Kapitel 5.8 Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement in der Gesundheitsversorgung [Gesundheit in Deutschland, 2015]
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INFOBOX 5.8.1
DEFINITIONEN: QUALITÄT, QUALITÄTSSICHERUNG, QUALITÄTSMANAGEMENT
Qualität wird nach der Deutschen Industrienorm (DIN) und internationalen Normen definiert als »Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt« [4]. Zentraler Bestandteil dieser und aller anderen Qualitätsdefinitionen ist der Vergleich zwischen Ist und Soll. Nach Donabedian [5] werden die Dimensionen Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität unterschieden.
Qualitätssicherung (QS) bezeichnet im Allgemeinen »alle organisatorischen und technischen Maßnahmen, die vorbereitend, begleitend und prüfend der Schaffung und Erhaltung einer definierten Qualität eines Produkts oder einer Dienstleistung dienen« [6].
Qualitätsmanagement (QM) umfasst alle »aufeinander abgestimmte Tätigkeiten zum Leiten und Lenken einer Organisation bezüglich Qualität«. Dazu gehören üblicherweise das Festlegen der Qualitätspolitik und der Qualitätsziele sowie die Qualitätsplanung, Qualitätslenkung, Qualitätssicherung und Qualitätsverbesserung [4].
Qualität der Gesundheitsversorgung ist nach Definition des Institute of Medicine »das Ausmaß, in dem Gesundheitsleistungen für Individuen und Populationen die Wahrscheinlichkeit erwünschter gesundheitlicher Behandlungsergebnisse erhöhen und mit dem gegenwärtigen professionellen Wissensstand übereinstimmen« [7].
[4] | Deutsches Institut für Normung e.V. (2005) Qualitätsmanagementsysteme - Grundlagen und Begriffe (ISO 9.000: 2005). Beuth Verlag, Berlin |
[5] | Donabedian A (1966) Evaluating the quality of medical care. Milbank Mem Fund Q 44(3):166 to 206 |
[6] |
Gabler Wirtschaftslexikon (2014) Stichwort: Qualitätssicherung. www.wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/57713/qualitaetssicherung-v5.html (Stand: 15.04.2015) |
[7] | Lohr K (1990) Medicare: A Strategy for Quality Assurance. National Academy Press, Washington D.C. |

INFOBOX 5.8.2
PATIENTENSICHERHEIT
Der Begriff Patientensicherheit bezeichnet die Abwesenheit unerwünschter Ereignisse in der Gesundheitsversorgung. Ein unerwünschtes Ereignis ist ein schädliches Vorkommnis, das eher auf der Behandlung als auf der Erkrankung des jeweiligen Betroffenen beruht. Es kann vermeidbar oder unvermeidbar sein [8]. Ein Behandlungsfehler ist definiert als eine nicht ordnungsgemäße, d.h. nicht den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden allgemein anerkannten medizinischen Standards entsprechende Behandlung durch einen Arzt oder eine Ärztin oder auch einen Angehörigen anderer Heilberufe. Er kann alle Bereiche ärztlicher Tätigkeit betreffen - und zwar Tun und Unterlassen. Der Fehler kann rein medizinischen Charakter haben oder sich auf organisatorische Fragen beziehen, oder es kann ein Fehler nachgeordneter oder zuarbeitender Personen sein. Auch eine fehlende, unrichtige, unverständliche, unvollständige oder nicht rechtzeitige Aufklärung über einen medizinischen Eingriff gehört zu den Behandlungsfehlern [9].
Nach einer Untersuchung des Aktionsbündnisses Patientensicherheit (APS) treten in Deutschland bei fünf bis zehn Prozent der Behandlungsfälle in Krankenhäusern unerwünschte Ereignisse auf. In zwei bis vier Prozent der Behandlungsfälle kommt es zu vermeidbaren unerwünschten Ereignissen. Der Anteil von Behandlungsfehlern liegt bei rund einem Prozent aller Behandlungsfälle, der Anteil von tödlichen Fehlern bei etwa 0,1% [10, 11]. Diese Schätzung fasst die Ergebnisse von 184 internationalen Studien zusammen, wobei die sieben Untersuchungen aus Deutschland ähnliche Ergebnisse zeigen wie die internationalen Studien. Demnach würde die Anzahl der unerwünschten Ereignisse in Krankenhäusern in Deutschland, übertragen auf das Jahr 2011, schätzungsweise 900.000 bis 1.800.000 betragen, die Zahl der Behandlungsfehler etwa 188.000 [12].
