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Startseite > Gesundheitliche Lage > Behandlungsfolgen > Text: Behandlungsfehler [Gesundheitsberichterstattung - Themenhefte, 2001]

Behandlungsfehler [Gesundheitsberichterstattung - Themenhefte, 2001]


[Heft 4: Armut bei Kindern und Jugendlichen] [Heft 6: Lebensmittelbedingte Erkrankungen] [Abstrakt] [Inhaltsverzeichnis]

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Heft 5 - Medizinische Behandlungsfehler in Deutschland

aus der Reihe "Gesundheitsberichterstattung des Bundes"

 
 

Autoren: Prof. Dr. jur. Martin L. Hansis
Medizinischer Dienst der
Spitzenverbände der Krankenkassen
Essen
  Prof. Dr. med. Dieter Hart
Institut für Gesundheits- und Medizinrecht des
Fachbereichs Rechtswissenschaft der Universität Bremen
  unter Mitarbeit von
Dr. Kathrin Becker-Schwarze
Dr. Dorothee E. Hansis
 


Redaktion: Robert Koch-Institut
Gesundheitsberichterstattung
Dr. Thomas Ziese (v.i.S.d.P.)
Seestraße 10
13353 Berlin
 


Herausgeber: Robert Koch-Institut
(2001)

 
 

 
 

 
 

1. Definition und öffentliche Wahrnehmung medizinischer Behandlungsfehler

Kommt es bei einer ärztlichen Behandlung zu einer Komplikation oder zu einem Ergebnis, das nicht den Erwartungen entspricht, liegt die Frage nahe, ob dafür wohl ein Fehler auf Seiten des Arztes oder seiner Kooperationspartner die Ursache sei. Komplikationen oder sonst unerwünschten Behandlungsergebnissen können drei Teilursachen (einzeln oder kumuliert) zugrunde liegen:

  • die Begleiterscheinungen der Krankheit an sich, die auch bei bestem Verlauf nicht zu vermeiden sind,
  • unerwünschte Folgen oder Begleiterscheinungen der Behandlung, die ebenfalls nicht immer zu umgehen sind (sog. methodenimmanente Probleme) und
  • Folgen einer unzureichenden Diagnostik oder Therapie und im Zusammenhang hiermit Folgen medizinischer Behandlungsfehler.

Häufig vermengen sich alle drei Komponenten in unterschiedlicher Gewichtung. Dies hat zur Folge, dass die Frage, ob einem schlechten Behandlungsergebnis etwa ein medizinischer Fehler zugrunde liegt oftmals nur sehr schwer zu beantworten ist, da die Einzelkomponenten sorgfältig analysiert und getrennt werden müssen. Daraus resultiert auch, dass eine gutachterliche Einschätzung oft nicht leicht zu vermitteln ist: Der unzufriedene Patient hat ein schlechtes Behandlungsergebnis vor Augen und vermutet, dass hieran auch der ehemals behandelnde Arzt eine Mitschuld trage. In diesem Zusammenhang kann es problematisch sein, dem Patienten die genannte Differenziertheit zu vermitteln und plausibel zu machen.
       Ein Fehler, d.h. eine nicht angemessene - z.B. nicht sorgfältige, nicht richtige, nicht zeitgerechte Behandlung - kann alle Bereiche ärztlicher Tätigkeit (Tun oder Unterlassen) betreffen: Prophylaxe, Diagnostik, Auswahl des Behandlungsverfahrens, Therapie und Nachsorge. Er kann rein medizinischen Charakter haben (z.B. fehlerhafte Beurteilung eines Röntgenbildes, fehlerhafte OP-Technik) oder sich auf organisatorische Fragen beziehen (z.B. ungenügende Absprache zwischen Ärzten, fehlerhafte Ablaufplanung im OP). Dem Arzt zugerechnet werden nicht nur eigene Versäumnisse sondern in der Regel auch Fehler ihm nachgeordneter oder zuarbeitender Personen (Pflegekräfte, Laborkräfte etc.). Kritisch überprüft werden muss nicht nur, ob dem Arzt ein Fehler unterlaufen ist, sondern auch, ob er den Patienten richtig, verständlich, umfassend und rechtzeitig aufgeklärt hat - über die Risiken der vorgesehenen Diagnostik oder Behandlung, über ihre Alternativen und über die notwendigen Verhaltensmaßregeln des Patienten.
       In der fachlichen und nichtfachlichen Öffentlichkeit nehmen medizinische Behandlungsfehler immer größeren Raum ein. Neben einer möglicherweise absolut steigenden Zahl vermeidbarer und vorwerfbarer ärztlicher Fehlleistungen, mag vermutlich auch eine zunehmende Wahrnehmung medizinischer Behandlungsfehler eine Rolle spielen, so z.B. wegen eines erhöhten Kostendrucks innerhalb des Gesundheitssystems (Bereitschaft zu Regressforderungen), einer zunehmenden Transparenz aller (auch medizinischer) Dienstleistungen und einer sich stetig steigernden Anspruchshaltung, von der auch die Beziehung Arzt - Patient nicht ausgeschlossen bleiben kann. Dabei ist die öffentliche Präsentation vermeintlicher oder tatsächlicher medizinisch-ärztlicher Fehlleistungen in der Regel nicht so differenziert, wie es die Thematik notwendig machen würde. Im Allgemeinen hat sie mehr den Charakter einer eher statischen, anklagenden bis destruktiven »Bewusstmachung des Problems«. Vorwärtsgerichtete, konstruktive Elemente sind meistens unterrepräsentiert. Dieses Phänomen lässt sich zum Teil durch eine traditionell überhöhte Erwartungshaltung an die Möglichkeiten ärztlicher Tätigkeit und durch eine über lange Zeit ebenfalls äußerst zurückhaltende Bearbeitung der Thematik durch die Leistungsanbieter selbst erklären.
       Der Patient, der sich seiner Rechte mehr und mehr bewusst wird, fragt dabei nicht nur kritisch nach einem eventuell nachweisbaren Fehler. Er will darüber hinaus insgesamt vermehrt Transparenz hinsichtlich der Qualität medizinischer Maßnahmen , unabhängig von einer eventuellen punktuellen Fehlerhaftigkeit. So gesehen, stellt die Frage nach einem medizinischen Behandlungsfehler nur einen Gesichtspunkt eines zunehmenden patientenseitigen Qualitätsbewusstseins dar. Dieses wiederum ist Teilaspekt eines wachsenden Selbstbewusstseins, welches in Dienstleistungsverhältnissen aller Art beobachtet werden kann.

