Rückenschmerzen [Gesundheitsberichterstattung - Themenhefte, Dezember 2012]
[Heft 52: Sterblichkeit, Todesursachen und regionale Unterschiede] [Heft 54: Arthrose] [Abstrakt] [Inhaltsverzeichnis]
Heft 53 - Rückenschmerzen
aus der Reihe "Gesundheitsberichterstattung des Bundes"
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek.
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie.
Herausgeber: |
Robert Koch-Institut
Nordufer 20 13353 Berlin (Berlin Dezember 2012) |
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Redaktion: |
Robert Koch-Institut
Gesundheitsberichterstattung Dr. Livia Ryl, Dr. Thomas Ziese General-Pape-Straße 62 12101 Berlin |
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Autor: |
Prof. Dr. med. Dr. phil. Heiner Raspe
Zentrum für Bevölkerungsmedizin und Versorgungsforschung, Universität zu Lübeck |
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Abonnentenservice: | Die Hefte »Gesundheitsberichterstattung des Bundes« können im Abonnement oder als einzelne Hefte kostenlos bezogen werden. |
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Zitierweise: |
Robert Koch-Institut (Hrsg) (2012)
Rückenschmerzen.
Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Heft 53. RKI, Berlin |
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Grafik/Satz: |
Gisela Winter
Robert Koch-Institut |
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Druck: |
Oktoberdruck Berlin
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ISBN:
ISSN: ISSN: |
978-3-89606-216-1
( Print) 1437-5478 (Internet) 2192-8851 |
Adressen: |
Robert Koch-Institut
Gesundheitsberichterstattung Postfach 650261 13302 Berlin Tel.: 030-18754-3400 Fax: 030-18754-3513 E-Mail: gbe@rki.de www.rki.de/gbe Statistisches Bundesamt, Zweigstelle Bonn Gruppe H 1 Gesundheit, Soziales Graurheindorfer Straße 198 53117 Bonn Tel.: 0228-99643-8121 Fax: 0228-99643-8996 E-Mail: gbe-bund@destatis.de www.gbe-bund.de |
Robert Koch-Institut in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt
Die politische und finanzielle Verantwortung für die Gesundheitsberichterstattung des Bundes liegt beim Bundesministerium für Gesundheit.
Inhaltsverzeichnis
1 | Einleitung |
---|---|
2 | Krankheitsbilder |
3 | Diagnostik |
4 | Risikofaktoren |
5 | Verlauf |
6 | Verbreitung |
7 | Komorbidität |
8 | Folgen |
9 | Therapie |
9.1 | Nicht-medikamentöse Therapie |
9.2 | Medikamentöse Therapie |
9.3 | Operative und andere eingreifende Verfahren |
10 | Versorgung |
11 | Prävention |
12 | Ausblick |
13 | Literatur |
14 | Glossar |
Tabellen mit Werten aus den Abbildungen 1 bis 4 |
1 Einleitung
Rückenschmerzen sind eine subjektive Erfahrung, zu der andere nur indirekt Zugang haben. Epidemiologie und medizinische Praxis sind daher auf spontane oder durch Fragen ausgelöste Berichte der Betroffenen angewiesen. Es gibt keinen Labortest und keine technisch unterstützte Untersuchung, die im Zweifelsfall Rückenschmerzen sicher belegen oder ausschließen könnten.
Weder in der medizinischen noch in der schönen Literatur des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts spielten Rückenschmerzen oder andere Rückenbeschwerden eine besonders wichtige Rolle. Heutzutage sind Rückenschmerzen und Krankheiten der Wirbelsäule (sogenannte Dorsopathien; synonym: Rückenleiden) in Deutschland und vergleichbaren Ländern eine Gesundheitsstörung von herausragender epidemiologischer, medizinischer und gesundheitsökonomischer Bedeutung. So sind Rückenleiden ein besonders häufiger Grund für die Inanspruchnahme des medizinischen Versorgungssystems, Arbeitsunfähigkeit und Renten wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung.
Aber wo ist "der Rücken" und was sind "Schmerzen"? Die zweite Frage ist kaum zu beantworten, da das Schmerzverständnis variiert; von Person zu Person; und je nach sozialer oder ethnischer Gruppe existieren unterschiedliche Schmerzvorstellungen und Schmerzschwellen. Dies wirkt sich vor allem bei Berichten zu geringgradigen Schmerzen aus. Hier ist die Abgrenzung gegen Noch-Nicht-Schmerz, Steifigkeitsgefühle oder andere Unbehaglichkeiten in der Rückenregion besonders schwierig. Die Frage nach der exakten Lokalisation des "Rückens" ist einfacher zu beantworten. Anatomisch gesehen reicht er vom Hinterhaupt bis zur Gesäßfalte. Alltagssprachlich wird in der Regel zwischen Nacken (Hinterhaupt bis zum letzten fühlbar vorstehenden Halswirbel) und Rücken unterschieden. In den deutschsprachigen Ländern fehlt ein einheitliches "Rücken"-Konzept, wie es die englischsprachige Welt im "low back" (unterer Rücken) hat.
Das vorliegende Themenheft befasst sich schwerpunktmäßig mit (nicht-spezifischen) tiefsitzenden Rückenschmerzen (synonym Kreuzschmerzen) bei Erwachsenen. Rückenschmerzen in der Arbeitswelt werden im Rahmen dieses Themenheftes nur am Rande behandelt.
2 Krankheitsbilder
Rückenschmerzen (hier im Sinne von Kreuzschmerzen) sind Schmerzen in der Region unterhalb des Rippenbogens und oberhalb der Gesäßfalte. Die fünf Lendenwirbel und ihre gelenkigen Verbindungen, das Kreuzbein, das Steißbein und die Bandscheiben sind umgeben von zahlreichen Bändern, Sehnen und Muskeln. Die rückwärtigen Fortsätze der Lendenwirbelkörper bilden einen Kanal; er schließt den unteren Anteil des Rückenmarks ein. Jede dieser Strukturen kann die Quelle von Schmerzen sein.
Aufgrund der verschiedenen Ursachen, der Dauer, des Schweregrades (Schmerzstärke und Funktionsbeeinträchtigung) und des Chronifizierungsstadiums lassen sich Rückenschmerzen klassifizieren [1]. Eine weitere Unterscheidung ist hinsichtlich der Ursachen vorzunehmen: Von nicht-spezifischen Rückenschmerzen spricht man, wenn mit einfachen klinischen Mitteln keine Ursache gefunden werden kann, welche die vorliegenden Beschwerden überzeugend erklären kann (siehe Abschnitt Risikofaktoren).
Angesichts der Häufigkeit von Rückenschmerzen und angesichts des Verhältnisses von spezifischen zu nicht-spezifischen Rückenschmerzen (1: > 4) ist nicht hinter jedem Rückenschmerz eine mehr oder weniger schwere Krankheit zu vermuten. Nur bei atypischen, anhaltenden oder zunehmenden Schmerzen, oder bei bestimmten Risikokonstellationen sollte man sie für ein Krankheitszeichen (Symptom) halten, das u.a. verweisen kann auf:
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Krankheiten der Wirbelsäule (z.B. Bechterew`sche Erkrankung), |
|
Krankheiten an inneren Organen (z.B. Nierenbeckenentzündung), |
|
spezifische krankhafte Prozesse (z.B. Wirbelkörperzusammenbruch bei Osteoporose oder nach Unfall, Entzündung, bösartiger Tumor), |
|
bestimmte Entstehungsorte (z.B. Muskulatur, Bandscheibe, Nervenwurzel). |
Die internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10-GM Version 2013) verweist im Kapitel XIII Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes (ICD-10-GM: M00 bis M99) auf verschiedene Erkrankungen der Wirbelsäule und des Rückens (ICD-10-GM: M40 bis M54). Dazu zählen u.a. die sogenannten Spondylopathien (ICD-10-GM: M45 bis M49), also die Wirbel- bzw. Wirbelsäulenerkrankung mit nachweisbaren Strukturstörungen sowie sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens (ICD-10-GM: M50 bis M54) (siehe Tabelle 1).
Andere Krankheiten des Rückens bzw. der Wirbelsäule finden sich in weiteren Kapiteln der ICD-10-GM, z.B. der Wirbelkörperzusammenbruch bei Osteoporose (ICD-10-GM: M80).
