln. Gesundheitswesen 73 (11): 748 bis 755 |
36 | Robert Koch-Institut (2010) Zur Prävention sexuell übertragbarer Infektionen. Epidemiologisches Bulletin 35: 351 bis 354 |
37 |
Sektion Sexuelle Gesundheit der Deutschen STI-Gesellschaft
(DSIG) (2013) STI/STD: Beratung, Diagnostik
und Therapie. www.dstig.de/images/Literatur/dstig_sti-beratung_diagnostik_therapie_1.%20auflage.3.2.013.pdf (Stand: 12.06.2013) |
2.8 Subjektive Gesundheit
Der Begriff der subjektiven Gesundheit umschreibt in den Gesundheitswissenschaften die individuelle Wahrnehmung und Beurteilung des eigenen Gesundheitszustands. Subjektive Gesundheit gilt einerseits als geeigneter Indikator für den tatsächlichen Gesundheits- oder Krankheitszustand einer Person. Andererseits bildet sie über den individuellen Wahrnehmungshorizont Aspekte von Gesundheit ab, die über rein medizinisch- objektive Bestimmungen hinausgehen. Durch ihren universellen Charakter spiegelt subjektive Gesundheit damit auch persönliche oder soziale Ressourcen oder eine frühzeitige subjektive Aufmerksamkeit für physiologische Veränderungen wider [1, 2]. Der subjektiv berichtete Gesundheitszustand kann bereits Einschränkungen erkennen lassen, wenn Krankheiten noch nicht ärztlich diagnostiziert sind. Somit ist die subjektive Gesundheit ein wichtiger Faktor, um die Wahrscheinlichkeit des späteren Eintretens von Krankheit oder Tod besser bestimmen zu können [1 bis 4]. In ähnlicher Weise beeinflusst sie die Wiederaufnahme oder Fortsetzung der Berufstätigkeit im Krankheitsfall oder allgemein im fortgeschrittenem Erwerbsalter [5].
Im Folgenden wird subjektive Gesundheit sowohl über die subjektive Einschätzung des eigenen Gesundheitszustandes als auch über drei Dimensionen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität dargestellt. Als einfaches Maß der Selbsteinschätzung des Gesundheitszustandes durch die untersuchten Personen hat sich die Frage: »Wie ist Ihr Gesundheitszustand im Allgemeinen?« bewährt. Maßzahlen zur Messung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität gehen ebenfalls von einem subjektiven Verständnis von Gesundheit und Krankheit aus. Sie differenzieren aber häufig nach verschiedenen Dimensionen wie psychische und körperliche Gesundheit und stellen damit wichtige Kennziffern für verschiedene Aspekte der subjektiven Gesundheit zur Verfügung. Im Folgenden wird die gesundheitsbezogene Lebensqualität über die mittlere Anzahl an Tagen dargestellt, an denen aus Sicht der Befragten in den letzten vier Wochen a) ihr körperliches oder b) ihr seelisches Befinden beeinträchtigt war oder sie c) hierdurch in der Ausübung alltäglicher Aktivitäten eingeschränkt waren (funktionale Beeinträchtigung) [6]. Die Anzahl von Tagen stellt ein Maß dar, das leicht interpretierbar und gesundheitspolitisch wie -ökonomisch verwendbar ist. Wachsende Bedeutung kommt Konzepten der gesundheitsbezogenen Lebensqualität jedoch auch vor dem Hintergrund eines gewandelten Krankheitsspektrums zu. In Zeiten, in denen chronische Erkrankungen die Krankheitslast alternder Gesellschaften dominieren, drückt sich Therapieerfolg nicht immer in Heilung aus, sondern wird zunehmend über die verbleibende Lebensqualität der Betroffenen gemessen [7].