Die Beschäftigung mit medizinischen Behandlungsfehlern hat zwei grundlegende Blickrichtungen:

  • Eine Behandlung, die nicht zu dem erwünschten Resultat geführt hat, muss exakt aufgearbeitet und die Frage, ob der Patient tatsächlich durch zu geringe Sorgfalt des Arztes geschädigt wurde, sauber analytisch geklärt werden. Patienten, die diese Klärung suchen, steht der Weg zu den Zivilgerichten oder zu einer Anzeige bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung offen. Daneben gibt es drei Formen außergerichtlicher Klärung - über die Gutachterkommissionen/ Schlichtungsstellen der Ärztekammern, über den Medizinischen Dienst der Krankenkassen und die direkte Verhandlung zwischen Anwalt und Haftpflichtversicherung des Arztes.
  • Die Beschäftigung mit medizinischen Behandlungsfehlern sollte einen vorwärtsgerichteten Charakter haben: Es gilt, aus Fehlern zu lernen und Vermeidungsstrategien abzuleiten, dies sowohl für die individuelle Praxis bzw. das einzelne Krankenhaus als auch für ganze Fachgruppen. In diese prospektive, qualitätssichernde Bearbeitung medizinischer Behandlungsfehler fließen vernünftigerweise nicht nur die im engen juristischen Sinne anerkannten Fehler ein. Vielmehr müssen dort alle unbefriedigenden Behandlungsverläufe analysiert werden - unabhängig davon, wie weit im Einzelfall tatsächlich ein Fehlverhalten des Arztes zugrunde lag.
    Die folgenden Ausführungen geben einen Überblick über die Häufigkeit vermuteter und tatsächlich nachgewiesener Behandlungsfehler in Deutschland. Dabei werden allgemeine (nicht fachspezifische) Fehlerursachen verdeutlicht, der aktuelle Stand der einschlägigen Rechtsprechung skizziert und schließlich Möglichkeiten der Fehlervorbeugung aufgezeigt. Grundlage sind neben der einschlägigen, allgemein zugänglichen Literatur Informationen aus dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen, von den Gutachterkommissionen/ Schlichtungsstellen der Ärztekammern, aus den zuständigen Kammern der Landgerichte und von Haftpflichtversicherern. Zusätzlich wurden eigene Daten der Autoren herangezogen, die demnächst publiziert werden. Diese beziehen sich auf 600 nicht selektierte, konsekutiv ergangene gutachterliche Bescheide einer Gutachterkommission, die einer gezielten Analyse unterzogen wurden.

 
 

2. Häufigkeit vermuteter bzw. nachgewiesener medizinischer Behandlungsfehler in Deutschland

Eine einheitliche, zusammenfassende Darstellung der Zahl vermuteter oder tatsächlich nachgewiesener medizinischer Behandlungsfehler gibt es in Deutschland bislang nicht. Patienten haben, wie bereits erwähnt, fünf Wege, die Frage nach einem Fehler klären zu lassen. Von den entsprechenden Organisationen liegen für das Jahr 1999 folgende Informationen zur Häufigkeit vermuteter Behandlungsfehler vor (Strafverfahren spielen numerisch eine verschwindend geringe Rolle):

  • Gutachterkommissionen bzw. Schlichtungsstellen der Landesärztekammern: Dort wurden im Jahre 1999 bundesweit insgesamt ca. 9.800 Anträge auf ein Überprüfungsverfahren wegen eines vermuteten Behandlungsfehlers eingereicht. Durch einen gutachterlichen Bescheid konnten im gleichen Zeitraum 6.300 Verfahren abgeschlossen werden. Die Zahl der Anträge und der Bescheide steigt kontinuierlich - gegenüber 1997 haben die Anträge um 10,3%, die ergangenen Bescheide um 3,5% zugenommen. Bei Verfahren vor einer Gutachterkommission/ Schlichtungsstelle wurden in etwa 30% der abgeschlossenen Fälle ein Behandlungsfehler anerkannt (mit oder ohne nachfolgenden Schaden). Die Anerkennungsrate unterscheidet sich regional - sie ist am höchsten bei der Ärztekammer Nordrhein (35%), am niedrigsten bei der Ärztekammer Bayern (18%). Insgesamt steigt die Rate über die Jahre gesehen leicht an.
  • Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) der Bundesländer hat in den vergangenen Jahren rasch zunehmend und in erheblichem Umfang Begutachtungen im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen zu vermuteten Behandlungsfehlern durchgeführt. Die zusammenfassende interne Statistik weist für das Jahr 1999 9.678 Begutachtungen wegen vermuteter Behandlungsfehler aus 1 . Die Rate der Fälle, in denen der Medizinische Dienst einen Behandlungsfehler anerkannte, lag für das gleiche Jahr bei 24%. Ob der Medizinische Dienst tatsächlich anders beurteilt als die Gutachterkommissionen oder ob dort anders ausgewählte Fälle zur Begutachtung vorgelegt werden, ist nicht untersucht.
  • Zivilkammern der Landgerichte: Die Zahl der bei Zivilkammern der Landgerichte verhandelten Fälle vermuteter Behandlungsfehler ist nicht bekannt; eine zusammenfassende Statistik wird dort nicht geführt. Im Rahmen einer Umfrage bei sämtlichen 116 Landgerichten Deutschlands zu den Eingängen von Arzthaftungsklagen in den Jahren 1998-2000 gingen von 52 Gerichten Angaben zur Zahl der dort verhandelten Fälle ein. Eine Modellrechnung ergab, dass die Zahl der Zivilklagen wegen vermuteten Behandlungsfehlers allenfalls noch gering (nicht signifikant) ansteigt (1999 gegenüber 1998 um 2,3%). Wie häufig im Zivilprozess Ärzte wegen eines nachgewiesenen Behandlungsfehlers verurteilt werden, ist nicht bekannt. Die DBV Winterthur (einer der größten Haftpflichtversicherer für Ärzte) teilt mit, dass in deren bei Gericht verhandelten Fällen ein Behandlungsfehler in nur 4% (1999) durch ein Urteil bestätigt wird 2 . 
  • Direkte Regulierung mit der Versicherung: Die Zahl der Fälle, in denen wegen eines vermuteten Behandlungsfehlers direkt Verbindung mit der Haftpflichtversicherung des Arztes aufgenommen, bzw. in denen ein Fehler als bewiesen bestätigt wird, ist nicht ausgewiesen. Die DBV Winterthur registriert jährlich 4.500 Schadensmeldungen (1999) bei 108.000 versicherten Ärzten. Nach Auskunft dieser Versicherung werden etwa 30% der Schadensmeldungen durch ein Schlichtungsverfahren (Gutachterkommissionen, Schlichtungsstellen) geklärt, rund 10% aller Fälle kommen vor Gericht.
    In 4% der Prozesse wird ein Behandlungsfehler durch Urteil bestätigt 2 . 
  • Doppelbegutachtung: Bei Aussagen über die Häufigkeit vermuteter Behandlungsfehler sollte berücksichtigt werden, dass Mehrfacherfassungen
    - bedingt durch Doppelbegutachtungen - zunächst durch eine Schlichtungsstelle und/oder den Medizinischen Dienst sowie anschließend im Zivilprozess möglich sind. Ihre Anzahl ist nicht bekannt.
  • Indirekte Schätzung: Es existieren einige Kennzahlen, die die Häufigkeit vermuteter Behandlungsfehler indirekt abschätzen lassen:
  • Die Haftpflichtversicherungen in Deutschland verzeichneten im Jahre 1999 4 Meldungen vermuteter Behandlungsfehler je 100 Krankenhausbetten. Bei 565.000 Krankenhausbetten (1999) entspräche dies rund 22.600 Fehlervorwürfen in Krankenhäusern.
  • Die » National Practitioner Data Bank « (eine Art Behandlungsfehlerregister der Versicherungen in den USA) verzeichnet für die Jahre 1992/93 je 1.000 Ärzte 38 Schadensvorwürfe. Bei 291.000 berufstätigen Ärztinnen und Ärzten (1999 in Deutschland) entspräche dies 11.100 Fehlervorwürfen pro Jahr. Allerdings lag 1992/93 die Zahl von Behandlungsfehlervorwürfen sowohl in den USA als auch in Deutschland noch deutlich niedriger als heute.

