Arthrose, Kapitel 5.10 [Gesundheitsbericht für Deutschland, 1998]
[Colon-/Rektumkarzinom, Kapitel 5. 9] [Dorsopathien, Kapitel 5.11] [Abstrakt] [Inhaltsverzeichnis] [Literaturverzeichnis]
5.10 Arthrose1)
Arthrosen, die im allgemeinen Sprachgebrauch auch "Verschleißrheumatismus" von Gelenken
genannt werden, gehören zu den häufigsten und volkswirtschaftlich bedeutendsten chronischen Krankheiten von
Erwachsenen, insbesondere im höheren Alter.
In Deutschland leiden gegenwärtig etwa 5 Mio. Menschen unter arthrosebedingten
Gelenkbeschwerden. Betrachtet man den Zeitraum der letzten Monate, so hatten schätzungsweise 15 Mio. Menschen
zumindest zeitweise Beschwerden. Wegen der sich verschiebenden Altersstruktur wird die Häufigkeit der Arthrose in
Zukunft voraussichtlich zunehmen.
Betroffen sind vor allem die Hüft- und Kniegelenke sowie die Wirbelsäule. Durch Schmerzen
und Funktionseinschränkungen ist die Lebensqualität und oft auch die Erwerbsfähigkeit der Betroffenen
beeinträchtigt. Die Fähigkeit zur unabhängigen Lebensführung ist insbesondere im höheren Alter
gefährdet. Die Krankheit ist i.a. fortschreitend und nicht heilbar. Die medizinischen
Behandlungsmöglichkeiten haben sich aber in den letzten Jahren entscheidend weiterentwickelt. Prävention ist
teilweise möglich.
Volkswirtschaftliche Bedeutung erlangt die Arthrose u.a. als eine der führenden
Krankheitsgruppen bei den Arbeitsunfähigkeitstagen, den Frühberentungen, bei Rehabilitationsmaßnahmen
und Krankenhausbehandlungen.
Krankheitsbild und Hauptformen
Arthrosen, genauer gesagt Osteoarthrosen, sind
degenerative Gelenkerkrankungen. Die Krankheit ist durch eine mechanische Abnutzung des Gelenkknorpels und der
gelenkbildenden Binde- und Stützgewebe gekennzeichnet. Außerdem verändern sich der darunterliegende
Knochen und die Gelenkkapsel. Die Ursache ist noch nicht vollständig geklärt. Sie liegt wahrscheinlich in
einer mechanischen Überlastung der Gelenkteile. Klinisch macht sich die Arthrose vor allem durch Gelenkschmerzen
und eine Einschränkung der Beweglichkeit bemerkbar, im weiteren Verlauf dann auch in einer zunehmenden
körperlichen Behinderung. Grundsätzlich ist die Arthrose eine Erkrankung des höheren Lebensalters. Da
Abbauerscheinungen im Bereich der Gelenke auch zum natürlichen Alterungsprozeß gehören, ist eine genaue
Abgrenzung zwischen Arthrosekrankheit und Alterserscheinungen häufig sehr schwer. Die Arthrose verläuft
schubweise, zwischen Zeiten mit Beschwerden (aktivierte bzw. dekompensierte Form der Arthrose) liegen immer wieder
relativ beschwerdefreie Intervalle (stumme bzw. kompensierte Arthrose).
Die belastungsabhängigen Gelenkschmerzen führen i.a. zur körperlichen
Funktionseinschränkung, im weiteren Verlauf treten auch Ruheschmerzen und Durchschlafstörungen auf. Die
Behandlung erfolgt zunächst mit Schmerzmedikamenten und Physiotherapie bzw. Krankengymnastik. Bei
fortgeschrittenen Formen ist oft ein Krankenhausaufenthalt für intensive rehabilitative Maßnahmen oder eine
Operation notwendig. Operative Verfahren reichen von der Gelenkspiegelung (Arthroskopie) bis zum künstlichen
Gelenkersatz. Die Arthrose ist der bei weitem häufigste Grund für Gelenkersatzoperationen der Hüft- und
Kniegelenke.
