Sterblichkeit und Lebenserwartung (allgemein), Kapitel 3.2 [Gesundheitsbericht für Deutschland, 1998]
[Gesundheitliche Lage (Einleitung/Überblick)] [Sterblichkeit nach ausgewählten Todesursachen, Kapitel 3.3] [Abstrakt] [Inhaltsverzeichnis] [Literaturverzeichnis]
3.2 Allgemeine Sterblichkeit und Lebenserwartung1)
Noch immer werden auch in entwickelten Ländern die Lebensbedingungen
und die gesundheitliche Lage der Bevölkerung mit Kennziffern beurteilt, die an der
Sterblichkeit anknüpfen. Am häufigsten wird hierfür die
mittlere Lebenserwartung
verwendet; sie sagt aus, wieviele Lebensjahre ein Neugeborener beim derzeitigen
Sterberisiko der Bevölkerung in den einzelnen Altersgruppen "erwarten" kann.
Die mittlere Lebenserwartung ist im Laufe dieses Jahrhunderts in allen
Industrienationen erheblich angestiegen. 1995 lag sie in Deutschland für Männer bei 73,3
und für Frauen bei 79,8 Jahren; zu Beginn des Jahrhunderts hatte sie erst 44,8 bzw. 48,3
Jahre betragen. 1995 konnten 38,0% aller Männer und 60,2% aller Frauen ein Alter von 80
Jahren erwarten. Vor 90 Jahren waren es nur 9,0% bzw. 12,3% gewesen. Dies erklärt den
steigenden Anteil älterer und hochbetagter Menschen, ein Prozeß, der auch in Zukunft
noch anhalten wird.
Der Gewinn an Lebenserwartung ist u.a. die Folge großer Leistungen des
Gesundheitswesens. Die Bekämpfung der Infektionskrankheiten in der ersten Hälfte des
Jahrhunderts und das Absenken der Säuglingssterblichkeit in den sechziger und siebziger
Jahren sind wichtige Beispiele (vgl. auch Kapitel 3.4
Säuglingssterblichkeit
).
Die allgemeine Sterblichkeit sagt allerdings nichts zu den Ursachen
unterschiedlich hoher Lebenserwartung oder deren Veränderung über die Zeit. Nur die
todesursachenspezifische Sterblichkeit erlaubt Erkenntnisse darüber, ob ein Sterbefall
"zu früh" eingetreten ist oder "medizinisch vermeidbar" gewesen
wäre. Deshalb ist die todesursachenspezifische Darstellung in Kapitel 3.3
Sterblichkeit
nach ausgewählten Todesursachen
eine wichtige Ergänzung.
Entwicklung der Sterblichkeit
Allgemeine Sterblichkeit
1995 starben in Deutschland 410.663 Männer und 473.925 Frauen. Bezogen auf eine Bevölkerung von 100.000 Einwohner entspricht dies einer rohen Sterberate von 1.033,6 bei den Männern, 1.130,3 bei den Frauen und 1.083,2 insgesamt. Es mag auf den ersten Blick verwirren, daß anteilig mehr Frauen versterben als Männer, obwohl ihre Lebenserwartung höher ist, und obwohl in jeder einzelnen Altersgruppe die umgekehrte Situation herrscht (vgl.Tab. 3.2.1). Dies liegt daran, daß die gesamte Sterblichkeit von den Mortalitätsverhältnissen in den oberen Altergruppen dominiert werden. Für die über 79jährigen liegt etwa die Sterblichkeit um den Faktor 10 bis 15 über dem Gesamtdurchschnitt (vgl.Tab. 3.2.1). Zu dieser Altersgruppe gehörten 1995 rund 60% der gestorbenen Frauen, aber nur gut 32% der Männer. Insgesamt zeigt die Sterblichkeit einen typischen altersabhängigen Verlauf: Von vergleichsweise hohen Werten im ersten Lebensjahr sinkt sie auf das Minimum zwischen 5 und 15 Jahren, um von dort an kontinuierlich und überproportional anzusteigen. Ab etwa 35 Jahren liegt die Sterblichkeit in jeder Fünf-Jahres-Altersgruppe um 50% über dem Wert der darunter liegenden.
