Arbeitsschutz, Kapitel 6. 3 [Gesundheitsbericht für Deutschland, 1998]
[Öffentlicher Gesundheitsdienst, Kapitel 6. 2] [Laien- und Selbsthilfe, Kapitel 6. 4] [Abstrakt] [Inhaltsverzeichnis] [Literaturverzeichnis]
6.3 Arbeitsschutz
Entstehung des Arbeitsschutzes
Die Geschichte der Sozialpolitik ist eng mit der des Arbeitsschutzes verbunden. Im 19. Jahrhundert gab es unter den Arbeitern lediglich für Bergleute, Seeleute und Dienstboten Regelungen zur Versorgung bei einem Arbeitsunfall. In den Jahren 1881 bis 1884 nahm die Errichtung einer gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) Gestalt an; sie mündete 1884 in das Unfallversicherungsgesetz.
Mit diesem Gesetz wurde die Pflicht des einzelnen Unternehmers, gegenüber seinen Arbeitnehmern für die Folgen von Arbeitsunfällen zu haften, durch einen Sozialversicherungszweig abgelöst, der die Risiken der Unternehmen übernimmt und sich aus Beiträgen finanziert. Die Organisationsstruktur ergab sich aus der Zugehörigkeit der Unternehmen zu Branchen und Wirtschaftszweigen. Die GUV erhielt das gesetzlich verankerte Recht, Unfallverhütungsvorschriften zu erlassen und ihre Einhaltung in den Betrieben zu überwachen.
Andererseits hatte bereits zuvor die Gewerbeordnung von 1869 die Gewerbetreibenden dazu verpflichtet, ihre Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leben, Gesundheit und Sittlichkeit zu schützen. Die Überwachung dieser Verpflichtungen war Aufgabe einer "zuständigen Behörde". Seit der Novellierung von 1891 enthält die Gewerbeordnung eine Ermächtigung für Verordnungen zum Arbeitsschutz.
Damit war die Grundlage für das deutsche duale Arbeitsschutzsystem geschaffen. Es verknüpft staatliche Oberhoheit mit dem Recht der GUV, im Rahmen der Selbstverwaltung für ihren Zuständigkeitsbereich rechtskräftige Vorschriften und Regeln zu erlassen. Inzwischen wurden die für den Arbeitsschutz relevanten Teile der Gewerbeordnung durch das Arbeitsschutz- und das Unfallversicherungsgesetz abgelöst, die Regelungen der Reichsversicherungsordnung wurden 1996 als Siebtes Buch in das Sozialgesetzbuch (SGB VII) überführt.
Begriffsbestimmung
Zum Arbeitsschutz zählen alle Maßnahmen, mit denen Leben und Gesundheit der arbeitenden Menschen geschützt, ihre Arbeitskraft erhalten und die Arbeit menschengerecht gestaltet wird. Die Maßnahmen können technischer, medizinischer, ergonomischer, organisatorischer, pädagogischer, psychologischer und sozialer Natur sein. Sie betreffen die Gestaltung der Arbeitsbedingungen und die Organisation der Arbeitsabläufe, aber auch den gesicherten Arbeitseinsatz von Beschäftigten, die außergewöhnlichen Unfall- und Gesundheitsgefahren ausgesetzt sind, sowie die besondere Schutzbedürftigkeit bestimmter Personengruppen. Dabei haben technische und organisatorische Maßnahmen zur Arbeitssicherheit und zum Gesundheitsschutz grundsätzlich Priorität vor individuellen Schutzmaßnahmen wie der Ausstattung mit persönlicher Schutzausrüstung, arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen oder Beschäftigungsbeschränkungen. Der Arbeitgeber ist dazu verpflichtet, Gefahren zu ermitteln und zu beurteilen, welche Maßnahmen notwendig sind, um Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu gewährleisten. Die Notwendigkeit und der Einsatz möglicher Maßnahmen ist in umfangreichen Vorschriften und Regelwerken des Staates und der GUV definiert.