Wie häufig Behandlungsfehler in Deutschland tatsächlich sind, ist unbekannt; eine entsprechende Statistik existiert nicht. 2014 wurden von den Medizinischen Diensten der Krankenversicherung (MDK) rund 14.700 und von den Ärztekammern rund 7.800 Verdachtsfälle bearbeitet. Ungefähr ein Viertel der gemeldeten Verdachtsfälle wurden als Behandlungsfehler bestätigt oder anerkannt. Insgesamt handelte es sich um etwa 6.000 Fälle [13, 14]. Die meisten dieser Fälle betrafen den stationären Bereich, und dort die Gebiete Orthopädie und Unfallchirurgie. Darüber hinaus gibt es eine große Zahl nicht gemeldeter oder unerkannter Fälle.
Ein besonderes Problem sind die sogenannten nosokomialen Infektionen. Darunter werden Infektionen verstanden, die Patientinnen und Patienten im Zusammenhang mit einer medizinischen Behandlung erwerben. In Deutschland treten jedes Jahr etwa 400.000 bis 600.000 nosokomiale Infektionen in Krankenhäusern auf [15]. Davon sind 80.000 bis 180.000 potentiell vermeidbar. Die Anzahl der Todesfälle aufgrund vermeidbarer nosokomialer Infektionen wird zwischen 1.500 und 4.500 im Jahr geschätzt [16] (siehe auch Kapitel 2.8.8).
Patientinnen und Patienten, die einen medizinischen Behandlungsfehler vermuten, können sich an ihre Krankenkasse wenden, die dann in der Regel ihren medizinischen Dienst mit einer Begutachtung beauftragt. Auch über die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Landesärztekammern kann ein Verdacht geklärt und gegebenenfalls eine außergerichtliche Regelung getroffen werden. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, sich an die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD, siehe Kapitel 5.9) zu wenden. Auch eine zivil- bzw. strafrechtliche Klärung ist möglich.
Den hohen Stellenwert der Patientensicherheit belegen nicht zuletzt internationale Beschlüsse und Empfehlungen [17, 18]. Deutschland beteiligt sich unter anderem an dem Projekt "Action on Patient Safety: High 5s" der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und am Netzwerk "Patient Safety and Quality of Care" (PaSQ) der Europäischen Union. Seit 2013 gehört Patientensicherheit zu den nationalen Gesundheitszielen (siehe auch Kapitel 7).
[8] |
Aktionsbündnis Patientensicherheit (2014) Glossar. www.aps-ev.de/patientensicherheit/glossar/ (Stand: 15.04.2015) |
[9] | Robert Koch-Institut (Hrsg) (2004) Medizinische Behandlungsfehler. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 5. RKI, Berlin |
[10] | Schrappe M, Lessing C, Jonitz G et al. (2006) Agenda Patientensicherheit 2006. Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., Witten |
[11] | Schrappe M, Lessing C, Jonitz G et al. (2006) Agenda Patientensicherheit 2006. Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., Witten |
[12] | Geraedts M (2014) Das Krankenhaus als Risikofaktor. In: Klauber J, Geraedts M, Friedrich J et al. (Hrsg) Krankenhaus-Report 2014, Schwerpunkt: Patientensicherheit. Schattauer, Stuttgart, S. 3 bis 11 |
[13] |
Bundesärztekammer (2015) Statistische Erhebung der Gutachterkommissionen und
Schlichtungsstellen für das Statistikjahr 2014. www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Behandlungsfehler/Behandlungsfehlerstatistik.pdf (Stand: 19.08.2015) |
[14] |
Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (Hrsg) (2015)
Behandlungsfehler-Begutachtung der MDK-Gemeinschaft. Jahresstatistik 2014. www.mdk.de/media/pdf/6_-_Jahresstat-BHF-Begutacht_2014-MDS-MDK.pdf (Stand: 19.08.2015) |
[15] | Gastmeier P, Geffers C (2008) Nosokomiale Infektionen in Deutschland: Wie viele gibt es wirklich? Dtsch med Wochenschr. 133(21):1.111 bis 1.115 |
[16] | Gastmeier P, Brunkhorst F, Schrappe M et al. (2010) Wie viele nosokomiale Infektionen sind vermeidbar? Dtsch med Wochenschr. 135(03):91 bis 93 |
[17] |
World Health Organization (2002)
Quality of care: patient safety, WHA55.18. http://apps.who.int/gb/archive/pdf_files/WHA55/ewha5.518.pdf?ua=1 (Stand: 15.04.2015) |
[18] |
Rat der Europäischen Union (2009) Empfehlung zur Sicherheit der Patienten.
