Kapitel 3.5.4 Risikofaktoren und Gesundheitsverhalten [Gesundheit in Deutschland, 2015]
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3.5.4
RISIKOFAKTOREN UND GESUNDHEITSVERHALTEN
Beim Entstehen vieler chronischer Erkrankungen spielen das Gesundheitsverhalten sowie die verhaltensassoziierten Gesundheitsrisiken eine große Rolle (siehe Kapitel 3.7 bis 3.12). Für Menschen mit Migrationshintergrund zeigen sich hier spezifische Risiken und Ressourcen. So machen die Ergebnisse der KiGGS-Studie deutlich, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund zwar seltener Alkohol konsumieren, andererseits aber auch seltener Sport treiben und sich weniger gesund ernähren [9, 32 bis 34]. Auswertungen der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) bestätigen diese Befunde zum Alkoholkonsum sowie zum Sporttreiben auch für die erwachsene Bevölkerung [29]. Zum Anteil übergewichtiger Personen liefern der Mikrozensus 2009 sowie die KiGGS-Studie Informationen. Insgesamt unterscheiden sich die Anteile stark übergewichtiger erwachsener Personen nur wenig zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. 13,4% der Frauen ohne und 15,3% der Frauen mit Migrationshintergrund sind nach den im Mikrozensus erhobenen Selbstangaben zu Körpergröße und -gewicht als adipös einzustufen. Bei Männern betragen die entsprechenden Anteile 15,4% und 14,8% [35]. Mit zunehmendem Alter steigt der Anteil adipöser Migrantinnen stärker an als der Anteil adipöser Frauen ohne Migrationshintergrund (Abb.3.5.3).
Abbildung 3.5.3

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Unter den großen Herkunftsgruppen ist diese Entwicklung bei türkischen Frauen, aber auch bei Frauen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion besonders auffällig. Bei Männern gibt es dagegen auch im Altersgang nur geringe Unterschiede im Anteil von Adipositas.
In den nachwachsenden Generationen ist starkes Übergewicht bei Jungen wie Mädchen mit Migrationshintergrund deutlich häufiger als bei Kindern und Jugendlichen ohne Migrationshintergrund [9]. Unter den großen Herkunftsgruppen sind vergleichsweise hohe Prävalenzen vor allem bei türkischstämmigen Kindern und Jugendlichen zu finden [9]. Übergewicht und Adipositas sind bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund umso weiter verbreitet, je länger die Eltern in Deutschland leben. Hierfür wird eine Mischung der Ernährungsgewohnheiten des Herkunfts- und des Aufnahmelandes verantwortlich gemacht. Nach und nach werden mitgebrachte Ernährungsmuster durch neue Verhaltensroutinen ergänzt [36, 37]. Auswertungen der KiGGS-Studie zeigen, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund eine weniger gesunde Ernährung aufweisen als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund. So ist der Konsum von Softdrinks und Snacks unter den wichtigsten Herkunftsgruppen besonders in Familien mit türkischem Migrationshintergrund weit verbreitet [33].
Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund neigen weniger stark zum Tabakkonsum als solche ohne Migrationshintergrund. Besonders Kinder und Jugendliche mit türkischem und arabischem Migrationshintergrund rauchen seltener als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund [9]. Für Erwachsene zeigt der Mikrozensus, dass der Anteil der Männer mit Migrationshintergrund, die regelmäßig oder gelegentlich rauchen, mit 33,3% über der Rauchquote von Männern ohne Migrationshintergrund (27,9%) liegt.
Demgegenüber zeigt sich bei Frauen ein mit 19,2% etwas geringerer Anteil an Raucherinnen im Vergleich zu Frauen ohne Migrationshintergrund (20,4%). Insgesamt bleibt der beschriebene Zusammenhang im Altersgang stabil (Abb.3.5.4). Eine Berücksichtigung der Herkunftsregionen zeigt, dass hierbei insbesondere der geringe Raucherinnenanteil unter Frauen aus der ehemaligen Sowjetunion ins Gewicht fällt. Frauen aus anderen großen Herkunftsländern rauchen ähnlich häufig wie einheimische Frauen. Männer mit Migrationshintergrund und darunter besonders türkische Männer rauchen dagegen generell häufiger als Männer ohne Migrationshintergrund [35, 38]. Das Konsumverhalten ändert sich mit längerer Aufenthaltsdauer: So steigt die Rauchquote unter Aussiedlerinnen, während sie bei männlichen Aussiedlern sinkt [39]. Bei Menschen mit türkischem Migrationshintergrund bildet sich ein stärker sozialstatusspezifisches Rauchverhalten heraus.