Tabelle 1
ICD-Code | Krankheit oder Störung (Beispiel) |
---|---|
M45 bis M49 | Spondylopathien |
M45 | Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew) |
M46 |
Sonstige entzündliche Spondylopathien
(u.a. eitrige Bandscheibenentzündung) |
M47 | Spondylose |
M48 |
Sonstige Spondylopathien (u.a. Verengung
des Wirbelkanals, Ermüdungsbruch) |
M49 |
Spondylopathien bei anderenorts klassifizierten
Krankheiten (u.a. Tuberkulose der Wirbelsäule) |
M50 bis M54 |
Sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und
des Rückens |
M50 |
Zervikale Bandscheibenschäden im Bereich
der Halswirbelsäule, mit oder ohne Einengung von Nervenwurzeln oder Rückenmark |
M51 |
Sonstige Bandscheibenschäden im Bereich
der Brust- und Lendenwirbelsäule mit oder ohne Einengung von Nervenwurzeln oder Rückenmark |
M53 |
Sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und
des Rückens, anderenorts nicht klassifiziert (u.a. Lockerung des Gefüges der Wirbelkörper) |
M54 |
Rückenschmerzen
M54.5 Kreuzschmerz, M54.9 Rückenschmerzen, nicht näher bezeichnet |
[2] |
DIMDI (2012) Kapitel XIII. Krankheiten des Muskel-
Skelett-Systems und des Bindegewebes Internationale
statistische Klassifikation der Krankheiten und
verwandter Gesundheitsprobleme, 10 Revision,
German
Modification
, Version 2013 (Stand: 08.10.2012)
www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-m/kodesuche/onlinefassungen/htmlgm2013/index.htm |
---|
3 Diagnostik
Die medizinische Diagnostik dient dem Aufdecken der Ursachen von Rückenschmerzen, der Bestimmung ihrer Schwere sowie (bei akuten Fällen) dem Auffinden von Faktoren, die eine Chronifizierung begünstigen können. Am Anfang steht immer eine gründliche Anamnese; sie erfasst verschiedene Schmerzcharakteristika [1]:
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Lokalisation |
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Ausstrahlung (Seite, bis oberhalb bzw. unterhalb des Knies) |
|
Dauer der aktuellen Episode |
|
Frühere Episoden, bisheriger Verlauf |
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Auslöser, erleichternde bzw. verschlimmernde Faktoren |
|
Bisherige Behandlungen, Erfolge, Nebenwirkungen |
|
(Tages-)zeitlicher Verlauf |
|
Erste Einschätzung psychosozialer Risikofaktoren |
|
Stärke der Schmerzen und Beeinträch tigung bei täglichen Verrichtungen |
|
Vorstellungen und Einstellungen zum Rückenschmerz, Schmerzverhalten |
|
Begleitbeschwerden und -krankheiten |
Zur Abklärung der Schmerzcharakteristika kann ein standardisierter Schmerzfragebogen wie der der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes eingesetzt werden [3, 4].
Bei der Diagnostik und Therapieplanung kann bei Rückenschmerzen weiterhin ein sogenanntes Flaggenmodell hilfreich sein [3, 5, 6]. Als rote Flaggen werden Begleitsymptome und Vorerkrankungen bezeichnet, die auf eine spezifische Ursache mit dringlichem Behandlungsbedarf hinweisen (siehe Tabelle 2) [1]. Diese Warnhinweise ermöglichen in ihrer Gesamtheit eine Einschätzung des Risikos; einzeln ist ihre Sensitivität und Spezifität eher gering.
Tabelle 2
Rote Flaggen | Gelbe Flaggen | ||
---|---|---|---|
Tumor: | Depressivität | ||
► | höheres Alter | ||
► | Tumorleiden in der Vorgeschichte | »Stress«-Empfinden (v.a. berufs-/arbeitsbezogen) | |
► |
allgemeine Symptome wie Gewichtsverlust, rasche
Ermüd barkeit |
Schmerzvermeidungsverhalten |
|
► | starker nächtlicher Schmerz |
Hilf- und Hoffnungslosigkeit, »Katastrophisieren« |
|
Infektion: | |||
► |
allgemeine Symptome wie kürzlich aufgetretenes Fieber,
Schüttelfrost |
Passives Schmerzverhalten
(ausgeprägte Schon- und Vermeidungshaltung) |
|
► | bekannte bakterielle Infektion |
Weitere körperliche Beschwerden ohne erkennbare Krankheitsursache (»Somatisierungstendenz«) |
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Fraktur: | |||
► | Unfall | ||
► | Bagatelltrauma |
Negative Krankheitsvorstellungen
|
|
Radikulopathien/Neuropathien: | |||
► |
straßenförmig in ein oder beide Beine ausstrahlende
Schmerzen; ggf. verbunden mit Taubheitsgefühlen |
||
► |
zunehmende Lähmung, Sensibilitätsstörung
der unteren Extremitäten |
||
► | Kaudasyndrom |
[1] |
Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung
(KBV), Arbeitsgemeinschaft der
Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
(AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz
- Langfassung. Version 1.2. 2011
www.versorgungsleitlinien.de/themen/kreuzschmerz (Stand: 24.10.2012) |
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Gelbe Flaggen lenken die Aufmerksamkeit auf psychosoziale Risikofaktoren, die den Übergang von akuten zu chronischen Verläufen wahrscheinlicher machen. Zu den psychosozialen Risikofaktoren zählen beispielsweise Konflikte am Arbeitsplatz, unbefriedigende Arbeit oder die Neigung zu Depressionen. In jüngerer Zeit sind folgende, bisher weniger beachtete Risikofaktoren fokussiert worden: die aktuellen Vorstellungen der Patientinnen und Patienten zur Ursache, zum Verlauf und zur Behandlung ihrer Schmerzen (»back beliefs«, »Rückenschmerzmythen«) [7, 8] und das Bestehen weiterer Schmerzen und körperlicher wie seelischer Beschwerden. Chronische Rückenschmerzen sind fast immer »mehr als Schmerzen im Rücken« [9].
Es ist darauf hinzuweisen, dass bei akuten Rückenschmerzen eine über rote Flaggen und Basisdiagnostik hinausgehende Untersuchung verzichtbar ist, v.a. aufgrund der hohen Spontanheilungsrate akuter Beschwerden.
Risiken entstehen aber nicht nur aus der Persönlichkeit der Betroffenen. In vielen Fällen sind Einflüsse des Berufs und der Arbeit wichtig(er). Dies betrifft nicht nur mechanische Einflüsse (z.B. einseitige Haltungen), sondern auch psychosoziale (z.B. geringe Anerkennung trotz hohen Einsatzes) (siehe Abschnitt Risikofaktoren).
Schließlich kommt auch das medizinische System als Chronifizierungsfaktor infrage. Hier ist zum einen die Überdiagnostik mit dem Risiko der »somatischen Fixierung« anzuführen. Darunter versteht man die Vertiefung der verbreiteten Vorstellung, dass hinter den Schmerzen doch eine körperliche Krankheit steckt, die nur noch nicht gefunden wurde - was zu weiteren Untersuchungen führen kann. Als weitere Risiken können die Überbewertung weit verbreiteter Röntgen-/MRT-Befunde, unnötig lange Krankschreibungen, der Einsatz ungeprüfter invasiver Verfahren und die Betonung passiver Behandlungsverfahren (wie Bettruhe, Packungen, Massagen) genannt werden.
Im Falle von spezifischen Rückenschmerzen findet nach einer körperlichen Untersuchung und Laboruntersuchungen (z.B. Blutbild, Urinstatus, Erbmerkmale wie das sog. HLA B27) meist eine radiologische Untersuchung (einfache Röntgenaufnahmen, Computertomografie/CT, Magnetresonanztomografie/MRT) statt. Sonst ist bei der Erstabklärung akuter und gleichförmiger chronischer Rückenschmerzen bewusst darauf zu verzichten [10, 11].
Bleibt es - vorerst und auf Widerruf - bei der diagnostischen Einordnung »nicht-spezifische Rückenschmerzen«, tritt die Suche nach einer verborgenen Krankheit zurück. Die Rückenschmerzen werden als vorübergehende Beschwerden oder bei chronischen Rückenschmerzen als eigenständiges, meist komplexes Krankheitsbild wahrgenommen. Dieses ist genauer zu beschreiben: Zu erfassen sind vorrangig der Schweregrad der Rückenschmerzen, ihr bisheriger Verlauf und das Stadium ihrer Entwicklung. Diese Informationen erlauben auch eine Abschätzung zum weiteren Verlauf (Prognose) und zum Behandlungsbedarf.