Tab. 3.2.1: Altersspezifische Sterbeziffern 1995 | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|
Alter | Westen | Osten | ||||
Männer | Frauen | Männer | Frauen | |||
je 100.000 Männer bzw. Frauen | ||||||
Insgesamt | 1.017,1 | 1.116,2 | 1.104,4 | 1.190,3 | ||
unter 1 | 587,5 | 457,7 | 606,4 | 508,1 | ||
1 bis 4 | 33,7 | 26,0 | 43,7 | 27,5 | ||
5 bis 9 | 15,3 | 14,1 | 19,6 | 15,7 | ||
10 bis 14 | 17,0 | 12,5 | 20,5 | 13,8 | ||
15 bis 19 | 67,2 | 30,6 | 101,0 | 40,1 | ||
20 bis 24 | 94,8 | 34,1 | 129,2 | 41,0 | ||
25 bis 29 | 94,9 | 37,2 | 117,5 | 40,0 | ||
30 bis 34 | 115,8 | 53,5 | 173,4 | 66,9 | ||
35 bis 39 | 171,6 | 85,1 | 282,6 | 103,4 | ||
40 bis 44 | 265,9 | 143,7 | 401,2 | 163,4 | ||
45 bis 49 | 399,5 | 213,7 | 559,7 | 246,4 | ||
50 bis 54 | 658,5 | 342,1 | 833,0 | 343,5 | ||
55 bis 59 | 1.023,4 | 479,3 | 1.312,1 | 530,7 | ||
60 bis 64 | 1.707,4 | 780,4 | 2.134,8 | 912,1 | ||
65 bis 69 | 2.737,4 | 1.288,6 | 3.239,0 | 1.528,9 | ||
70 bis 74 | 4.333,2 | 2.236,1 | 4.965,5 | 2.754,5 | ||
75 bis 79 | 6.797,7 | 3.930,9 | 7.619,3 | 4.703,5 | ||
80 bis 84 | 11.256,1 | 7.418,9 | 13.131,2 | 8.705,2 | ||
85 bis 89 | 17.693,8 | 13.416,5 | 19.801,0 | 14.855,7 | ||
über 89 | 26.552,4 | 24.239,5 | 31.895,1 | 25.333,8 | ||
Quelle: StBA, Todesursachenstatistik. |
Weitere Informationen zum Thema Altersspezifische Sterbeziffern
Da die rohe Sterbeziffer nicht nur von den altersspezifischen
Sterblichkeiten, sondern auch vom Altersaufbau der jeweiligen Bevölkerung abhängt, ist
sie für einen zeitlichen oder regionalen Vergleich der Sterblichkeit ungeeignet.
Außerdem bringt sie die Übersterblichkeit der Männer nicht zum Ausdruck, die sich an
allen altersspezifischen Sterbeziffern ablesen
läßt (vgl.Tab. 3.2.1).
Deshalb bezieht
man die Sterbehäufigkeiten in den einzelnen Altersgruppen auf eine Referenzbevölkerung.
Deren Altersaufbau wird für alle in den Vergleich einbezogenen Jahre oder Regionen
konstant gehalten, so daß die sich dann ergebende altersstandardisierte Sterbeziffer nur
noch Änderungen der Sterblichkeit widerspiegelt. In diesem Bericht liegt allen
standardisierten Angaben die neue Europastandardbevölkerung als Referenz zugrunde. In den
Altersgruppen werden für Männer und Frauen gleiche Gewichte verwendet; deshalb lassen
diese standardisierten Sterbeziffern keine unmittelbaren Rückschlüsse auf die Zahl der
gestorbenen Männer und Frauen mehr zu.
1995 betrug die standardisierte Sterberate für Männer in Deutschland
1.204,6 je 100.000 Einwohner; im Osten lag sie mit 1.385,7 deutlich höher
als im Westen mit 1.165,9. Bei den Ländern wies Baden-Württemberg mit 1.085,2
den niedrigsten und Mecklenburg-Vorpommern mit 1.499,4 den höchsten Wert auf.
Zwischen den Ländern im Osten war die regionale Variation größer als zwischen jenen im
Westen.
Die Frauen in Deutschland wiesen 1995 eine standardisierte Sterbeziffer
von 718,6 je 100.000 Einwohner auf. Auch hier war der Wert im Osten mit 804,4 höher
als jener im Westen mit 699,3. Die Unterschiede zwischen den Ländern sind jedoch deutlich
geringer ausgeprägt als bei den Männern; in Baden-Württemberg wird mit 647,8 wiederum
der niedrigste und in Mecklenburg-Vorpommern mit 846,3 der höchste Wert registriert.