Abbildung 3.5.4

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Literatur
9 | Robert Koch-Institut (Hrsg) (2008) Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) 2003 bis 2006: Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland. Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes. RKI, Berlin |
29 | Rommel A, Saß AC, Born S et al. (2015) Die gesundheitliche Lage von Menschen mit Migrationshintergrund und die Bedeutung des sozioökonomischen Status. Erste Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1). Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 58(6):543 bis 552 |
32 | Lampert T, Thamm M (2007) Tabak-, Alkohol- und Drogenkonsum von Jugendlichen in Deutschland. Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS). Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 50(5/6):600 bis 608 |
33 | Kleiser C, Mensink GBM, Neuhauser H et al. (2010) Food intake of young people with a migration background living in Germany. Public Health Nutr 13(3):324 to 330 |
34 | Lampert T, Mensink GB, Romahn N et al. (2007) Körperlich-sportliche Aktivitat von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS). Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 50(5/6):634 bis 642 |
35 | Statistisches Bundesamt (2013) Bevölkerung nach Migrationshintergrund, Body-Mass-Index, Rauchverhalten, gesundheitlich bedingten Erwerbsunterbrechungen und Armutsgefährdungsquote. Daten aus dem Mikrozensus 2005 und 2009 (Sonderauswertung). Statistisches Bundesamt, Wiesbaden |
36 | Ünal A (2011) Warum sind türkische Kinder oft so dick? Ernährung bei Familien mit Migrationshintergrund. MMW-Fortschritte der Medizin 153(43):50 bis 52 |
37 | Winkler G (2003) Ernährungssituation von Migranten in Deutschland - was ist bekannt? Teil 2: Ernährungsverhalten. Ernährungs-Umschau 50(6):219 bis 221 |
38 | Lampert T (2010) Soziale Determinanten des Tabakkonsums bei Erwachsenen in Deutschland. Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 53(2):108 bis 116 |
39 | Reiss K, Spallek J, Razum O (2010) "Imported risk" or "health transition"? Smoking prevalence among ethnic German immigrants from the Former Soviet Union by duration of stay in Germany - analysis of microcensus data. Int J Equity Health 9(15) |
Tabellen mit den Werten aus den Abbildungen 3.5.3 und 3.5.4
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Migrationshintergrund | Anteil (%) | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Altersgruppe | |||||||||
30 bis 39 | 40 bis 49 | 50 bis 59 | 60 bis 69 | 70+ | |||||
Frauen | Ohne Migrationshintergrund | 5,3 | 8,7 | 10,6 | 15,5 | 18,3 | 17,7 | ||
Mit Migrationshintergrund | 4,3 | 9,3 | 15,1 | 25,0 | 28,6 | 26,4 | |||
darunter | Migrationshintergrund Türkei | 6,0 | 14,5 | 25,6 | 42,7 | 47,5 | 35,3 | ||
Migrationhintergrund ehemalige Sowjetunion | 4,0 | 10,2 | 19,0 | 33,6 | 40,6 | 37,0 | |||
Anteil (%) | |||||||||
Männer | Ohne Migrationshintergrund | 6,0 | 12,1 | 14,9 | 19,8 | 21,1 | 17,6 | ||
Mit Migrationshintergrund | 6,3 | 12,8 | 17,6 | 19,7 | 22,4 | 19,6 | |||
darunter | Migrationshintergrund Türkei | 9,3 | 16,4 | 21,3 | 23,4 | 25,7 | 23,1 | ||
Migrationhintergrund ehemalige Sowjetunion | 5,6 | 14,0 | 21,1 | 22,6 | 24,0 | 25,4 |
[35] | Statistisches Bundesamt (2013) Bevölkerung nach Migrationshintergrund, Body-Mass-Index, Rauchverhalten, gesundheitlich bedingten Erwerbsunterbrechungen und Armutsgefährdungsquote. Daten aus dem Mikrozensus 2005 und 2009 (Sonderauswertung). Statistisches Bundesamt, Wiesbaden |
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Altersgruppe | Rauchquote (%) | ||
---|---|---|---|
Mit Migrationshintergrund | Ohne Migrationshintergrund | ||
Frauen | <25 | 14 | 20,5 |
25 bis 34 | 25,9 | 31,5 | |
35 bis 39 | 24,0 | 27,6 | |
45 bis 54 | 22,3 | 30,3 | |
55 bis 64 | 17,1 | 22,8 | |
65+ | 6,5 | 7,0 | |
Rauchquote (%) | |||
Männer | <25 | 22,8 | 26,7 |
25 bis 34 | 43,0 | 41,3 | |
35 bis 39 | 42,2 | 36,4 | |
45 bis 54 | 39,3 | 34,9 | |
55 bis 64 | 30,4 | 29,9 | |
65+ | 14,8 | 11,7 |
[8] | Statistisches Bundesamt (2014) Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund - Ergebnisse des Mikrozensus 2013. Fachserie 1, Reihe 2.2. Destatis, Wiesbaden |
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