Kapitel 2.10.4 Schwangerschafts- und Geburtsrisiken [Gesundheit in Deutschland, 2015]
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2.10.4
SCHWANGERSCHAFTS- UND GEBURTSRISIKEN
Nach der Perinatalstatistik wurden 2013 bei 76,3% der Schwangeren im Mutterpass Risikofaktoren angegeben, die bei der Vorsorge erfragt oder im Schwangerschaftsverlauf diagnostiziert worden waren [24]. Die häufigsten Schwangerschaftsrisiken waren chronische oder schwere Erkrankungen in der Familie (23,2%), ein mütterliches Alter über 35 Jahre (16,0%) sowie eine vorangegangene Kaiserschnittentbindung (13,5%). Im Vergleich zu anderen Ländern ist der Risikokatalog in Deutschland allerdings sehr umfangreich, und das Vorhandensein einzelner Schwangerschaftsrisiken bedeutet nicht zwangsläufig, dass von den betreuenden Ärztinnen oder Ärzten eine Risikoschwangerschaft diagnostiziert wird. Eine Risikoschwangerschaft wurde laut Perinatalstatistik bei 34,9% der Schwangeren im Mutterpass dokumentiert. In diesen Fällen kann eine intensivere Überwachung der Schwangerschaft oder die Durchführung zusätzlicher Untersuchungen und Behandlungen sinnvoll sein [26].
Tabak- und Alkoholkonsum in der Schwangerschaft stellen besondere Risiken für die kindliche Entwicklung dar. Kinder von Raucherinnen haben unter anderem ein niedrigeres Geburtsgewicht und tragen ein höheres Risiko für Frühgeburtlichkeit sowie angeborene Fehlbildungen [27]. 2013 gaben laut Perinatalstatistik 7,2% der Schwangeren an, Raucherinnen zu sein; von diesen rauchten 75,9% eine bis zehn Zigaretten am Tag. Dabei ist der Anteil der Frauen zurückgegangen, die während der Schwangerschaft rauchen: 2001 lag er noch bei 13,2% [17]. Der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGSWelle 1, 2009 bis 2012) des Robert Koch-Instituts zufolge rauchten etwa 12,0% der Frauen, die ihre Kinder in den Jahren 2002 bis 2012 bekamen, während der Schwangerschaft [28].
Alkoholkonsum in der Schwangerschaft kann zu einer Vielzahl von Problemen bei Kindern führen, vor allem zu Wachstumsstörungen, Fehlbildungen und Störungen des zentralen Nervensystems. Langfristig können Verhaltensstörungen und intellektuelle Beeinträchtigungen auftreten. Diese Folgen werden unter dem Begriff fetale Alkoholspektrumstörung (Fetal Alcohol Spectrum Disorder, FASD) zusammengefasst, deren schwerste Ausprägungsform das fetale Alkoholsyndrom (FAS) ist [27, 29]. Die KiGGS-Basiserhebung (2003 bis 2006) zeigte, dass etwa 14% der befragten Mütter in der Schwangerschaft zumindest gelegentlich Alkohol zu sich nahmen. Alkoholkonsum in der Schwangerschaft kommt in der Gruppe mit hohem Sozialstatus häufiger vor, während Frauen, die in der Schwangerschaft rauchen, vor allem der niedrigen Statusgruppe angehören [30]. Insgesamt ist davon auszugehen, dass bei Selbstangaben der tatsächliche Konsum von Tabak oder Alkohol eher unterschätzt wird.
Auch starkes Übergewicht beziehungsweise Adipositas kann gesundheitliche Folgen für Mutter und Kind haben. So besteht unter anderem ein höheres Risiko für Schwangerschaftsdiabetes oder kindliche Fehlbildungen. Zudem werden adipöse Schwangere häufiger per Kaiserschnitt entbunden [31, 32]. Übergewicht und Adipositas werden in der Regel anhand des sogenannten Body Mass Index (BMI) bestimmt; der BMI definiert sich als Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch das Quadrat der Körpergröße in Metern. 2013 waren 21,4% der Mütter zu Beginn der Schwangerschaft übergewichtig (BMI von 25 bis unter 30 kg/m²) und 13,6% adipös (BMI ab 30 kg/m²). Ein Schwangerschaftsdiabetes wurde bei 4,4% festgestellt [24].