Um den Schweregrad von akuten Rückenschmerzen zu erfassen, wird zum einen das Ausmaß der aktuellen Stärke des Schmerzes erfragt, z.B. auf einer numerischen Skala von 0 = kein Schmerz bis 10 = stärkster vorstellbarer (unerträglicher) Schmerz. Zum anderen wird die Behinderung bei Aktivitäten des täglichen Lebens (z.B. durch einen Funktionsfragebogen [12]) ermittelt.
Der Schweregrad bei chronischen Rückenschmerzen wird über die Graduierung chronischer Schmerzen nach von Korff et al. [13] abgeschätzt. Auch hierbei wird nach dem Ausmaß der Schmerz intensität und der Behinderung bei Aktivitäten des täglichen Lebens gefragt. Es ergibt sich folgende Abstufung:
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Grad 0 | Keine Schmerzen (in den vergangenen sechs Monaten) |
|
Grad I | Schmerzen mit niedriger schmerzbedingter Funktionseinschränkung und niedriger Intensität |
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Grad II | Schmerzen mit niedriger schmerzbedingter Funktionseinschränkung und höherer Intensität |
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Grad III | mittlere schmerzbedingte Funktionseinschränkung |
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Grad IV | hohe schmerzbedingte Funktionseinschränkung |
4 Risikofaktoren
Bei der Mehrzahl aller Rückenschmerz-Patientinnen und -Patienten lässt sich weder eine umschriebene Krankheit, noch ein krankhafter Prozess (zentraler Pathomechanismus), noch eine sichere anatomische Quelle als Ursache für den Schmerz finden; man spricht dann von nicht-spezifischen Rückenschmerzen. Ihr Anteil wird auf wenigstens 80% geschätzt [14, 15]. Allerdings ist die entsprechende Literatur veraltet. Eine neue Untersuchung zur Häufigkeit nicht-spezifischer Rückenschmerzen, unter Nutzung der modernen diagnostischen Techniken, wäre sinnvoll.
Obwohl Rückenschmerzen in westlichen Gesellschaften eine der häufigsten Gesundheitsstörungen überhaupt sind und sich weltweit zahlreiche Studien mit ihren Risiko- und Prognosefaktoren beschäftigt haben, sind wesentliche Fragen weiter ungeklärt. Zu unterscheiden ist zwischen Risikofaktoren, die Rückenschmerz begünstigen und solchen, die die Aufrechterhaltung und die Chronifizierung des Schmerzes fördern.
Hinweise auf bedeutsame genetische Risikofaktoren finden sich nur für wenige, seltene Ursachen spezifischer Rückenerkrankungen, z.B. für die Ankylosierende Spondylitis (Morbus Bechterew; HLA B27) (siehe Heft 49 der Gesundheitsberichterstattung »Entzündlich-rheumatische Erkrankungen«).
Arbeitsbezogene Faktoren stehen mit dem Risiko von Rückenschmerzen in Zusammenhang [16, 17]. Wichtig sind zum einen die biomechanischen Arbeitsbedingungen wie Tragen und Heben schwerer Lasten, Vibrationen und Arbeiten in ungünstigen Körperhaltungen. Langjährige und sehr schwere körperliche Arbeit ist als Risikofaktor gesetzlich anerkannt. Dies spiegelt sich in der Aufnahme einiger Rückenerkrankungen in die Liste der Berufserkrankungen wieder [18]:
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bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung (BK-Nr. 2.108; Bundesarbeitsblatt 10-2006); |
|
bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen (BK-Nr. 2.110; Bundesarbeitsblatt 7-2005; die Ziffer 2.109 bezieht sich auf Erkrankungen der Halswirbelsäule). |
Aufgrund der sehr strengen Kriterien werden jährlich nur wenige der angezeigten Fälle als Berufskrankheiten anerkannt: Im Jahr 2010 wurden 392 (7,7%) Fälle von den insgesamt 5.114 Verdachts-Fällen zur BK-Nummer 2.108 als Berufskrankheit anerkannt [18]. 2008 waren es 4,9% gewesen.
Weiterhin sind die arbeitsbezogenen psychosozialen Bedingungen als Risikofaktoren zu nennen: Niedrige Arbeitsplatzzufriedenheit, monotone Arbeiten sowie soziale Konflikte am Arbeitsplatz einschließlich sogenannter Gratifikationskrisen [3]. Darunter ist ein seelischer und körperlicher Stresszustand zu verstehen, der durch hohen Einsatz des Arbeitenden ohne adäquate Belohnungen (in Form sozialer Anerkennung, besserer Entlohnung, rascherer Aufstiegschance etc.) gekennzeichnet ist. Entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil scheint eine überwiegend sitzende Tätigkeit kein nennenswertes Risiko für Rückenschmerzen zu beinhalten [19].
Auch der Sozialstatus steht in Zusammenhang mit dem Risiko für Rückenschmerz: Personen mit niedrigem Sozialstatus (gemessen an Bildung, Beruf, Einkommen) berichten im Vergleich zu Personen mit hohem Status sehr viel häufiger von Rückenschmerzen allgemein und schweren Rückenschmerzen insbesondere. Das Risiko (Odds Ratio) für schwere Rückenschmerzen bei Personen mit Hauptschulabschluss ist etwa dreimal so hoch im Vergleich zu Personen mit Abitur [20]. Dieser Effekt bleibt auch bestehen, wenn statistisch der Faktor »selbst berichtete ungünstige Arbeitsbedingungen « kontrolliert wird. In den Daten erweist sich die Schulbildung als guter Prädiktor für das Rückenschmerzrisiko. Über welche (anderen) Mechanismen Schulbildung mit Rückenschmerzen verbunden ist, ist weitgehend unklar.
Der wichtigste Risikoindikator für (nicht-spezifische) Rückenschmerzen ist deren eigene Vorgeschichte. Je mehr Schmerzphasen, je länger die gesamte Krankengeschichte und die Dauer der aktuellen Episode, umso eher ist mit einem weiter ungünstigen Verlauf zu rechnen. Auch hier spielen psychische Faktoren wie ungünstige Vorstellungen und Einstellungen, unrealistische Befürchtungen, Depressivität, passive oder hyperaktive Verhaltensweisen, familiäre und sozialrechtliche Umstände (s.o. »gelbe Flaggen«) eine besondere Rolle [21]. Die entsprechenden Faktoren sollten möglichst früh im Behandlungsverlauf erfasst und bei der Therapieplanung berücksichtigt werden.
Mittlerweile stehen ausreichend wissenschaftliche Belege zugunsten einer Fortführung der gewohnten körperlichen Aktivitäten bei nicht-spezifischen Rückenschmerzen [22], eventuell unter dem Schutz frei verkäuflicher Schmerzmittel (z.B. Paracetamol oder Ibuprofen), zur Verfügung. Ärztliche Empfehlungen und Maßnahmen, die in Richtung Verordnung von Bettruhe oder aufwändiger Diagnostik zielen, sind daher problematisch bzw. nicht sachgemäß.
Grundsätzlich besteht in der Fachwelt aber Konsens, dass bei den meisten Patientinnen und Patienten mit nicht-spezifischen Rückenschmerzen eine komplexe Problematik mit Risiken aus sehr unterschiedlichen Quellen besteht [23]:
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physiologisch-organisch: durch Verlust der Beweglichkeit (Mobilitätsverlust), Funktionseinschränkungen und (bei erzwungener, gewählter oder verordneter Schonung) eine Abnahme der körperlichen Fitness (allgemeine Dekonditionierung), |
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kognitiv und emotional: durch eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber körpereigenen Signalen, durch Stimmungsschwankungen sowie katastrophisierende Vorstellungen (z.B. "ich bin ein hoffnungsloser Fall; wenn es so weitergeht, werde ich im Rollstuhl landen; mir ist nicht zu helfen"), |
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im Verhalten: durch unangemessenes schmerzbezogenes Verhalten (Passivität, Schonung, Überaktivität, "Durchhalten"), |
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sozial: durch Störung der sozialen Beziehungen und Probleme am Arbeitsplatz und im Beruf. Am Rande spielen auch die Situation am Arbeitsmarkt und sozialrechtliche Regelungen des Zugangs zu Arbeitsunfähigkeit, Rehabilitationsleistungen und Erwerbsminderungsrenten eine Rolle. |
Anders verhält es sich bei Rückenschmerzen infolge bestimmter Erkrankungen. Ihr Verlauf ist stärker durch die Grundkrankheit (z.B. Morbus Bechterew, schwere Osteoporose, Tumorleiden) geprägt.