Grundsätzlich kann jedes Gelenk von einer Arthrose betroffen werden. Wegen der hohen
mechanischen Belastung sind jedoch vor allem die großen Gelenke der Beine (Hüft- und Kniegelenke) sowie die
Wirbelsäule befallen. Sehr häufig, funktionell jedoch kaum einschränkend sind Arthrosen der
Fingergelenke. Wenn Hüft- bzw. Knie- sowie Fingergelenke betroffen sind, spricht man von einer generalisierten
Arthrose. Für alle Lokalisationen gilt, daß die Krankheit meistens fortschreitet und eine Heilung
prinzipiell nicht möglich ist.
Es werden primäre und sekundäre Krankheitsformen der Arthrose unterschieden.
- Bei den primären Formen ist die Krankheitsursache nicht bekannt, wobei zur Zeit u.a. eine genetische Veranlagung vermutet wird. Neben den großen Gelenken der Beine und Arme sind vor allem die Fingergelenke betroffen.
- Die sekundären Arthrosen entstehen vor allem im Anschluß an eine mechanische Gelenkschädigung, z.B. nach Unfällen, Knochenbrüchen oder durch eine extreme berufliche Belastung wie Arbeiten mit dem Preßlufthammer. Betroffen sind auch übergewichtige Patienten mit erhöhter mechanischer Gelenkbelastung. Achsfehlstellungen der Beine und angeborene Fehlbildungen können ebenfalls eine Arthrose nach sich ziehen.
Risikofaktoren
In Tab. 5.10.1 sind die Risikofaktoren für die Entstehung einer Arthrose dargestellt, die in Studien beschrieben sind.
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Tab. 5.10.1: Risikofaktoren für das Entstehen einer Arthrose |
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Gesichert | Wahrscheinlich | Fraglich |
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Quelle: Eigene Darstellung. |
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Übergewicht verursacht bei Frauen ein ungefähr doppelt so hohes Risiko für
Kniearthrose, bei Männern ein anderthalbfaches. Vermutet wird eine häufigere Arthrose bei Frauen durch
Hormoneinnahme nach der Menopause.
Sowohl Gelenkverletzungen als auch eine ständig wiederholte Gelenkbelastung gelten als Ursache
für Arthrose. So führen Meniskus- oder Bänderverletzungen im Bereich des Kniegelenkes sowie gelenknahe
Knochenbrüche später häufig zu einer Arthrose. Gleiches gilt für wiederholte, einseitige
Belastungen bestimmter Gelenke bei bestimmten Berufsgruppen. Für Berg-, Hafen- und Schiffbauarbeiter und auch
andere Tätigkeitsfelder wird ein zwei- bis dreifaches Erkrankungsrisiko für Arthrose an Hüften und Knien
gegenüber körperlich wenig belastenden Berufen angenommen. Für Landwirte mit mehr als zehnjähriger
Tätigkeit wird sogar ein neunfaches Risiko beschrieben.
Viele Risikofaktoren lassen sich abmildern, wenn sie rechtzeitig erkannt werden, so daß das
Auftreten einer (sekundären) Arthrose zumindest zeitlich verzögert wird.
Verbreitung
Der Bestand an Arthrosekranken in Deutschland und
die Zahl der Neuerkrankungen können zur Zeit nur aus repräsentativen Bevölkerungsbefragungen und aus
Leistungsdaten des Gesundheitswesens geschätzt werden. Die Feststellung der Arthrosehäufigkeit mittels
Befragung ist jedoch nur von eingeschränkter Aussagefähigkeit, da die Diagnose der Arthrose
grundsätzlich durch bildgebende Verfahren (Röntgen) gesichert werden muß.
Repräsentative Bevölkerungsuntersuchungen, bei denen eine Diagnosesicherung durch
Röntgenbilder vorgenommen wurde, existieren zur Zeit nur für das Ausland (z.B. Großbritannien,
Schweden, Niederlande, USA). Aufgrund von repräsentativen Daten der Gesundheitssurveys 1990 bis 1992 ist in
Deutschland von derzeit etwa 5 Mio. Menschen (6% der Bevölkerung) mit arthrosebedingten Beschwerden auszugehen.
Arthrosen machen dabei mindestens 40% aller Gelenkleiden aus.
