GBE kompakt: Ausgabe 04/2010 - 20 Jahre Deutsche Einheit [Gesundheitsberichterstattung - GBE kompakt, Oktober 2010]
[GBE kompakt 03/2010 - Gesundheitsrisiko Passivrauchen] [GBE kompakt 05/2010 - Armut und Gesundheit] [Abstrakt]
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K O M P A K T | Zahlen und Trends aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes | |||||||||||
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20 Jahre Deutsche Einheit:
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4/2010
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Abbildung 1

Erkältungen und grippale Infekte sind die häufigsten akuten Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Dass sie in den letzten 12 Monaten vor der Befragung in KiGGS eine Erkältung bzw. einen grippalen Infekt hatten, trifft auf 87% der bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen in Ostdeutschland und 88 % der Gleichaltrigen in Westdeutschland zu.
Auch hinsichtlich anderer im Kindes- und Jugendalter relevanter akuter Erkrankungen, wie z.B. Mandelentzündung, akute Bronchitis, Pseudokrupp, Herpesinfektion, Blasen- und Harnwegsentzündungen, Bindehautentzündung und Lungenentzündung, sind keine signifikanten Ost-West-Unterschiede zu beobachten. Ausnahmen stellen einzig Magen-Darm-Infekte und Mittelohrentzündungen dar, die mit 48% gegenüber 42% bzw. 11% gegenüber 9% bei Heranwachsenden aus Westdeutschland häufiger vorkommen als bei Heranwachsenden in Ostdeutschland (Kamtsiuris et al. 2007).
Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS)
Datenhalter: Robert Koch-Institut
Ziele: Beschreibung und Analyse der gesundheitlichen Situation von Kindern und Jugendlichen
Erhebungsmethode: schriftliche Befragung und körper-liche Unteruchungen
Grundgesamtheit: 0- bis 17-jährige Wohnbevölkerung Deutschlands
Stichprobe: 17.641 Mädchen und Jungen
Responserate: 66,6%
Untersuchungszeitraum: Mai 2003 bis Mai 2006
Deutlichere Ost-West-Unterschiede zeigen sich bei einigen vorwiegend im Kindesalter auftretenden ansteckenden Krankheiten. Beispielsweise tritt Keuchhusten bei Kindern und Jugendlichen in den alten Ländern mit 10% gegenüber 3% mehr als dreimal so häufig auf als bei Gleichaltrigen aus den neuen Ländern. Auch die Lebenszeitprävalenz von Masern und Scharlach liegt in Westdeutschland höher als in Ostdeutschland. Mumps und Röteln hingegen betreffen mehr Kinder in den neuen als in den alten Ländern. Von den betrachteten impfpräventablen Krankheiten zeigen sich lediglich bei Windpocken keine Unterschiede zwischen den neuen und alten Ländern (Kamtsiuris et al. 2007).
Unter den chronischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter kommen Allergien aufgrund der Häufigkeit und der weitreichenden Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Betroffenen besondere Bedeutung zu. Frühere Studien weisen darauf hin, dass allergische Erkrankungen bei Kindern wie Erwachsenen in Ostdeutschland weniger stark verbreitet waren als in Westdeutschland (BMG 2000). In den letzten 20 Jahren hat die Verbreitung allergischer Erkrankungen deutlich zugenommen und gleichzeitig eine weitgehende Angleichung der Prävalenzen in Ost- und Westdeutschland stattgefunden. Nach den Ergebnissen der KiGGS-Studie sind bezüglich Asthma, Heuschnupfen, Neurodermitis und allergischer Sensibilisierung keine Ost-West-Unterschiede mehr auszumachen (Abbildung 2) (Schlaud et al. 2007).
Auch hinsichtlich anderer, zumeist deutlich schwächer verbreiteter chronischer Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter, wie z.B. Herzkrankheiten, Anämie und Blutarmut, Krampfanfälle (epileptische Anfälle), Schilddrüsenkrankheiten, Diabetes mellitus, Wirbelsäulenverkrümmung (Skoliose) und Migräne, zeigen sich keine Unterschiede zwischen den neuen und alten Ländern. Einzig die obstruktive Bronchitis tritt bei Kindern und Jugendlichen aus Westdeutschland mit 14% häufiger auf als bei Heranwachsenden aus Ostdeutschland, die bis zum Alter von 17 Jahren zu 10% jemals von dieser Erkrankung betroffen sind (Kamtsiuris et al. 2007).