Vorschriften im Arbeitsschutz
Nationale Rechtsetzungskompetenz
In Deutschland regeln zwei Arten von Rechtsvorschriften Sicherheit und Gesundheitsschutz von Arbeitnehmern:
- Staatliche Vorschriften, insbesondere Gesetze und Verordnungen und
- Unfallverhütungsvorschriften als autonome Rechtsnormen der GUV; sie enthalten auch Vorschriften für den betrieblichen Gesundheitsschutz.
Die Arbeitsschutzvorschriften der Unfallversicherungsträger (UV-Träger) ergänzen und konkretisieren das staatliche Arbeitsschutzrecht. UV-Träger sind die
- gewerblichen Berufsgenossenschaften,
- landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und
- Eigenunfallversicherungsträger des Bundes, der Länder, der Gemeinden und Städte.
Die UV-Träger erlassen Unfallverhütungsvorschriften durch Beschluß ihrer Vertreterversammlungen, die paritätisch mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern besetzt sind. Die Unfallverhütungsvorschriften müssen vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) nach Anhörung der Länder genehmigt werden. Als Mindestnormen zur Vermeidung von Unfällen und Gesundheitsschäden regeln sie,
- welche Einrichtungen Unternehmer vorhalten und welche Anordnungen und Maßnahmen sie treffen müssen, um Unfälle und Berufskrankheiten zu verhüten und den Gesundheitsschutz zu gewährleisten,
- welche Maßnahmen zur Erfüllung des Arbeitssicherheitsgesetzes notwendig sind,
- wie sich der Versicherte verhalten muß, um Unfälle zu vermeiden, und
- welche ärztlichen Untersuchungen von Versicherten erforderlich sind.
Staatliche Vorschriften und Unfallverhütungsvorschriften können auf Normen und technische Bestimmungen Bezug nehmen, die damit eine verbindliche Geltung für den Arbeitsschutz erhalten. Tab. 6.3.1 zeigt Regelungsschwerpunkte und ausgewählte Rechtsgrundlagen staatlicher Arbeitsschutzregelungen.
Tab. 6.3.1: Regelungsinhalte und Rechtsgrundlagen staatlicher Arbeitsschutzbestimmungen | |||
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Regelungsschwerpunkte | Ausgewählte Gesetze und Verordnungen | ||
|
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Quelle: Eigene Darstellung. |
Regelungen der Europäischen Union
Inzwischen sind auch zwei Arten von Rechtsakten der EU für den Arbeitsschutz von Bedeutung: Richtlinien, die einem Binnenmarkt ohne Handelshemmnisse dienen, müssen inhaltlich unverändert in das nationale Recht der Mitgliedsstaaten übernommen werden.
Demgegenüber werden den Mitgliedsländern nationale Gestaltungsfreiräume bei der Umsetzung der Richtlinien zur Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer eingeräumt, mit denen EU-weit entsprechende Mindeststandards geschaffen werden sollen. Sie können in Deutschland insbesondere von der Selbstverwaltung der GUV wahrgenommen werden.
Zuständige Beratungsgremien
Das BMA als zuständiges Ressort wird in verschiedenen Themenbereichen des Arbeitsschutzes von jeweils gesonderten Ausschüssen beraten.
Für das Gerätesicherheitsgesetz ist der Ausschuß für technische Arbeitsmittel zuständig. Er leistet vor allem Hilfestellung dabei, das nationale Recht schrittweise durch das europäische zu ersetzen, das durch den europäischen Binnenmarkt maßgeblich an Bedeutung gewonnen hat.
Der Ausschuß für biologische Arbeitsstoffe beschäftigt sich mit der Entwicklung sicherheitstechnischer, arbeitsmedizinischer und hygienischer Regeln für den Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen. In seine Zuständigkeit fallen Vorschriften zum Schutz der Beschäftigten, die Umsetzung existierender europäischer Rechtsvorschriften und Fragen im Umfeld des Gentechnikgesetzes.
Der Ausschuß für Gefahrstoffe ist für die Einstufung und Kennzeichnung von Gefahrstoffen nach der Gefahrstoffverordnung zuständig. Er regelt den Umgang mit solchen Stoffen durch sicherheitstechnische, arbeitsmedizinische und hygienische Vorschriften, die als Technische Regeln für Gefahrstoffe im Bundesarbeitsblatt veröffentlicht werden.
