Sterbebegleitung [Gesundheitsberichterstattung - Themenhefte, 2001; überarbeitete Neuauflage November 2003]
[Heft 1: Schutzimpfungen] [Heft 3: Fernreisen] [Abstrakt] [Inhaltsverzeichnis]
Heft 2 - Sterbebegleitung
aus der Reihe "Gesundheitsberichterstattung des Bundes"
Autoren: |
Prof. Dr. Dr. Jochen Vollmann
Institut für Geschichte und Ethik der Medizin Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg |
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Redaktion: |
Robert Koch-Institut
Gesundheitsberichterstattung Anne Starker, Dr. Thomas Ziese Seestraße 10 13353 Berlin |
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Herausgeber: |
Robert Koch-Institut
(2001) (überarbeitete Auflage November 2003) |
Einleitung
Trotz großer medizinischer Fortschritte und einer
gestiegenen Lebenserwartung fühlen sich heute
viele schwerkranke und sterbende Patienten durch
die moderne Medizin nicht gut versorgt. Häufig
wird ein sinnloser Einsatz von »Apparatemedizin«
am Lebensende, eigenmächtige institutionelle Abläufe,
unzureichende Schmerztherapie und das
fehlende Gespräch zwischen Arzt und Krankem
am Lebensende beklagt. Besonders alte Menschen
fürchten, nicht in Würde sterben zu dürfen, sondern
gegen ihren Willen an »Apparate und Schläuche«
angeschlossen zu werden. Entgegen der häufig
behaupteten Tabuisierung des Todes in unserer
Gesellschaft haben in den letzten Jahren diese Defizite
in Deutschland zu einer wissenschaftlichen
wie öffentlichen Diskussion geführt, die Veränderungen
der ärztlichen Praxis sowie Verbesserungen
von Versorgungsstrukturen zur Folge hatte.
Vor einer Darstellung der Einzelaspekte der
Sterbebegleitung ist es notwendig, zu reflektieren,
dass die Endlichkeit des Lebens jeden Menschen
betrifft. Sterben wird häufig als unangenehmes
Thema empfunden, das bei vielen Menschen
Angst, Ungewissheit, Bedrohung, ein Gefühl des
Ausgeliefertseins und Verdrängung auslöst. Wenn
dieses existentielle und emotionale Thema in der
Gesellschaft öffentlich diskutiert wird, ist es
unvermeidlich, dass unterschiedliche Erfahrungen,
Emotionen, Werthaltungen, Glaubens- und
Weltanschauungen aufeinandertreffen und nicht
selten zu Konflikten führen. Das Thema Sterbebegleitung
wird auch für ideologische Grundsatzdebatten
und Weltanschauungsfragen benutzt,
ohne dass dadurch eine bessere Verständigung
oder Einigung erzielt würde. Daher ist es im Rahmen
der Gesundheitsberichterstattung notwendig,
das Thema Sterbebegleitung soweit wie möglich
auf eine rationale, sachliche Basis zu stellen. Ziel
muss eine verbesserte Versorgung von Sterbenden
in Deutschland sein, wobei eine Qualitätssicherung
der Medizin am Lebensende unabdingbar
ist.
Begriffsklärung
Unter »Sterbebegleitung« im Gesundheitswesen
wird in diesem Zusammenhang die Begleitung,
Behandlung und Versorgung von Menschen am
Lebensende im weiten Sinne verstanden. Dazu
zählen sowohl die professionelle Arbeit von Berufsgruppen
im Gesundheitswesen (z.B. Ärzte,
Krankenpfleger, Psychologen, Sozialarbeiter, Seelsorger),
als auch das Engagement von Angehörigen,
Freunden, »Laienhelfern« und Selbsthilfeinitiativen
sowie die Versorgungsstrukturen, in
denen diese Aufgaben geleistet werden. Dieses
Kapitel berücksichtigt die Themen Sterbehilfe,
Euthanasie, Palliativmedizin, Hospizbewegung,
Patientenselbstbestimmung sowie Lebensqualität.
Dabei wird das Thema Sterbebegleitung absichtlich
weit gefasst, und nicht mit einem der genannten
Begriffe gleichgesetzt. Die kontroversen
Themen ärztliche Tötung auf Verlangen (Euthanasie)
und ärztliche Beihilfe zum Suizid bei
Schwerkranken werden bewusst nicht ausgeschlossen.
Durch eine einengende Begriffswahl können
moralische Vorentscheidungen getroffen werden,
ohne diese offen zu legen. In Deutschland wird
im Gegensatz zur neueren englischsprachigen
Fachliteratur zwischen so genannter »aktiver«
und »passiver« Sterbehilfe unterschieden, wobei
»aktive« Sterbehilfe überwiegend abgelehnt und
»passive« Sterbehilfe mit Einschränkungen erlaubt
oder geboten erscheint. Aus medizinethischer
Sicht ist diese Unterscheidung jedoch fragwürdig,
da sie suggeriert, dass »aktives« Tun im
Bereich der Sterbehilfe ethisch stets verwerflich,
dagegen »passives« Unterlassen erlaubt sei. In der
medizinischen Praxis führt dies zu Missverständnissen
und Verwirrung. z.B. bezeichnen viele Ärzte
den Abbruch einer mechanischen Beatmung als
aktives Tun und damit als moralisch verwerfliche
»aktive« Sterbehilfe, während andere dies als »passive
Sterbehilfe« einordnen, da lediglich eine
intensivmedizinische Behandlungsmaßnahme
abgebrochen wird. Deshalb würde ein solcher
Patient nicht »aktiv« getötet, sondern würde »passiv«,
quasi natürlich sterben. Weiterhin wird in der
Klinik häufig argumentiert, dass Ärzte zwar nicht
jede lebensverlängernde Maßnahme, wie z.B.
»künstliche« Ernährung durchführen müssten,
wenn aber mit der Behandlungsmaßnahme einmal
begonnen worden sei, könne sie nicht mehr
abgebrochen werden.
Aus medizinethischer Sicht ist diese Unterscheidung
zwischen Therapieverzicht (Nichtbehandlung)
versus Therapiebeendigung fragwürdig
und spiegelt mehr die psychologische als die
ethische Problematik der Behandler wider. Hinzu
tritt in Deutschland die historische Erfahrung der
systematischen Ermordung von schwer psychisch
kranken Patienten und geistig behinderten Menschen
durch Ärzte und staatliche Stellen unter
dem Deckbegriff »Euthanasie« im Nationalsozialismus.
Diese Tatsache prägt die deutsche Debatte
bis heute und unterscheidet sie z.B. von der angelsächsischen
Diskussion, in welcher der Begriff
Euthanasie unbelastet verwendet wird.