Zusammenfassend kann derzeit - bei aller bekannter Unsicherheit und bei insgesamt steigender Tendenz - von rund 40.000 Behandlungsfehler-Vorwürfen pro Jahr und von nicht über 12.000 nachgewiesenen Behandlungsfehlern pro Jahr in Deutschland ausgegangen werden. Genauere Kalkulationen sind auf der vorliegenden Datenbasis nicht möglich.
 
Bedeutung medizinischer Behandlungsfehler

Für Patienten: Jede Behandlung, die mit einer Komplikation behaftet ist oder die nicht im erwarteten guten Ergebnis mündet, führt beim Patienten zu zusätzlichen Beschwerden und persönlichem Leid. Darüber hinaus entsteht ein Vertrauensverlust sowohl zwischen Betroffenem und Arzt, als auch seitens des Patienten gegenüber der »Gesundheitsversorgung« an sich. Dieser Vertrauensverlust bemisst sich nicht allein nach der absoluten Schwere des eingetretenen Schadens; er hängt auch davon ab, wie der Arzt einerseits und die Organe der Gesundheitsversorgung bzw. der Rechtsprechung andererseits darauf reagieren.
       Für Ärzte ist jeder Fall eines Fehlervorwurfs mit finanziellen und subjektiven Belastungen verbunden, letzteres um so mehr, wenn es die (im Ansehen eigentlich hoch stehende) ärztliche Behandlung betrifft, wenn sich gerechtfertigte mit ungerechtfertigten Vorwürfen mischen und wenn die Vorwürfe öffentlich vorgetragen werden. Verlorene Zivilprozesse oder gar Strafprozesse können, weniger wegen der damit verbundenen Kosten, sondern vielmehr wegen Ansehensverlust sowie arbeitsrechtlicher und berufsrechtlicher Konsequenzen, beruflich existenziell bedrohlich sein.
       Allgemeinheit: Jede Komplikation einer ärztlichen Behandlung - ob fehlerhaft oder nicht fehlerhaft bedingt - führt zu zusätzlichen Krankheitskosten, Rentenzahlungen, Arbeitsausfall etc.:

  • Die Barmer Ersatzkasse (8,7 Millionen Versicherte) verzeichnet 1999 materielle regressierbare Schäden durch medizinische Behandlungsfehler in Höhe von 8,78 Millionen DM 4 . 
  • Der durchschnittliche Schadensaufwand pro Fall liegt bei der DBV Winterthur (einem Haftpflichtversicherer mit 108.000 versicherten Ärzten (1999)) bei 50.000 DM. Er steigt bei Schäden in Gynäkologie und Geburtshilfe auf über 200.000 DM pro Fall an 5 . 
  • Die Haftpflichtversicherer von Krankenhäusern rechnen pro Krankenhausbett mit Schadenszahlungen von ca. 550 DM (1997) 6 . Bei 580.000 Krankenhausbetten in Deutschland wandten die Versicherungen demnach im Krankenhausbereich für das Jahr 1997 319 Millionen DM für Schadenszahlungen auf.

Da diese Angaben nur uneinheitliche Teilgruppen betreffen, sind die Werte inhomogen und nicht unmittelbar miteinander vergleichbar. Der Gesamtumfang des »volkswirtschaftlichen Schadens« lässt sich daraus nicht kalkulieren.