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Abb. 5.10.1: Prävalenz von Gelenkbeschwerden und aktivierter Arthrose im Westen 1991 |
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Quelle: RKI, Gesundheitssurvey. In die Befragung sind Personen im Alter von 25 bis 69 Jahren einbezogen. Die Angaben zur Punktprävalenz der aktivierten Arthrose sind geschätzt. |
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Weitere Informationen zum Thema Prävalenz von Gelenkbeschwerden und aktivierter Arthrose
Abb. 5.10.1 zeigt, wieviel Prozent der befragten 25 bis 69jährigen Personen zum Zeitpunkt der Befragung an einer Gelenkerkrankung, darunter Arthrose, litten. Offensichtlich ist eine zunehmende Krankheitshäufigkeit im Alter und ein häufigeres Auftreten bei Frauen. Für einen Ost-West-Vergleich wurden die aus den Befragungen geschätzten Anteile von jemals an Arthrose Erkrankten gegenübergestellt (siehe Abb. 5.10.2).
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Abb. 5.10.2: Lebenszeitprävalenz von Arthrose 1991 | |
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Quelle: RKI, Gesundheitssurveys. Die Angaben zur Prävalenz der Arthrose sind geschätzt. |
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Die Häufigkeit von auf dem Röntgenbild nachweisbaren Arthrosen (manifeste und stumme Arthrosen) an verschiedenen Gelenken wurde in den Niederlanden untersucht (vgl. Abb. 5.10.3). Dies hieße auf Deutschland übertragen, daß bei 35 Mio. Menschen Abnutzungsschäden an einem oder mehreren Gelenken radiologisch nachweisbar wären. Bleibt das alters- und geschlechtsspezifische Vorkommen der Arthrose gleich, dann wird sich aufgrund der Bevölkerungsentwicklung die Zahl manifester Fälle bis 2000 um 3%, bis 2010 um 15% im Vergleich zu 1990 erhöhen.
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Abb. 5.10.3: Ausgewählte radiologisch nachweisbare Arthrosen |
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Quelle: Saase [1989]. Die Angaben beziehen sich auf die Niederlande. |
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Zu altersabhängigen jährlichen Neuerkrankungsraten an Arthrose gibt es für Deutschland keine verläßlichen Daten. Die in Abb. 5.10.4 dargestellten Risiken, innerhalb von zehn Jahren bzw. beim Durchlaufen der Altersgruppe zu erkranken, wurden aus den Bestandszahlen unter gewissen Voraussetzungen geschätzt.
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Abb. 5.10.4: Neuerkrankungsrisiko an einer radiologisch nachweisbaren Arthrose im Westen |
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Quelle: Eigene Berechnung nach Behrend [1977]. Das Neuerkrankungsrisiko bezieht sich auf einen Zeitraum von10 Jahren. |
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Ethnische und geographische Verbreitungsunterschiede von Arthrosen sind bekannt. Da das Auftreten der Arthrose stark altersabhängig ist, beeinflußt die bevölkerungsspezifische Altersstruktur das Vorkommen erheblich. Ebenso hängt die Häufigkeit stark von den Krankheitskriterien ab, die für die Erhebung verwendet werden (Beschwerden und/oder Diagnose nach dem Röntgenbild). Aus zwei amerikanischen Surveys (NHES und NHANES-I, 1971 bis 75) ergab sich für die USA, daß etwa ein Drittel der US-Bevölkerung zwischen 25 und 74 Jahren röntgenologische arthrosetypische Veränderungen an mindestens einem Gelenk hatte. Diese Erkrankungshäufigkeiten sind (unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Bevölkerungsstruktur) mit den Schätzungen für Deutschland vergleichbar.
Folgen
Gesundheitliche Folgen
Bis vor wenigen Jahrzehnten waren das
Angewiesensein auf einen Gehstock und die eingeschränkte Mobilität noch der häufige, sichtbare
Endzustand der Arthrosen an den Beinen. Weniger sichtbar, aber nicht minder häufig beeinträchtigten die
Abnutzungsschäden an Schulter, Hand- und Fingergelenken die notwendigen, oft schweren täglichen
Verrichtungen. Die Funktionsbehinderung eines Gelenkes kann zwar teilweise durch veränderte Bewegungsmuster beim
Greifen und Laufen ausgeglichen werden, führt dadurch aber zur unnatürlichen Belastung anderer Gelenke.