Abbildung 2

Psychische und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen im Osten und Westen ähnlich stark verbreitet
Seit einigen Jahren wird auf die zunehmende Bedeutung von psychischen und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen hingewiesen. In der KiGGS-Studie wurde zur Feststellung von psychischen und Verhaltensauffälligkeiten ein Fragebogen eingesetzt, der sich unter anderem auf emotionale Probleme, Hyperaktivitätsprobleme, Verhaltensprobleme und Probleme mit Gleichaltrigen bezieht.
Unter Berücksichtigung dieser Problembereiche sind rund 5% der 3- bis 17-jährigen Mädchen und 9% der gleichaltrigen Jungen als psychisch und verhaltensauffällig zu bezeichnen. Weitere 6% der Mädchen und 9% der Jungen sind als grenzwertig auffällig einzustufen (Hölling et al. 2007). Zwischen Kindern und Jugendlichen aus den neuen und alten Ländern bestehen diesbezüglich nur geringe Unterschiede (Abbildung 3).
Zur Feststellung von Hyperaktivitätsproblemen kann in der KiGGS-Studie außerdem auf Angaben der Eltern zu einer bei ihrem Kind von einer Ärztin bzw. einem Arzt oder Psychologin bzw. Psychologen gestellten Diagnose zurückgegriffen werden. Zieht man diese Information mit heran, 3ist bei 2% der Mädchen und 8% der Jungen im Alter von 3 bis 17 Jahren von einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) auszugehen, wobei sich keinerlei Unterschiede zwischen Kindern und Jugendlichen in den neuen und alten Ländern zeigen (Schlack, Hölling 2007).
Auch Essstörungen gehören zu den psychischen und Verhaltensauffälligkeiten, denen in den letzten Jahren ein verstärktes öffentliches Interesse entgegengebracht wird. In der KiGGS-Studie wurde ein Screening-Instrument eingesetzt, das anhand von fünf Fragen, die sich an Jugendliche im Alter von 11 bis 17 Jahren richteten, Anhaltspunkte für ein essgestörtes Verhalten ermittelt, insbesondere in Bezug auf Magersucht und Bulimie. Demnach ist bei 29% der Mädchen und 15% der Jungen dieses Alters von einem Verdacht auf ein essgestörtes Verhalten auszugehen (Hölling, Schlack 2007). Zwischen Jugendlichen aus den neuen und alten Ländern konnten erneut keine bedeutsamen Unterschiede ausgemacht werden.
Abbildung 3

Nur geringe Ost-West-Unterschiede im Ernährungs- und Bewegungsverhalten
Eine ausgewogene Ernährung und regelmäßige körperliche Aktivität sind wesentliche Voraussetzungen dafür, dass Kinder und Jugendliche gesund aufwachsen. Die Daten der KiGGS-Studie und des angeschlossenen Zusatzmoduls zur Ernährung (EsKiMo) weisen darauf hin, dass ein Großteil der Kinder und Jugendlichen die aktuellen Ernährungsempfehlungen nicht oder nur teilweise erfüllen.
So werden viele Lebensmittel, die als physiologisch hochwertig einzustufen sind, zu selten konsumiert. Dies trifft z.B. auf den Verzehr von Obst und Gemüse, Brot und Getreide, Milch und Milchprodukten zu. Lebensmittel mit hoher Energiedichte, einem hohen Fett- und niedrigem Nährstoffgehalt werden hingegen von vielen Kindern und Jugendlichen zu häufig konsumiert. Diese Tendenzen lassen sich in den neuen und alten Ländern gleichermaßen ausmachen. Zwar zeigen sich hinsichtlich bestimmter Lebensmittel regionale Unterschiede, diese lassen aber nicht auf eine günstigere Ernährungsweise in den neuen oder alten Ländern schließen (Mensink et al. 2007; RKI 2009).