5 Verlauf
Als akut werden Rückenschmerzen bezeichnet, wenn sie erstmals oder nach mindestens sechs schmerzfreien Monaten und über einen Zeitraum von höchstens sechs Wochen auftreten [1]. Als subakut gelten sie, wenn sie länger als sechs Wochen fortbestehen. Als chronisch bzw. chronisch rezidivierend werden Rückenschmerzen bezeichnet, die länger als drei Monate anhalten. Die Intensität des Schmerzes kann in diesem Zeitraum variieren. Chronisch rezidivierend bedeutet, dass die Schmerzen nach einer kürzeren oder längeren beschwerdefreien Phase wieder auftreten.
Aufgrund der Unschärfe des zeitlichen Kriteriums sind zur Abschätzung des Chronifizierungsstadiums von Rückenschmerzen (Übergang vom vorübergehenden zum dauerhaften Symptom) andere Konzepte vorgeschlagen worden.
Eines zielt auf den Grad der Ausweitung (»Am plifikation«) der Problematik unter dem Stichwort »Staging« (Stadieneinteilung): Bestehen die Schmerzen auch nachts und in Ruhe; treten sie mit anderen Schmerzen und körperlichen Beschwerden zusammen auf; gehen sie gleichzeitig mit negativen Gedanken und Gefühlen (»entmutigt «, »traurig« etc.) einher; kommt es zu häufigen Arztbesuchen und/oder einem hohen Medikamentenverbrauch? Je mehr dieser Fragen bejaht werden, umso stärker gelten die Rückenschmerzen als chronifiziert, mit Konsequenzen für den Behandlungs- und Rehabilitationsaufwand [24].
Akute Rückenschmerzen haben generell eine gute Prognose: Innerhalb weniger Wochen verbessern sich die Schmerzen bei der großen Mehrzahl der Betroffenen (75% bis 90%) [25, 26]. Arbeitsunfähige Personen kehren häufig innerhalb eines Monats wieder an den Arbeitsplatz zurück [27]. Diese günstige Einschätzung ist einzuschränken auf den Ausgang der einzelnen akuten Rückenschmerzepisode, die hausärztlich oder physiotherapeutisch diagnostiziert wird und nicht durch ausstrahlende Schmerzen, eine lange Vorgeschichte oder die o.g. »gelbe Flaggen« kompliziert ist.
Der Großteil der von Rückenschmerzen betroffenen Personen erlebt einen von wiederkehrenden Schmerzen geprägten Krankheitsverlauf. Wie in einer Übersichtsarbeit gezeigt wurde, berichten im Durchschnitt 62% der Personen mit akuten Rückenschmerzen am Ende der folgenden 12 Monate wieder (seltener »weiterhin«), unter diesen Schmerzen zu leiden [28].
Diese Befunde werfen die Frage auf, ob Maßnahmen ergriffen werden können und wenn ja, welche, um Betroffene mit einem hohen Chronifizierungsrisiko (s.o. gelbe Flaggen) frühzeitig vor einer ungünstigen Entwicklung zu schützen.
Bei der Analyse langfristiger Verläufe Chronifizierter zeigen sich weitere Rückfälle und schließlich langfristig anhaltende (persistierende) Beschwerden. Im Gesundheitssurvey Ost von 1991/92 berichteten 95% aller Frauen und Männer mit Rückenschmerzen »heute« auch über Rückenschmerzen im Verlauf der letzten 12 Monate [29]. Vergleichbare Ergebnisse fanden sich im Bundes- Gesundheitssurvey von 1998 [30]. Innerhalb der ersten Lübecker Rückenschmerzstudie (1990 bis 1993) wurde eine längerfristige Erhebung (prospektive Untersuchung) durchgeführt. 800 zufällig ausgewählte Probandinnen und Probanden wurden nach 12 Monaten erneut befragt. Zum ersten Befragungszeitpunkt berichteten 39% von ihnen über Rückenschmerzen. Fast alle, die zum ersten Befragungszeitpunkt Rückenschmerzen angegeben hatten, berichteten ein Jahr später von Schmerzen innerhalb der letzten 12 Monate (ein Drittel) oder am Tag der zweiten postalischen Befragung (zwei Drittel). Von denen, die am Anfang keine Rückenschmerzen angegeben hatten, berichteten 74% von solchen Beschwerden innerhalb und/ oder am Ende des Befragungszeitraumes. Vergleichbare Befunde wurden aus ausländischen Studien mitgeteilt [31]. Die mittel- bis langfristige Prognose von Rückenschmerzen ist - bezogen auf das Schmerzerleben - ungünstig [25].
Längsschnittdaten zu Wahrscheinlichkeiten, von einem Grad oder Stadium oder einer Verlaufsform von Rückenschmerzen in ein/e/n andere/n/s überzugehen, liegen für Deutschland bisher nicht vor.
6 Verbreitung
Rückenschmerzstudie 2003/2006 [32] zeigen, dass die Stichtagprävalenz von Rückenschmerzen »heute« (ohne Angaben zum Schweregrad der Beschwerden) in verschiedenen Regionen zwischen 32% und 49% liegt. Die Angaben zur Lebenszeitprävalenz (mindestens einmal im Leben Rückschmerzen) liegen zwischen 74% und 85%. Das heißt, nur rund 20% der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer hatten nach eigenen Angaben noch nie Rückenschmerzen erlebt. Möglicherweise wird die Prävalenz der Beschwerden noch unterschätzt, da ein Teil der Patientinnen und Patienten länger zurückliegende Rückenschmerzepisoden schlicht vergessen oder »wegerklärt« hat (z.B. Rückenschmerzen im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft). Die Unterschiede zwischen Frauen und Männern sind in allen diesen Studien gering und nicht immer signifikant [31, 33]. Mit den Ergebnissen der Deutschen Rückenschmerzstudie kann auch belegt werden, dass von den befragten Personen 7% von schweren und 9% von erheblich behindernden Rückenschmerzen berichteten.
Die vom Robert Koch-Institut durchgeführten telefonischen Gesundheitssurveys 2003 und 2009 [34, 35] erlauben eine Darstellung der Prävalenz von Rückenschmerzen für die deutsche Bevölkerung (siehe Abbildung 1). Frauen geben zu allen drei Zeitpunkten häufiger als Männer an, unter mindestens drei Monate anhaltenden Rückenschmerzen (fast täglich) gelitten zu haben. Bei beiden Geschlechtern variiert die Häufigkeit von Rückenbeschwerden deutlich mit dem Alter: Es zeigt sich eine annähernd lineare Zunahme der Häufigkeit chronischer Rückenschmerzen mit dem Alter.
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Berücksichtigt man dagegen alle Arten von »Rückenschmerzen heute« (akut und chronisch), dann nimmt deren Häufigkeit im höheren Alter wieder ab [36]. Warum Ältere weniger leichte Rückenschmerzen als jüngere berichten, ist nicht geklärt. Es gibt hierzu eine Reihe von Hypothesen, die teils biomechanische Entlastungen unterstellen, teils stabilisierende Selbstheilungsvorgänge an der Wirbelsäule oder auch veränderte Bewertungen solcher Rückenschmerzen vor dem Hintergrund ernsterer Gesundheitsstörungen annehmen [37].
In Deutschland existieren weitere Untersuchungen zur Häufigkeit von Rückenschmerzen: In einem Interviewsurvey unter Erwachsenen im Alter über 60 Jahre stehen »Kreuz- oder Rückenschmerzen« ebenfalls an erster Stelle einer Beschwerdenliste; 23% fühlen sich durch sie »erheblich« oder »stark belästigt«; wesentliche Einflüsse von Alter und Geschlecht lassen sich nicht nachweisen [38]. In der Studie »Gesundheit in Deutschland aktuell« des Robert Koch-Instituts aus dem Jahr 2009 gaben 20,7% der Befragten an, im letzten Jahr unter mindestens drei Monate oder länger anhaltenden Rückenschmerzen (fast täglich) gelitten zu haben.
In Lübeck wurde die Häufigkeit von Rückenschmerzen (»aktuell«) 1993 und 2003 mit annähernd gleicher Methodik (postalischer Fragebogen mit bis zu zwei Erinnerungen, identische Fragen) erhoben. Die nach Alter, Geschlecht und Schulbildung standardisierten Raten betragen 39% (1993) und 38% (2003), bei allerdings unterschiedlichen Antwortraten (81% und 59%). Wenn sich überhaupt eine wesentliche Veränderung ergeben hat, dann sind Rückenschmerzen hier eher seltener geworden [39]. Konstante Häufigkeiten des Rückenschmerzes in einer Bevölkerung beinhalten jedoch nicht notwendig auch konstante Häufigkeiten von Folgen dieser Beschwerden, etwa der Arbeitsunfähigkeit.