In der Perinatalstatistik 2013 wurden bei 77,9% der Schwangeren bei der Geburt aufgetretene Probleme (Geburtsrisiken) dokumentiert. Am häufigsten waren ein vorzeitiger Blasensprung (18,1%), eine an den kindlichen Herztönen ablesbare Gefährdung des Kindes (pathologisches CTG: 16,7%), eine Überschreitung des errechneten Geburtstermins (10,9%) und ein sehr stark verzögerter Geburtsablauf (protrahierte Geburt: 10,2%) [24]. Auch im Fall von Geburtsrisiken gilt, dass von der jeweiligen Situation abhängig ist, ob und wie (medizinisch) eingegriffen werden muss. Schwangerschafts- und Geburtsrisiken - auch mehrere zusammen - treten häufiger bei Schwangeren mit niedrigem sozioökonomischen Status auf. Daher sollte diesen in der Schwangerenvorsorge besondere Beachtung geschenkt werden [17, 33, 34].
Literatur
17 | Schneider S, Maul H, Freerksen N et al. (2008) Who smokes during pregnancy? An analysis of the German Perinatal Quality Survey 2005. Public Health 122(11):1,210 to 1,216 |
24 |
Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen (2014)
Bundesauswertung zum Erfassungsjahr 2013, 16/1 - Geburtshilfe. Basisauswertung. www.sqg.de/downloads/Bundesauswertungen/2013/bu_Gesamt_16N1-GEBH_2013.pdf (Stand: 15.04.2015) |
25 | Schleußner E (2013) Drohende Frühgeburt: Prävention, Diagnostik und Therapie. Dtsch Arztebl Int 110(13):227 bis 236 |
26 |
Gemeinsamer Bundesausschuss (2014) Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ärztliche
Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung (»Mutterschafts-Richtlinien«),
in der Fassung vom 10. Dezember 1985. www.g-ba.de/downloads/62 bis 492 bis 883/Mu-RL_2014 bis 04 bis 24.pdf (Stand: 15.04.2015) |
27 | Rasenack R, Zink M (2011) Alkohol und Tabak in der Schwangerschaft. In: Singer MV, Batra A, Mann K (Hrsg) Alkohol und Tabak - Grundlagen und Folgeerkrankungen. Thieme Verlag, Stuttgart, S. 427 bis 432 |
28 | von der Lippe E, Brettschneider AK, Gutsche J et al. (2014) Einflussfaktoren auf Verbreitung und Dauer des Stillens in Deutschland. Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 57(7):849 bis 859 |
29 |
Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (2010) Factsheet: Alkohol in der Schwangerschaft. www.dhs.de/fileadmin/user_upload/pdf/Factsheets/100.319_Factsheet_FASD_-_DIN.pdf (Stand: 15.04.2015) |
30 | Bergmann KE, Bergmann RL, Ellert U et al. (2007) Perinatale Einflussfaktoren auf die spätere Gesundheit. Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS). Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 50(5/6):670 bis 676 |
31 | Torloni MR, Betran AP, Horta BL et al. (2009) Prepregnancy BMI and the risk of gestational diabetes: a systematic review of the literature with meta-analysis. Obes Rev 10(2):194 to 203 |
32 | Voigt M, Straube S, Zygmunt M et al. (2008) Obesity and pregnancy--a risk profile. Z Geburtshilfe Neonatol 212(6):201 bis 205 |
33 | Schneider S, Höft B, Röhrig S et al. (2010) Gesundheitliche Benachteiligung beginnt lange vor der Geburt - Aktuelle Analysen zur prä- und perinatalen Gesundheit und deren Determinanten auf Basis der deutschen Perinataldaten. Gesundheitswesen 72(08/09):P67 |
34 | Goeckenjan M, Ramsauer B, Hänel M et al. (2009) Soziales Risiko - geburtshilfliches Risiko? Der Gynäkologe 42(2):102 bis 110 |
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