Diese Beispiele verdeutlichen die Notwendigkeit
der Klärung und Begründung von Begriffen
bei der Sterbebegleitung. Dabei handelt es sich um
eine interdisziplinäre Aufgabe, bei der auch medizinische,
pflegerische, ethische, juristische, historische,
emotionale Aspekte zu beachten sind. Statt
»aktiver« Sterbehilfe wird eindeutiger von Tötung
auf Verlangen des Patienten oder ärztlicher Beihilfe
zum Suizid gesprochen werden, während der
Begriff »passive« Sterbehilfe durch eine genaue
Beschreibung des Sachverhalts, z.B. Abbruch/Einstellung,
Begrenzung/Limitierung oder Unterlassung
von Therapie, Schmerzbehandlung mit eventueller
Lebensverkürzung etc., ersetzt wird.
Tötung auf Verlangen
Mit den gestiegenen medizinischen Interventionsmöglichkeiten
am Lebensende und dem
wachsenden Patientenbedürfnis nach Selbstbestimmung
werden in Deutschland Möglichkeiten
und Grenzen von Sterbehilfe kontrovers diskutiert.
Das staatliche Recht in der Bundesrepublik kennt
die Begriffe »Sterbebegleitung«, »Sterbehilfe«
oder »Euthanasie« nicht, denn in Deutschland gibt
es keine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe. Aus
dem prinzipiellen Fremdtötungsverbot des deutschen
Strafrechts folgt, dass die Tötung eines
Schwerstkranken mit dem Ziel der Beseitigung
unerträglicher Schmerzen strafbar ist, und zwar
auch dann, wenn diese Tötung auf den ausgesprochenen
und ernsthaften Wunsch eines selbstbestimmungsfähigen
Kranken hin geschieht (§ 216 StGB).
In der Praxis kommt diese Strafvorschrift
allerdings selten zur Anwendung, wobei von einer
Dunkelziffer ausgegangen werden muss, da Fälle
von Tötung auf Verlangen meist im privaten Rahmen
geschehen und weder der Öffentlichkeit noch
der Justiz bekannt werden. Die Ärzteschaft lehnt in
den 1998 formulierten »Grundsätzen der Bundesärztekammer
zur ärztlichen Sterbebegleitung«
jede Form der Tötung durch den Arzt, auch auf
Verlangen des Patienten, ab. Leidenszustände
seien in aller Regel durch geeignete Maßnahmen
zu mildern und das Arztbild würde durch ein gravierendes
Misstrauen von schwerkranken Patienten
belastet. Auch von den beiden großen christlichen
Kirchen, der Bundesarbeitsgemeinschaft
Hospiz, der Deutschen Hospiz Stiftung und dem
Bundesverband Hilfe für Behinderte wird die
Tötung auf Verlangen abgelehnt.
Dagegen befürworten Wissenschaftler aus
Philosophie, Psychologie, Jura, aber auch einige
Mediziner und Theologen eine Straffreiheit der
ärztlichen Tötung auf Verlangen in begründeten
Ausnahmefällen. Vergleichbare Positionen vertreten
die Gesellschaft für Humanes Sterben und der
Humanistische Verband. Sie weisen die Allgemeinverbindlichkeit
christlicher Weltanschauung
zurück und verweisen auf das Selbstbestimmungsrecht
des einzelnen bis zum Lebensende in
einer demokratischen Gesellschaft.
Die empirischen Daten über die Einstellung
der deutschen Bevölkerung zur Tötung auf
Verlangen variieren erheblich in Abhängigkeit
von Art und Umfeld der Fragestellung, Gruppe
der Befragten, Zeitpunkt der Befragung und
Auftraggeber der Untersuchung. Im Jahr 2000 befürworteten 81% der Bevölkerung in einer
Forsa-Umfrage im Auftrag der Gesellschaft für
Humanes Sterben die Tötung auf Verlangen. Hier
waren die Befragten nach ihrer Einstellung zu
einer Tötung auf Verlangen im Falle Dritter
befragt worden. Bei einer Emnid-Umfrage im
Auftrag der Deutschen Hospiz Stiftung befürworteten
jedoch nur 35,4% (1997: 41,2%) eine »aktive«
Beendigung des Lebens von unheilbar
Kranken auf deren Wunsch (siehe Abb. 1).
Hier bezog sich die »Tötungssituation auf
Verlangen« auf die Befragten selbst, nachdem
über palliative Behandlungsmöglichkeiten informiert
worden war.

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Ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung
Im Gegensatz zu anderen Ländern sind in
Deutschland weder der Suizid, noch die
Anstiftung und Beihilfe zum Suizid strafbar. In
der Praxis ergeben sich rechtliche Definitions und
Abgrenzungsprobleme in den Bereichen
Ernsthaftigkeit des Todeswunsches, Freiheit und
Selbstbestimmung des Kranken versus Appell
und Hilferuf an die Umwelt durch den
Betroffenen. Die überwiegende Mehrheit von
Patienten, die der Arzt nach einem Suizidversuch
sieht, sind psychisch krank und können erfolgreich
behandelt werden
1
.
Aufgrund dieser
Sachlage geht der Bundesgerichtshof beim Suizid
grundsätzlich von einem »behandlungsbedürftigen
Unglücksfall« aus, d.h. es besteht medizinischer Behandlungsbedarf. Auf der anderen Seite
gibt es bei körperlich schwer kranken oder
gebrechlichen Menschen eine wohlüberlegte und
selbstbestimmte Entscheidung für eine Selbsttötung
bzw. die Bitte um eine ärztliche Hilfe zum
Suizid, wie klinische Erfahrungen mit AIDS- und
Krebskranken zeigen. In dieser Situation können
Ärzte in das Dilemma zwischen Sterbehilfe nach
dem Wunsch des Todkranken und unterlassener
Hilfeleistung (Garantenpflicht des Arztes) geraten.
Medizinethisch gerät dabei der Respekt vor
der Selbstbestimmung des Patienten in Konflikt
mit der ärztlichen Verpflichtung zum gesundheitlichen
Wohl des Kranken und nicht zu dessen
Schaden zu handeln. Rechtlich können bei der
ärztlichen Beihilfe zum Suizid Abgrenzungsprobleme
zum Straftatbestand der »Tötung auf
Verlangen« (§ 216 StGB) und der unterlassenen
Hilfeleistung auftreten.
Trotz Straflosigkeit und verbreiteter rechtspolitischer
Anerkennung des freiverantwortlichen
und wohlüberlegten Suizids, wird eine ärztliche
Beihilfe zur Selbsttötung durch die deutsche Ärzteschaft
überwiegend abgelehnt und als »unärztlich«
verworfen. Solche Maßnahmen seien nicht
Inhalt des ärztlichen Behandlungsauftrages. Vielmehr
verpflichtet die Kenntnis eines Selbsttötungswunsches
des Patienten den Arzt, nach
Möglichkeit eine Änderung dieses Verlangens zu
versuchen. Wegen dieser Abwertung von Selbsttötung
im traditionellen ärztlichen Ethos spielt
die ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung in der klinischen
Praxis, trotz Straflosigkeit, kaum eine
(öffentliche) Rolle. Erst in den letzten Jahren begann,
angestoßen durch selbstbewusst vorgebrachte
Wünsche von AIDS-Patienten sowie
durch die Liberalisierung in den Niederlanden
und Teilen der USA und Australiens eine differenzierte
Auseinandersetzung in Deutschland.