Im internationalen Vergleich weist die deutsche Bevölkerung eine eher hohe Prävalenz von Rückenschmerzen auf. Die Daten der Europäischen Vertebralen Osteoporose Studie (EVOS) [40], die zwischen 1990 und 1993 mit gleicher Methodik nach aktuell bestehenden Rückenschmerzen in je vier ost- und westdeutschen und in fünf britischen Regionen fragte, belegen eine deutlich niedrigere Häufigkeit von Rückenschmerzen in Großbritannien.
Rückenschmerzen zählen auch bei Kindern und Jugendlichen zu den häufigen Beschwerden. Dies zeigen u.a. Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) des RKI [41]. In KiGGS wurden die Eltern bzw. die Kinder und Jugendlichen (11 bis 17 Jahre) nach Schmerzen in den letzten drei Monaten gefragt, u.a. auch nach Rückenschmerzen. Rückenschmerzen traten demnach bei 3% der 3- bis 6-Jährigen, 7% der 7- bis 10-Jährigen, 18% aller 11- bis 13-Jährigen und 44% der 14- bis 17-Jährigen auf; Mädchen geben häufiger als Jungen an, betroffen zu sein (siehe Abbildung 2).
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Abbildung 2 [41]
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In der HBSC-Studie der Weltgesundheitsorganisation wurde nach Rücken-/Kreuzschmerzen wenigstens »fast jede Woche« gefragt. Für Deutschland werden Häufigkeiten von 24% für Mädchen und 19% für Jungen im Alter von 11 bis 17 Jahren berichtet [42].
Ähnliche Ergebnisse lieferte z.B. eine Studie an 735 Schulkindern im Alter von 10 bis 18 Jahren aus der Region Lübeck [43]. Die Häufigkeit von Rückenschmerzen wird insgesamt von der Häufigkeit von Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und Schmerzen in den Gliedmaßen übertroffen. Mit zunehmendem Alter wird ihre Bedeutung jedoch größer und wird nur noch von Kopfschmerzen übertroffen. Diese Daten stehen im Einklang mit Berichten aus anderen europäischen Staaten, z.B. aus den Niederlanden [44] und Finnland [45]. In Finnland wurde bei Jugendlichen eine Zunahme tiefsitzender Rückenschmerzen seit 1985 beobachtet (eine Übersicht [46]).
Es gibt wenige Untersuchungen, die die Häufigkeit spezifischer Rückenschmerzen in Bevölkerungsgruppen untersucht haben. Ende der 1970er- Jahre wurde in Holland die Zoetermeer-Studie durchgeführt; ein kombinierter Befragungs- und Untersuchungssurvey mit mehr als 6.500 Erwachsenen einer kleinstädtisch-ländlichen Gemeinde [47]. Die Untersuchung schloss neurologische Tests und Röntgenaufnahmen (bei über 45-Jährigen) ein. Die Häufigkeit von Rückenschmerzen zum Erhebungszeitpunkt erreichte hier 22% bei Männern und 30% bei Frauen. Bei weniger als einem Zehntel der Betroffenen konnte klinisch ein Bandscheibenvorfall mit Druck auf eine Nervenwurzel diagnostiziert werden. Bei insgesamt weniger als 7,5% konnte überhaupt eine Schädigung im Sinne eines abnormen lokalen Befundes festgestellt bzw. eine Krankheitsdiagnose gestellt werden. Dies stimmt gut mit etwas jüngeren Angaben aus Finnland überein [48]. Über 20% aller in Holland untersuchten Frauen und Männer zeigten allerdings im Röntgenbild Hinweise auf erhebliche degenerative Veränderungen (»Verschleiß«) an den Bandscheiben, ohne dass sich eine enge Beziehung zwischen Röntgen- und Beschwerdebild sichern ließ.
Höhere Häufigkeiten für neurologische Auffälligkeiten fanden sich in einer deutschen Studie an noch berufstätigen Versicherten einer Landesversicherungsanstalt mit schweren Rückenschmerzen und einem eingeschränkten allgemeinen Gesundheitszustand [49]. Hier konnte bei 23% von 335 Untersuchten ein radikuläres Syndrom, d.h. eine Reizung einer aus dem Rückenmark austretenden Nervenwurzel, vermutet werden. Deutlich seltener findet sich ein M0rbus Bechterew (Spondylitis ankylosans), dessen Häufigkeit in der Gesamtbevölkerung auf 0,2% bis 0,8% geschätzt wird.
Die Bedeutung der Osteoporose der Wirbel oder Wirbelsäule (vertebrale Osteoporose) wird eher überschätzt, wie sich anhand von Studienergebnissen zeigen lässt. Die Europäische Vertebrale Osteoporosestudie fand in Deutschland unter Frauen und Männern im Alter von 50 bis 79 Jahren Wirbelkörperverformungen in einer Häufigkeit von rund 10%. Die Häufigkeit von aktuellen Rückenschmerzen erreichte in dieser Gruppe 51% bei Frauen und 33% bei Männern. Bei Personen ohne Abweichungen der Wirbelkörperform (Deformitäten) lag sie um 6,3% niedriger (Frauen) bzw. um 0,6% höher (Männer). Solche (meist keilförmigen) Verformungen scheinen mit keinem wesentlich erhöhten Risiko für Rückenschmerzen einherzugehen (multivariat adjustierte Odds Ratios bis 1,38 [50]). In der ersten Lübecker Rückenschmerzstudie Anfang der 1990er-Jahre zeigten sich keine Hinweise auf eine wesentlich erhöhte Häufigkeit von bestimmten chronischen Schmerzerkrankungen (Fibromyalgiesyndrom) unter Personen mit aktuellen Rückenschmerzen [51].
7 Komorbidität
Rückenschmerzen (chronisch oder persistierend) sind so gut wie immer »mehr als Schmerzen im Rücken«. Dies gilt nach neueren Untersuchungen auch im Hinblick auf die sog. Komorbidität. Damit sind weitere Krankheiten gemeint, die bei Personen mit chronischen Rückenschmerzen festgestellt werden können [52]. Als Komorbiditäten bei Rückenschmerzen treten am häufigsten degenerative und entzündliche Gelenkerkrankungen, Osteoporose, Schlaganfall, Herzinsuffizienz, Depression, Substanzmissbrauch, Adipositas und chronische Bronchitis auf [1]. Dies ist bei der Diagnostik und der Behandlung zu berücksichtigen.
In einer Untersuchung wurden nur Krebserkrankungen und Diabetes mellitus in gleicher Häufigkeit von Personen mit oder ohne Rückenschmerzen angegeben [53], weitere 13 Krankheitsgruppen wurden häufiger von Rückenschmerzkranken berichtet: je höher deren Chronifizierungsstadium war, umso häufiger war dies der Fall.
8 Folgen
Zu den Folgen von Rückenschmerzen zählt neben einer eingeschränkten subjektiven Gesundheit auch eine verminderte Leistungsfähigkeit in Alltag, Beruf und Freizeit. Dies führt bei Beschäftigten zu Arbeitsausfall und einer damit verbunden geringeren Arbeitsproduktivität. In der Rangliste der zehn Erkrankungen mit den längsten Arbeitsunfähigkeitszeiten liegen die Rückenschmerzen (ICD-10-GM: M54) im Jahr 2010 unter den AOK-Pflichtmitgliedern (ohne Rentner) mit 14,5 Millionen Arbeitsunfähigkeitstagen (AU-Tage) auf dem ersten Rang [54]; dies entspricht einem Anteil von 7,0%. Pro Fall ergeben sich 11,7 AU-Tage (Frauen 12,2 AU-Tage, Männer 11,4 AU-Tage) (siehe Tabelle 3). Auch bei der Barmer GEK liegen die Rückenschmerzen 2009 auf dem ersten Rang der AU-Statistiken (mit rund 6,5% aller AU-Tage) [55]. Gleiches gilt für die Deutsche Angestellten Krankenkasse: Rückenschmerzen haben hier mit einem Anteil von 7,1% bei den AU-Tagen den ersten Rang [56].