Die Fachleute der Berufsgenossenschaften und anderen UV-Träger, der Gewerbeaufsicht, der Industrie, der Sozialpartner und der Forschung in den Berufsgenossenschaftlichen Fachausschüssen sind seit langem mit dem Erarbeiten von Unfallverhütungsvorschriften betraut. Derzeit gibt es 33 Fachausschüsse für 226 verschiedene Sachgebiete.
Der Ausschuß Arbeitsmedizin des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften ist für die arbeitsmedizinische Vorsorge bei außergewöhnlichen Unfall- und Gesundheitsgefahren zuständig. In ihm sind ärztliche Standesorganisationen wie der Verband der Deutschen Betriebs- und Werksärzte, die Deutsche Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin und die Bundesärztekammer vertreten, aber auch die staatlichen Gewerbeärzte, Bundesministerien, die berufsgenossenschaftlichen arbeitsmedizinischen Dienste und die Sozialpartner. Die Empfehlungen des Ausschusses zur Durchführung von arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen werden als "Berufsgenossenschaftliche Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen" veröffentlicht (vgl. Tab. 6.3.2) und bilden zusammen mit den Technischen Regeln den Rechtsrahmen der Arbeitsmedizin.
Tab. 6.3.2: Berufsgenossenschaftliche Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen | ||||
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Bereich | Anzahl | Beispiele | ||
gefährdende
Tätigkeiten |
12 |
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nicht
krebserzeugende Gefahrstoffe |
21 |
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krebserzeugende
Gefahrstoffe |
11 |
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Quelle: Eigene Darstellung. |
Betrieblicher Arbeitsschutz
Der Unternehmer trägt die Verantwortung für die Umsetzung und Durchführung des betrieblichen Arbeitsschutzes. Das Gesetz verpflichtet ihn dazu, Arbeitsabläufe so zu organisieren und Arbeitsplätze, Maschinen, Geräte, Anlagen und sonstige Einrichtungen so einzurichten und zu betreiben, daß die Arbeitnehmer vor gesundheitlichen Schädigungen geschützt sind. Dazu muß er alle Vorschriften und Regeln des Arbeitsschutzes einhalten. Angesichts der vielen Regelungstatbestände kann er die für seinen Betrieb erforderlichen Maßnahmen i.d.R. nur ergreifen, wenn er sachkompetente Unterstützung hat.
Deshalb regelt das Arbeitssicherheitsgesetz, daß der Arbeitgeber zu seiner Unterstützung und Beratung qualifizierte Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und "andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit" bestellt. Die Unfallverhütungsvorschriften "Fachkräfte für Arbeitssicherheit" und "Betriebsärzte" regeln im einzelnen, über welche Qualifikationen diese Mitarbeiter verfügen müssen (Fachkundenachweis), und welche Einsatzzeiten für sie vorgeschrieben sind.
Fachkräfte für Arbeitssicherheit
Sicherheitsingenieure, -techniker oder -meister werden als Fachkräfte für Arbeitssicherheit bezeichnet; durch ihre Ausbildung verfügen sie über umfangreiche sicherheitsfachliche Kenntnisse. Sie sind für die sicherheitstechnische überprüfung von Betriebsanlagen, Geräten und Maschinen zuständig. Sie melden festgestellte Sicherheitsmängel unverzüglich den Verantwortlichen und machen Vorschläge zur Mängelbeseitigung, sie untersuchen Unfallursachen und entwickeln Vorschläge zur zukünftigen Unfallverhütung. Sie unterliegen bei dieser Aufgabe keinen Weisungen, die ihre Beratungstätigkeit einschränken würden.
Auch die Sicherheitsbeauftragten sind für sicherheitstechnische Fragen zuständig. Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten müssen unter Mitwirkung der Arbeitnehmervertretung einen oder mehrere Sicherheitsbeauftragte bestellen (vgl. Tab. 6.3.3). Die hierzu ausgewählten Arbeitnehmer verfügen über fachliche und betriebliche Erfahrung und ausreichendes Sicherheitsbewußtsein. Sie erfüllen ihre Aufgaben im Rahmen ihrer übrigen betrieblichen Tätigkeit ohne besondere Vergütung, ohne Freistellung von der Arbeit, aber auch ohne strafrechtliche Konsequenzen.