 
 

3. Typische Fehler und fehlerverursachende Konstellationen

Wie bereits ausgeführt, muss sich eine effiziente Medizinschadensforschung mit allen Verläufen medizinischer Behandlungen, die mit Kompliktionen einhergingen, oder die aus anderen Gründen nicht den Erwartungen entsprachen, befassen. Stets ist zu fragen, ob die Komplikation oder der sonst unbefriedigende Verlauf zumindest anteilig durch eine ungenügende ärztliche Sorgfalt verursacht oder mitverursacht wurde, und ob es Ansätze gibt, diese oder vergleichbare Verläufe zukünftig zu vermeiden. Wesentliche Grundlage hierfür sind zusammengefasste Analysen von Gutachten, bei denen sich Hinweise ergeben, welche Probleme bei speziellen Situationen gehäuft auftreten (z.B. bei der Diagnose bösartiger Tumoren, bei bestimmten Operationen o.ä.). Herauszuarbeiten sind aber auch Fehler und fehlerverursachende Konstellationen, die unabhängig vom betreffenden klinischen Fach zu sehen sind.
       Häufigkeit von Fehlervorwürfen in operativen bzw. konservativen Fächern: Die Behandlungsfehlervorwürfe verteilen sich in Deutschland traditionell unsymmetrisch auf die verschiedenen medizinischen Fächer. So sind über Jahre gleichbleibend die sog. »schneidenden Fächer« (Chirurgie, Gynäkologie, Orthopädie) relativ überrepräsentiert, die sog. konservativen Fächer (Innere Medizin, Dermatologie, Kinderheilkunde u.a.) unterrepräsentiert. Auch die vorliegenden aktuell herangezogenen Daten der Autoren bestätigen dies (Abbildung 1). Die Verteilung ergibt sich aus der Evidenz, der Wahrnehmbarkeit von Fehlern bzw. unglücklichen Behandlungsverläufen. Dies entspricht wahrscheinlich nicht der tatsächlichen Fehler- oder Irrtumswahrscheinlichkeit: Eine Wundheilungsstörung, ein in Fehlstellung verheilter Knochenbruch, eine instabil eingebrachte Endoprothese oder der Geburtsschaden eines Neugeborenen sind auch für medizinische Laien leicht erkennbar oder zumindest zu vermuten. Eine Medikamentenverwechslung, die schlechte Einstellung einer Zuckerkrankheit oder gar die inkonsequente Behandlung eines psychischen Leidens sind für Fachleute u.U. schwer, für Nicht-Fachleute in der Regel überhaupt nicht evident. Liegt andererseits jedoch in den konservativen Fächern ein Behandlungsfehlervorwurf vor, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser von den entsprechenden Gutachtergremien als solcher angenommen wird, relativ hoch: Innere Medizin in 20,0%, Allgemeinmedizin in 27%, Chirurgie in 16%, Orthopädie in 12%, Gynäkologie in 28% der Fälle 7 . Zusätzlichen Erkenntnisgewinn hinsichtlich medizinischer Behandlungsfehler würde eine systematische Erfassung und Auswertung von Daten ergeben, die im Rahmen von Obduktionen erhoben werden.

      zur Tabelle mit Werten
Die folgende Abbildung zeigt in einem Balkendiagramm die Häufigkeit von Fehlervorwürfen nach Fächern oder Fachgruppen in Prozent in Deutschland. Dabei sind auf der X Achse 5 Fächer oder Fachgruppen dargestellt, auf der Y Achse Prozentzahlen von 5 bis über 35 Prozent. Die größte Anzahl der Fehlervorwürfe, mehr als 35 Prozent, sind bei der Chirurgie zu verzeichnen; gefolgt von der Orthopädie mit 15 Prozent, von der Gynäkologie und Geburtshilfe mit 14 Prozent und der Inneren Medizin mit 8 Prozent. Die geringste Anzahl von Fehlervorwürfen, 5 Prozent, sind bei der Allgemeinmedizin zu verzeichnen. Die Informationen aus dieser Abbildung werden gegebenenfalls auch im Text erläutert. Hinweis falls Sie die Abbildung als Einzelfundstelle aus der Trefferliste gewählt haben: Sie stammt aus dem Themenheft 5 Medizinische Behandlungsfehler der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, den Sie über den Link Verwandte, mit separater Stichwortsuche (Alt-Taste + Taste S) oder mit Hilfe des Links unterhalb der Abbildung erreichen können. Wenn der Fokus auf der Grafik steht, kann zudem mit der Eingabe-Taste eine Tabelle mit den Werten, die der Grafik zugrunde liegen, geöffnet werden. Hierzu wird ein neues Browser-Fenster geöffnet. Ende der Abbildungsbeschreibung.