Dabei wird der traditionelle ärztliche Paternalismus
durch das Selbstbestimmungsrecht des
Patienten infrage gestellt und die Selbsttötung
angesichts verantwortbarer und wertorientierter
Argumente zunehmend vorurteilsfreier diskutiert.
Empirische Befragungen von deutschen
Ärzten aus den letzten Jahren belegen, dass die
Mehrheit der deutschen Ärzte eine Tötung auf
Verlangen bzw. eine Beihilfe zur Selbsttötung
ablehnt. Das Anliegen wird jedoch im ärztlichen
Alltag von Patienten angesprochen und einige
Ärzte kennen Situationen, in denen sie »aktive«
Maßnahmen zur Lebensbeendigung für moralisch
vertretbar halten bzw. solche selbst erlebt
haben.
Ärzte befürchten, dass eine Überbewertung
der autonomen Entscheidungsfreiheit des Patienten
leicht zur Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit
des Arztes führen könnte. Gerade in
wirtschaftlich schlechten Zeiten könne eine vermeintliche
Selbstbestimmung des Einzelnen
durch sozialökonomische Faktoren in einen
gesellschaftlichen Erwartungsdruck auf Selbsttötung
kranker, behinderter und alter Menschen
umschlagen. In einem solchen zweckrationalen
Fortschrittsdenken bestehe die Gefahr inhumaner
Elimination »nicht lebenswerten« oder »nicht
leistungsfähigen« menschlichen Lebens, wie sie
von den Nazis als »Endlösung der sozialen Frage«
betrieben wurde. Daher ziele die gegenwärtige
Euthanasie-Debatte sozialethisch wie sozialpolitisch
in eine gefährliche, verfehlte Richtung.
Beendigung, Begrenzung und Unterlassen von Therapie
Die häufigsten Fragen treten in der medizinischen
Praxis beim Unterlassen oder beim Abbruch
von lebensverlängernden Maßnahmen auf.
Diese sogenannte »passive« Sterbehilfe ist im
Grundsatz juristisch und ethisch nicht umstritten,
im Einzelfall können aber Probleme auftreten.
Von medizinischer Seite wird auf die Unsicherheit
von Diagnose und Prognose verwiesen,
die eine Weiterbehandlung auch bei schlechter
Prognose rechtfertigen kann. Da viele Patienten
entgegen ihrem Wunsch im Krankenhaus sterben,
spielen in der Praxis die Strukturen und
Abläufe dieser Institution eine entscheidende
Rolle. Diese sind meist auf das Ziel der Lebenserhaltung
und verlängerung ausgerichtet, wobei
Handlungsleitlinien in der Praxis für eine
menschliche und professionelle Sterbebegleitung
häufig fehlen bzw. nur untergeordneten Stellenwert
besitzen. Dies trifft besonders auf die medizinische
Behandlung von alten Menschen auf
Intensivstationen zu. Nach empirischen Untersuchungen
in einem Berliner Krankenhaus ist die
Verlegung auf die Intensivstation und die Indikation
zur Reanimation (Herz-Lungen-Wiederbelebung)
nicht eindeutig geregelt. In der Praxis
werden therapiebegrenzende Entscheidungen
häufig auf Drängen des Pflegepersonals von Ärzten
gefällt, ohne dass der Patient und seine Angehörigen
in den Entscheidungsprozess einbezogen
werden. Eine mangelnde Transparenz und Dokumentation
erschweren nicht nur die Überprüfbarkeit
solcher Entscheidungen, sondern sie fördern
im Notfall auch Fehlentscheidungen. Die mangelhafte
Kommunikation und Dokumentation von
Entscheidungen am Lebensende im Krankenhaus
fördern Stress, Unsicherheit und Missverständnisse
bei allen Beteiligten. Dieses Vorgehen ist
mit einer zeitgemäßen Entscheidungsfindung
zwischen Arzt und Patient, Kommunikation im
Behandlungs
team
und professioneller Qualitätssicherung
nicht zu vereinbaren. Daher fürchten
Patienten und Angehörige häufig, dass ihre Wünsche
und Rechte der individuellen Behandlung
besonders am Lebensende im Krankenhaus nicht
beachtet werden und sie den oben genannten
institutionellen Abläufen ausgeliefert sind.
So ist in den letzten Jahren ein zunehmendes
Interesse an Instrumenten zu verzeichnen, die
dem selbstbestimmten Wunsch des Patienten am
Lebensende Ausdruck verleihen. Nach einer repräsentativen
Emnid-Befragung von 1007 Haushalten
im Auftrag der Deutschen Hospiz Stiftung
von 1999 würden 81% eine Willenserklärung im
voraus abfassen (1997: 73%), in der Praxis haben
jedoch nur 8% der Befragten ein solches Dokument
verfasst (siehe Abb. 2). Daraus schließt die
Deutsche Hospiz Stiftung auf einen erheblichen
Informations- und Beratungsbedarf und hat 1999 eine
Hotline sowie ein Bundeszentralregister zur
Hinterlegung dieser Dokumente eingerichtet.
Innerhalb eines Jahres waren 18.000 Anfragen
und 1700 Registrierungen zu verzeichnen. In
einem Katalog hat die Stiftung zwölf Punkte zusammengefasst,
die als Kriterien für die Qualität
von Patientenverfügungen gelten sollen. Im folgenden
werden die gegenwärtig in Deutschland
vorhandenen Instrumente und deren praktischer
Stellenwert referiert.
Möglichkeiten der Willensbekundung
Durch vorsorgliche Verfügungen können persönliche Behandlungswünsche für bestimmte medizinische Situationen im Voraus schriftlich festgelegt werden. In Deutschland begann diese Entwicklung mit dem so genannten »Patiententestament«, wobei der Begriff unglücklich gewählt ist, da Testamente Anweisungen für die Zeit nach dem Tod enthalten, während es sich hier um Verfügungen für das Ende des Lebens handelt. Daher setzt sich zunehmend die Bezeichnung »Patientenverfügung« oder »Vorabverfügung« durch. In Deutschland gibt es drei Formen der Willensbekundung: Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung.
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Patientenverfügung
Die Patientenverfügung dient dazu, den behandelnden
Arzt im Fall einer Entscheidungsunfähigkeit
(z.B. Bewusstlosigkeit) des Patienten, über
dessen medizinische Behandlungswünsche zu informieren.