Tabelle 3
Arbeitsunfähig-
keitsfälle |
Arbeitsunfähig-
keitstage |
Arbeitsunfähig-
keitstage je Fall |
|
---|---|---|---|
Frauen | 447.735 | 5.460.098 | 12,2 |
Männer | 791.569 | 9.002.416 | 11,4 |
Gesamt | 1.239.304 | 14.462.514 | 11,7 |
[57] |
Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO) (2011)
Arbeitsunfähigkeit bei AOK-Pflichtmitgliedern ohne Rentner (Arbeitsunfähigkeitsfälle, Arbeitsunfähigkeitstage, Tage je Fall). WIdO, Berlin www.gbe-bund.de (Stand: 24.10.2012) |
---|
Weitere/aktuellere Informationen zu dieser Tabelle finden Sie hier:
Allerdings nehmen Rückenschmerzen bei allen drei Kassenarten in ihrer Bedeutung innerhalb der AU-Statistik tendenziell ab, während die Bedeutung der psychischen Störungen annähernd linear zunimmt.
Unter den Krankenhausdiagnosen rangieren die »sonstigen Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens« (ICD-10-GM: M50 bis M54) in der Statistik der Betriebskrankenkassen auf Platz 6 (4,1 KH-Fälle mit je 8,5 Tagen pro 1.000 Versicherte ohne Rentner 2009) [58].
Auf die nicht-spezifischen Rückenschmerzen (ICD-10-GM: M54) entfallen innerhalb der Gruppe aller Rückenleiden (Dorsopathien) - leistungsspezifisch - unterschiedliche Anteile. Die Krankheitsartenstatistik 2008 des AOK Bundesverbandes führt 78% aller den Rückenleiden (ICD-10-GM: M40 bis M54) zugeschriebenen AU-Fälle (69% aller AU-Tage) auf nicht-spezifische Rückenschmerzen zurück. Unter allen Krankenhausfällen entfielen auf nicht-spezifische Rückenschmerzen rund 45% aller entsprechenden Krankenhausfälle bzw. -tage.
Bei Frühberentungen (Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit) stehen Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems im Jahr 2010 an zweiter Stelle nach den Psychischen und Verhaltensstörungen [59]. Knapp 26.500 Rentenzugänge wurden aufgrund von Krankheiten des Muskel-Skelett- Systems vermerkt (siehe Tabelle 4).
Tabelle 4
Diagnosen/Behandlungsanlässe | Frauen | Männer | Gesamt | |
---|---|---|---|---|
Gesamt | 85.989 | 94.763 | 180.752 | |
M00 bis M99 |
Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und
des Bindegewebes |
12.290 | 14.204 | 26.494 |
M45 bis M49 | Spondylopathien | 898 | 1.392 | 2.290 |
M50 bis M54 |
Sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und
des Rückens |
4.401 | 6.070 | 10.471 |
M50 | Zervikale Bandscheibenschäden | 388 | 481 | 869 |
M51 | Sonstige Bandscheibenschäden | 1.111 | 1.744 | 2.855 |
M53 |
Sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und
des Rückens, anderenorts nicht klassifiziert |
663 | 716 | 1.379 |
M54 | Rückenschmerzen | 2.239 | 3.129 | 5.368 |
[59] |
Deutsche Rentenversicherung Bund (2012) Statistik
des Rentenzugangs. Rentenzugänge wegen verminderter
Erwerbsfähigkeit in der Gesetzlichen Rentenversicherung
www.gbe-bund.de (Stand: 04.10.2012) |
---|
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Im Jahr 2010 betrug der Anteil der auf Rückenleiden entfallenden Neuzugänge in der Statistik der Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit 8% (von insgesamt 181.000 Neuzugängen). Unter diesen dominierten wieder die nicht-spezifischen Rückenschmerzen (ICD-10-GM: M50 bis M54) mit einem Anteil von 38%. Sowohl den Statistiken zu Arbeitsunfähigkeitstagen als auch zu Frühberentungen ist zu entnehmen, dass die auf Rückenleiden entfallenden Zahlen stetig sinken.
Nach der Statistik der stationären medizinischen Rehabilitationsleistungen des Jahres 2010 der Gesetzlichen Rentenversicherung [60] entfielen 24% aller knapp 960.000 Rehabilitationen auf Rückenleiden (ICD-10-GM: M40 bis M54; im Jahr 2009 waren es ebenso viele). Unter diesen wurden 38% den nicht-spezifischen Rückenschmerzen (ICD-10-GM: M54) zugeschrieben.
Die Krankheitskosten für Rückenleiden (ICD-10-GM: M45 bis M54) beliefen sich im Jahr 2008 in Deutschland geschätzt auf 9 Milliarden Euro (Frauen 5,1 Milliarden Euro, Männer 4,0 Milliarden Euro), für nicht-spezifische Rückenschmerzen (ICD-10-GM: M54) betrugen sie 3,6 Milliarden Euro (2,1 Milliarden Euro Frauen, 1,5 Milliarden Euro Männer) [61]. Bei Rückenschmerzpatientinnen und -patienten überwiegen die indirekten Kosten [1]. Die Kosten ergeben sich vor allem bei chronischen Rückenschmerzen. In einer Studie [62] wurden für Rückenschmerzen (gesamt) durchschnittliche Kosten von 1.322 Euro pro Patientin bzw. Patient und Jahr in Deutschland errechnet.
Um die indirekten Kosten einer Krankheit zu ermitteln, wird häufig die Anzahl der verlorenen Erwerbstätigkeitsjahre herangezogen, die sich über die Ausfälle durch Arbeitsunfähigkeit, Invalidität und/oder vorzeitigen Tod der erwerbstätigen 15- bis 65-jährigen Bevölkerung errechnet. Die verlorenen Erwerbstätigkeitsjahre aufgrund von nichtspezifischen Rückenschmerzen (ICD-10-GM: M54) beliefen sich im Jahr 2008 auf insgesamt 135.000 Jahre (Frauen 52.000, Männer 83.000; Tabelle 5).
Tabelle 5
Diagnosen | Frauen | Männer | Gesamt | |
---|---|---|---|---|
A00 bis T98 | Alle Krankheiten und Folgen äußerer Ursachen | 1.481 | 2.746 | 4.227 |
M00 bis M99 |
Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems
und des Bindegewebes |
208 | 298 | 506 |
M45 bis M54 | Dorsopathien | 95 | 152 | 247 |
M47 | Spondylose | 4 | 7 | 12 |
M54 | Rückenschmerzen | 52 | 83 | 135 |
[63] |
Statistisches Bundesamt (2011) Krankheitskostenrechnung.
Verlorene Erwerbstätigkeitsjahre in 1.000
Jahren für Deutschland
www.gbe-bund.de |
---|
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Alle diese Angaben sind, soweit sie auf Routinedaten der verschiedenen Sozialversicherungsträger beruhen, mit Vorsicht zu betrachten, da die ICD-Codes weder trennscharf sind, noch in den verschiedenen Jahren Versorgungssektoren und Einrichtungen gleich gehandhabt wurden und werden.
Dass Rückenschmerzen auch die subjektive Gesundheit und Lebensqualität erheblich beeinträchtigen, zeigen Daten aus der Eingangsuntersuchung der Deutschen Rückenschmerzstudie [29]: Von den über 9.000 Befragten schätzten 11,8% ihren Gesundheitszustand als »sehr gut« ein. Von den Personen mit Rückenschmerzen am Befragungstag berichteten 2,4% einen »sehr guten« Gesundheitszustand, gegenüber 16,7% der Personen ohne Rückenschmerzen. Für einen subjektiv »schlechten« Gesundheitszustand fanden sich umgekehrte Verhältnisse (5,8% vs. 0,5%). Ähnliche Unterschiede zeigten sich für die Merkmale subjektive Behinderung, Depressivität, Erschöpfung und weitere körperliche Beschwerden. Dies lässt sich zum kleineren Teil auf weitere Unterschiede (Geschlecht, Alter, Sozialstatus) zwischen beiden Gruppen zurückführen. Im Wesentlichen spiegeln sie den ungünstigen Einfluss des chronischen Schmerzsyndroms wieder.
9 Therapie
Finden sich keine Hinweise auf spezifische Ursachen der Rückenschmerzen, sollte zuerst eine symp tombezogene Behandlung unter Berücksichtigung der »gelben Flaggen« (siehe Diagnostik) eingeleitet werden. Eine Orientierung bietet die 2011 erschienene Nationale VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz [1]. Eine Version richtet sich ausdrücklich an die Patientinnen und Patienten (www.kreuzschmerz.versorgungsleitlinie.de).
