Kapitel 2.11.5 Chronischer Stress, Burn-Out und Schlafstörungen [Gesundheit in Deutschland, 2015]
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INFOBOX 2.11.4
INSOMNIEN
Insomnien gehören zu den häufigsten Schlafstörungen. Für die Diagnose einer (nichtorganischen) Insomnie müssen laut ICD-10 folgende Kriterien vorliegen: Ein- oder Durchschlafprobleme dreimal oder häufiger pro Woche für einen Zeitraum von mindestens vier Wochen sowie eine schlechte Qualität des Schlafs. Außerdem müssen in Folge der Schlafprobleme Tagesmüdigkeit, Erschöpfungszustände oder Beeinträchtigungen der sozialen Funktionsfähigkeit vorliegen.
Je nach vermuteter organischer oder psychogener Ursache werden Insomnien in der ICD (International Classification of Diseases in der zehnten Überarbeitung) als G47 Schlafstörungen (Kapitel VI Krankheiten des Nervensystems) oder F51 Nichtorganische Schlafstörungen (Kapitel V Psychische und Verhaltensstörungen) klassifiziert.
2.11.5
CHRONISCHER STRESS, BURN-OUT UND SCHLAFSTÖRUNGEN
Chronischer Stress, Burn-out-Syndrom und Schlafstörungen gelten als Faktoren, die zum Entstehen von psychischen Störungen beitragen.
CHRONISCHER STRESS
Chronischer Stress tritt auf, wenn die Häufigkeit und Intensität von Stressbelastungen die vorhandenen individuellen Ressourcen zur Stressbewältigung übersteigen [36]. In der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) berichten 13,9% der Frauen und 8,2% der Männer zwischen 18 und 64 Jahren über starke Belastung durch chronischen Stress [36]. Eine starke Stressbelastung erleben Menschen mit niedrigem Sozialstatus und geringer sozialer Unterstützung in ihrem Umfeld häufiger als der Durchschnitt der Bevölkerung Jahr (Tab. 2.11.2). Chronische Stressbelastung geht häufig mit weiteren Beeinträchtigungen einher, zum Beispiel mit einer depressiven Symptomatik, Schlafstörungen und einem diagnostizierten Burn-out-Syndrom. Dabei mehren sich mit steigender Belastung durch chronischen Stress die parallel vorhandenen Beeinträchtigungen [36].
Tabelle 2.11.2
SOZIALSTATUS | 18 bis 29 JAHRE (%) |
30 bis 44 JAHRE (%) |
45 bis 64 JAHRE (%) |
GESAMT (%) |
|
---|---|---|---|---|---|
Frauen | Niedrig | 18,0 | 22,2 | 20,8 | 20,2 |
Mittel | 16,3 | 12,9 | 11,4 | 13,0 | |
hoch | 12,3 | 12,4 | 10,1 | 11,3 | |
Männer | Niedrig | 17,3 | 13,5 | 13,4 | 14,6 |
Mittel | 8,7 | 6,9 | 7,8 | 7,8 | |
hoch | 3,8 | 4,4 | 4,7 | 4,4 |
[36] | Hapke U, Maske U, Scheidt-Nave C et al. (2013) Chronischer Stress bei Erwachsenen in Deutschland. Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1). Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 56(5/6):749 bis 754 |
---|
BURN-OUT-SYNDROM
In der Wissenschaft wird unter Burn-out häufig ein arbeitsbezogenes Syndrom verstanden [37], welches gekennzeichnet ist durch emotionale Erschöpfung, Depersonalisation oder Zynismus und eine verminderte Arbeitsleistung [38]. Die Betroffenen selbst sehen ihre Beschwerden als Folge einer andauernden Arbeitsüberforderung. Diese begründet sich aus dem Zusammenspiel individueller Faktoren, etwa Perfektionismus, und auf den Arbeitsplatz bezogene Einflüsse wie mangelnde Anerkennung durch Vorgesetzte [38]. Nach der gängigen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) gelten diese Beschwerden nicht als Krankheit, werden aber als Faktoren aufgeführt, die das Befinden beeinträchtigen können (ICD-10-WHO, Version 2013, Z73.0 Burn-out, Zustand der totalen Erschöpfung). Burn-out kann ein Risiko für weitere, im Verlauf später auftretende psychische Störungen oder körperliche Erkrankungen sein, beispielsweise Angststörungen oder Hypertonie [38].
Krankenkassen berichteten von immer mehr Krankschreibungsfällen und Arbeitsunfähigkeitstagen wegen Burn-out seit dem Jahr 2004 [7]. Da es bislang keine akzeptierten einheitlichen diagnostischen Kriterien für ein Burn-out-Syndrom gibt [39], liegt eine Diagnosestellung im Ermessen der Ärztinnen oder Ärzte, Psychotherapeutinnen oder Psychotherapeuten. Eine Schätzung, wie viele Menschen von Burn-out betroffen sind, kann sich daher immer nur auf das jeweils gewählte diagnostische Konzept beziehen.