Dieses kann dann wiederum leichter zu Gelenkleiden führen.
Der Rückgang der augenfälligen Erkrankungsbilder ist zum einen auf die heute vorhandenen
technischen Hilfsmittel mit bequemen Transportmöglichkeiten, den Ersatz der körperlichen Schwerarbeit durch
Maschinen und die weit verbreitete moderne Haustechnik zurückzuführen. Zum anderen haben sich in den
vergangenen Jahren die medizinischen Behandlungs- und Rehabilitationsverfahren erheblich weiterentwickelt. Den
entscheidenden Durchbruch für die Schmerzbekämpfung und den Erhalt der Funktion von Hüft- und Kniegelenk
hat der künstliche Gelenkersatz gebracht. Nach Daten des schwedischen Hüft-Endoprothesen-Registers sind bei
78% eine primäre Arthrose, bei 11% eine sekundäre Arthrose nach Unfall bzw. Verletzung und bei 7%
entzündlich-rheumatische Gelenkleiden Grund für einen Hüftgelenkersatz.
Die Anzahl der jährlich in Deutschland implantierten Hüft-Endoprothesen wird auf
40.000 bis 100.000 geschätzt. Die Obergrenze ist aus Zahlen von Schweden und Frankreich abgeleitet, die Untergrenze
aus solchen von Großbritannien, wo die Operationsfrequenz wegen einer strikten Limitierung und langer Wartezeiten
jedoch sicher unter der Versorgungsnotwendigkeit liegt. Wegen der zu erwartenden Zunahme des Anteils Älterer an
der Bevölkerung ist eine steigende Operationszahl in Deutschland wahrscheinlich.
Zusammen mit der allgemein gestiegenen Lebenserwartung führen die neuen operativen
Therapiemöglichkeiten jedoch zu einer neuen Art von Krankheiten, die im wesentlichen Folgezustände der
operativen Behandlungen sind.
Hierbei sind vor allem Prothesenlockerungen und schwer behandelbare Infektionen zu nennen, die
Wechseloperationen der künstlichen Gelenk-Endoprothesen erfordern. Auf zehn neu eingesetzte
Hüft-Endoprothesen kommen inzwischen ein bis zwei Austauschoperationen. Hier sollte eine regelmäßige
Nachsorge mit einem zeitgemäßen Qualitätsmanagement verbunden werden, um Komplikationen und
beeinflußbare Risikofaktoren (Prothesendesign, Operationstechniken) herauszufinden.
Auswirkungen auf die Sterblichkeit
Degenerative Gelenkerkrankungen an sich verursachen keine Todesfälle. Allerdings können Todesfälle als Behandlungsfolge, z.B. wegen Komplikationen nach Operationen oder aufgrund von Medikamentennebenwirkungen, auftreten oder mit begleitenden Faktoren zusammenhängen. Nach Operationen zur Implantation eines künstlichen Hüftgelenkersatzes sterben in den ersten 30 Tagen etwa 1% der Operierten. Dieses Sterberisiko steigt bei den Hochbetagten auf über 8% an.
Soziale Folgen
Eine intakte Geh- und Greiffunktion sind Schlüsselfunktionen für Berufsausübung und Erwerbstätigkeit, die durch den Befall eines oder mehrerer Gelenke einer Funktionskette empfindlich gestört werden können.
Arthrose (ICD 9-Nr. 715) führte 1993 in Deutschland zu 188.405
Arbeitsunfähigkeitsfällen (AU-Fällen), die durchschnittlich 42 Tage dauerten, und damit zu insgesamt
7,96 Mio. AU-Tagen. Das entspricht 1,6% aller gemeldeten AU-Tage der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Wegen
eines erheblichen Anteils ungenau verschlüsselter Gelenkerkrankungen auf den AU-Bescheinigungen dürfte der
tatsächliche Anteil der Arthrosen an der AU sogar noch höher liegen. Bezogen auf die Zahl der
GKV-Pflichtmitglieder ohne Rentner ergeben sich 755 Fälle je 100.000 Pflichtmitglieder bei den Männern, 450
bei den Frauen.