Seit 1980 hat die Sterblichkeit im Westen bei Männern und Frauen
jeweils um rund ein Viertel abgenommen; im Osten war der Rückgang bei den Frauen weitaus
stärker, bei den Männern hingegen schwächer ausgeprägt.
Eine wesentliche Ursache des geringeren Rückgangs bei den Männern im
Osten dürfte der Anstieg der Sterblichkeit in den Jahren 1990 und 1991 sein (vgl.
Abb. 3.2.1), der vor allem auf die Zunahme der
Verkehrsunfälle zurückzuführen war.
Abb. 3.2.1: Entwicklung der Sterblichkeit | ||
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Quelle: StBA, Todesursachenstatistik.
Die Sterbeziffern sind auf die neue Europastandardbevölkerung standardisiert. |
Weitere Informationen zum Thema Entwicklung der Sterblichkeit
Bezogen auf die Europastandardbevölkerung liegt die
altersstandardisierte Sterblichkeit der Männer in Deutschland 1995 um 67,6% über jener
der Frauen. Im Osten ist dieser Unterschied mit 72,2% noch deutlicher ausgeprägt als im
Westen mit 66,7%.
Die Entwicklung des standardisierten durchschnittlichen Sterbealters in
Abb. 3.2.2 zeigt eine langsame und stetige
Zunahme, d.h. der Schwerpunkt des
Mortalitätsgeschehens verschiebt sich auf die Älteren. 1995 lag dieses Sterbealter im
Westen für Männer bei 72,7 und für Frauen bei 74,9 Jahren. Die Werte im Osten lagen bis
Anfang der neunziger Jahre über denen im Westen. 1990 sank das Sterbealter vor allem bei
den Männern deutlich ab (vgl. Kapitel 4.18
Verkehrsunfälle
).
Abb. 3.2.2: Durchschnittliches Sterbealter | ||
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Quelle: StBA, Todesursachenstatistik.
Das durchschnittliche Sterbealter ist auf die neue Europastandardbevölkerung standardisiert. |
Weitere Informationen zum Thema Durchschnittliches Sterbealter
Verlust an Lebensjahren
Bei der Analyse des Verlusts an Lebensjahren rücken die Todesfälle in den unteren und
mittleren Altersgruppen in das Zentrum des Interesses. Die in
der OECD und WHO vertretenen
Länder haben sich darauf verständigt, Sterbefälle im Alter zwischen 1 und 69 Jahren als
ungewöhnlich anzusehen und mit dem Indikator "Verlorene Lebensjahre durch Tod unter 70 Jahren
je 100.000 Einwohner" gesondert darzustellen. 1995 fielen in Deutschland mit 30,7% weniger
als ein Drittel aller Sterbefälle in das für die verlorenen Lebensjahre festgelegte Altersspektrum.
Die Situation ist in allen entwickelten Industriestaaten ähnlich.
Seit 1970 gehen die auf die Europastandardbevölkerung standardisierten verlorenen Lebensjahre im Westen
deutlich zurück (vgl.Abb. 3.2.3).
Die Werte für 1995 waren nur etwa halb so hoch wie die für 1970. Im Osten ist von 1980 bis 1995 gleichfalls ein Rückgang
zu verzeichnen. Er wurde allerdings 1990 durch einen Anstieg unterbrochen, der vor allem bei den Männern länger anhielt.
Noch immer ist die mit den verlorenen Lebensjahren gemessene vorzeitige Sterblichkeit bei den Männern weitaus
stärker ausgeprägt als bei den Frauen. Mit den auf die Europastandardbevölkerung standardisierten Werten des
Jahres 1995 von 6.797 je 100.000 Einwohner bei den Männern und 3.395 bei den Frauen liegt Deutschland
innerhalb der EU-Länder auf einem der hinteren Plätze.
Abb. 3.2.3: Verlorene Lebensjahre | ||
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Quelle: StBA, Todesursachenstatistik.
Die verlorenen Lebensjahre sind auf die neue Europastandardbevölkerung standardisiert und beziehen sich auf die unter 70jährigen. |
Weitere Informationen zum Thema Verlorene Lebensjahre
Die Variation innerhalb Deutschlands entspricht größtenteils der durch die mit den standardisierten Sterbeziffern beschrieben Situation. Baden-Württemberg weist mit 5.819 bei den Männern und 3.002 bei den Frauen die niedrigsten Werte auf, Mecklenburg-Vorpommern mit 10.479 bzw. 4.000 die höchsten.