Wer eine solche Verfügung verfasst hat,
weist den Arzt schriftlich an, welche medizinischen
Behandlungen vorgenommen oder unterlassen
werden sollen, wenn ein entsprechender
Krankheitszustand eingetreten ist. Ist die Patientenverfügung
konkret genug formuliert und fehlen
Anhaltspunkte dafür, dass ihr Verfasser seine
Anschauungen geändert hat, ist sie für die behandelnden
Ärzte auch verbindlich.
Allerdings muss der Arzt im Einzelfall genau
prüfen, ob die gegebene Situation derjenigen entspricht,
die der Patient beim Verfassen der Verfügung
vor Augen hatte. Gegebenenfalls muss der
Patientenwille durch Gespräche mit den Angehörigen
ermittelt werden.
Formulare und Handreichungen werden von
den Ärztekammern, von den christlichen Kirchen
und anderen Glaubensgemeinschaften, Wohlfahrtsverbänden,
der Hospizbewegung, kommunalen
Einrichtungen, medizinethischen Zentren
und Patientenverbänden herausgegeben.
Vorsorgevollmacht
Durch Vorsorgevollmachten können nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 1.896 II und 1.904 II BGB) ein oder mehrere Personen des Vertrauens bevollmächtigt werden, anstelle des einwilligungsunfähigen Patienten rechtsverbindlich entsprechend den in der Vollmacht verfügten Bereichen (z.B. medizinische Behandlung oder Nichtbehandlung) Entscheidungen zu treffen. In der Vorsorgevollmacht werden wesentliche Entscheidungen an eine Person des Vertrauens übertragen. Diese ist verpflichtet, sich an den genannten Werten, Wünschen und Verfügungen des Ausstellers zu orientieren. Ein Bevollmächtigter wird im Gegensatz zu einem Betreuer nicht vormundschaftsgerichtlich bestellt, nur bei schwerwiegenden therapeutischen Interventionen, wie z.B. einem Behandlungsabbruch, kann die Mitwirkung des Vormundschaftsgerichts erforderlich werden.
Betreuungsverfügung
Nach dem Betreuungsgesetz können in Form einer
Betreuungsverfügung nach §§ 1.897 IV, 1.901 II 2 und § 1.901a BGB vom Betroffenen für den Betreuungsfall
im Voraus Personen als Betreuer benannt
werden. Das Vormundschaftsgericht wird
im Betreuungsfall der Verfügung Folge leisten,
sofern keine Vorbehalte bezüglich der Eignung des
Betreuers bei seiner gerichtlichen Bestellung
ersichtlich sind. Nach der Bestellung übernimmt
der Betreuer nach bestem Wissen und Gewissen
rechtsverbindlich die Angelegenheiten des Betreuten
in festgelegten Betreuungsbereichen, z.B.
Heilfürsorge. Er hat dabei die vom Betreuten im
Voraus geäußerten Wünsche, z.B. bei der medizinischen
Behandlung, zu beachten, es sei denn sie
laufen dem Wohl des Betreuten zuwider oder es
liegen Hinweise für die Aufgabe des früher festgelegten
Wunsches vor. Bei Entscheidungen über
Behandlungsabbruch sowie über Heilbehandlungen
mit lebensverkürzendem Risiko muss das Vormundschaftsgericht
die Genehmigung erteilen.
Alle vorgenannten Verfügungen können jederzeit
vom Betroffenen geändert oder widerrufen
werden. Sie stellen eine formelle Dokumentation
des Patientenwillens dar, entscheidender ist
aber der vorher notwendige Reflexions- und Kommunikationsprozess
des Patienten mit seinem
Arzt, Bevollmächtigten und Vertrauenspersonen.
Dieser Prozess fördert im Einzelfall die individuelle
und selbstbestimmte Entscheidung und
sensibilisiert für das Problemfeld Sterben und
Selbstbestimmung. Eine gesetzliche Regelung der
Verwendung von Patientenverfügungen besteht
zurzeit nicht. Die Bundesärztekammer hat 1998 in
ihren Grundsätzen zur Sterbebegleitung die Verbindlichkeit
von Patientenverfügungen im Vorfeld
des Todes für den Arzt unter bestimmten Bedingungen
festgelegt und in den Handreichungen für
Ärzte im Umgang mit Patentenverfügungen 1999 konkretisiert.
Palliativmedizin
Im Gegensatz zur kurativen Medizin, die eine
Heilung des Patienten anstrebt, steht in der Palliativmedizin
die symptomlindernde Behandlung
von nicht ursächlich therapierbaren Kranken im
Vordergrund. Die Weltgesundheitsorganisation
(WHO) definiert Palliativmedizin als die aktive
Gesamtbehandlung von Kranken, deren Leiden auf
kurative Behandlung nicht anspricht. Kontrolle von
Schmerzen, von anderen Symptomen sowie von
psychischen, sozialen und spirituellen Problemen
ist von entscheidender Bedeutung. Das Ziel der
palliativen Behandlung ist es, die bestmögliche
Lebensqualität für Patienten und deren Familien
zu erreichen. In der medizinischen Praxis sind
palliativmedizinische Maßnahmen besonders bei
Patienten mit bösartigen Tumoren, AIDS- und
schweren neurologischen Erkrankungen erforderlich.
Dabei wird Sterben als normaler Vorgang des
Lebens betont, der als Teil der Gemeinschaft gelebt
werden soll. Die Isolierung und Einsamkeit von
Sterbenden, eine unzureichende medizinische und
pflegerische Versorgung sollen verhindert werden.
Bei der Symptomlinderung stehen typischerweise
neben der Therapie von Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit,
Übelkeit, Erbrechen, Schlafstörungen,
Luftnot etc. insbesondere die Schmerztherapie
2
im
Vordergrund. Trotz Verbesserungen in den letzten
Jahren ist die Schmerzbehandlung von Tumorpatienten
und chronisch Kranken in der Praxis noch
verbesserungsbedürftig. Der Wissensstand vieler
Ärzte ist unzureichend und umfassende Kenntnisse
werden im Medizinstudium sowie in der
Facharztausbildung kaum vermittelt. Ein weiteres
Defizit weist die psychologische und psychiatrische
Behandlung von schwerst körperlich Kranken auf,
wobei besonders depressive Symptome unbehandelt
bleiben und die Lebensqualität am Lebensende
beeinträchtigen.
Die Palliativmedizin arbeitet mit einem integrierten
Behandlungsansatz, das heißt es werden
die körperlichen, psychischen, sozialen und spirituellen
Bedürfnisse von schwerkranken und
sterbenden Patienten berücksichtigt. Hierzu ist
eine Betreuung durch ein multiprofessionelles
Team
mit Ärzten, Pflegepersonal, Sozialarbeitern,
Psychologen, Seelsorgern und ehrenamtlichen
Helfern erforderlich. Weiterhin müssen die beteiligten
Institutionen wie Krankenhaus, Hausarzt
(bzw.
home-care
-Arzt), Palliativstationen, ambulante
Hausbetreuungsdienste und Sozialstationen
eng zusammenarbeiten. Dennoch ist in der Praxis
nicht jeder sterbende Patient für eine Palliativstation
geeignet, z.B. weil er Gespräche und Reflexionsangebote
ablehnt oder die persönliche Atmosphäre
und Werthaltung auf einer Palliativstation
nicht akzeptiert. Qualitätssichernde Maßnahmen
müssen deshalb diese Aspekte und Professionalität
bei Indikationsstellung gewährleisten.