Gelenkerkrankungen zählen neben Rückenbeschwerden, Herz- und seelischen Krankheiten zu den
Hauptursachen vorzeitiger Berentungen. Arthrosen verursachten 1995 in Deutschland 18.154 Frühberentungen, das sind
6,1% aller Erwerbsunfähigkeitsrenten, über dreimal soviel wie bspw. Diabetes.
Bezogen auf die Anzahl der Rentenversicherten war die Arthroseberentungshäufigkeit 1995 in
Deutschland im Vergleich zu 1985 (Westen) bei den Männern etwas höher, bei den Frauen in etwa gleich.
Leistungen und Kosten
Stationäre Behandlung
Für das Jahr 1995 wurden 224.106
Krankenhausfälle und ca. 4,4 Mio. Krankenhaustage wegen Arthrose ausgewiesen, das sind knapp 2,4% aller
Krankenhaustage.
Damit sind Arthrosen eine führende Einzeldiagnose bei den Krankenhausbehandlungen. Der
stationäre Aufenthalt ist in rund zwei Dritteln der Fälle mit einem operativen Eingriff verbunden (zu
Gelenkersatzoperationen siehe oben). Die durchschnittliche Verweildauer betrug im Jahr 1995 knapp 20 Tage.
1995 wurden von der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) 43.901 Rehabilitationsmaßnahmen
wegen Arthrose abgeschlossen. Dies entspricht 4,9% aller Rehabilitationsmaßnahmen im Jahr 1995. Arthrosen sind
somit zusammen mit anderen z.T. verwandten Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems in der diagnosebezogenen
Rehabilitationsstatistik führend. 1995 war die Zahl der Maßnahmen je 100.000 GRV-Versicherten im Vergleich
zu 1985 bei Männern etwas höher, bei Frauen etwas niedriger.
Ambulante Versorgung
Aus dem Osten liegen Zahlen zu medizinischen
Behandlungsfällen wegen Arthrose aus der Studie Zittau für 1987 bis 88 vor, die ambulante und stationäre
Behandlungen zusammenfassen. Demnach wurden 1% aller Behandlungsfälle bei Männern und 1,8% bei Frauen den
primären und sekundären Arthrosen zugerechnet. Dies entsprach jährlich 2.280 bzw. 5.070
Behandlungsfällen je 100.000 Einwohner. Die Zahlen ambulanter und stationärer Behandlungsfälle von
Arthrose standen dabei etwa im Verhältnis 30 : 1.
Auch im Westen spielen Gelenkleiden eine große Rolle bei der Inanspruchnahme der ambulanten
Versorgungsstrukturen. In der
E
rhebung über die
V
ersorgung im
a
mbulanten
S
ektor
(EVaS-Studie) 1981/82 fanden sich Knie-, Bein-, Hand-, Finger- und Schulterbeschwerden unter den 20 häufigsten
Hauptanliegen für einen Arztbesuch.
Dafür wurden in der Hälfte der Fälle Allgemeinmediziner und praktische Ärzte
aufgesucht, in gut einem Viertel Orthopäden. Krankheiten von Skelett, Muskeln und Bindegeweben waren mit 14% aller
Arztkontakte die führende Krankheitsgruppe. Im ambulanten Sektor kommen zur ärztlichen Betreuung neben der
medikamentösen Behandlung noch Heil- und Hilfsmittel, also Leistungen aus Krankengymnastik- und Massagepraxen
sowie Sachleistungen, wie z.B. Schuhanpassungen und Gehstöcke.
Kosten
Die gesamten direkten Kosten, die für Leistungen wegen Arthrose 1994 in Deutschland entstanden sind, werden auf 10,6 Mrd. DM geschätzt. Das sind gut 3% der gesamten direkten Krankheitskosten (siehe Kapitel 8.6 Kosten nach Krankheitsarten ).