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       Versorgungsbereiche: Obwohl in Praxen nahezu gleich viele Ärztinnen und Ärzte arbeiten (1999: 126.000) wie im Krankenhaus (1999: 137.000), ist der Krankenhausbereich deutlich stärker von Fehlervorwürfen betroffen als der Bereich der niedergelassenen Ärzte/Belegärzte. Bei der Schlichtungsstelle Baden-Württemberg wurden 1999 ca. 60% der Vorwürfe gegen Krankenhäuser , ca. 35% gegen Praxen und etwa 4% gegen Belegkliniken erhoben. Die vorliegenden Daten der aktuellen Untersuchung der Autoren ergaben in 70% Vorwürfe gegen Krankenhausärzte und in fast 40% der Fälle Vorwürfe gegen niedergelassene Ärzte 8 . Hier mag der Umstand eine Rolle spielen, dass mit »der Institution Krankenhaus« kritischer umgegangen wird als mit dem einzelnen, persönlich bekannten niedergelassenen Arzt. Gleichzeitig ist nicht auszuschließen, dass gerade die so wichtigen organisatorischen Defizite (s.u.) im Krankenhaus mehr Wirkung entfalten als in einer Praxis.
       Krankenhausgröße und -Spezialisierung: Je kleiner ein Krankenhaus ist, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein vermuteter Behandlungsfehler auch bestätigen lässt. Die aktuellen Daten ergaben, dass in kleinen Krankenhäusern (weniger als 200 Betten) 44% der Fehlervorwürfe anerkannt wurden, in mittleren (200 bis 500 Betten) 30% und in großen (über 500 Betten) 29%. In Universitätskliniken wurde in nur 24% der Fälle ein Vorwurf als Fehler anerkannt. Auch wenn einerseits die Kritikbereitschaft gerade gegenüber Großkrankenhäusern und Spezialkliniken zunimmt, scheinen sich jedoch andererseits gebündelte und spezialisierte Fachkompetenz fehlerhemmend auszuwirken.
       Dokumentationsmängel: Eine exakte ärztliche Dokumentation ist wichtige Grundlage für eine optimal geführte und nachvollziehbare Behandlung und vor allem für eine gute Kooperation mit anderen ärztlichen oder nicht ärztlichen Mitarbeitern. Dokumentationsmängel stellen dem Grunde nach keinen Behandlungsfehler dar. Sie können aber Fehler mit verursachen und vor allem zu Beweisnachteilen für einen belasteten Arzt führen. Die aktuell erhobenen Daten ergaben in 20% der gutachterlichen Bescheide gravierende Dokumentationsmängel, die erkennbar den schlechten Verlauf bzw. den Fehlervorwurf einer Behandlung (mit-) verursacht hatten.
       Aufklärungsmängel: Die rechtzeitige, umfassende und verständliche Aufklärung über eine vorgesehene Behandlung, ihre Alternativen und Risiken sowie weitere Behandlungsschritte ist ein unverzichtbarer Bestandteil einer guten und rechtmäßigen Behandlung. Die Analyse der Autoren wies in 7% der Bescheide deutliche Defizite der Aufklärung nach.
       Ungenügende Absprachen/Koordination: Eine immer komplexer werdende Medizin und eine zunehmende Arbeitsteiligkeit machen immer präzisere Absprachen zwischen Ärzten während einer laufenden Behandlung notwendig. Es stellt sich die Frage, wie oft in ungenügenden Absprachen die Ursache für einen Fehlervorwurf oder sogar für einen beweisbaren Fehler zu sehen ist: In 345 Gutachten wegen eines vermuteten Behandlungsfehlers eines einzelnen Faches (Unfallchirurgie) waren in 78 Fällen (23%) im Behandlungsduktus Koordinationsdefizite sichtbar, die für das ungünstige Ergebnis und die Erhebung des Fehlervorwurfs mitverantwortlich zu machen waren. Die Absprachendefizite betrafen sowohl den Übergang von der stationären zur ambulanten Behandlung (33 von 78 Fällen), wie auch die Kooperation zwischen niedergelassenen Ärzten (45 von 78 Fällen).
       Ein wichtiges Instrument interner qualitätssichernder Organisation liegt in der Vorhaltung und Pflege abteilungsinterner Arbeitsanweisungen/ Leitlinien: Derartige abteilungsinterne oder praxisinterne Vorgaben sind nicht gleichzusetzen mit nationalen, fachgesellschaftsinternen Leitlinien. Sie stellen vielmehr eine auf die jeweilige Abteilung zugeschnittene Absprache oder Vorgabe im Sinne ganz konkreter Handlungsanweisungen dar. Für weniger komplexe Organisationsformen (kleine Praxen, kleine gut überschaubare Krankenhausabteilungen) mögen diese verzichtbar sein, für große Krankenhausabteilungen stellen sie jedoch eine eminent wichtige Verständigungshilfe dar. Es zeigte sich, dass in mindestens 14% der Fälle abteilungsintern keine Klarheit bestand, wie man vernünftigerweise im konkreten Fall vorzugehen habe. Interne Arbeitsanweisungen hätten diese Fehlervorwürfe weitgehend vermeiden können.
       In der öffentlichen Diskussion wird häufig die Vorstellung bemüht, besondere Notfallsituationen könnten sich fehlerhäufend auswirken. Dies konnte nicht bestätigt werden: Eine medizinisch besonders problematische Situation, eine Notsituation oder eine medizinisch besonders schwierige akute Entscheidung lag offenbar nur bei 4 von 600 Fehlervorwürfen zugrunde. Wie dies zu erklären ist - ob die Neigung, ungenau zu arbeiten in Standardsituationen tatsächlich größer ist, oder ob andererseits die Patienten nach einer medizinisch schwierigen Behandlung auch weniger dazu neigen, den Arzt zu belasten - muss dahingestellt bleiben.
       Übernahmeverschulden/nicht angemessene Versorgungsstufe: Gelegentlich ist es für einen Patienten nicht einfach, die für sein gesundheitliches Problem richtige Praxis oder Krankenhausabteilung zu finden. Umgekehrt kann es für einen Arzt (auch bei bestem Bemühen) schwierig sein, zu erkennen, wann er mit einer Behandlung überfordert ist. Es fanden sich in 80 von 600 Fällen (13%) gewichtige Hinweise dafür, dass die betreffende Krankenhausabteilung oder Praxis mit der speziellen Problematik offenbar nicht ausreichend vertraut, mit ihr überfordert war.
       Besonders auffallend war dies, wenn es um die Erkennung und Behandlung von Komplikationen ging: Wie bereits in vorangegangenen Publikationen erwähnt, wird von vielen Patienten offenbar noch verstanden und hingenommen, wenn im Laufe einer Behandlung Komplikationen auftreten. Kritisch werden die Nachfragen häufig erst dann, wenn der Arzt offenbar nicht professionell mit einer solchen Komplikation umgeht, wenn er sie zu spät erkennt, inkonsequent behandelt oder gar vor dem Patienten zu verheimlichen sucht. Auch nach den eigenen aktuellen Untersuchungen wären mindestens 10% der Fehlervorwürfe gar nicht entstanden, hätte sich der Arzt der Komplikation angemessen angenommen oder hätte er nach eingetretener Komplikation die Behandlung rechtzeitig abgegeben.
       Kostendruck: In keinem der analysierten 600 Fälle wurde vom belasteten Arzt ein spezieller Kostendruck geltend gemacht: Die Vorstellung, weit verbreitete Sparmaßnahmen würden gehäuft zum unvollständigen Einsatz z.B. wichtiger Diagnoseverfahren führen und damit Fehler bzw. Fehlervorwürfe auslösen, konnte nicht bestätigt werden. Auch indirekt ergaben sich aus den Verläufen keine Hinweise darauf, dass ein behinderter Mitteleinsatz erkennbar zum ungünstigen Verlauf beigetragen habe.
       Hygiene: Eine prospektive nationale Studie errechnete 1995, dass bei rund 3,5% aller stationär behandelten Patienten während der Krankenhausbehandlung eine Infektion (nosokomiale Infektion) auftritt (z.B. Wundinfektion, Harnwegsinfektion, Atemwegsinfektion, Sepsis). Im Jahre 1999 wurden über 16 Millionen Patienten stationär behandelt, so dass eigentlich eine hohe Zahl von Fehlervorwürfen und Fehlerfeststellungen bezüglich der Krankenhaushygiene erwartet werden müsste. Dies konnte anhand der erhobenen Daten nicht bestätigt werden: Ein Hygienefehler war in nur 4 von 600 Fällen (unter 1%) nachweisbar. Auch dies bestätigt frühere mehrfache Untersuchungen: Hygienemängel und insbesondere deren Folgen sind derart schwer zu fassen und zuzuordnen, dass sie sich der nachträglichen Beurteilung in aller Regel entziehen. (siehe auch Heft »Nosokomiale Infektionen« der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, in Vorbereitung)
       Zusammenfassend präsentieren sich organisatorische Defizite unterschiedlichster Art als offenbar bedeutende, fachunabhängige fehlerverursachende Faktoren (Abbildung 2). Sofern es gelingt, diesen durch qualitätssichernde Maßnahmen beizukommen, müsste sich ein Gutteil der Fehlervorwürfe bzw. der tatsächlich nachgewiesenen Fehler vermeiden lassen.