Durch eine rein ökonomisch motivierte Umwandlung
von regulären Krankenhausbetten zu
Palliativ- oder Hospizbetten zur Vermeidung von
Bettenstreichungen kann keine gute Palliativmedizin
entstehen. Hierzu bedarf es vielmehr eines
Einstellungs- und Wertewandels in Teilen der
modernen Medizin, die bei ihren naturwissenschaftlich-
technischen Fortschritten mitunter den
menschlichen Blick auf den einzelnen Patienten
und ein umfassendes Verständnis von Krankheit,
Sterben und Tod verloren hat.
Hospizbewegung
Im Unterschied zu ärztlich geleiteten Palliativstationen
als Teil des medizinischen Versorgungssystems
reicht die Geschichte der Hospizidee auf
Herbergen (»hospitium«) und mittelalterliche
Hospitalorden zurück, die Armen, Kranken und
Reisenden Rast, Zuwendung und Pflege gaben.
Daraus entwickelten sich, außerhalb der modernen
Medizin, Orte der Aufnahme, Begleitung und
Pflege von unheilbar Kranken und Sterbenden.
Die moderne Hospizbewegung geht auf die englische
Krankenschwester und Ärztin
Cicely
Saunders
zurück, die 1967 das
Als Gegenprogramm zur technischen Hochleistungsmedizin
und einer Ausgrenzung von
Sterben formulierte Saunders Werte der Hospizbewegung:
Sterbende sollten gut ärztlich versorgt
werden, in die Gemeinschaft integriert bleiben,
als einzigartige, individuelle Person wahrgenommen
werden und die Angehörigen sollten bei
ihrer Trauer begleitet werden. Die Hospizbewegung
sieht sich der Autonomie und der Würde
menschlichen Lebens verpflichtet und lehnt jede
Form »aktiver« Sterbehilfe ab. Nach ihrem Verständnis
und ihren praktischen Erfahrungen stellen
eine gute Behandlung und Betreuung die wirkungsvollste
Alternative zur »aktiven« Sterbehilfe
dar. Hierzu zählen neben Schmerztherapie und
guter Krankenpflege auch psychosoziale, gestalterische
und spirituelle Angebote. Der Kranke soll
möglichst in seiner vertrauten Umgebung sterben,
weshalb von den Hospizdiensten auch eindeutig
die ambulante Hospizbetreuung der stationären
vorgezogen wird. Bei der organisatorischen
und räumlichen Gestaltung von stationären
Hospizen wird eine Krankenhausatmosphäre vermieden
und die Räume werden wie private
Räume gestaltet. Hospize verstehen sich nicht als
»Sterbe-Ghettos« oder »Sterbekliniken«, sondern
wollen der gesellschaftlichen Ausgrenzung von
Sterben und Tod durch gemeindenahe Versorgung,
Integration von freiwilligen Laienhelfern
sowie durch Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen
entgegenwirken. Große öffentliche
Aufmerksamkeit fanden auch die in den 1960er Jahren publizierten »Interviews mit Sterbenden«
der Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross.
Die Allgemeingültigkeit der von ihr beschriebenen
fünf Phasen des Sterbens muss nach heutigem
Wissensstand jedoch kritisch betrachtet werden,
da sich ihre Typisierung überwiegend auf
Krebspatienten aus der Mittelschicht beschränkt.
Herausforderungen am Beispiel AIDS
Im Unterschied zur Altersstruktur der Betreuten
in Hospizen, bei denen mehr als die Hälfte über 81
Jahre alt sind, handelt es sich bei Menschen mit AIDS- überwiegend um jüngere, männliche, häufig
besser informierte Patienten. Diese leiden an einer
nicht heilbaren Infektionskrankheit
3
und kommen
vor allem aus Gesellschaftsgruppen, die
überwiegend andere Lebensstile haben als die
Mehrheit, wie z.B. schwule und bisexuelle Männer.
Diese Unterschiedlichkeit der Lebensstile ist
auch in der letzten Phase des Lebens zu akzeptieren.
Sie darf nicht durch eine vermeintlich allgemeingültige
Bedürfniszuschreibung am Lebensende
oder durch eine Idealtypisierung oder
Verklärung des Sterbens negiert werden.
Hieraus folgt, dass in einer modernen wertepluralistischen
Gesellschaft die Unterschiedlichkeit
individueller Lebensstile auch im Sterben Ausdruck
finden sollte, was für alle Leistungsanbieter
eine Herausforderung darstellt. Bisher haben Palliativmedizin
und Hospizbewegung mit ihren impliziten
Normen und Verhaltensstandards diese
Problematik nicht differenziert genug aufgegriffen.
Zur klassischen Hospizarbeit gehört z.B. das
Einbeziehen von Familienangehörigen bei der Betreuung
des Sterbenden. Viele AIDS-kranke Menschen
haben jedoch ein problematisches Verhältnis
zu ihrer Herkunftsfamilie, besitzen aber ein
eigenes Netzwerk von »Angehörigen«, das mitunter
von ihren Eltern genauso missbilligt wird wie
der eigene Lebensstil. In der Praxis müssen Sterbende
mitunter sogar vor Bedrängungen durch die
Eltern geschützt werden, was gerade in kirchlich
getragenen Hospizeinrichtungen mit der christlichen
Werteinstellung zur Familie in Konflikt geraten
kann. Nichtfamilienangehörige fühlen sich
dann zweitklassig behandelt und können ihre
unterstützende Rolle bei der Sterbebegleitung nur
gegen Widerstände ausfüllen. Auch kann eine
ganzheitliche Betreuung und Sterbebegleitung
nicht geleistet werden, wenn eigene Moralvorstellungen
der Akzeptanz von Homosexualität im
Wege stehen.
Das gleiche ethische Problem stellt sich bei
der generellen Ablehnung und Tabuisierung der
ärztlichen Beihilfe zum Suizid, auch wenn dieses
häufig von gebildeten, selbstbewussten Patienten
gewünscht wird. Hospizbewegung und Palliativmedizin
werden mit Erfahrungen aus den Niederlanden
und den USA konfrontiert, nach denen ein
offener und akzeptierender Umgang mit dem
Wunsch des Patienten in vielen Fällen nicht zu einem
vorzeitigem Tod des Kranken führt. Vielmehr
scheint die Wahrung der Selbstbestimmung des
Patienten seinen Lebenswillen zu stärken und die
Lebensqualität zu verbessern. In der Zukunft werden
mehr die Selbstbestimmung und Präferenzen
des Einzelnen und weniger die weltanschaulichen
Vorstellungen von Institutionen im Mittelpunkt
des Sterbens stehen.