Vermeidbare Sterblichkeit
Der Indikator "vermeidbare Sterbefälle je 100.000 Einwohner" faßt die Sterblichkeit an bestimmten Todesursachen
für vorgegebene Altersgruppen zusammen. In dieser Kombination beschreibt sie nach Auffassung von Experten Sterbefälle,
die bei angemessener medizinischer Versorgung vermeidbar gewesen wären. Ein niedriger Indikatorwert erlaubt Rückschlüsse
auf eine qualitativ hochwertige medizinische Betreuung.
Es gibt eine Reihe konkurrierender Ansätze bei der Definition von vermeidbarer Sterblichkeit. Im folgenden wird die vom
Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen 1987 vorgeschlagene Abgrenzung
verwendet (vgl.Tab.3.2.2).
1995 waren in Deutschland 1,7% aller Sterbefälle als medizinisch vermeidbar einzustufen. Der höchste Wert wurde
mit 2,1% in Ostberlin registriert, der niedrigste mit 1,3% in Schleswig-Holstein und in Hamburg. Vermeidbare Sterbefälle
haben bei Männern mit 2,1% generell einen größeren Anteil an der Sterblichkeit als bei Frauen mit 1,4%.
Wären alle vermeidbaren Sterbefälle 1995 auch tatsächlich vermieden worden, dann wäre die Lebenserwartung in Deutschland
bei den Frauen um gut 7 Monate (0,6 Jahre) und bei den Männern um 8 Monate (0,7 Jahre) höher gewesen. Im Ländervergleich
wäre der Zuwachs an Lebenserwartung bei den Männern im Saarland (0,9 Jahre) am höchsten und in Hessen sowie in Hamburg
(0,6 Jahre) am niedrigsten ausgefallen; bei den Frauen liegt die Spanne zwischen Sachsen (0,8 Jahre) und
Hessen bzw. Schleswig-Holstein (jeweils 0,5 Jahre).
Tab. 3.2.2: Vermeidbare Sterbefälle nach dem Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen | ||||
---|---|---|---|---|
Krankheitsart | ICD-Position | Alter | ||
- ohne Krankheitsbezug | ||||
perinatale Sterbefälle |
- |
unter 1 | ||
I Infektiöse und parasitäre Krankheiten | ||||
Tuberkulose | 010 bis 018, 137 | 5 bis 64 | ||
II Neubildungen | ||||
bösartige Neubildung des Gebärmutterhalses | 180 | 5 bis 64 | ||
Hodgkin-Krankheit | 201 | 5 bis 34 | ||
VII Herz-Kreislauf-Krankheiten | ||||
chronische rheumatische Herzkrankheiten | 393 bis 398 | 5 bis 44 | ||
Bluthochdruck | 401 bis 405 | 5 bis 64 | ||
Krankheiten des zerebrovaskulären Systems | 430 bis 438 | 5 bis 64 | ||
IX Krankheiten der Verdauungsorgane |
|
|||
Appendizitis | 540 bis 543 | 5 bis 64 | ||
Gallensteinleiden, Gallenblasen und Gallengangentzündung | 574 bis 576 | 5 bis 64 | ||
XI
Komplikationen der Schwangerschaft,
bei Entbindung und im Wochenbett |
||||
Müttersterbefälle | 630 bis 676 | 15 bis 50 | ||
Quelle: Eigene Darstellung. |
Weitere Informationen zum Thema Vermeidbare Sterbefälle nach dem Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen
Abb. 3.2.4: Veränderung der Lebenserwartung bei Ausschluß medizinisch vermeidbarer Sterbefälle | ||
---|---|---|
|
||
Quelle: StBA, Todesursachenstatistik. |
Abb. 3.2.4 verdeutlicht, daß sowohl im Westen wie im Osten seit 1980 erhebliche Fortschritte bei der Bekämpfung vermeidbarer Sterblichkeit eingetreten sind. Damals hätte sich die Lebenserwartung ohne diese Sterbefälle bei den Männern um mehr als 1,4 Jahre und bei den Frauen um knapp 1,3 Jahre steigern lassen; das ist jeweils mehr als das Doppelte des Wertes von 1995.