2.8.1 Subjektive Gesundheit im Überblick
Die Studie »Gesundheit in Deutschland aktuell« 2010 (GEDA 2010) des Robert Koch-Instituts erfasst ein breites Spektrum möglicher Einflussfaktoren für die subjektive Gesundheit. Nach einer einführenden geschlechtsspezifischen Betrachtung besteht damit die Möglichkeit, weitere Differenzierungen wie den Einfluss der sozialen Lage der Befragten auf die subjektive Gesundheit von Männern in den Blick zu nehmen. Zunächst fällt in der alters- und geschlechtsspezifischen Betrachtung auf, dass Männer ihre Gesundheit etwas häufiger als Frauen als gut oder sehr gut bezeichnen und etwas seltener als mittelmäßig (siehe Tabelle 2.8.1). Dieser Zusammenhang, wenn auch schwach ausgeprägt, bleibt über alle Altersgruppen hinweg konstant und erweist sich auch im internationalen Vergleich als stabil [8]. Auffällig ist, dass der Unterschied zwischen den Geschlechtern ausschließlich auf eine positive und mittelmäßige Bewertung der eigenen Gesundheit beschränkt bleibt, bei einer eindeutig negativen Bewertung jedoch nicht gleichermaßen erkennbar ist. Insgesamt wird deutlich, dass sich die subjektive Gesundheit, analog zu den im Alter ansteigenden Prävalenzen chronischer Erkrankungen, im Altersgang verschlechtert.
Tabelle 2.8.1
Alter (Jahre) | Männer | Frauen | ||||
---|---|---|---|---|---|---|
sehr gut/gut | mittelmäßig |
schlecht/ sehr schlecht |
sehr gut/gut | mittelmäßig |
schlecht/ sehr schlecht |
|
18 bis 24 | 91,7 | 7,3 | 1,0 | 87,5 | 10,8 | 1,7 |
25 bis 34 | 88,4 | 9,7 | 1,9 | 84,2 | 12,8 | 3,1 |
35 bis 44 | 83,8 | 13,2 | 3,0 | 81,3 | 16,3 | 2,5 |
45 bis 54 | 74,9 | 18,9 | 6,1 | 71,1 | 22,1 | 6,8 |
55 bis 64 | 62,6 | 26,3 | 11,0 | 61,3 | 29,2 | 9,4 |
>=65 | 55,9 | 33,9 | 10,2 | 48,8 | 38,7 | 12,6 |
Ähnlich weisen Männer im Mittel eine bessere gesundheitsbezogene Lebensqualität auf und berichten entsprechend seltener als Frauen über körperliche, seelische oder funktionale Einschränkungen. Erwachsene Männer geben im Mittel 3,5 Tage pro Monat an, an denen ihr körperliches Befinden eingeschränkt war (Frauen: 4,9) und 3,3 Tage, an denen ihr seelisches Befinden eingeschränkt war (Frauen: 5,1). Eine Beeinträchtigung ihrer alltäglichen Aktivitäten müssen sie durchschnittlich an 2,5 Tagen hinnehmen (Frauen: 2,9). Im Altersgang findet sich eine sukzessive Zunahme gesundheitlicher und funktionaler Einschränkungen bzw. Beeinträchtigungen. Zudem fällt auf, dass die mittlere Zahl an Tagen mit körperlichen oder seelischen Einschränkungen oder funktioneller Beeinträchtigung in der Altersgruppe der über 65-jährigen Männer einen Rückgang aufweist (siehe Abbildung 2.8.1). Hier schlägt sich bei den Männern besonders deutlich das Ende der Erwerbstätigkeit nieder. Insbesondere im erwerbsfähigen Alter ist bei Männern die gesundheitsbezogene Lebensqualität, stärker als bei Frauen, mit körperlicher und seelischer Funktionsfähigkeit in der Berufsausübung verknüpft (siehe Kapitel 4 Arbeit und Gesundheit, Kapitel 5 Lebensformen und Gesundheit). Der mit dem Ruhestand verbundene Rückgang beruflicher Aktivitäten führt bei vielen Männern offenbar dazu, dass gesundheitliche Beschwerden im Alltag als weniger belastend wahrgenommen werden als in der Phase der Erwerbstätigkeit.