Hierbei darf die für die gesamte Medizin zentrale
Frage der Abwägung zwischen Lebensverlängerung
und Lebensqualität nicht vermieden werden.
Wie schwierig diese Entwicklung ist, zeigt das
Verhältnis zwischen Hospiz-Initiativen in Trägerschaft
von AIDS-Hilfen mit anderen Hospizen,
zwischen denen Kooperation und inhaltliche Auseinandersetzung
kaum stattfindet. Ohne eine
sachbezogene, professionelle Kooperation und
Vernetzung ist eine flächendeckende Versorgung
jedoch besonders in ländlichen Bereichen nicht zu
realisieren. Für eine gesundheitspolitische Beurteilung
ist es wichtig, dass die beschriebene Entwicklung
zu mehr Patientenselbstbestimmung,
Information und Emanzipation des Kranken, partnerschaftlichen
Behandlungsvereinbarungen sowie
der Berücksichtigung von individuellen Werten
und Wünschen des Kranken nicht auf AIDS-Patienten beschränkt bleibt, sondern die zukünftige
Rolle des Patienten in einer modernen
Dienstleistungsgesellschaft überhaupt kennzeichnet,
was sich inzwischen auch in anderen Krankheitsbereichen
abzeichnet.
Versorgung, Finanzierung und Leistungsanbieter
In Deutschland wurde 1983 in Köln die erste
Palliativstation in Deutschland eröffnet. 1991 konnte
mit Mitteln der Deutschen Krebshilfe das
»Dr.-Mildred-Scheel-Haus« auf dem Gelände der
Kölner Universitätsklinik eröffnet werden, das
eine stationäre Versorgung (15 Betten), einen
Hausbetreuungsdienst und eine Akademie für
Fortbildung und Information auf dem Gebiet der
Palliativmedizin anbietet. Das damalige Bundesministerium
für Gesundheit hat von 1991 bis 1996 bundesweit
die Einrichtung von 16 Palliativeinheiten
modellhaft gefördert. 1994 wurde die
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP)
gegründet und 1999 die erste Professur für Palliativmedizin
in Bonn eingerichtet. Des Weiteren
ist ein Lehrstuhl für Palliativmedizin am Klinikum
der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule
Aachen besetzt worden.
Als Beispiel für professionelle, patientenzentrierte
Palliativmedizin soll das mehrfach aus
gezeichnete
SUPPORT-Projekt
(Südniedersächsisches
Projekt zur Qualitätssicherung der palliativmedizinisch
orientierten Versorgung von Patienten
mit Tumorschmerzen) genannt werden,
das ebenfalls durch das damalige Bundesministerium
für Gesundheit finanziert wurde. Während
der Projektphase konnte gezeigt werden, dass der
Realisierung des Wunsches von Tumorpatienten,
zu Hause zu sterben zu zwei Drittel entsprochen
werden konnte, während diese Patientengruppe
sonst zu 80 bis 90% im Krankenhaus verstirbt.
Weiterhin konnten Qualitätszirkel der beteiligten
Ärzte, palliativmedizinische Konsiliardienste,
Fortbildung für Pflegepersonal und Öffentlichkeitsarbeit
realisiert werden.
Die Auswertung der bereits erwähnten Modellförderung
zur Verbesserung der Versorgung
Krebskranker an 16 Palliativeinrichtungen hat einige
wichtige Erkenntnisse geliefert:
Gründe für die Einweisung und Aufnahme in
eine Palliativeinheit sind vor allem ambulant
nicht mehr beherrschbare Schmerzzustände, »andere
körperliche Beschwerden« und Ernährungsschwierigkeiten.
80% der aufgenommenen Patienten
leiden an erheblichen Schmerzen.
Die weiteren Versorgungsgegebenheiten in
einer Region, insbesondere aber das palliative Konzept
der Einrichtung bestimmen, in welchem Stadium
seiner Erkrankung eine Aufnahme des Patienten
in die Palliativeinheit erfolgt. Im Mittel
wurden Palliativpatienten nach jeder Aufnahme
für insgesamt 17 Tage in den Einheiten betreut.
Hierbei ergaben sich je nach Konzept der Palliativeinheit
(Hauptgewichtung auf frühzeitige Intervention
oder Sterbebegleitung) Unterschiede in
der mittleren fallbezogenen Verweildauer zwischen
10 und über 20 Tagen. Entsprechend den
Einweisungsgründen steht die Schmerztherapie
im Vordergrund der palliativen medizinischen Behandlung.
Die Erfahrungen aus den geförderten Palliativeinheiten
zeigen, dass am ehesten bei frühzeitig
aufgenommenen Patienten eine Verbesserung
der Symptome erreicht werden kann. Sie ist Voraussetzung
für eine Entlassung in eine ambulante
Weiterversorgung. Die Intervention zielt primär
darauf ab, dass der Patient wieder entlassen werden
kann. Dies bedeutet, dass fast 90% der Patienten
nach dem stationären Aufenthalt durch
Angehörige und soziale Einrichtungen weiter betreut
werden müssen, wobei der Palliativeinheit
hier die wichtige Aufgabe zukommt, diesen Übergang
in die ambulante Versorgung vorzubereiten.
Hier sind in den letzten Jahren Pflegeüberleitungsmodelle
gefunden worden, die zwischen Palliativstationen
und ambulanten Hospizdiensten
koordinieren. In Deutschland wird in den nächsten
30 Jahren die Zahl alter Menschen und damit
die Anzahl schwerkranker und sterbender Patienten,
insbesondere mit Krebserkrankungen, zunehmen.
Weiterhin steigt die Zahl der alleinstehenden
älteren Menschen, so dass im Falle
schwerer Krankheit und Sterbens mit einem steigenden
Bedarf an medizinischen, pflegerischen,
psychosozialen und seelsorgerischen Diensten zu
rechnen ist
4
. Nach Angaben der Deutschen Hospiz
Stiftung ist seit 1996 ein Zuwachs der Hospizeinrichtungen
(incl. Palliativstationen) von
knapp 300 auf über 1.000 Einrichtungen zu verzeichnen.
Dabei ist die Zahl der ambulanten Hospizdienste
von 264 auf 981 gestiegen, die stationären
Hospize haben sich mehr als vervierfacht
und die Zahl der Palliativstationen stieg von 24
auf 75.
