Kapitel 3.5.5 Infektionskrankheiten [Gesundheit in Deutschland, 2015]
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3.5.5
INFEKTIONSKRANKHEITEN
Aufgrund der höheren Infektionslast in vielen Herkunftsländern tragen Menschen mit Migrationshintergrund bei einigen ansteckenden Krankheiten ein höheres Erkrankungsrisiko. Ob die Infektion in den Herkunftsländern oder nach der Einwanderung erfolgt ist, kann bei in Deutschland neu registrierten Fällen häufig nicht mehr geklärt werden. Grundsätzlich ist aber nicht auszuschließen, dass bei diesen Erkrankungen das Infektionsrisiko auch nach Einwanderung durch Ansteckung innerhalb der Herkunftsgruppen erhöht bleibt.
Neuerkrankungen werden bei den meldepflichtigen Erkrankungen durch das Robert Koch-Institut systematisch registriert. Danach sind Menschen mit Migrationshintergrund beispielsweise bei den HIV-Neuinfektionen überrepräsentiert. Etwa ein Viertel der Neuinfektionen in Deutschland entfällt auf Personen mit einem anderen Herkunftsland. Insbesondere Personen aus Subsahara-Afrika sind dabei mit etwa 8% aller Meldungen überproportional vertreten [41].
Die Neuerkrankungsrate für Tuberkulose ist bei nichtdeutschen Personen im Vergleich zu Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit um den Faktor 9,4 erhöht. Sie lag im Jahr 2013 unter nicht-deutschen Frauen bei 21,5 und unter nicht-deutschen Männern bei 31,0 pro 100.000 Einwohner (Stichtag 01.03.2014). Insgesamt entfielen im Jahr 2013 von allen registrierten Tuberkuloseneuerkrankungen 48,4% auf Personen mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit. Die altersspezifische Verteilung zeigt, dass Tuberkuloseneuerkrankungen unter Migrantinnen und Migranten verstärkt in der Altersgruppe der 15- bis 39-Jährigen vorkommen und einen weiteren Höhepunkt unter den 70- bis 79-Jährigen aufweisen; in der Bevölkerung mit deutscher Staatsangehörigkeit konzentrieren sie sich dagegen bei älteren Menschen. Im Zeitverlauf zeigt sich in allen Gruppen ein Rückgang der Neuerkrankungsraten bis etwa 2008. Dieser hat sich in der deutschen Bevölkerung bis ins Jahr 2013 fortgesetzt. Bei Personen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit ist es dagegen in den vergangenen Jahren wieder zu einem deutlichen Anstieg der Neuerkrankungsraten bei Tuberkulose gekommen (Abb.3.5.5). Steigende Erkrankungszahlen werden unter anderem für Personen aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion wie auch aus Rumänien berichtet [42].
Menschen mit Migrationshintergrund infizieren sich auch bei Besuchsreisen. So entfällt ein beträchtlicher Anteil von »importierten« Hepatitis A-Infektionen in Deutschland auf in Deutschland geborene Menschen mit Migrationshintergrund, die sich bei Besuchen im Herkunftsland anstecken [44]. Generell gilt diese Gruppe, zu der überproportional Kinder und Jugendliche zählen, als besonders gefährdet [45, 46]. Aktuelle Infektionsgefahren im Herkunftsland sind häufig nicht bekannt und präventive Maßnahmen wie Impfungen werden unterlassen.
Abbildung 3.5.5

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Darüber hinaus sind bei Kindern und Jugendlichen auch die klassischen Kinderkrankheiten von besonderem Interesse. Nach Ergebnissen der Basiserhebung der KiGGS-Studie unterscheiden sich Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund nur bei einigen der ansteckenden Kinderkrankheiten von Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund [9]: Die Lebenszeitprävalenz für Masern liegt demnach bei Kindern aus Migrantenfamilien höher, während Windpocken und Scharlach seltener auftreten.
Literatur
9 | Robert Koch-Institut (Hrsg) (2008) Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) 2003 bis 2006: Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland. Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes. RKI, Berlin |
41 | Santos-Hövener C (2012) HIV bei Migranten in Deutschland. Erhobene Daten zur Migration im HIV-Meldesystem. Epidemiologisches Bulletin 2012(3):19 bis 21 |
42 | Robert Koch-Institut (Hrsg) (2014) Bericht zur Epidemiologie der Tuberkulose in Deutschland für 2013. RKI, Berlin |
43 | Robert Koch-Institut (2015) Tuberkuloseneuerkrankungen bei Menschen mit deutscher und nichtdeutscher Staatsangehörigkeit im Zeitverlauf (Sonderauswertung). RKI, Berlin |
44 | Faber MS, Stark K, Behnke SC et al. (2009) Epidemiology of hepatitis A virus infections, Germany, 2007 to 2008. Emerg Infect Dis 15(11):1,760 to 1,768 |
45 | Han P, Yanni E, Jentes ES et al. (2012) Health challenges of young travelers visiting friends and relatives compared with those traveling for other purposes. Pediatr Infect Dis J 31(9):915 to 919 |
46 | Hendel-Paterson B, Swanson S (2011) Pediatric travelers visiting friends and relatives (VFR) abroad: Illnesses, barriers and pre-travel recommendations. Travel Med. Infect Dis 9(4):192 to 203 |
Tabelle mit den Werten aus der Abbildung 3.5.5
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Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner | ||||
---|---|---|---|---|
Frauen nicht-deutsch | Männer nicht-deutsch | Frauen deutsch | Männer deutsch | |
2001 | 26,6 | 36,7 | 4,8 | 8,1 |
2002 | 26,4 | 37,3 | 5,0 | 8,6 |
2003 | 26,3 | 35,4 | 4,5 | 8,1 |
2004 | 27,8 | 33,5 | 4,2 | 6,9 |
2005 | 25,0 | 29,8 | 3,7 | 6,6 |
2006 | 22,6 | 25,7 | 3,5 | 5,7 |
2007 | 20,9 | 24,4 | 3,2 | 5,3 |
2008 | 18,1 | 23,2 | 2,8 | 5,0 |
2009 | 18,8 | 23,2 | 2,9 | 4,7 |
2010 | 18,5 | 24,9 | 2,6 | 4,6 |
2011 | 19,9 | 24,4 | 2,6 | 4,2 |
2012 | 18,2 | 26,5 | 2,4 | 4,2 |
2013 | 21,5 | 31,0 | 2,0 | 3,7 |
[43] | Robert Koch-Institut (2015) Tuberkuloseneuerkrankungen bei Menschen mit deutscher und nichtdeutscher Staatsangehörigkeit im Zeitverlauf (Sonderauswertung). RKI, Berlin |
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Gesundheitsberichterstattung des Bundes 28.05.2022