Entwicklung der Lebenserwartung
Mittlere Lebenserwartung
Die mittlere Lebenserwartung hat sich als Begriff für die fernere
Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt eingebürgert.
Die fernere Lebenserwartung wird aus einer Sterbetafel berechnet und
ist prinzipiell für jedes dort ausgewiesene Alter darstellbar. In internationalen
Vergleichen wird sie häufig für 20, 40, 60 und 80 Jahre dargestellt. Die Entwicklung der
ferneren Lebenserwartung für einzelne Lebensjahre über die Zeit zeigt, in welchen
Altersgruppen sich die Sterblichkeit überproportional verringert hat.
Im Westen hat die mittlere Lebenserwartung von 1965 bis 1995 bei den
Männern um 6,2 und bei den Frauen um 6,4 Jahre zugenommen, im Osten war es mit
3,2 bzw.
5,6 Jahren deutlich weniger (vgl. auch Abb. 3.2.5).
Bis 1974 unterschieden sich die
Werte für Frauen im Osten und Westen um höchstens 0,4 Jahre. Vor 1976 hatten die Männer
im Osten eine höhere Lebenserwartung als im Westen; 1971 lag der Unterschied bei mehr als
einem Jahr. Seitdem sind die Werte im Westen zügig angestiegen, während sie im Osten nur
langsam wuchsen und Mitte der achtziger Jahre unverändert
blieben (vgl.Abb. 3.2.5).
Abb. 3.2.5: Mittlere Lebenserwartung | ||
---|---|---|
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Quelle: StBA, Todesursachenstatistik. |
Frauen leben in allen entwickelten Ländern länger als Männer. Im
Osten hat sich dieser Unterschied in den letzten 30 Jahren vergrößert; 1965 lag der
Abstand noch bei 5,0 Jahren, 1995 waren es schon 7,3 Jahre. Im Westen blieb der Abstand
dagegen weitgehend konstant: 1965 lebten Frauen 5,8 Jahre länger als Männer, 1995 waren
es 6,3 Jahre.
1990 nahm die Lebenserwartung im Osten ab; bei den Frauen war der
Rückgang nur gering, bei den Männern machte er fast ein Jahr aus. Seither steigt die
Lebenserwartung im Osten schneller als im Westen, vor allem bei den Frauen (vgl.
Abb. 3.2.5).
In Deutschland ist der Anstieg der Lebenserwartung in der zweiten Hälfte
dieses Jahrhunderts auf zwei unterschiedliche Gründe zurückzuführen. Bis 1970 hatte
die sinkende Säuglingssterblichkeit einen dominierenden Einfluß, da die fernere
Lebenserwartung in den höheren Altersgruppen sehr viel weniger anstieg als die bei der
Geburt oder sogar unverändert blieb. Dieser Sachverhalt war bei den Männern noch weitaus
stärker ausgeprägt als bei den Frauen (vgl.Tab. 3.2.3).
Im Westen steigt die Lebenserwartung der Männer erst seit 1970 in
allen Altersgruppen in vergleichbarem Umfang, im Osten sogar erst seit 1980. Seit dieser
Zeit sinkt die Sterblichkeit über das gesamte Altersspektrum hinweg in entsprechendem
Umfang.