Die Behandlung umfasst nicht-medikamentöse und medikamentöse Maßnahmen. Folgende Eckpunkte sollten grundsätzlich berücksichtigt werden:
|
Motivierung der Betroffenen zur aktiven Mitwirkung an der Behandlung und zur Übernahme von Behandlungsverantwortung; |
|
Langfristige multi- und interdisziplinäre Behandlungspläne (nur) bei chronisch-behindernden Verläufen; |
|
Gemeinsame Entscheidungsfindung in der Erarbeitung von Behandlungszielen und Behandlungsplänen; |
|
Medikamentöse Therapie zur Unterstützung nicht-medikamentöser Maßnahmen in der akuten Phase, um alltägliche Aktivitäten wieder aufnehmen zu können; |
|
Vermeidung von längerer Bettruhe, körperlicher Inaktivität und Schonung; es gilt weiterzumachen, soweit es Schmerz und Behinderung erlauben; |
|
Mit alltäglichen Rückenschmerzen kann man sich als »bedingt gesund« sehen: die Gesundheit ist eingeschränkt, aber nicht so, dass man nicht mit eigener und fremder Hilfe den Alltag, die Freizeit und die Arbeit fortführen könnte. »Katas trophisieren« ist fast immer unangebracht. |
Wissenschaftliche Befunde deuten darauf hin, dass Patientinnen und Patienten, die in ganz unterschiedliche Behandlungsstudien eingeschlossen werden, überraschend ähnliche Besserungsverläufe nehmen [64]. Ausmaß und Verlauf der Besserung fallen ähnlich aus und sind oft nicht zu unterscheiden von dem, was auch ohne spezifische Behandlung zu beobachten gewesen wäre [65]. Daher sind Studien erforderlich, die die Effekte neuer Verfahren mit dem spontanen Verlauf von Rückenschmerzen unter Verzicht auf jede spezifische Behandlung vergleichen. Daraus ergäbe sich die Möglichkeit, den Nutzen der Verfahren für Betroffene von (nicht-spezifischen) Rückenschmerzen einzuschätzen.
9.1 Nicht-medikamentöse Therapie
Die nicht-medikamentöse Therapie ist wichtiger Bestandteil der Behandlung von nicht-spezifischen Rückenschmerzen. Als förderliche Therapien gelten:
|
Patienteninformation und Beratungsgespräche: Sie sind Basis jeder Behandlung und haben die Lebenswirklichkeit und psychologische Situation der Patientinnen und Patienten im häuslichen Bereich wie in der Arbeitswelt und Freizeitgestaltung zu berücksichtigen; |
|
Bewegungs- und Sporttherapie: primär bei subakuten/ chronischen nicht-spezifischen Rückenschmerzen; nicht bei akuten Rückenschmerzen; |
|
Entspannungsverfahren (Progressive Muskelrelaxation, Autogenes Training): können bei erhöhtem Chronifizierungsrisiko von akuten/ subakuten Rückenschmerzen angewandt werden, bei chronischen nicht-spezifischen Rückenschmerzen sind sie empfohlen; |
|
Ergotherapie: bei chronischen nicht-spezifischen Rückenschmerzen im Rahmen multimodaler Behandlungsprogramme; |
|
Manuelle Therapie: Manipulation/(Chirotherapie)/ Mobilisation in Kombination mit Bewegungstherapie; |
|
Massage: insbesondere in Kombination mit Bewegungstherapie; |
|
Rückenschule: nur bedingt zu empfehlen, Voraussetzung ist ein biopsychosozialer Ansatz; geeignet für über sechs Wochen anhaltende/ rezidivierende nicht-spezifische Rückenschmerzen, insbesondere bei chronischen nicht-spezifischen Rückenschmerzen; |
|
Wärmetherapie: kann bei akuten nicht-spezifischen Rückenschmerzen eingesetzt werden; |
|
Kognitive Verhaltenstherapie (KVT): bei Vorliegen psychosozialer Risikofaktoren bei subakuten/ chronischen nicht-spezifischen Rückenschmerzen. |
Weitere Hinweise, besonders zu den generell nicht oder kaum wirksamen Therapieformen, finden sich in der Patientenversion der Nationalen VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz [66].
9.2 Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Therapie des nicht-spezifischen Rückenschmerzes ist symptomatisch und dient der Unterstützung der nicht-medikamentösen Therapie [1, 3]. Auf diese Weise soll es den Betroffenen ermöglicht werden, ihre schmerzbedingt gemiedenen alltäglichen Aktivitäten wieder aufzunehmen. Zur Anwendung empfohlen werden generell folgende Medikamentengruppen:
|
Analgetika |
|
Opioid-Analgetika |
|
Muskelrelaxanzien |
|
Antidepressiva: nichtselektive Monoamin-Rückaufnahme-Inhibitoren (NSMRI), vor allem bei chronischen nicht-spezifischen Rückenschmerzen. |
Der Einsatz von Medikamenten sollte mit einer Ärztin bzw. einem Arzt oder mit einer Apothekerin bzw. einem Apotheker, im Bereich der sog. einfachen rezeptfreien Schmerzmittel (Paracetamol, Ibuprofen, Acetylsalicylsäure), besprochen werden.
Hinsichtlich pflanzlicher Wirkstoffe, der sogenannten Phytotherapeutika, ergeben sich Hinweise darauf, dass Extrakte von Weidenrinde und Teufelskralle schmerzlindern wirken. Es gibt jedoch keine Empfehlung bei akuten oder chronischen nicht-spezifischen Rückenschmerzen [1, 3].
9.3 Operative und andere eingreifende Verfahren
Bei nicht-spezifischen Rückenschmerzen können invasive Therapien, perkutane Verfahren (Injektionen) sowie operative Verfahren laut Nationaler VersorgungsLeitlinie nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht empfohlen werden [1]. Operative Verfahren können bei Vorliegen von spezifischen Ursachen des Rückenschmerzes angewendet werden.
Patientinnen und Patienten können auf nationale wie internationale Leitlinien zurückgreifen. Oder sich an Internetportalen wie das des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (www.aezq.de) oder des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeitim Gesundheitswesen (https://www.iqwig.de) orientieren. Auch die englischsprachigen Übersichtsarbeiten der Cochrane Collaboration bieten zahlreiche Informationen.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass etwa 60% bis 80% der Erwachsenen über Rückenschmerzen klagen, Ärztinnen und Ärzte aber in der Mehrzahl der Betroffenen keine Krankheiten, keinen krankhaften Prozess (zentraler Pathomechanismus) und keine sichere anatomische Quelle für die Beschwerden identifizieren können. In der Primärversorgung kommt es daher darauf an, eine gründliche Anamnese und lediglich eine Basisdiagnostik durchzuführen, um nicht-spezifischen von spezifischem Rückenschmerz zu unterscheiden. Die Notwendigkeit einer spezifischen Ausbildung und Erfahrung ist besonders bei der Abklärung anhaltender und zunehmender Rückenschmerzen gegeben. Je nach Untersuchungsergebnissen sind weitere medizinische und andere Disziplinen hinzuzuziehen. Dies gilt bei anhaltenden Rückenschmerzen mit hohem Chronifizierungsrisiko ggf. auch für psychologische Psychotherapeutinnen und -therapeuten, ärztliche Psychotherapeutinnen und -therapeuten sowie Psychosomatikerinnen und Psychosomatiker.
Kranke mit spezifischen Rückenleiden (z.B. Morbus Bechterew, Skoliosen oder Osteoporose) sollten auf die für sie relevanten Hilfs- und Selbsthilfegemeinschaften aufmerksam gemacht werden. Eine wichtige Anlaufstelle ist die Deutsche Rheumaliga [67] mit ihren regionalen Angeboten.