Tabelle 1
Einrichtung | 1996 | 1998 | 2000 | 2002 |
---|---|---|---|---|
Stationäre Hospize | 29 | 50 | 75 | 123 |
Ambulante Hospize | 264 | 507 | 700 | 981 |
Palliativstationen | 24 | 37 | 48 | 75 |
Nach der letzten bundesweiten Hospizstatistik der Deutschen Hospiz Stiftung aus dem Jahre 2002 wurden durch ambulante Hospizdienste rund 35.600 Sterbende begleitet, 7.000 in Palliativstationen und etwa 8.400 Menschen starben in stationären Hospizen. Die durchschnittliche Betreuungsdauer liegt seit 1999 bei 59 Tagen (ambulant) bzw. 38 Tagen (stationär), wobei jeder ambulante Dienst durchschnittlich 37 Personen, jede stationäre Einrichtung 66 Personen begleitet hat. 16.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in den ambulanten Diensten ehrenamtlich tätig. Im Durchschnitt arbeiten ca. 23 ehrenamtliche Mitarbeiter in einem ambulanten Dienst, im stationären Bereich sind dies durchschnittlich zwischen zwei und drei Mitarbeiter. Hauptamtlich tätig sind im ambulanten Bereich durchschnittlich 1,2 Personen und 2,2 Personen im stationären Bereich (Tabelle 2). Über 90% der Einrichtungen bieten für ihre ehrenamtlich Tätigen regelmäßige Fort- und Weiterbildungen an.
Tabelle 2
Einrichtung | hauptamtliche Mitarbeiter |
ehrenamtliche Mitarbeiter |
---|---|---|
Stationäre Hospize | 2,2 | 2,4 |
Ambulante Hospize | 1,2 | 23,35 |
Den steigenden Betreuungszahlen standen laut der letzten Todesursachenstatistik des Jahres 2000 ca. 839.000 Todesfälle, davon ca. 216.000 Krebskranke in Deutschland gegenüber. Geht man davon aus, dass ein Großteil dieser Menschen in der Finalphase ihrer Erkrankungen unter starken Schmerzen und anderen schwerwiegenden Symptomen leiden, muss weiterhin von einer Unterversorgung der Bevölkerung gesprochen werden. Hinzu kommt, dass Hospize nicht nur von Krebskranken, sondern auch von Patienten mit AIDS-, progredienten neurologischen Krankheiten (z.B. amyotrophe Lateralsklerose, multiple Sklerose) und anderen Diagnosen in Anspruch genommen werden, wobei sich die individuellen Betreuungserfordernisse von Untergruppen wie z.B. schwulen AIDS-Kranken oder sterbenden Kindern von der Mehrzahl der Hospizpatienten unterscheidet.
Da Hospize keiner gesetzlichen Bedarfsplanung unterliegen, gibt es erhebliche regionale Versorgungsunterschiede. Der Gesetzgeber ermöglicht Rahmenvereinbarungen über die Versorgung in stationären und ambulanten Hospizen zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und den Hospiz-Verbänden (§ 39a SGB V), die aber keine flächendeckende Versorgung sicherstellen müssen. Daher ist eine detaillierte Bedarfsermittlung schwierig, die erwähnten Fakten deuten auf eine nicht ausreichende Hospizkapazität sowie auf qualitative, quantitative und regionale Versorgungslücken hin. Die Ergebnisse der ersten flächendeckenden Studie über Palliative-Care-Versorgung der Deutschen Hospizstiftung aus dem Jahr 2002 zeigen, dass im Bundesdurchschnitt nur 1,8% der Sterbenden Hilfe durch Palliative- Care und 4,3% der Sterbenden Hilfe durch hospizliche Versorgung erhalten. Nötig wären nach vorsichtigen Schätzungen mindestens 40%. Als ausreichende Versorgung sehen die Deutsche Hospiz Stiftung und die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin eine Kapazität von 50 Hospiz und Palliativbetten pro 1 Millionen Einwohner. Im Frühjahr 2000 standen im in Deutschland lediglich 13 Palliativ- und Hospizbetten pro 1 Millionen Einwohner zur Verfügung, während die Vergleichszahlen in Großbritannien bei 54 Hospiz und Palliativbetten pro 1 Millionen Einwohner lagen. Es ist festzustellen, dass sich die Betreuungsangebote innerhalb Deutschlands in der zur Verfügung stehenden Bettenzahl deutlich unterscheiden. So weist Hamburg 36,3 Betten/1 Million Einwohner auf, Thüringen dagegen 4,1 Betten/ 1 Million Einwohner 5 . Voraussetzung für die gemeinsame Auflistung von Hospiz- und Palliativbetten ist dabei die gesicherte qualifizierte Einbindung von Ärzten in den Hospizen.
Die Finanzierung der Hospize erfolgt in der Bundesrepublik durch die gesetzlich verankerte Soziale Pflegeversicherung und die Krankenversicherung, ergänzend sind private Spenden und Eigenleistungen erforderlich. Im Jahr 2001 wurde ein Gesetz zur Förderung ambulanter Hospizarbeit verabschiedet und somit die bis dahin bestehende Finanzierungslücke für die ambulanten Hospizleistungen geschlossen (§ 39a SGB V). Damit wurde eine verlässliche finanzielle Grundlage für die ambulante Hospizarbeit geschaffen, mit der auch die Qualifizierung der ehrenamtlich Tätigen finanziell unterstützt werden kann, wenn der Hospizdienst bestimmte Leistungen für Sterbenskranke nachweisen kann.
Dagegen hat die private Krankenversicherung diese Regelung nicht übernommen und bietet auch keine Zusatzversicherungsmöglichkeit an.
Perspektiven
Trotz der Dynamik und der verbesserten Finanzierung
von Palliativmedizin und Hospizen in den
letzten Jahren muss wegen demographischer Veränderungen
mit einem weiter steigenden Versorgungsbedarf
gerechnet werden. Angesichts begrenzter
Ressourcen ist daher eine effiziente
Kooperation zwischen den Leistungsanbietern erforderlich.
Hospizbewegung und Palliativmedizin
müssen, bei ihren jeweils unterschiedlichen Traditionen
und Selbstverständnissen voneinander
lernen und sich gemeinsamen qualitätssichernden
Standards stellen. Besonders von der Palliativmedizin wird eine konkrete Einbindung des
Arztes in die Hospizarbeit gefordert. Darüber hinaus
erscheint eine interdisziplinäre Zusammenarbeit
unterschiedlicher Berufsgruppen unabdingbar.
Hospize und Palliativmedizin werden nur
in der Lage sein, die in sie gesetzten Erwartungen
zu erfüllen und weiterhin Gelder aus den gesetzlichen
Sozialversicherungssystemen zu erhalten,
wenn sie die wertepluralistische Meinungsvielfalt
in unserer Gesellschaft im Leben wie im Sterben
akzeptieren.
Die Bevölkerung soll über ortsnahe und ambulante
Angebote von Hospizdiensten besser informiert
werden, bisher wird mit einem Hospiz
meist nur eine stationäre Einrichtung verbunden.