Einrichtungen und Erwerbstätige
Die ärztliche Behandlung der Arthrose wird im
wesentlichen von Orthopäden und Allgemeinmedizinern bzw. praktischen Ärzten getragen. Die Forschung findet in
der Orthopädie, der Rheumatologie und weiteren an der Rehabilitation beteiligten Disziplinen statt. 1995 gab es in
Deutschland 6.431 berufstätige Ärzte für Orthopädie, davon 379 mit der Zusatzbezeichnung
Rheumatologie. 4.581 waren als niedergelassene Ärzte, 1.579 im Krankenhaus und 253 in sonstigen Bereichen
tätig. Hinzuzurechnen sind noch etwa 420 internistische Rheumatologen. Während sich die Prävention und
konservative Behandlung auf mehrere Fachgebiete verteilt, wird die operative Behandlung von der Orthopädie und den
chirurgischen Disziplinen vorgenommen. Wichtige Leistungen bei der Behandlung der Arthrose werden von
nichtärztlichen Heilberufen wie Krankengymnasten, Ergotherapeuten, Masseuren und medizinischen Bademeistern, sowie
von Orthopädietechnikern und Orthopädieschuhtechnikern erbracht.
1995 standen in den orthopädischen Fachabteilungen der Krankenhäuser 25.068 Betten zur
Verfügung, die u.a. zur Behandlung von Arthrosen genutzt wurden. Außerdem gab es 302 orthopädische
Fachabteilungen mit 39.948 Betten in Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen, die zu ca. 30% mit Arthrosepatienten
belegt waren.
Verbände und Gesellschaften
Die Deutsche Rheumaliga e.V. ist die Hilfs- und Selbsthilfeorganisation der von degenerativen Gelenkerkrankungen Betroffenen in Deutschland. In den Ländern ist die Rheumaliga durch Landesverbände vertreten, die wiederum örtliche Arbeitsgemeinschaften und Beratungsstellen aufgebaut haben. Auf ärztlicher Seite werden die degenerativen Gelenkerkrankungen durch die beiden großen Dachverbände der Orthopäden und Rheumatologen vertreten, die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie sowie die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie.
Prävention
Unter Berücksichtigung der bekannten
Risikofaktoren beruht eine Prävention der sekundären Arthrosen zunächst auf einer Verhütung von
Gelenkverletzungen, einer Vermeidung von Übergewicht sowie einer Verminderung von berufsbedingten, sich
wiederholenden Gelenkbelastungen durch ergonomische Maßnahmen. Daneben sind auch die Vorstufen zu
Gelenkschäden (Präarthrosen) behandlungsbedürftig. Dies kann bspw. die operative Behandlung einer
Verletzung (z.B. Meniskusschaden), die konservative oder operative Behandlung einer beginnenden Arthrose (z.B.
krankengymnastische Techniken oder operative Achskorrekturen), eine Ultraschall-Reihenuntersuchung der Hüften
neugeborener Kinder oder die Behandlung von Stoffwechselstörungen bedeuten. Die in Deutschland inzwischen in das
Programm über die Früherkennung von Krankheiten bei Kindern im Rahmen der GKV eingeführte
Ultraschall-Screening-Untersuchung auf Hüftfehlbildungen und deren hierdurch mögliche, rechtzeitige
Behandlung sind ein Beispiel für eine erfolgreiche Präventionsmaßnahme einer ansonsten sicheren
sekundären Hüftgelenkarthrose.
Die Vorbeugung bei der primären Arthrose besteht im Erkennen und Vermeiden eines
Mißverhältnisses zwischen der mechanischen Belastbarkeit eines Gelenkes und der tatsächlichen
Belastung.
Ziele, Empfehlungen, Forschungsbedarf
Die Arthrose zählt zu den großen
Volkskrankheiten dieses Jahrhunderts. Wegen der sich verschiebenden Altersstruktur der deutschen Bevölkerung wird
zudem vermutet, daß die Arthrose künftig eher zunehmen wird. Bislang ist es jedoch aufgrund der Datenlage
nur bedingt möglich, genaue Angaben über Häufigkeit und Konsequenzen der Arthrose in Deutschland zu
machen. Für den Problembereich der Arthrosen kommt daher der Erhebung von epidemiologischen Daten und von Angaben
zum "Outcome" von Behandlungen große Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang ist die Schaffung eines
standardisierten Zulassungsverfahrens für Gelenkprothesen sowie eine Verlaufskontrolle über ein
Prothesenregister nach skandinavischem Modell für ein modernes, ergebnisorientiertes Qualitätsmanagement
denkbar.