Abbildung 2.8.1

2.8.2 Erwerbsstatus und subjektive Gesundheit
Auch darüber hinaus zeigt sich die Erwerbstätigkeit zum Zeitpunkt der Befragung als wichtiges Korrelat der subjektiven Gesundheit. Insbesondere Arbeitslosigkeit gilt als wichtiger Einflussfaktor für die subjektive Gesundheit und gesundheitsbezogene Lebensqualität [9]. Im Folgenden werden erwerbstätige Männer sowohl von arbeitslosen Männern unterschieden als auch von jenen Nichterwerbstätigen, die angeben, nicht arbeitslos und damit nicht arbeitssuchend zu sein. Generell gilt, dass arbeitslose Männer ihre Gesundheit im Vergleich zu den beiden anderen Gruppen subjektiv schlechter bewerten. Gegenüber erwerbstätigen Männern weisen insbesondere Arbeitslose, aber auch nicht arbeitssuchende Erwerbslose im Mittel deutlich mehr Tage mit körperlichen, seelischen oder funktionalen Einschränkungen im vergangenen Monat auf. Der Anteil der Männer mit schlechtem oder sehr schlechtem Gesundheitszustand ist unter arbeitslosen gegenüber erwerbstätigen Männern etwa um das Fünffache erhöht (siehe Tabelle 2.8.2). Darin spiegelt sich zum einen, dass gesundheitlich eingeschränkte Männer deutlich geringere Chancen haben, am Arbeitsleben teilzunehmen. Zum anderen wirkt sich Erwerbslosigkeit negativ auf den Gesundheitszustand der betroffenen Männer aus und verschlechtert somit zusätzlich die Zugangsmöglichkeiten in den ersten Arbeitsmarkt (siehe auch Kapitel 4 Arbeit und Gesundheit).
Tabelle 2.8.2
Gesundheitsbezogene Lebensqualität Anzahl von Tagen im letzten Monat... (Arithmetisches Mittel) |
Selbsteinschätzung des Gesundheitszustandes (Prozent) |
|||||
---|---|---|---|---|---|---|
...mit körperlichen Beeinträchtigungen |
...mit seelischen Beeinträchtigungen |
...mit funktionalen Beeinträchtigungen |
mittelmäßig |
sehr schlecht/ schlecht |
||
Erwerbsstatus
|
erwerbstätig | 3,0 | 3,0 | 1,9 | 13,7 | 2,7 |
nicht erwerbstätig, nicht arbeitslos ( <65 Jahre) |
5,1 | 4,2 | 4,6 | 16,8 | 13,5 | |
arbeitslos | 6,2 | 5,6 | 5,6 | 38,6 | 13,9 |
Der grundsätzliche Zusammenhang zwischen Erwerbstätigkeit und Gesundheit bleibt auch bei einer altersspezifischen Betrachtung im Grundsatz erhalten. Jedoch sind gerade im mittleren Lebensalter vergleichsweise viele Tage mit gesundheitlichen Beschwerden oder funktionalen Einschränkungen auch bei jenen nicht erwerbstätigen Männern nachweisbar, die sich nicht als arbeitslos bezeichnen. So berichteten die 35- bis 44-jährigen Männer dieser Gruppe 9,5 Tage mit funktionalen Einschränkungen im letzten Monat, bei den 45- bis 54-Jährigen waren dies im Mittel sogar 13,7 Tage. Analog hierzu bezeichnete über ein Drittel dieser Männer ihren Gesundheitszustand als schlecht oder sehr schlecht, die überwiegende Mehrheit gab an, unter einer chronischen Erkrankung zu leiden. Aus den Zahlen wird ersichtlich, dass die Gruppe der nicht erwerbstätigen Männer, die nicht auf Arbeitssuche sind, im mittleren Lebensalter stark durch Berufsunfähigkeit und Erwerbsminderung geprägt ist. Die subjektive Gesundheit dieser Männer fällt in den beschriebenen Altersgruppen sogar deutlich schlechter aus als die arbeitsloser Männer, ein Zusammenhang der bei Frauen nicht besteht.