Tab. 3.2.3: 10-Jahres-Veränderung der ferneren Lebenserwartung | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|
Geschlecht Alter | 1970 | 1980 | 1990 | 1995 | ||
in Jahren | ||||||
Westen | ||||||
Männer | ||||||
bei Geburt | 0,55 | 2,47 | 2,79 | 2,24 | ||
mit 20 Jahren | -0,13 | 1,41 | 2,08 | 1,83 | ||
mit 40 Jahren | -0,14 | 1,17 | 1,86 | 1,81 | ||
mit 60 Jahren | -0,18 | 1,13 | 1,35 | 1,43 | ||
mit 80 Jahren | 0,12 | 0,48 | 0,34 | 0,65 | ||
Frauen | ||||||
bei Geburt | 1,44 | 2,80 | 2,40 | 1,96 | ||
mit 20 Jahren | 0,80 | 2,01 | 1,83 | 1,61 | ||
mit 40 Jahren | 0,68 | 1,90 | 1,71 | 1,54 | ||
mit 60 Jahren | 0,64 | 1,63 | 1,41 | 1,39 | ||
mit 80 Jahren | 0,31 | 0,86 | 0,66 | 0,80 | ||
Osten | ||||||
Männer | ||||||
bei Geburt | 1,61 | 0,57 | 0,52 | 1,69 | ||
mit 20 Jahren | -0,28 | -0,01 | 0,10 | 1,25 | ||
mit 40 Jahren | -0,32 | -0,08 | 0,37 | 1,37 | ||
mit 60 Jahren | -0,34 | 0,16 | 0,76 | 1,47 | ||
mit 80 Jahren | 0,13 | -0,16 | 0,51 | 0,93 | ||
Frauen | ||||||
bei Geburt | 1,96 | 1,29 | 1,64 | 3,16 | ||
mit 20 Jahren | 0,46 | 0,69 | 1,35 | 2,83 | ||
mit 40 Jahren | 0,21 | 0,61 | 1,34 | 2,76 | ||
mit 60 Jahren | 0,09 | 0,50 | 1,23 | 2,51 | ||
mit 80 Jahren | 0,12 | 0,21 | 0,88 | 1,56 | ||
Quelle: StBA, Todesursachenstatistik. |
Dies dürfte auf eine generelle Verbesserung der Lebensqualität und der medizinischen Versorgung zurückzuführen sein. Deshalb wird die Entwicklung wohl auch in den nächsten Jahren anhalten. Deutschland hat die im Rahmen des WHO-Programms "Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000" getroffene Vereinbarung bereits erfüllt, die mittlere Lebenserwartung solle im Jahr 2000 mindestens 75 Jahre betragen. Schon 1992 lag sie bei insgesamt 76,0 Jahren.
Unterschiede zwischen den Ländern
Mit der höchsten mittleren Lebenserwartung können Männer und Frauen in Baden-Württemberg rechnen, die niedrigsten Werte weist bei den Männern Mecklenburg-Vorpommern und bei den Frauen Sachsen-Anhalt auf (vgl.Tab. 3.2.4). Die gesamte Bandbreite beträgt in Deutschland 1995 bei den Männern 5,2 und bei den Frauen 2,9 Jahre. Berlin nimmt im Ländervergleich eine besondere Stellung ein; es hat die niedrigste Lebenserwartung im Westen und die höchste im Osten. Allerdings sind auch die Unterschiede zwischen dem ehemaligen West- bzw. Ostteil der Stadt beträchtlich. Männer leben in Ostberlin 1,4, Frauen 0,5 Jahre länger als in Westberlin.
Tab. 3.2.4: Mittlere Lebenserwartung 1995 | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|
Land | Lebens- erwartung | Abweichung vom Durchschnitt | ||||
Männer | Frauen | Männer | Frauen | |||
in Jahren | ||||||
Deutschland | 73,26 | 79,75 | 0,00 | 0,00 | ||
Baden-Württemberg | 74,71 | 80,88 | 1,45 | 1,14 | ||
Bayern | 74,10 | 80,22 | 0,84 | 0,47 | ||
Berlin | 72,27 | 78,97 | -0,99 | -0,78 | ||
Brandenburg | 70,87 | 78,58 | -2,39 | -1,17 | ||
Bremen | 72,46 | 79,41 | -0,80 | -0,34 | ||
Hamburg | 73,70 | 79,90 | 0,44 | 0,15 | ||
Hessen | 74,16 | 80,13 | 0,90 | 0,38 | ||
Mecklenburg-Vorpommern | 69,52 | 78,03 | -3,74 | -1,71 | ||
Niedersachsen | 73,43 | 79,83 | 0,17 | 0,08 | ||
Nordrhein-Westfalen | 73,36 | 79,79 | 0,10 | 0,05 | ||
Rheinland-Pfalz | 73,87 | 79,98 | 0,60 | 0,24 | ||
Saarland | 72,52 | 79,28 | -0,74 | -0,47 | ||
Sachsen | 71,86 | 78,99 | -1,40 | -0,76 | ||
Sachsen-Anhalt | 70,62 | 78,01 | -2,64 | -1,74 | ||
Schleswig-Holstein | 73,87 | 79,76 | 0,61 | 0,01 | ||
Thüringen | 71,50 | 78,43 | -1,76 | -1,32 | ||
Quelle: StBA, Todesursachenstatistik. |
Lebenserwartung im Vergleich
Im EU-Vergleich liegt Deutschland bei der Lebenserwartung im Mittelfeld. 1995 führte bei den Männern Schweden mit 76,2 Jahren, bei den Frauen Frankreich mit 81,9; der Abstand zur Lebenserwartung in Deutschland machte 2,9 bzw. 2,8 Jahre aus. Innerhalb der sieben führenden Wirtschaftsmächte (G7) belegt Deutschland den vorletzten Platz vor den USA. Hier liegt Japan mit 76,4 bzw. 82,8 Jahren unangefochten an der Spitze, der Rückstand Deutschlands beträgt 3,1 bzw. 3,8 Jahre.