Tab. 6.3.3: Sicherheitsbeauftragte 1995 | ||||
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Wirtschaftsbereich | Unternehmen mit Sicherheitsbeauftragten | Sicherheitsbeauftragte | ||
Anzahl | ||||
Insgesamt | 254.294 | 482.164 | ||
Gewerbliche Wirtschaft | 198.058 | 333.862 | ||
Landwirtschaft | 2.544 | 5.810 | ||
öffentlicher Dienst | 53.692 | 142.492 | ||
Quelle: BMA, Unfallverhütungsbericht Arbeit 1996.
Der Wirtschaftsbereich "öffentlicher Dienst" schließt Kindergärten, Schulen und Hochschulen ein. |
Der Arbeitgeber muß zur arbeitsmedizinischen Betreuung der Beschäftigten einen Betriebsarzt bestellen, der ihn in Fragen der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes aus arbeitsmedizinischer Sicht berät. Der Betriebsarzt muß nach dem Arbeitssicherheitsgesetz die Ursachen von arbeitsbedingten Erkrankungen aufklären, die Arbeitnehmer untersuchen, die Erste Hilfe im Betrieb organisieren und bei Fragen des Arbeitsplatzwechsels und der Wiedereingliederung von Behinderten mitwirken. Er ist bei seiner Tätigkeit nur seinem ärztlichen Wissen und Gewissen unterworfen.
Auch die Arbeitnehmervertretung übernimmt Pflichten und Rechte im betrieblichen Arbeitsschutz. Das Betriebs-verfassungsgesetz versetzt sie in die Lage, durch das Mitbe-stimmungsrecht z.B. bei der Bestellung der Fachkräfte für Arbeitssicherheit und der Betriebsärzte als gleichberech-tigter Partner beim Arbeitsschutz mitzuwirken. In Betrieben mit Fachkräften für Arbeitssicherheit oder einem Betriebsarzt ist der Arbeitgeber durch das Arbeitssicherheitsgesetz dazu verpflichtet, einen Arbeitsschutzausschuß zu bilden, der sich aus zwei Arbeitnehmervertretern und je einem Vertreter des Arbeitgebers, der Betriebsärzte, der Fachkräfte für Arbeitssicherheit und der Sicherheitsbeauftragten zusammensetzt. Der Ausschuß ist beratend tätig und tritt zumindest einmal im Vierteljahr zusammen.
Insgesamt sind in Deutschland Organisation und Aufgaben im betrieblichen Arbeitsschutz gut ausgebaut, jedoch wird noch lange nicht jeder Betrieb bedarfsgerecht arbeitsmedizinisch und sicherheitstechnisch betreut.
Dieses sozialpolitische Ziel läßt sich nur durch besondere Lösungen für jene Wirtschaftszweige erreichen, in denen kleine und kleinste Betriebe vorherrschen. Zum Aufbau entsprechender Betreuungsstrukturen für 80% der 2,8 Mio. Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft wird weiteres qualifiziertes Fachpersonal benötigt.
Ende 1995 gab es insgesamt 12.034 Ärzte mit anerkannter arbeitsmedizinischer Ausbildung (vgl. Abb. 6.3.1).
Abb. 6.3.1: Ärzte mit anerkannter arbeitsmedizinischer Ausbildung 1995 | ||
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Quelle: BÄK, Statistik der arbeitsmedizinischen Fachkunde. |
Aus-, Fort- und Weiterbildung im Arbeitsschutz
Eine Fülle von Schulungsangeboten und -materialien informiert über geeignete Arbeitsschutzmaßnahmen und versucht, Einsicht für die Notwendigkeit von Arbeitsschutz zu wecken. Auf die Fachkräfte für Arbeitssicherheit entfällt noch immer ein Großteil der Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, mehr und mehr nehmen jedoch auch andere Betriebsangehörige daran teil, um spezialisiertes Wissen zu erwerben (vgl. Tab. 6.3.4). Die Fortbildungsangebote reichen von Erste-Hilfe-Kursen bis zu spezifischen Themen des Arbeitsschutzes.