2.8.3 Sozioökonomischer Status und subjektive Gesundheit
Weiterhin zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status [10], dargestellt in Form dreier Statusgruppen auf Basis von Bildung, Beruf und Einkommen, und der subjektiven Gesundheit der befragten Männer (siehe Tabelle 2.8.3). Sowohl der allgemeine Gesundheitszustand als auch die gesundheitsbezogene Lebensqualität fällt bei sozial benachteiligten Männern und Frauen auch bei statistischer Kontrolle des Alters deutlich schlechter aus als bei Befragten mit mittlerem oder hohem Sozialstatus. Männer mit niedrigem Sozialstatus berichten im Vergleich zu Männern mit hohem Sozialstatus mehr als doppelt so häufig einen mittelmäßigen und mehr als viermal so häufig einen schlechten oder sehr schlechten Gesundheitszustand. Die mittlere Zahl an Tagen mit körperlichen, seelischen oder funktionalen Beschwerden ist gegenüber Männern mit hohem Sozialstatus je nach Indikator mindestens um das Zweifache erhöht. Darüber hinaus zeigt der Schichtgradient eine deutlich altersspezifische Ausprägung. Während sich der Anteil der 18- bis 24-Jährigen mit sehr gutem oder gutem Gesundheitszustand mit 95,3% unter Männern mit hohem und 90,7% bei Männern mit niedrigem Sozialstatus noch vergleichsweise wenig unterscheidet, fällt er mit zunehmendem Alter stärker aus. So berichten unter den 55- bis 64-Jährigen nur 42,2% der Männer mit niedrigem Sozialstatus aber 77,5% der Männer mit hohem Sozialstatus einen guten oder sehr guten Gesundheitszustand.
Tabelle 2.8.3
Gesundheitsbezogene Lebensqualität Anzahl von Tagen im letzten Monat... (Arithmetisches Mittel) |
Selbsteinschätzung des Gesundheitszustandes (Prozent) |
|||||
---|---|---|---|---|---|---|
...mit körperlichen Beeinträchtigungen |
...mit seelischen Beeinträchtigungen |
...mit funktionalen Beeinträchtigungen |
mittelmäßig |
sehr schlecht/ schlecht |
||
sozio ökono mischer Status |
hoch | 2,4 | 2,2 | 1,4 | 12,4 | 2,3 |
mittel | 3,9 | 3,1 | 2,7 | 20,0 | 6,1 | |
niedrig | 4,8 | 4,5 | 3,6 | 27,1 | 9,8 |
2.8.4 Chronische Erkrankungen und subjektive Gesundheit
Besondere Einschränkungen ihrer Lebensqualität müssen nicht zuletzt jene Menschen verkraften, die zumeist altersbedingt unter chronischen Erkrankungen leiden. Chronische Erkrankungen führen heute seltener bzw. später zum Tode. Folgerichtig wird mit fortschreitendem Alter bei vielen Menschen ein größerer Teil des Lebens auch von der Bewältigung nicht heilbarer Leiden geprägt. Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungsqualität für chronisch kranke Menschen müssen sich daher nicht zuletzt an einer Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität der betreffenden Personen messen lassen. Um den Zusammenhang zwischen Lebensqualität und Krankheit zu verdeutlichen, wird beispielhaft die durchschnittliche Zahl an Tagen dargestellt, an denen die chronisch erkrankten Befragten im letzten Monat in der Durchführung ihrer alltäglichen Aktivitäten beeinträchtigt waren. Zum Vergleich werden Personen ohne chronische Krankheiten herangezogen. Um Verzerrungen zugunsten jüngerer, zumeist gesunder Befragter zu vermeiden, wurde die Darstellung auf die Altersgruppe der 45-Jährigen und Älteren beschränkt, da ab diesem Alter eine nennenswerte Prävalenz der betreffenden Diagnosen vorliegt (siehe Abbildung 2.8.2).