Ausblick
In den letzten 30 Jahren hat die Sterblichkeit in Deutschland
kontinuierlich ab- und die Lebenserwartung zugenommen. Dieser große Fortschritt hat viele
Ursachen: Der deutliche Rückgang der Zahl von Verkehrstoten im langfristigen Verlauf vor
allem im Westen ist auf Anstrengungen zur Erhöhung der aktiven und passiven Sicherheit
zurückzuführen, die geringe Säuglingssterblichkeit
und z.B. steigende Überlebensraten
von Herzinfarkt sind Verdienste des Gesundheitswesens. Gleichwohl zeigen die
fortbestehenden regionalen Unterschiede - insbesondere zwischen Westen und Osten - ein
erhebliches Potential zur weiteren Steigerung der Lebenserwartung. Dies wird von dem
beträchtlichen Abstand Deutschlands auf die in der Lebenserwartung führenden Länder in
der Welt noch unterstrichen.
Die internationale Diskussion zur Sterblichkeit und Lebenserwartung
weist zwei thematische Schwerpunkte auf:
- Kann die Lebenserwartung in den führenden Ländern weiter steigen oder erreicht sie eine biologische Grenze?
- Muß der einzelne eine weiter steigende Lebenserwartung mit mehr Jahren von Krankheit und Siechtum erkaufen, oder kann er hoffen, mehr Jahre in guter Gesundheit zu verbringen?
Bislang ist diese Diskussion noch nicht sehr weit fortgeschritten. Es gibt noch keine allgemein anerkannten Indikatoren, um eine "Lebenserwartung bei guter Gesundheit" zu messen, jedoch vereinzelte Ansätze. Die Mitgliedsländer der OECD sind 1997 übereingekommen, diesen Fragen in den nächsten Jahren eine verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen. Nach ersten Untersuchungen für Deutschland für die Jahre 1986, 1992 und 1995 können Männer und Frauen davon ausgehen, daß sie mehr als 90% ihrer Lebenserwartung in einem Gesundheitszustand verbringen können, der sie in ihren täglichen Aktivitäten nicht einschränkt, und zwischen 80% und 85% in einem Gesundheitszustand, den sie selbst als zufriedenstellend oder besser einschätzen (vgl. Brückner [1998]). Die deutschen Zahlen deuten darauf hin, daß sich Lebenserwartung und beschwerdefreie Lebenserwartung weitgehend parallel entwickeln werden.
Vertiefende Literatur
Brückner, G. [1993]: Todesursachen 1990/91 im vereinten Deutschland. In: Wirtschaft und Statistik 4/93, S. 257 bis 278.
Brückner, G. [1998]: Health Expectancy in Germany: What Do We Learn From the Reunification Process? Tokyo: Nihon University Population Research Institute.
Casper, W.; Wiesner, G.; Bergmann, K.E. (Hrsg.) [1995]: Mortalität und Todesursachen in Deutschland . Berlin: RKI (RKI-Heft 10/95).
Organisation for Economic Co-operation and Development [1998]: OECD Gesundheitsdaten 1998: Vergleichende Analyse von 29 Ländern . Paris: OECD.
Paul, C. [1992]: Sterblichkeit im regionalen Vergleich: Allgemeine Sterbetafeln der elf alten Bundesländer. In: Wirtschaft und Statistik 2/92, S. 82 bis 87.
Kapitel 3.2Allgemeine Sterblichkeit und Lebenserwartung [Gesundheitsbericht für Deutschland 1998]
1) Weitere Information zu diesem Thema aus Gesundheit in Deutschland 2006
[Gesundheitliche Lage (Einleitung/Überblick)] [Sterblichkeit nach ausgewählten Todesursachen, Kapitel 3.3] [Abstrakt] [Inhaltsverzeichnis] [Literaturverzeichnis]
Gesundheitsberichterstattung des Bundes 30.03.2023