Abbildung 4

Bezüglich des Bewegungsverhaltens kann in der KiGGS-Studie und dem angeschlossen Motorik-Modul (MoMo) zwischen der körperlichen Aktivität im Alltag und in der Freizeit sowie der Sportausübung in und außerhalb von Vereinen differenziert werden.
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich viele Kinder und Jugendliche zu wenig bewegen. Beispielsweise treibt rund ein Viertel der 3- bis 10-Jährigen überhaupt keinen Sport. Ost-West-Unterschiede zeigen sich nur bei der vereinsgebundenen Sportausübung. Während in Westdeutschland fast 60% der 3- bis 10-jährigen Kinder mindestens einmal pro Woche Sport in einem Verein treibt, trifft dies auf lediglich 40% der Gleichaltrigen in Ostdeutschland zu (Abbildung 4) (Lampert et al. 2007).
Im engen Zusammenhang mit dem Ernährungs- und Bewegungsverhalten ist das Vorkommen von Übergewicht zu sehen. Um die Verbreitung von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen bestimmen zu können, wurde in der KiGGS-Studie die Körpergröße und das Körpergewicht gemessen und der Body-Mass-Index (BMI) berechnet. Demnach sind 15% der Kinder und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren als übergewichtig einzustufen. Darin eingeschlossen sind etwas mehr als 6% der Heranwachsenden, die als adipös anzusehen sind (Kurth, Schaffrath-Rosario 2007). Zwischen Kindern und Jugendlichen in Ost- und Westdeutschland bestehen diesbezüglich keine Unterschiede: Die Prävalenz der Adipositas liegt bei Mädchen im Osten bei 6% und im Westen bei 7%. Bei Jungen sind im Osten 7% und im Westen 6% adipös. Die Ergebnisse für Kinder und Jugendliche sind vor dem Hintergrund zu sehen, dass bei Erwachsenen die Adipositas in den neuen Ländern nach wie vor stärker verbreitet ist als in den alten Ländern (RKI 2009).
Tabak-, Alkohol- und Drogenkonsum bei Jugendlichen im Osten etwas höher als im Westen
Der Tabak-, Alkohol- und Drogenkonsum stellt ein weiteres wichtiges Handlungsfeld der Prävention und Gesundheitsförderung im Kindes- und Jugendalter dar. Aktuelle Daten zur Verbreitung und Entwicklung des Substanzkonsums in der heranwachsenden Generation werden regelmäßig von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA, www.bzga.de ) bereitgestellt (BZgA 2009a).
Diese Daten zeigen, dass der Anteil der 12- bis 17-jährigen Raucherinnen und Raucher im Verlauf der 1990er-Jahre zugenommen hat (Abbildung 5). Die Zunahme fiel dabei in den neuen Ländern stärker aus als in den alten Ländern. Im Jahr 2001 rauchten mit 31% gegenüber 26% mehr Jungen in Ost- als in Westdeutschland. Bei Mädchen war der Ost-West-Unterschied ähnlich stark ausgeprägt. Seitdem ist der Tabakkonsum bei Jugendlichen rückläufig, wobei der Entwicklungsverlauf im Westen kontinuierlicher war als im Osten. Auffällig ist insbesondere der in den letzten Jahren zu beobachtende neuerliche Anstieg der Rauchquote bei Mädchen in Ostdeutschland, der entgegen dem generellen Trend verlief.
Abbildung 5

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Im Hinblick auf den Alkoholkonsum zeigen die Daten der BZgA, dass der Anteil der 11- bis 17-jährigen Jugendlichen, die mindestens einmal pro Woche alkoholhaltige Getränke konsumieren, in den letzten Jahren rückläufig ist und im Jahr 2008 mit 23% gegenüber 17% in den neuen Ländern höher als in den alten Ländern lag. Bezüglich des so genannten Rauschtrinkens, bei dem fünf oder mehr alkoholhaltige Getränke pro Gelegenheit getrunken werden, und der insgesamt konsumierten Menge an reinem Alkohol sind hingegen keine Ost-West-Unterschiede zu beobachten (BZgA 2009b).