Die gesundheitliche Lebensqualität chronisch Kranker unterscheidet sich hinsichtlich funktionaler Beeinträchtigungen spürbar von der Lebensqualität gesunder Personen. Die deutlichsten Einschränkungen der gesundheitlichen Lebensqualität gehen im dargestellten Krankheitsspektrum mit den Herz-Kreislauf-Erkrankungen einher. Zudem bleibt der Geschlechterunterschied zugunsten einer etwas besseren funktionalen Lebensqualität bei männlichen Befragten auch im Krankheitsfall bestehen bzw. ist sogar stärker ausgeprägt als bei Befragten ohne chronische Erkrankung. Am deutlichsten wird dies bei der Diagnose Diabetes. Ausschließlich beim Asthma bronchiale tritt der betreffende Zusammenhang nicht zutage.
Abbildung 2.8.2

2.8.5 Diskussion
Zur Einordnung der Befunde ist zunächst darauf zu verweisen, dass die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der subjektiven Gesundheit allenfalls mäßig ausgeprägt sind. Die Differenzen sind zwar erklärungsbedürftig, da sie sich in vielen Untersuchungen als stabil erwiesen haben, aber sie eignen sich nicht dazu, einen fundamentalen Unterschied zugunsten der Gesundheit von Männern zu konstruieren. Vielmehr zeigt sich auch, dass Unterschiede der subjektiven Gesundheit zum Teil durch den im Mittel niedrigeren sozioökonomischen Status von Frauen zu erklären sind [11].
Darüber hinaus ist es für die Erklärung bestehender Geschlechterunterschiede in der subjektiven Gesundheit ratsam, nicht nur auf biologisch determinierte Geschlechterunterschiede (sex) zu fokussieren, sondern vielmehr das soziale Geschlecht (gender) mit in den Blick zu nehmen. Körperwahrnehmungen sind nicht zuletzt das Ergebnis von Sozialisationsprozessen. Historisch entstandene Geschlechterrollen werden im Lebensverlauf eingeübt und reproduziert, und in der Folge bilden sich spezifische somatischen Kulturen aus [12]. Stärker als Frauen neigen Männer dazu, ihren Körper instrumentell und leistungsorientiert einzusetzen. Im Gesundheitsverständnis von Männern stehen stärker die körperliche Leistungsfähigkeit und weniger die psychischen Aspekte von Gesundheit im Vordergrund [13]. Körper und Gesundheit dienen stärker dem Zweck der täglichen Aufgabenbewältigung oder dazu, nach außen Stärke zu zeigen [13, 14].So wird häufig angenommen, dass Männer und Frauen unterschiedlich sensibel für körperliche Prozesse sind, dass Frauen eher bereit sind, auch leichtere gesundheitliche Probleme zu thematisieren und Hilfe zu suchen und dass psychischen Aspekten im »weiblichen« Gesundheitsverständnis eine größere Rolle zukommt. Eher »männliche« Gesundheitsvorstellungen zeichnen sich demnach durch eine stärkere Betonung körperlicher Symptome aus, vor allem jedoch durch eine stärker ausgeprägte Risikobereitschaft sowie die Neigung, körperliche und psychische Warnsignale länger zu ignorieren [15 bis 17]. Die etwas bessere subjektive Gesundheit von Männern, so die Annahme, ist daher auch das Ergebnis eines anderen Umgangs mit Gesundheit und Krankheit. Subjektive Gesundheit ist also für Männer auf der Ebene qualitativer Sinnzuschreibungen häufig mit anderen Bedeutungen versehen. Sie dient stärker als Voraussetzung, um eigene und soziale Erwartungen im Beruf erfüllen zu können und wird möglicherweise auch dann länger aufrechterhalten, wenn objektive Verschlechterungen (z.B. chronische Erkrankungen) bereits einsetzen. Umgekehrt erschwert Erwerbslosigkeit bis heute die Erfüllung tradierter männerspezifischer Rollenerwartungen. Vor dem Hintergrund der identitätsstiftenden Wirkung einer aktiven Erwerbstätigkeit (siehe auch Kapitel 4 Arbeit und Gesundheit), ist aus gesundheitspolitischer Sicht daher gerade auf erwerbslose Männer ein besonderes Augenmerk zu richten. Sie sind ohnehin stärker mit gesundheitlichen Problemen belastet als die erwerbstätige Bevölkerung und erleben ihre Erwerbslosigkeit zudem als gesundheitlich belastende Krise männerspezifischer Rollenmuster. Soziale Isolation und Rückzug verstärken die gesundheitlich negativen Auswirkungen der Erwerbslosigkeit. Demgegenüber kann eine ausgeprägte soziale Unterstützung auch bei Männern die negativen gesundheitlichen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit spürbar reduzieren [9].