Mit den Daten der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) liegen zum ersten Mal bevölkerungsrepräsentative Zahlen zur Abschätzung der Häufigkeit des Burn-out-Syndroms vor. Frauen haben mit 5,2% deutlich häufiger als Männer mit 3,3% jemals eine ärztliche oder psychotherapeutische Burn-out-Diagnose erhalten [40] . Ein diagnostiziertes Burn-out-Syndrom innerhalb des letzten Jahres hatten 1,9% der Frauen und 1,1% der Männer. Bei Personen im mittleren Lebensalter und mit mittlerem oder hohem Sozialstatus wird besonders häufig ein Burn-out-Syndrom diagnostiziert. Werden die 12-Monatsdiagnosen von Burn-out-Syndrom und psychischen Störungen parallel analysiert, so zeigt sich, dass 70,3% der Personen mit Burn-out-Diagnose unter psychischen Störungen leiden, aber nur 27,5% der Personen mit psychischen Störungen dieses Syndrom nicht haben. Besonders ausgeprägt ist dies bei Angststörungen (58,0% versus 15,0%), depressiven Störungen (46,4% versus 9,0%) und somatoformen Störungen (26,8% versus 3,2%).
SCHLAFSTÖRUNGEN
Schlafstörungen sind mit einer Vielzahl von körperlichen und psychischen Gesundheitsstörungen verbunden. So ist beispielsweise eine Insomnie (siehe Infobox 2.11.4) ein Risikofaktor für das spätere Auftreten von Depression [41]. Unabhängig vom Alter steht zu wenig Schlaf in Beziehung zu Übergewicht und Adipositas, Bluthochdruck sowie zum metabolischen Syndrom (eine Kombination aus den Risikofaktoren Übergewicht, Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte und Insulinresistenz) [42]. Darüber hinaus ist Schlafmangel mit psychosozialen Beeinträchtigungen wie Tagesmüdigkeit, mangelnder Konzentrationsfähigkeit, Stress, schlechterem allgemeinen Gesundheitszustand und mangelndem psychischen Wohlbefinden verbunden [43, 44]. Die erheblichen gesundheitlichen Konsequenzen sowie die hohen volkswirtschaftlichen Kosten [45] bei bestehenden Behandlungsmöglichkeiten [46] verdeutlichen die hohe Public-Health-Relevanz von Schlafstörungen.
Nach Daten der DEGS1-Studie leiden 30,3% der Frauen und Männer an klinisch relevanten Ein- oder Durchschlafstörungen (drei Mal pro Woche und häufiger). Etwa ein Viertel der Frauen und ein Fünftel der Männer berichtete über eine beeinträchtigte Schlafqualität [47]. Während klinisch relevante Einschlafstörungen nur bei Frauen ab dem Alter von 60 Jahren etwas häufiger sind, nimmt die Prävalenz klinisch relevanter Durchschlafstörungen mit steigendem Alter bei beiden Geschlechtern erheblich zu: Bei Frauen verdoppelt sie sich von 17,9% in der Altersgruppe 18 bis 39 Jahre auf 34,4% in der Altersgruppe 60 bis 79 Jahre. Bei Männern verdreifacht sich die Prävalenz sogar von 9,5% auf 29,0% (Abb.2.11.2 und Abb.2.11.3).
Abbildung 2.11.2

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Abbildung 2.11.3

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Um eine potenziell klinisch relevante Insomnie zu erkennen, wurde aus den Informationen der DEGS1-Studie eine Screeningdiagnose »Insomnie-Syndrom« generiert. Frauen und Männer, die dreimal oder häufiger pro Woche an Ein- und/oder Durchschlafstörungen litten sowie über eine reduzierte Schlafqualität. Tagesmüdigkeit und/oder Erschöpfungszustände berichteten, wurden als Screening-positiv eingestuft. Für das »Insomnie-Syndrom« ergab sich eine Häufigkeit von 7,7% für Frauen und 3,8% für Männer. Bei Personen mit niedrigem Sozialstatus hatten Frauen ein höheres Risiko für das Vorliegen eines Insomnie-Syndroms als Männer.
Stressbelastungen, depressive Symptome, Burn-out-Syndrom und Schlafstörungen weisen enge Zusammenhänge auf. Mit steigender Stressbelastung nimmt die Belastung durch depressive Symptome, Burn-out Syndrom und Schlafstörungen zu (Abb.2.11.4). So leiden Menschen mit einer unterdurchschnittlichen Stressbelastung nur zu 17,0% an mindestens einer dieser drei Störungen, Personen mit starker Stressbelastung hingegen zu 61,1%. Hierbei ist zu beachten, dass einerseits eine hohe Stressbelastung die Entwicklung weiterer Störungen befördert, es aber auch umgekehrt möglich ist, dass zum Beispiel Schlaf- oder Angststörungen das subjektive Stresserleben erhöhen [36, 40].