Amtsblatt der Europäischen Union. www.ec.europa.eu/health/patient_safety/docs/council_2009_de.pdf (Stand: 15.04.2015) |
5.8
QUALITÄTSSICHERUNG UND QUALITÄTSMANAGEMENT IN DER GESUNDHEITSVERSORGUNG
Seit Beginn der 1990er-Jahre wächst das Bemühen um Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement im deutschen Gesundheitswesen (Definitionen siehe Infobox 5.8.1). Dafür werden im Wesentlichen zwei Gründe genannt: Zum einen ergibt sich aus der Erkenntnis, dass selbst in modernen Versorgungssystemen Behandlungsfehler vorkommen, die Notwendigkeit, vorbeugende Maßnahmen zu entwickeln, um Fehler zu vermeiden beziehungsweise Patientensicherheit (siehe Infobox 5.8.2) zu gewährleisten [1]. Zum zweiten soll bei begrenzten Ressourcen sichergestellt sein, dass die vorhandenen Mittel effizient und im Sinne einer guten Versorgungsqualität zum Einsatz kommen [2]. Dabei soll auch verhindert werden, dass Maßnahmen, die der Effizienzsteigerung dienen, eine schlechtere Behandlungsqualität zur Folge haben. So wurde zum Beispiel bei der Umstellung der Krankenhausvergütung auf Fallpauschalen (DRG) befürchtet, dies könne auch zu verfrühten Entlassungen von Patientinnen und Patienten aus dem Krankenhaus führen [3].
Charakteristische Elemente von Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement sind der Vergleich von Ist und Soll sowie die Prozessorientierung: Zunächst wird festgelegt, in welcher Qualität eine Versorgungsleistung erbracht werden soll (Qualitätsziel), dann wird die tatsächlich erreichte Qualität gemessen. Auf Grundlage der Messergebnisse beschließen die Verantwortlichen Maßnahmen, welche die Qualität erhalten oder verbessern sollen. Dieser Prozess wird auch durch die Begriffe »Plan Do Check Act« beschrieben. Der sich daraus ergebende Regelkreis wird PDCA--Zyklus genannt (Abb.5.8.1). Ziel seiner Anwendung ist eine stetige Qualitätsverbesserung.
Abbildung 5.8.1

Die Maßnahmen der Qualitätssicherung sind vielfältig. Zu den traditionellen Verfahren gehören Entscheidungshierarchien, klinische Supervision und Krankenblatt-Reviews. Hinzugekommen sind Instrumente, die ursprünglich aus der Industrie sowie dem Managementbereich stammen. Nachfolgend werden zuerst die gesetzlichen Grundlagen und dann die wichtigsten Instrumente der Qualitätssicherung beschrieben, orientiert am PDCA--Zyklus.
Literatur
1 | Hoffmann B, Rohe J (2010) Patientensicherheit und Fehlermanagement: Ursachen unerwünschter Ereignisse und Maßnahmen zu ihrer Vermeidung. Dtsch Arztebl Int 107(6):92 bis 99 |
2 | Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (2001) Gutachten 2000/2001 des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen. Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit. Band II: Qualitätsentwicklung in Medizin und Pflege. BT-Drs. 14/5.661 |
3 | Kastenholz H, Both B (2002) Qualitätssicherung der medizinischen Versorgung aus Sicht des Bundesministeriums für Gesundheit. Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 45(3):215 bis 222 |
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Gesundheitsberichterstattung des Bundes 06.06.2023