Der Konsum illegaler Drogen spielte in der DDR eine weitaus geringere Rolle als in der BRD. Allerdings war im Osten Deutschlands bereits kurz nach der Maueröffnung eine deutliche Zunahme des Zuspruchs zu illegalen Drogen zu beobachten. Mittlerweile haben Jugendliche aus den neuen Ländern ihre Altersgenossen aus den alten Ländern nicht nur eingeholt, sondern sogar überholt. Dass sie jemals illegale Drogen wie Cannabis, Ecstasy oder Amphetamine konsumiert haben, trifft nach den Zahlen der BZgA aus dem Jahr 2008 auf 15% der ostdeutschen und 9% der westdeutschen Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren zu. Die 12-Monats-Prävalenz liegt im Osten bei 11% und im Westen bei 7%.
Präventionsangebote werden im Osten und Westen mittlerweile ähnlich häufig wahrgenommen
Bezüglich der Inanspruchnahme von Präventionsangeboten ließen sich kurz nach der Wiedervereinigung zum Teil erhebliche Ost-West-Unterschiede beobachten. Beispielsweise lag die Beteiligung an Impfungen bei Kindern in den neuen Ländern höher als in den alten Ländern. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass in der DDR anders als im früheren Bundesgebiet und im heutigen Deutschland zum Teil Impflicht bestand und die Impfungen durch Ärztinnen und Ärzte in den Kindereinrichtungen durchgeführt wurden.
Noch Ende der 1990er-Jahre zeichneten sich die Ost-West-Unterschiede in den Impfquoten deutlich ab. Seitdem hat die Teilnahme an Impfungen insgesamt stark zugenommen. Dies gilt auch für Impfungen, bei denen lange Zeit erhebliche Defizite bestanden, z.B. die zweite Masern-Impfung, die Pertussis- und Hepatitis B-Impfung. Gleichzeitig haben sich die Ost-West-Unterschiede sukzessive verringert, so dass sich im Jahr 2007 nach den Daten der Einschulungsuntersuchungen die Impfquoten bei Kindern und Jugendlichen aus den neuen und alten Ländern weitgehend angenähert haben (Abbildung 6).
Abbildung 6

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Neben Schutzimpfungen zählt das Krankheitsfrüherkennungsprogramm für Kinder zu den wichtigsten Präventionsmaßnahmen im Kindes- und Jugendalter. Die so genannten U-Untersuchungen, die auf eine frühzeitige Erkennung von Entwicklungsdefiziten und Gesundheitsstörungen zielen, gehören zum Regelkatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung. In den alten Ländern gibt es sie seit 1971, in den neuen Ländern wurden sie nach der Wiedervereinigung neu eingeführt.
So gesehen überrascht es nicht, dass die Inanspruchnahme der U-Untersuchungen im Osten zunächst deutlich geringer war als im Westen. Noch 1997 ließen sich spätestens ab der U5 deutliche Unterschiede zu Ungunsten der Kinder aus den neuen Ländern ausmachen. Seitdem haben sich die Teilnahmequoten weiter angenähert. Im Jahr 2008 ließen sich anhand der Daten des Zentralinstitutes der Kassenärztlichen Versorgung nur noch geringe Ost-West-Unterschiede ausmachen (Abbildung 7).
Abbildung 7

Gesundheitschancen sind im Osten wie im Westen sozial ungleich verteilt
Eine Vielzahl an Studien weist darauf hin, dass die Gesundheitschancen von Kindern und Jugendlichen in engem Zusammenhang mit dem sozialen Status der Familie stehen (Richter 2005, RKI 2010). Nach den Ergebnissen der KiGGS-Studie, in der der soziale Status über das Bildungsniveau und die berufliche Stellung der Eltern sowie das Haushaltsnettoeinkommen gemessen wurde, lassen sich diese Unterschiede in Bezug auf fast alle Bereiche der gesundheitlichen Entwicklung im Kindes- und Jugendalter feststellen.