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Die folgende Abbildung zeigt in einem Balkendiagramm Organisatorische Mängel als Ursache beziehungsweise Mitursache von Fehlervorwürfen. Dabei sind auf der X Achse 6 organisatorische Mängel dargestellt, auf der Y Achse Prozentzahlen von 5 bis über 25 Prozent. Die meisten Fehlerursachen sind Koordinationsmängel mit 23 Prozent, gefolgt von Dokumentationsmängeln mit 20 Prozent, gefolgt von Übernahmeverschulden mit 13 Prozent, gefolgt von Erkennen und Behandeln von Komplikationen mit 10 Prozent und von Aufklärungsmangel mit  7 Prozent. Nur ein Prozent der Fehlerursachen entsteht durch eine Notfallsituation. Die Informationen aus dieser Abbildung werden gegebenenfalls auch im Text erläutert. Hinweis falls Sie die Abbildung als Einzelfundstelle aus der Trefferliste gewählt haben: Sie stammt aus dem Themenheft 5 Medizinische Behandlungsfehler der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, den Sie über den Link Verwandte, mit separater Stichwortsuche (Alt-Taste + Taste S) oder mit Hilfe des Links unterhalb der Abbildung erreichen können. Wenn der Fokus auf der Grafik steht, kann zudem mit der Eingabe-Taste eine Tabelle mit den Werten, die der Grafik zugrunde liegen, geöffnet werden. Hierzu wird ein neues Browser-Fenster geöffnet. Ende der Abbildungsbeschreibung.

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4. Der medizinische Behandlungsfehler im Spiegel der Rechtsprechung

Die vorstehend genannten und andere medizinische Fehlertypen finden ihre Entsprechung auf der rechtlichen Seite. Üblicherweise wird zwischen Behandlungsfehlern (geschützte Rechtsgüter Leben, Körper, Gesundheit), Aufklärungspflichtverletzungen (geschütztes Rechtsgut Selbstbestimmung, allgemeines Persönlichkeitsrecht), Dokumentationsdefiziten und Organisationsfehlern (geschützte Rechtsgüter Leben, Körper, Gesundheit und Selbstbestimmung) unterschieden. Dokumentationsdefizite stellen dem Grunde nach keine eigenständigen Fehler dar (sie sind nicht eigenständig sanktionsbewehrt). Grundsätzlich ist festzuhalten, dass ein Behandlungsfehler nur aufgrund sachverständiger medizinischer Beratung und auch nur dann, wenn medizinische und rechtliche Wertung nicht auseinanderfallen, festgestellt werden kann. In Zukunft werden wohl die evidenzbasierten Konsensus-Leitlinien eine erhebliche Bedeutung bei der Überprüfung des medizinischen Standards (im Rahmen des gerichtlichen Sachverständigenbeweises oder in den Verfahren vor den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen) erlangen, auch wenn sie bisher kaum gerichtsrelevant geworden sind. Prinzipiell muss der Geschädigte selbst den Nachweis führen, dass die Voraussetzungen eines Behandlungsfehlers gegeben sind. Die Verletzung der Dokumentationspflicht - dafür ist der Geschädigte beweisbelastet - führt prinzipiell nicht zu einem Schadenersatzanspruch, sondern zu Beweiserleichterungen zugunsten des Patienten, wenn durch die fehlende oder fehlerhafte Dokumentation entstehende Aufklärungshindernisse dem Patienten nicht mehr zumutbar sind. Hinsichtlich der erfolgten Aufklärung ist der Arzt beweisbelastet. Für Organisationsmängel, die sich auf Behandlung, Aufklärung und Dokumentation beziehen können, ist der Organisationsverantwortliche (z.B. der Arzt, Krankenhausträger) insoweit entlastungspflichtig.
       Aufklärungsfragen: Die Rechtsprechung zum Umfang der Aufklärung, zur Aufklärung über Behandlungsalternativen sowie zu Fragen der Organisation der Aufklärung (d.h. wer ist zur Aufklärung verpflichtet, wer ist Adressat der Aufklärung) und zum Zeitpunkt der Aufklärung hat in der jüngeren Vergangenheit keine erheblichen Veränderungen erfahren.
       Hinsichtlich der Art und Weise der Aufklärung zeichnet sich möglicherweise ein Wandel der Rechtsprechung ab 9 : Bei Routinebehandlungen, wie Schutzimpfungen, soll es genügen, wenn dem Patienten nach schriftlicher Aufklärung Gelegenheit zu weiteren Informationen durch ein Gespräch mit dem Arzt gegeben wird. Nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH) reicht es aus, wenn der Arzt bei Betreten des Behandlungszimmers danach fragt, ob das Merkblatt gelesen wurde. Damit sei in ausreichender Weise Gelegenheit gegeben, weitere Fragen zu stellen, wenn dieses gewollt sei. Aus dem Schweigen eines Patienten dürfe entnommen werden, dass ein Wunsch nach weiterer Aufklärung nicht bestehe. Darin sieht die Literatur, zwar für einen engen Bereich, einen Einstieg in die sog. Stufenaufklärung. Auch bei einfacheren Eingriffen und Behandlungsmaßnahmen, die so gleichförmig verlaufen, dass sich die mit ihnen verbundenen Risiken in einer knapp gefassten und allgemein verständlich geschriebenen Informationsschrift erfassen lassen, ist es nach einer neueren Literaturstellungnahme vertretbar, das persönliche Aufklärungsgespräch durch die Aushändigung eines Merkblattes zu ersetzen. Ein solcher Wandel der Rechtsprechung wäre im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten durchaus kontrovers diskutierbar.
       Kooperation/Übernahmeverschulden: Haftungsrechtlich ist die Organisation des Behandlungsprozesses eigenständige Pflicht des Arztes. Kooperationsanforderungen im Krankenhaus werden im Haftungsrecht traditionell unter den Begriffen der vertikalen und horizontalen Arbeitsteilung abgehandelt. Die Rechtsprechung hat in diesen Feldern umfassende Organisationspflichten aufgestellt. Hinsichtlich des ersten Problembereichs der vertikalen Arbeitsteilung gibt es eine umfangreiche Judikatur zu den Organisationsanforderungen an die Überwachung, an den Einsatz von AiP und Berufsanfängern zum Bereitschaftsdienst, an die »Anfängeroperation« und die »Narkosefälle«. Hinsichtlich der Anforderungen an die horizontale Arbeitsteilung folgen aus dem Grundsatz der strikten Arbeitsteilung und dem Vertrauensgrundsatz Informations- und Unterrichtungspflichten für den nachbehandelnden Arzt und den Konsiliararzt. Die Gefahr von Verständigungs- und Informationsmängeln bis hin zu negativen Kompetenzkonflikten steigt mit der Vielzahl der beteiligten Ärzte. Der BGH hat in diesem Zusammenhang die Koordinierungspflichten der Ärzte erweitert 10 . Danach sind die beteiligten medizinischen Disziplinen gleichermaßen kooperations- wie organisationsverpflichtet.
       Rechtsprechungstendenzen: Empirisch gesicherte Aussagen über Rechtsprechungstendenzen sind nur schwer möglich. Es ergeben sich jedoch zwei wesentliche Tendenzaussagen:

  • Die Vermutung über die Zunahme von Aufklärungspflichtverletzungen als Auffangtatbestand 11 für nicht beweisbare Behandlungsfehler lässt sich kaum bestätigen.
  • Die Bedeutung von Organisationsfehlern scheint - sowohl was ihre rechtliche Relevanz wie ihre Häufigkeit betrifft - zuzunehmen.

 
 

5. "Lernen aus Fehlern" - im klinischen Alltag und in der allgemeinen Gesundheitsversorgung

Lokale Ebene: Es ist notwendig, im einzelnen Krankenhaus, in der einzelnen Praxis, regelmäßig nachzusehen, welche unerwünschten Behandlungsfolgen sich ergeben haben. Dies geschieht in Form einer sog. Komplikationenstatistik. Darüber hinaus ist es sinnvoll, alle »unerwünschten Ereignisse« aufzuarbeiten, immer unter der Fragestellung, wie eine eingetretene Komplikation trotz anteiliger schicksalhafter Komponenten dennoch hätte möglicherweise verhindert werden können. Die effektivste Form des Lernens aus Fehlern ist die systematische Erfassung auch der risikobehafteten Situationen, der Beinahe-Fehler (»incidents«). Sie regelhaft zu benennen und nach ihren Abwendungs- bzw. Vermeidungstechniken zu fragen, fördert weitab vom tatsächlichen Fehler dessen Vermeidung.
       Zusammenfassende Fehleranalyse - nationaler fachinterner Ansatz: Die themenbezogene Untersuchung fehlertypischer Situationen einschließlich derer Vermeidungsstrategien geschieht am einfachsten und wirksamsten aus der detaillierten Analyse einer jeweils ausreichend großen Zahl von Gutachten vermuteter Behandlungsfehler zu einheitlichen Themenkomplexen. Nur so (aber so mit hoher Treffsicherheit) lassen sich typische Fehlerkonstellationen und deren Vermeidungsstrategien herausarbeiten. Weder rein statistische Auswertungen noch eine Durchsicht von Gerichtsentscheidungen lassen diese Genauigkeit der Fehlerbeschreibung oder vor allem klare operationalisierbare Handlungsoptimierungen erwarten. Je größer die Zahl der ausgewerteten Fälle zu einem Thema, umso belastbarer sind die abgeleiteten Empfehlungen. Es ist grundsätzlich zu überlegen, ob z.B. der Aufbau eines Behandlungsfehler- Registers ein geeigneter Weg wäre, zu entsprechend belastbaren Ergebnissen bzw. Empfehlungen zu gelangen, und gegebenenfalls zu diskutieren, welche Möglichkeiten der Realisierung eines solchen Registers bestehen.
       Systemischer Ansatz - Übergang in die Gesundheits- Selbstverwaltung: Die themenbezogene Analyse zusammengefasster Fehlervorwürfe stellt zunächst eine fachinterne aber auch gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar. Gelingt es, Themen eminenter Bedeutung aufzugreifen und sauber zu bearbeiten, dann könnten die so gewonnenen Erkenntnisse auch in die Gesundheits-Selbstverwaltung, in das Leistungs-, Vertrags- und Versorgungsgeschehen Eingang finden. Auf diesem Wege würde aus der ursprünglichen Privatsache »aus Fehlern lernen« eine Aufgabe von hoher systemischer Bedeutung.


 
 

Fußnoten

1  Leistungsstatistik des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen 2000

2  Ergebnisstatistik der DBV Winterthur 2000

3  Ergebnisstatistik der DBV Winterthur 2000

4  Leistungsdaten der Barmer Ersatzkasse 1999/2000

5  Ergebnisstatistik der DBV Winterthur 2000

6  Münchner Rückversicherungsgesellschaft 2000

7  Schlichtungsstelle der Ärztekammer Baden-Württem-berg: Leistungsstatistik

8  Da sich ein Teil der Vorwürfe sowohl gegen Krankenhausärzte als auch gegen niedergelassene Ärzte richtete, liegt die Gesamtzahl bei über 100%.

9  BGH v. 15.2.2000, MedR 2000, 898ff.

10  BGH v. 26.1.1999, VersR 1999, 579ff.

11  Gelegentlich wird behauptet, ein Aufklärungsmangel würde hilfsweise geltend gemacht, wenn sich ein eigentlicher Behandlungsfehler nicht nachweisen lässt.


 
 

Weiterführende Literatur

Deutsch E (1999) Medizinrecht - Arztrecht, Arzneimittelrecht und Medizinprodukterecht. 4. Auflage Springer.

Francke R, Hart D (1999) Charta der Patientenrechte. Nomos.

Geiß K, Greiner HP (1999) Arzthaftpflichtrecht. Beck. München.

Giesen D (1995) Arzthaftungsrecht. 4. Auflage Mohr-Siebeck.

Hansis ML, Hansis DE (1999) Der ärztliche Behandlungsfehler. Verbessern statt streiten. Ecomed, Landsberg.