Literatur
1 | Idler EL, Benyamini Y. Self-rated health and mortality: a review of twenty-seven community studies. Journal of health and social behavior 1997; 38: 21 to 37 |
2 | Müters S, Lampert T, Maschewsky-Schneider U. Subjektive Gesundheit als Prädiktor für Mortalität. Gesundheitswesen 2005; 67: 129 bis 136 |
3 | DeSalvo KB, Bloser N, Reynolds K et al. Mortality prediction with a single general self-rated health question. A meta-analysis. Journal of general internal medicine 2006; 21: 267 to 275 |
4 | Ernstsen L, Nilsen SM, Espnes GA et al. The predictive ability of self-rated health on ischaemic heart disease and all-cause mortality in elderly women and men: the Nord-Trondelag Health Study (HUNT). Age Ageing 2011; 40: 105 to 111 |
5 | Wurm S, Engstler H, Tesch-Römer C. Ruhestand und Gesundheit. Berlin: Deutsches Zentrum für Altersfragen; 2009 |
6 | Centers for Disease Control and Prevention. Measuring Healthy Days: Population Assessment of Health-related Quality of Life. In. Atlanta: CDC; 2000 |
7 | Kurth B, Ravens-Sieberer U. Gesundheitsbezogene Lebensqualität. In, Leitbegriffe der Gesundheitförderung: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung; 2011 |
8 | Crimmins EM, Kim JK, Sole-Auro A. Gender differences in health: results from SHARE, ELSA and HRS. Eur J Public HealthEur J Public Health 2011; 21: 81 to 91 |
9 | Kroll L, Lampert T. Arbeitslosigkeit, soziale Unterstützung und gesundheitliche Beschwerden. Ergebnisse aus der GEDA-Studie 2009. Deutsches Ärzteblatt 2011; 108: 47 bis 52 |
10 | Lampert T, Kroll LE, Müters S et al. Messung des sozioökonomischen Status in der Studie »Gesundheit in Deutschland aktuell« (GEDA). Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 2013; 56: 131 bis 143 |
11 | Cherepanov D, Palta M, Fryback DG et al. Gender differences in multiple underlying dimensions of health-related quality of life are associated with sociodemographic and socioeconomic status. Med Care 2011; 49: 1,021 to 1,030 |
12 | Hahn D. Zweigeschlechtliche und hierarchische Geschlechterordnung. Von der Kritik der Gesundheitsforschung zur Institutionalisierung der Chancengleichheit. Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz 2008; 51: 61 bis 69 |
13 | Faltermaier T. Männliche Identität und Gesundheit. Warum Gesundheit von Männern? . In: Altgeld T Hrsg. Männergesundheit Neue Herausforderungen für Gesundheitsförderung und Prävention. Weinheim: Juventa; 2004:11 bis 33 |
14 | Brandes H. Der männliche Habitus: Männerforschung und Männerpolitik. Opladen: Leske + Budrich; 2002 |
15 | Kolip P, Lademann J, Deitermann B et al. Schwerpunktbericht: Gesundheit von Frauen und Männern im mittleren Lebensalter. Berlin: Robert Koch- Institut; 2005 |
16 | Perig-Chiello P. Altert Eva anders? Zur gesundheitlichen Lage der älteren Bevölkerung - betrachtet aus der Genderperspektive. Aktuelle Ernährungsmedizin 2007; 32: 163 bis 167 |
17 | Singh-Manoux A, Gueguen A, Ferrie J et al. Gender differences in the association between morbidity and mortality among middle-aged men and women. Am J Public Health 2008; 98: 2,251 to 2,257 |
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Gesundheitsberichterstattung des Bundes 08.03.2021