Tab. 6.3.4: Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen im Arbeitsschutz 1995 | ||||
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Maßnahmen | Kurse | Teilnehmer | ||
Anzahl | ||||
Insgesamt | 22.444 | 466.839 | ||
für Unternehmer und Führungskräfte | 3.025 | 66.608 | ||
für Sicherheitsbeauftragte | 3.004 | 65.078 | ||
für Sicherheitsfachkräfte
(nach dem Arbeitssicherheitsgesetz) |
1.585 | 31.562 | ||
für sonstige Betriebsangehörige | 13.954 | 285.656 | ||
im Rahmen der Schülerunfallversicherung | 876 | 17.935 | ||
der Gewerblichen Wirtschaft | 17.227 | 362.987 | ||
der Landwirtschaft | 2.355 | 49.953 | ||
des öffentlichen Dienstes | 2.862 | 53.899 | ||
Quelle: BMA, Unfallverhütungsbericht Arbeit 1996.
Der Wirtschaftsbereich "öffentlicher Dienst" schließt Kindergärten, Schulen und Hochschulen ein. |
Daneben baut die GUV derzeit ein breit gefächertes Schulungsprogramm für Unternehmer auf. Es soll insbesondere Arbeitgeber aus Kleinbetrieben für Fragen des Arbeitsschutzes sensibilisieren. Ihre Teilnahme wird insofern belohnt, als sie durch solche Schulungen einen Teil der Stunden ablösen können, die für den Einsatz von Fachkräften für Arbeitssicherheit vorgeschrieben sind (siehe Tab. 6.3.4).
Staatliche Gewerbeaufsicht und Technische Aufsichtsdienste der Unfallversicherungsträger
Die Aufsichtsdienste der Länder und der UV-Träger müssen überwachen, ob die Arbeitsschutzvorschriften im Betrieb bzw. am Arbeitsplatz eingehalten werden. In diesem dualen System ergänzen sich die Gewerbeaufsicht und die Ämter für Arbeitsschutz mit ihrer regionalen Zuständigkeit sowie die Technischen Aufsichtsdienste mit ihrer gewerbe- bzw. branchenspezifischen Zuständigkeit gegenseitig.
Die Gewerbeaufsichtsämter überwachen die staatlichen Vorschriften für den Arbeitsschutz; gleichzeitig sind sie für Genehmigungen beim Errichten und Betreiben überwachungsbedürftiger Anlagen und für Arbeitszeitregelungen zuständig. In der staatlichen Gewerbeaufsicht waren 1995 4.452 Beamte tätig, 160 von ihnen als Gewerbeärzte.
Bei den Technischen Aufsichtsdiensten waren 1995 insgesamt 5.313 Mitarbeiter damit beschäftigt, das Einhalten der Unfallverhütungsvorschriften zu überwachen und die Unternehmen in Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes zu beraten. Etwa die Hälfte führte Betriebsbesichtigungen durch (siehe Kapitel 7.2 Gesundheitsschutz ).
Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen
Seit 25 Jahren werden spezielle arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen zur Verhütung von Berufskrankheiten und zum Schutz der Gesundheit vor besonderen Gefahren durchgeführt. Das SGB VII gibt der GUV ausdrücklich das Recht, bei "arbeitsbedingten Gefahren für Leben und Gesundheit" solche Untersuchungen zu veranlassen. Inzwischen wurde ein System arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen aufgebaut, in dem eigens ermächtigte Ärzte auf die berufsgenossenschaftlichen Grundsätze abgestimmte Untersuchungen durchführen (vgl. Kapitel 7.2).