Die zahlenmäßige Zunahme von alleinstehenden
und älter werdenden Menschen in einer dynamischen,
individualisierten und wertepluralistischen
Gesellschaft macht eine rechtzeitige Entscheidungsfindung
und Planung für den Fall von
Krankheit und Sterben erforderlich. Hierzu bedarf
es neuer Instrumente (z.B. Patientenverfügungen)
und pluralistischer Versorgungsstrukturen, die
auch unterschiedliche ethische Entscheidungen
des Kranken im und zum Sterben akzeptieren.
Vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen
im Gesundheitswesen wird auch eine medizinisch
und ethisch begründete Prioritätensetzung zwischen
kurativer und palliativer Medizin unvermeidbar
sein. Angesichts hoher Krankenhausbehandlungskosten
am Lebensende wird insbesondere
bei hochbetagten Patienten zu entscheiden
sein, ob diese Ressourcen nicht besser in
eine gemeindenahe palliative Medizin investiert
werden sollen. Da für Hospizleistungen kein gesetzlicher
flächendeckender Versorgungsauftrag
existiert, besteht ein eklatantes Angebots- und
Finanzierungsungleichgewicht zwischen Hospiz und
Krankenhausbereich. Ob dieser Zustand
zwischen den genannten Versorgungsbereichen
medizinethisch zu rechtfertigen ist, muss bezweifelt
werden. Letztendlich sind solche Prioritätenfestlegungen
jedoch politische Entscheidungen,
die öffentlich diskutiert und legitimiert werden
müssen.
Aufgrund des erheblichen gesellschaftlichen
und parlamentarischen Diskussionsbedarfes hatte
der Bundestag im Jahr 2000 eine
Enquete
-Kommission
»Recht und Ethik der modernen Medizin
« eingesetzt. Zu ihren Aufgaben gehörte es,
unter angemessener Berücksichtigung der betroffenen
gesellschaftlichen Gruppen, Institutionen
und Verbände sowie der Kirchen, Empfehlungen
für die ethische Bewertung, für Möglichkeiten des
gesellschaftlichen Umgangs sowie für gesetzgeberisches
und administratives Handeln in Bezug
auf medizinische Zukunftsfragen zu erarbeiten.
Die Enquete-Kommission plädiert in ihren
Schlussfolgerungen und Empfehlungen aus dem
Jahr 2002 auch für eine intensive Bearbeitung des
Themas Sterbebegleitung und Sterbehilfe durch
den Deutschen Bundestag. Dabei sollen u.a. folgende
Themenfelder behandelt werden: Verbesserung
der Sterbesituation in Krankenhäusern und
Heimen durch strukturelle Maßnahmen, Maßnahmen
zum Ausbau der palliativmedizinischen
Versorgung, Verbesserung der ambulanten Pflege
in der letzten Phase des Lebens, Verbesserung der
Zusammenarbeit der stationären und ambulanten
Dienste, Verbesserung der familiären und ehrenamtliche
Hilfen und der weitere Ausbau der Hospizarbeit.
Die
Enquete
-Kommission »Ethik und
Recht der modernen Medizin« ist in dieser Legislaturperiode
wiederum vom Deutschen Bundestag
eingesetzt worden und wird ihren Beitrag zur
weiteren gesellschaftlichen Diskussion über
Grundlagen und Kriterien des Selbstbestimmungsrechts
in allen Lebensphasen leisten.
Fußnoten
1
Vgl. Kapitel »Depression« und Kapitel »Suizid« im Gesundheitsbericht für Deutschland
2
Vgl. Heft »Chronische Schmerzen« der Gesundheitsberichterstattung des Bundes
3
Vgl. Kapitel »AIDS« im Gesundheitsbericht für Deutschland
4
Vgl. Kapitel »Bevölkerung« im Gesundheitsbericht für Deutschland
5
Sabatowski R et al. (2001): Hospiz und Palliativführer 2002. Neu-Ilsenburg
Leit A (Hrsg) (1990) Um Leben und Tod. Surkamp, Frankfurt a.M.
Bundesärztekammer (1998) Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung. Deutsches Ärzteblatt 95: 1.689 bis 1.691
Bundesärztekammer (1999) Handreichungen für Ärzte zum Umgang mit Patientenverfügungen. Deutsches Ärzteblatt 96: A bis 2.720-A-2.721
Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg) (1997) Modellprogramm zur Verbesserung der Versorgung Krebskranker - Palliativeinheiten: Ergebnissederwissenschaftlichen Begleitung/Institut für Sozialmedizinische Forschung BOSOFO. Nomos, Baden-Baden
Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg) (1998) Modellprogramm zur Verbesserung der Versorgung von Krebspatienten: im Rahmen des Gesamtprogramms zur Krebsbekämpfung im Zeitraum 1981 bis 1998. Nomos, Baden-Baden,
Daub U, Wunder M (1994) Des Lebens Wert. Zur Diskussion über Euthanasie und Menschenwürde. Lambertus, Freiburg
Deutsche AIDS-Stiftung (1999) Hilfe für Menschen mit HIV und AIDS- im Jahr 1998. Eigenverlag, Bonn
Deutsche Hospiz-Stiftung (2002) Hintergrundinformation. Hospizstatistik 2002 Internet www.hospize.de Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation
Deutscher Bundestag, 14.Wahlperiode (14.05.2002) Schlussbericht der Enquete-Kommission »Recht und Ethik der modernen Medizin«, Drucksache 14/9020
Deutscher Bundestag, 15. Wahlperiode (18.02.2003) Einsetzung der Enquete-Kommission »Recht und Ethik der modernen Medizin«, Drucksache 15/464
Holderegger A (Hrsg) (1999) Das medizinisch assistierte Sterben. Zur Sterbehilfe aus medizinischer, ethischer, juristischer und theologischer Sicht. Universitätsverlag Freiburg i.Ue und Herder, Freiburg i.Br.
Vollmann J (2000) Die deutsche Diskussion über ärztliche Tötung auf Verlangen und Beihilfe zum Suizid. Eine Übersicht medizinischer und rechtlicher Aspekte. In: Gordijn B, ten Have H (Hrsg) Medizinethik und Kultur. Grenzen des medizinischen Handelns in Deutschland und den Niederlanden. Fromman-Holzboog, Stuttgart 2000, 31 bis 70
Vollmann J, Knöchel-Schiffer I (1999) Patientenverfügung in der klinischen Praxis. Med Klein 94: 389 bis 405
Tabellen mit Werten aus Abbildungen 1 und 2
Altersgruppe | Befürworter |
---|---|
18 bis 24 | 31,3% |
25 bis 29 | 46,5% |
30 bis 44 | 34,4% |
45 bis 49 | 33,2% |
60 und älter | 36,7% |
Antwort | 1997 | 1999 |
---|---|---|
ja | 73% | 81% |
nein | 22% | 14% |
weiss nicht | 5% | 5% |