Hart D (1999) »Organisationsaufklärung« Zum Verhältnis von Standardbehandlung, Organisationspflichten und ärztlicher Aufklärung. MedR S. 47 ff..

Hart D (Hrsg.) (2000) Ärztliche Leitlinien. Nomos.

Kullmann HJ, Bischoff R, Dressler WD (1998) Arzthaftpflicht-Rechtsprechung (AHRS). E. Schmidt. Berlin.

Laufs A, Dierks Ch, Wienke A, Graf-Baumann T, Hirsch G (Hrsg) (1997) Die Entwicklung der Arzthaftung. Springer, Heidelberg.

Lepa M (2000) Beweisprobleme beim Schadensersatz. Aus: Verletzung der Verpflichtung des Arztes zur Risikoaufklärung. In: Brandner HE, Hagen H, Stürner R (Hrsg) Festschrift für K Geiß. S. 449 ff

Steffen E, Dressler WD (1999) Arzthaftungsrecht. Neue Entwicklungslinien der BGH-Rechtsprechung. RWS Script.

 


 

Tabellen mit Werten aus Abbildungen 1 und 2

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Werte für Abbildung 1

Häufigkeit von Fehlervorwürfen nach Fächern oder Fachgruppen
in Prozent
Quelle: Hansis, M
 
 Fach Fehlervorwürfe
 Chirurgie 38 
 Orthopädie 15 
 Gynäkologie/Geburtshilfe 14 
 Innere Medizin 8 
 Allgemeinmedizin 5 

 
 

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Werte für Abbildung 2
in Prozent
Quelle: Hansis, M
 
 Mängel  Fehlervorwürfe 
 Koordinationsmängel 23 
 Dokumentationsmängel 20 
 Übernahmeverschulden 13 
 Erkennen und Behandeln von Komplikation 10 
 Aufklärungsmangel 7 
 Notfallsituation 1 

 

 

 

Gesundheitsberichterstattung des Bundes

 
 

Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GBE) liefert daten- und indikatorengestützte Beschreibungen und Analysen zu allen Bereichen des Gesundheitswesens.


Rahmenbedingungen
des Gesundheitswesens
 
Gesundheitliche Lage
  Doppelpfeil: vertikal
Gesundheits-
verhalten und
-gefährdungen
Doppelpfeil: horizontal
Gesundheits-
probleme,
Krankheiten
Doppelpfeil: vertikal   Doppelpfeil: vertikal
Leistungen und Inanspruchnahme
Doppelpfeil: vertikal   Doppelpfeil: vertikal
Ressourcen der
Gesundheits-
versorgung
Doppelpfeil: horizontal
Ausgaben,
Kosten und
Finanzierung

 

Als dynamisches und in ständiger Aktualisierung begriffenes System bietet die Gesundheitsberichterstattung des Bundes die Informationen zu den Themenfeldern in Form sich ergänzender und aufeinander beziehender Produkte an:

 

  • Themenhefte der Gesundheitsberichterstattung des Bundes
  • In den Themenheften werden spezifische Informationen zum Gesundheitszustand der Bevölkerung und zum Gesundheitssystem handlungsorientiert und übersichtlich präsentiert. Jedes Themenheft lässt sich einem der GBE-Themenfelder zuordnen; der innere Aufbau folgt ebenfalls der Struktur der Themenfelder. Somit bieten die Themenfelder der GBE sowohl den Rahmen als auch die Gliederung für die Einzelhefte. Inhaltlich zusammengehörende Themen können gebündelt und gemeinsam herausgegeben werden. Die fortlaufende Erscheinungsweise gewährleistet Aktualität. Die Autorinnen und Autoren sind ausgewiesene Expertinnen und Experten aus dem jeweiligen Bereich.
    www.rki.de

 

  • Informationssystem der Gesundheitsberichterstattung des Bundes
  • Das Informationssystem der Gesundheitsberichterstattung des Bundes liefert als Online- Datenbank schnell, kompakt und transparent gesundheitsrelevante Informationen zu allen Themenfeldern der Gesundheitsberichterstattung. Die Informationen werden in Form von individuell gestaltbaren Tabellen, übersichtlichen Grafiken, verständlichen Texten und präzisen Definitionen bereitgestellt und können heruntergeladen werden. Das System wird ständig ausgebaut. Derzeit sind aktuelle Informationen aus über 100 Datenquellen abrufbar. Zusätzlich können über dieses System die GBE-Themenhefte sowie weitere GBE-Publikationen abgerufen werden.
    www.gbe-bund.de

 

  • GBE kompakt
  • Die Online-Publikationsreihe GBE kompakt präsentiert in knapper Form Daten und Fakten zu aktuellen gesundheitlichen Themen und Fragestellungen. Die vierteljährliche Veröffentlichung erfolgt ausschließlich in elektronischer Form.
    www.rki.de/gbe-kompakt

 

Die Aussagen der Gesundheitsberichterstattung des Bundes beziehen sich auf die nationale, bundesweite Ebene und haben eine Referenzfunktion für die Gesundheitsberichterstattung der Länder. Auf diese Weise stellt die GBE des Bundes eine fachliche Grundlage für politische Entscheidungen bereit und bietet allen Interessierten eine datengestützte Informationsgrundlage. Darüber hinaus dient sie der Erfolgskontrolle durchgeführter Maßnahmen und trägt zur Entwicklung und Evaluierung von Gesundheitszielen bei.
      Der Leser- und Nutzerkreis der GBE-Produkte ist breit gefächert: Angesprochen sind Gesundheitspolitikerinnen und -politiker, Expertinnen und Experten in wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen und die Fachöffentlichkeit. Zur Zielgruppe gehören auch Bürgerinnen und Bürger, Patientinnen und Patienten, Verbraucherinnen und Verbraucher und ihre jeweiligen Verbände.

 

HINWEIS

Die Hefte der Gesundheitsberichterstattung des Bundes können kostenlos beim Robert Koch-Institut (RKI) bestellt werden:


Auf dem Postwege:

Robert Koch-Institut
Gesundheitsberichterstattung
General-Pape-Straße 62
12101 Berlin

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Die bereits erschienenen Themenhefte finden Sie in der -Übersicht Themenhefte- am Ende der Seite.
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Statistisches Bundesamt
Zweigstelle Bonn
Gesundheit
Graurheindorfer Straße 198
53117 Bonn
Tel.: 06 11 / 75 - 81 21
Fax: 06 11 / 75 - 89 96
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