Kinder und Jugendliche aus statusniedrigen Familien haben häufiger als die Gleichaltrigen aus sozial besser gestellten Familien einen schlechten allgemeinen Gesundheitszustand, sie sind häufiger psychisch und verhaltensauffällig, treiben weniger Sport, und sie sind zu einem höheren Anteil übergewichtig oder sogar adipös. Bereits vor und kurz nach der Geburt lassen sich entwicklungsrelevante Unterschiede zu Ungunsten von Kindern aus den unteren Statusgruppen beobachten, z.B. in Hinblick auf das Rauchen der Mutter während der Schwangerschaft und das Stillen (RKI 2010). Angesichts dieser Befunde und der Erkenntnisse über die langfristigen Auswirkungen auf die gesundheitliche Entwicklung kann angenommen werden, dass zumindest ein Teil der statusspezifischen Gesundheitsunterschiede im Erwachsenenalter bereits im Kindes- und Jugendalter angelegt werden (Lampert 2010).
Anhand ausgewählter Gesundheitsindikatoren wird deutlich, dass der Zusammenhang zwischen dem sozialen Status und den Gesundheitschancen sowohl in den neuen als auch in den alten Ländern stark ausgeprägt ist (Tabelle 1). In den neuen Ländern haben Mädchen und Jungen aus Familien mit niedrigem Sozialstatus ein um den Faktor 3,5 bzw. 2,0 erhöhtes Risiko für einen nur mittelmäßigen bis sehr schlechten allgemeinen Gesundheitszustand im Verhältnis zu den Gleichaltrigen aus der hohen Statusgruppe. In Bezug auf psychische und Verhaltensauffälligkeiten sowie Adipositas zeigen sich noch stärkere Unterschiede zu Ungunsten der Heranwachsenden aus statusniedrigen Familien. Dasselbe Zusammenhangsmuster ist bei Kindern und Jugendlichen aus den alten Ländern festzustellen. Bei Mädchen fällt auf, dass die Zusammenhänge zwischen dem sozialen Status und den Gesundheitsindikatoren in den neuen Ländern stärker ausgeprägt sind als in den alten Ländern. Bei Jungen trifft dies nur hinsichtlich psychischer und Verhaltensauffälligkeiten zu. In Bezug auf den allgemeinen Gesundheitszustand und Adipositas finden die statusspezifischen Unterschiede in den alten Ländern einen etwas stärkeren Ausdruck als in den neuen Ländern.
Tabelle 1
Mädchen | Jungen | |||
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neue Länder | alte Länder | neue Länder | alte Länder | |
OR (95%-KI) |
OR (95%-KI) |
OR (95%-KI) |
OR (95%-KI) |
|
Allgemeiner Gesundheitszustand (mittelmäßig bis schlecht) |
3,45 (1,86 bis 6,41) |
2,07 (1,50 bis 2,85) |
1,99 (1,04 bis 3,80) |
2,59 (1,73 bis 3,86) |
Psychische und Verhaltensauffälligkeiten |
5,71 (3,18 bis 10,27) |
3,25 (2,39 bis 4,41) |
5,88 (2,94 bis 11,78) |
4,61 (2,93 bis 7,27) |
Adipositas |
4,17 (2,17 bis 8,02) |
2,20 (1,58 bis 3,06) |
3,33 (1,92 bis 5,77) |
4,95 (3,36 bis 7,29) |
Fazit
Die vorgestellten Ergebnisse weisen auf nur geringe Unterschiede in der gesundheitlichen Situation von Kindern und Jugendlichen in Ost- und Westdeutschland hin. Dies gilt auch und insbesondere für Aspekte der Kinder- und Jugendgesundheit, die aktuell im Mittelpunkt der Prävention und Gesundheitsförderung stehen, wie z.B. Ernährung, Bewegung, Übergewicht und Adipositas sowie psychische und Verhaltensauffälligkeiten. Im Allgemeinen kann davon ausgegangen werden, dass sich im Zuge des Einigungsprozesses die Gesundheitschancen in Ostdeutschland verbessert und an die in Westdeutschland angeglichen haben. Vereinzelt dürfte die Verringerung der Ost-West-Unterschiede allerdings auch auf ungünstigere Entwicklungen in Ostdeutschland zurückzuführen sein. Beispiele hierfür sind die "nachholende" Entwicklung beim Rauchen und Konsum illegaler Drogen sowie die überproportionale Zunahme allergischer Erkrankungen. Dass sich die gesundheitliche Situation von Kindern und Jugendlichen in Ost- und Westdeutschland nur geringfügig voneinander unterscheidet, darf nicht den Blick auf in beiden Teilen Deutschlands gleichermaßen vorhandene Problemlagen und Handlungsbedarfe verstellen. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang unter anderem auf die starke Verbreitung von psychischen und Verhaltensauffälligkeiten sowie Übergewicht und Adipositas. Auch in Bezug auf das Ernährungs- und Bewegungsverhalten lässt sich feststellen, dass bei Heranwachsenden in den neuen und alten Ländern zum Teil erhebliche Defizite bestehen, die konkrete Ansatzpunkte für die Prävention und Gesundheitsförderung im Kindes- und Jugendalter aufzeigen. Der eingangs erwähnte Bericht "20 Jahre nach dem Fall der Mauer: Wie hat sich die Gesundheit in Deutschland entwickelt?" weist zudem darauf hin, dass es sehr wohl regionale Unterschiede in der Gesundheit gibt. Diese lassen sich nicht an Ost-West-Unterschiede festmachen, sondern an Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern und insbesondere zwischen einzelnen Regionen innerhalb der Länder. Diese Unterschiede haben häufig soziale Ursachen, d.h. die Gesundheitschancen sind in den Ländern und Regionen am geringsten, in denen die Lebensbedingungen am schlechtesten sind. Hinweise hierauf liefert auch die Gesundheitsberichterstattung auf Länder- und kommunaler Ebene, z.B. im Hinblick auf eine erhöhte Gesamt- und Säuglingssterblichkeit in sozial benachteiligten Regionen und Kommunen (Gesundheitsamt Bremen 2006, SenGUV 2009). Für die Gesundheitsberichterstattung resultiert daraus, dass die Ost-West-Betrachtung zur gesundheitlichen Situation bei Kindern und Jugendlichen wie auch bei Erwachsenen mittlerweile zu kurz greift. Vordringlicher erscheint die Analyse des Zusammenhangs zwischen der sozialen und gesundheitlichen Lage unter Berücksichtigung regionaler, sich zum Teil nur über kleinräumige Betrachtungen erschließender Unterschiede in den Lebensverhältnissen und Gesundheitschancen. Der Zusammenhang zwischen der sozialen und gesundheitlichen Lage ist durch die KiGGS-Studie und zahlreiche andere Studien bereits umfassend dokumentiert (RKI 2010; RKI, BZgA 2008). Durch die Fortführung der KiGGS-Studie als Kohortenstudie im Rahmen des Gesundheitsmonitorings am RKI werden diese Befunde perspektivisch durch längsschnittliche Analysen ergänzt werden können (Kurth et al. 2008). Für sozialräumliche Betrachtungen der Gesundheitschancen von Kindern und Jugendlichen ist die Datenlage nicht gleichermaßen gut. Ein aussagekräftiges Bild erhält man nur durch eine integrierte Betrachtung der Ergebnisse der Gesundheitsberichterstattung auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene.
Dr. Thomas Lampert
Robert Koch-Institut,
Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung
Literatur
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zum Stand der Deutschen Einheit. BMI, Berlin
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Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2009b) Die Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland 2008. Verbreitung des Alkoholkonsums bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. BZgA, Köln
Gesundheitsamt Freie Hansestadt Bremen (2006) Die Auswirkungen sozialer Polarisierung. Zur Entwicklung der Lebenserwartung und Sterblichkeit in ausgewählten Bremer Wohngebieten. Gesundheitsamt
Freie Hansestadt Bremen, Bremen
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http://www.berlin.de/sen
Impressum
GBE kompakt
Herausgeber
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13353 Berlin
Redaktion
Dr. Livia RylRobert Koch-Institut
Abt. Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung
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Zitierweise
Lampert T 201020 Jahre Deutsche Einheit:
Gibt es noch Ost-West-Unterschiede in der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen?
Hrsg. Robert Koch-Institut Berlin.
GBE kompakt 4/2010.
www.rki.de/gbe-kompakt (Stand:22.10.2010)
Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit
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Gesundheitsberichterstattung des Bundes 28.02.2021