Abbildung 2.11.4

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Literatur
7 | Bundespsychotherapeutenkammer (2012) BPtK-Studie zur Arbeitsunfähigkeit. Psychische Erkrankungen und Burnout. BPtK, Berlin |
36 | Hapke U, Maske U, Scheidt-Nave C et al. (2013) Chronischer Stress bei Erwachsenen in Deutschland. Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1). Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 56(5/6):749 bis 754 |
37 | Korczak D, Kister C, Huber B (2010) Differentialdiagnostik des Burnout-Syndroms. Schriftenreihe Health Technology Assessment (HTA) in der Bundesrepublik Deutschland. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information, Köln |
38 |
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (2012) Positionspapier
der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde zum Thema Burnout. www.dgppn.de/fileadmin/user_upload/_medien/download/pdf/stellungnahmen/2012/stn-2012 bis 03 bis 07-burnout.pdf (Stand: 15.04.2015) |
39 | Kaschka W, Korczak D, Broich K (2011) Modediagnose Burnout. Dtsch Arztebl Int 108(46):781 bis 787 |
40 | Maske UE, Riedel-Heller SG, Seiffert I et al. (2014) Häufigkeit und psychiatrische Komorbiditäten von selbstberichtetem diagnostiziertem Burnout-Syndrom. Ergebnisse der bevölkerungsrepräsentativen »Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland« (DEGS1). Psychiat Prax (EPUB) |
41 | Baglioni C, Battagliese G, Feige B et al. (2011) Insomnia as a predictor of depression: A meta-analytic evaluation of longitudinal epidemiological studies. J Affect Disord 135(1 to 3):10 to 19 |
42 | Budhiraja R, Roth T, Hudgel DW et al. (2011) Prevalence and polysomnographic correlates of insomnia comorbid with medical disorders. Sleep 34(7):859 to 867 |
43 | Furihata R, Uchiyama M, Takahashi S et al. (2012) The association between sleep problems and perceived health status: a Japanese nationwide general population survey. Sleep Med. 13(7):831 to 837 |
44 | Ohayon MM, Zulley J (2001) Correlates of global sleep dissatisfaction in the German population. Sleep 24(7):780 to 787 |
45 | Daley M, Morin CM, LeBlanc M et al. (2009) The economic burden of insomnia: direct and indirect costs for individuals with insomnia syndrome, insomnia symptoms, and good sleepers. Sleep 32(1):55 to 64 |
46 | Geert M (2012) Insomnie. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Diener H-C, Weimar C (Hrsg) Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie - Schlafstörungen. Thieme, Stuttgart |
47 | Schlack R, Hapke U, Maske U et al. (2013) Häufigkeit und Verteilung von Schlafproblemen und Insomnie in der deutschen Erwachsenenbevölkerung. Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1). Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 56(5 bis 6):740 bis 748 |
Tabellen mit den Werten aus den Abbildungen 2.11.2 bis 2.11.4
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Einschlafstörung | Frauen | Männer | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Jahre |
Jahre |
Jahre |
Gesamt | Jahre |
Jahre |
Jahre |
Gesamt | |
Gar nicht | 47,8% | 45,8% | 32,9% | 43,0% | 49,4% | 53,0% | 51,0% | 53,3% |
Weniger als 1-mal/Woche | 25,8% | 24,7% | 22,3% | 24,8% | 29,8% | 25,1% | 22,4% | 26,1% |
1-mal oder 2-mal /Woche | 16,0% | 16,8% | 26,0% | 19,0% | 13,1% | 13,0% | 16,9% | 14,0% |
3-mal oder häufiger/Woche | 10,4% | 12,7% | 18,1% | 13,6% | 7,6% | 8,9% | 9,6% | 8,6% |
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Durchschlafstörungen | Frauen | Männer | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Jahre |
Jahre |
Jahre |
Gesamt | Jahre |
Jahre |
Jahre |
Gesamt | |
Gar nicht | 42,2% | 30,6% | 23,2% | 32,5% | 49,3% | 35,8% | 31,4% | 39,5% |
Weniger als 1-mal/Woche | 24,8% | 20,6% | 18,9% | 21,6% | 25,1% | 23,8% | 18,7% | 23,0% |
1-mal oder 2-mal /Woche | 15,2% | 20,5% | 23,5% | 19,5% | 16,1% | 18,0% | 20,8% | 18,0% |
3-mal oder häufiger/Woche | 17,9% | 28,2% | 34,4% | 26,4% | 9,5% | 22,4% | 29,0% | 19,5% |
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Anzahl der Beeinträchtigungen: (Depressives Syndrom, Burn-out Syndrom, Schlafstörungen) |
Unterdurchschnittlich bis durchschnittlich |
Überdurchschnittlich | Stark |
---|---|---|---|
1 | 15,4% | 27,2% | 30,6% |
2 | 1,5% | 6,0% | 27,5% |
3 | 0,1% | 0,2% | 3,0% |
keine der 3 Beeinträchtigungen | 83,0% | 66,7% | 38,9% |
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Gesundheitsberichterstattung des Bundes 22.03.2023