Die Arthrose ist bislang nicht heilbar; ein Screening ist nicht unproblematisch, weil es
Röntgenuntersuchungen erfordert. Eingriffe unter Zuhilfenahme von Gelenkspiegelungen (Arthroskopien) lassen sich
an vielen Gelenken erfolgreich durchführen. Diese sind als sog. minimal-invasive Verfahren (siehe Kapitel 7.12
Minimalinvasive
Verfahren
) auch bei älteren Menschen meist nur mit einem kurzen
Krankenhausaufenthalt verbunden und lassen für die Zukunft auf Alternativen zum künstlichen Gelenkersatz
hoffen.
Der Prävention sollte größerer Stellenwert eingeräumt werden. Beeinflussen
lassen sich Faktoren, die als Auslöser der Arthrose gelten wie z.B. Übergewicht; ebenso können mit einem
Verhaltens- und Trainingsprogramm Beschwerdereduktion und Leistungssteigerung erreicht werden.
Gelenkschutz am Arbeitsplatz verlangt das Erkennen von gelenkschädigenden Einflüssen und
eine ergonomisch sinnvolle Arbeitsplatzgestaltung unter Einbeziehung von arbeitsmedizinischer Expertise. Dieses
könnte durch die Ausbildung und den Einsatz von arbeitsmedizinisch besonders geschulten Krankengymnasten, bspw.
entsprechend den skandinavischen Arbeitsphysiotherapeuten, erheblich unterstützt werden.
Ein weiteres Hauptaugenmerk gilt der Prävention von körperlichen und sozialen
Konsequenzen. Die Arthrose ist kein schicksalhaftes Leiden. Hier kommt der ergebnisorientierten Rehabilitation und der
Bewertung von eingeführten und innovativen Behandlungsverfahren gerade auch im Hinblick auf den Erhalt einer
unabhängigen Lebensführung der älteren Menschen als wichtigem Gesundheitsziel eine entscheidende
Bedeutung zu.
Vertiefende Literatur
Behrend,T.; Lawrence, J.S. [1977]: Epidemiologie der rheumatischen Erkrankungen. In: Blohmke, M.; von Ferber, C.; Kisker, K.P.; Schaefer, H. (Hrsg.) [1977]: Handbuch der Sozialmedizin . Bd. 2. Stuttgart: Enke.
Lawrence, R.C.; Hochberg, M.C.; Kelsey, J.L.; McDuffie, F.C.; Medsger, T.A. Jr.; Felts, W.R.; Schulman, L.E. [1989]: Estimates of the Prevalence of Selected Arthritic and Musculoskeletal Diseases in the United States. In: Journal of Rheumatology 16, S. 427 bis 441.
Malchau, H.; Herberts, P.; Ahnfelt, L. [1993]: Prognosis of Total Hip Replacement in Sweden . In: Acta Orthopaedica Scandinavica Supplementum 64 (5), S. 497 bis 506.
Oliveria, S.A.; Felson, D.T.; Reed, J.I.; Cirillo, P.A.; Walker, A.M. [1995]: Incidence of Symptomatic Hand, Hip and Knee Osteoarthritis among Patients in a Health Maintenance Organization. In: Arthritis Rheumatism 38 (8), S. 1134 bis 1141.
Peyron, J.G. [1986]: Osteoarthritis: The Epidemiologic Viewpoint. In: Clinical Orthopaedics 213, S. 13 bis 19.
van Saase, J.; van Romunde, L.; Cats, A.; Vandenbroucke, J.; Valkenburg, H. [1989]: Epidemiology of Osteoarthritis. Zoetermeer Survey: Comparison of Radiological Osteoarthritis in a Dutch Population with that in 10 Other Populations. In: Annals Rheumatic Diseases 48, S. 271 bis 280.
Silman, A.J.; Hochberg, M.C. (Hrsg.) [1993]: Epidemiology of the Rheumatic Diseases . Oxford: Oxford University Press.
Kapitel 5.10 Arthrose [Gesundheitsbericht für Deutschland 1998]
1) Weitere Information zu diesem Thema aus Gesundheit in Deutschland 2006
[Colon-/Rektumkarzinom, Kapitel 5. 9] [Dorsopathien, Kapitel 5.11] [Abstrakt] [Inhaltsverzeichnis] [Literaturverzeichnis]
Gesundheitsberichterstattung des Bundes 25.09.2023