Forschungs- und Beratungseinrichtungen des Arbeitsschutzes
Der Staat und die UV-Träger haben eine Reihe von Institutionen geschaffen, die sich mit Fragen der Forschung am Arbeitsplatz beschäftigen, um die Kenntnisse über Gefährdungen und Präventionsmöglichkeiten zu verbessern und um Maßnahmen des Arbeitsschutzes in Form praxisgerechter Lösungen für die Unternehmen besser verständlich zu machen. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, die Physikalisch-Technische Bundesanstalt und die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung sind Beispiele für staatliche Institutionen, das Berufsgenossenschaftliche Institut für Arbeitssicherheit und das Berufsgenossenschaftliche Forschungsinstitut für Einrichtungen der UV-Träger. Mit diesen Aufgaben beschäftigen sich außerdem Landesinstitute an Universitäten und private Einrichtungen wie z.B. der Technische überwachungsverein. Daneben führen gesonderte Prüfstellen bundesweit sicherheitstechnische Prüfungen an Maschinen und Anlagen zur Gerätesicherheit, an Werkzeugen sowie an persönlichen Schutzausrüstungen durch.
Ausblick
Zeitgemäße Prävention ist wesentlich mehr, als den korrekten Vollzug des Arbeitsschutzrechtes zu überwachen. Zur Prävention gehört vor allem, den Unternehmer zu beraten und ihn dabei zu unterstützen, seiner Verpflichtung zur Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Mitarbeiter nachzukommen. Dies bedeutet auch, den Unternehmer für Fragen des Arbeitsschutzes zu motivieren und ihm dabei zu helfen, Gefährdungspotentiale zu ermitteln und Arbeitsplatz- und Belastungsanalysen durchzuführen. So lassen sich arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren bereits im Vorfeld erkennen und durch Gegenmaßnahmen bekämpfen. Ein besonderes Augenmerk verdienen die betrieblichen Gegebenheiten in Klein- und Mittelbetrieben und die Aufgabe, die Arbeitnehmer zur Mitwirkung bei der sicherheits- und gesundheitsgerechten Gestaltung der Arbeitsabläufe zu motivieren.
Das duale System des Arbeitsschutzes in Deutschland hat große Erfolge aufzuweisen. Wären die schweren Arbeitsunfälle heute noch so häufig wie 1960, dann müßte die GUV bei aktueller Kostenstruktur ihre Beiträge mehr als verdoppeln und die Betriebe mit rund 20 Mrd. DM jährlich zusätzlich belasten.
Trotzdem darf der Arbeitsschutz nicht auf dem heutigen Niveau stehenbleiben. Der Gesetzgeber hat im SGB VII der GUV den "erweiterten Präventionsauftrag" erteilt, der neben dem Verhüten von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten auch das Verhüten von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren umfaßt (vgl. Kapitel 4.15 Belastungen aus der Arbeitswelt ). Gleichzeitig hat er die kooperative Zusammenarbeit mit den Krankenkassen gestärkt, indem er die Krankenkassen im SGB V dazu verpflichtet, im Rahmen der Gesundheitsförderung eng mit den Trägern der GUV bei der Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren zusammenzuarbeiten.
Vertiefende Literatur
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hrsg.) [1996]: Arbeitssicherheit '96: Unfallverhütungsbericht Arbeit . Bonn.
Coenen, W.; Waldeck, D.; Ziegenfuß, B. [1995]: Berufsgenossenschaftliches Präventionskonzept . Sankt Augustin: Schmidt.
Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (Hrsg.) [1993]: Für sichere und gesunde Arbeitsplätze: Neues Konzept der Berufsgenossenschaften . Sankt Augustin.
Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (Hrsg.) [1994]: Berufsgenossenschaftliche Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen . Sankt Augustin.
Neumann, L.F. (Hrsg.) [1992]: Arbeits- und Gesundheitsschutz aktuell: Beiträge aus der Praxis . Köln: Bund.
Wickenhagen, E. [1980]: Geschichte der gewerblichen Unfallversicherung . Wien: Oldenbourg.
Kapitel 6.3 Arbeitsschutz [Gesundheitsbericht für Deutschland 1998]
[Öffentlicher Gesundheitsdienst, Kapitel 6. 2] [Laien- und Selbsthilfe, Kapitel 6. 4] [Abstrakt] [Inhaltsverzeichnis] [Literaturverzeichnis]
Gesundheitsberichterstattung des Bundes 16.01.2021