10 Versorgung
Rückenschmerzen sind ein häufiger Anlass von Arztbesuchen. Im Rahmen des telefonischen Gesundheitssurvey 2003 des Robert Koch-Instituts gab ein Viertel aller Befragten an, in den vergangenen 12 Monaten wegen Rückenschmerzen eine Ärztin oder einen Arzt aufgesucht zu haben (Tabelle 6) [68]. Zum überwiegenden Teil waren dies ambulante Arztbesuche. Von den Befragten berichteten 3% von mindestens einer akutstationären Behandlung innerhalb der letzten 12 Monate und 5% gaben an, mindestens einmal in ihrem Leben an einer Rehabilitationsmaßnahme wegen Rückenschmerzen teilgenommen zu haben. Bei Personen mit Rückenschmerzen in den vorangegangenen 12 Monaten lagen die entsprechenden Anteile bei 40% für Arztbesuche, 5% für Krankenhausaufenthalte und 8% für eine Rehabilitation. Die Häufigkeit von Rehabilitationsleistungen scheint vergleichsweise gering, vermutlich weil keine Differenzierung nach Schweregrad der Beschwerden vorgenommen wurde. In der Lübecker Untersuchung von schwer betroffenen Versicherten einer Gesetzlichen Rentenversicherung [9] berichteten rund zwei Drittel von einer früheren stationären Rehabilitation wegen ihres Rückenleidens (unveröffentlichte Daten).
Tabelle 6
Bevölkerungsprävalenz |
Anteile derjenigen mit Rückenschmerzen in
den vorangegangenen 12 Monaten |
||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|
Frauen | Männer | Gesamt | Frauen | Männer | Gesamt | ||
Rückenschmerzen in den
letzten 12 Monaten |
65,8% | 57,4% | 61,8% | ||||
Arztbesuch wegen
Rückenschmerzen * |
28,6% | 22,5% | 25,7% | 43,5% | 39,1% | 41,5% | |
Ambulant * | 27,8% | 21,7% | 24,8% | 42,2% | 37,7% | 40,2% | |
Stationär * | 2,4% | 3,1% | 2,8% | 3,7% | 5,4% | 4,5% | |
Reha (inkl. AHB) wegen
Rückenschmerzen ** |
4,8% | 5,4% | 5,1% | 7,2% | 9,4% | 8,2% |
[68] | Kohler M, Ziese T (2004) Telefonischer Gesundheitssurvey. Ein Wort des Robert Koch-Instituts zu chronischen Krankheiten und ihren Bedingungen. RKI, Berlin |
---|---|
* | in den letzten 12 Monaten |
** | jemals AHB: Anschlussheilbehandlung |
Auch geschlechtsspezifische Versorgungs- bzw. Inanspruchnahmemuster ließen sich im Gesundheitssurvey 2003 zeigen: Frauen wiesen eine im Vergleich zu Männern höhere selbstberichtete Rückenschmerzhäufigkeit auf. Sie gingen auch häufiger als Männer wegen Rückenschmerzen zu einer niedergelassenen Ärztin bzw. einem Arzt. Allerdings wurden Männer häufiger wegen Rückenschmerzen stationär behandelt und nahmen häufiger als Frauen an einer Rehabilitationsmaßnahme teil. Eine Interpretation dieser Geschlechterunterschiede bei stationären und rehabilitativen Behandlungen ist ohne Kenntnis der spezifischen Befunde und Diagnosen nicht möglich.
Der Anteil der deutschen Bevölkerung für den im Jahr 2008 eine ärztliche Diagnose eines Rückenleidens (ICD-10-GM: M40 bis M54) dokumentiert wurde, betrug nach Daten der BARMER GEK 36% [69]. Frauen waren etwas häufiger betroffen als Männer (29% vs. 23%). Im Altersgang nahm die Häufigkeit dieser Diagnose zu, wobei sich für die Altersgruppe der über 70- bis 79-Jährigen die höchsten Diagnoseraten zeigten.
Nach Angaben des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung war im Jahr 2009 in der allgemeinärztlichen Praxis der Rückenschmerz (ICD-10-GM: M54) nach Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen die dritthäufigst gestellte Diagnose (16%) [70]. Bei niedergelassenen Orthopädinnen und Orthopäden nimmt sie mit 41% den ersten Rang unter allen erfassten Diagnosen ein.
In Deutschland wurden im Jahr 2010 mehr als 579.000 Fälle mit Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens (ICD-10-GM: M40 bis M54) stationär behandelt [71]. Die Fälle teilen sich auf in 149.926 Spondylopathien (ICD-10-GM: M45 bis M49) und 375.639 Fälle sonstige Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens (ICD-10-GM: M50 bis M54) (siehe Abbildung 3). Darunter insgesamt 162.223 Fälle mit der Hauptdiagnose Rückenschmerzen (ICD10-GM: M54). Bei diesen diagnostischen Zuordnungen ist zu beachten, dass die ICD-Ziffern nicht einheitlich gehandhabt werden. Jedoch ist eine insgesamt deutliche Zunahme der stationären Fälle im Vergleich zum Jahr 2000 zu erkennen.
zur Tabelle mit Werten
Abbildung 3 [71]
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Je nach Hauptdiagnose wurde in 38% der Fälle eine Operation im Bereich der Wirbelsäule durchgeführt (siehe Tabelle 7).
Tabelle 7
Frauen |
darunter mit
Operation * |
Männer |
darunter mit
Operation * |
||
---|---|---|---|---|---|
Hauptdiagnose | Anzahl | Anteil | Anzahl | Anteil | |
M40 bis M43 |
Deformitäten der Wirbelsäule und
des Rückens |
30.339 | 42,9% | 19.393 | 43,3% |
M40 | Kyphose und Lordose | 869 | 75,3% | 675 | 71,4% |
M41 | Skoliose | 3.845 | 49,0% | 1.487 | 53,0% |
M42 | Osteochondrose der Wirbelsäule | 16.616 | 27,7% | 11.944 | 30,8% |
M43 |
Sonstige Deformitäten der
Wirbel säule und des Rückens |
9.009 | 65,1% | 5.287 | 65,4% |
M45 bis M49 | Spondylopathien | 82.274 | 50,4% | 67.162 | 56,0% |
M45 | Spondylitis ankylosans | 1.313 | 2,4% | 2.308 | 3,2% |
M46 |
Sonstige entzündliche
Spondylopathien |
4.448 | 29,8% | 4.992 | 38,7% |
M47 | Spondylose | 27.184 | 31,0% | 18.022 | 36,1% |
M48 | Sonstige Spondylopathien | 49.329 | 64,2% | 41.840 | 69,5% |
M50 bis M54 |
Sonstige Krankheiten der
Wirbel säule und des Rückens |
201.485 | 28,4% | 169.731 | 36,6% |
M50 | Zervikale Bandscheibenschäden | 14.970 | 62,8% | 13.317 | 66,9% |
M51 | Sonstige Bandscheibenschäden | 77.297 | 49,7% | 83.011 | 55,8% |
M53 |
Sonstige Krankheiten der Wirbelsäule
und des Rückens, a.n.k. |
13.701 | 26,9% | 8.326 | 32,0% |
M54 | Rückenschmerzen | 95.517 | 5,9% | 65.077 | 6,5% |
[72] |
Statistisches Bundesamt (2012) DRG-Statistik 2010
- Aus dem Krankenhaus entlassene vollstationäre
Patienten (einschl. Sterbe- und Stundenfälle) 2010
www.gbe-bund.de |
---|---|
* | eine Operation aus dem Kap. 5 OPS (Operationen- und Prozedurenschlüssel) |
Im Bereich der stationären medizinischen Rehabilitation wurden im Jahr 2010 für die Gruppe der Rückenleiden (ICD-10-GM: M40 bis M54) 179.259 stationäre und sonstige Leistungen registriert [73]. Mehr Männer als Frauen erhielten diese Leistungen (siehe Abbildung 4).
zur Tabelle mit Werten
Abbildung 4 [73]
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Kontinuierlich erhöht sich der Anteil ambulanter Rehabilitationen, er lag 2010 bei insgesamt 22% und erreichte unter den Anschlussrehabilitationen 32% [74].
Obwohl ambulant und stationär in allen Versorgungssektoren viele Patientinnen und Patienten mit Rückenschmerzen versorgt werden, ist über die aktuell angewandten Behandlungs methoden bei Rückenschmerzkranken unterschiedlichen Schweregrades und Chronifizierungsstadiums wenig bekannt. Ein Fortbestehen des Nebeneinanders von Unter-, Über- und Fehlversorgung, wie es bereits im Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen im Jahr 2000/2001 [75] festgestellt wurde, ist wahrscheinlich.
Über- und Fehlversorgung betreffen die Diagnostik und Therapie von leichten Rückenschmerzen, z.B. durch den Einsatz bildgebender Verfahren oder Injektionen. Der diagnostische Wert von konventionellen Röntgenaufnahmen, von Computer- und Magnetresonanztomografien ist sehr beschränkt, wenn sie pauschal und nicht spezifisch eingesetzt werden. Auffällige Befunde finden sich immer auch bei einer Vielzahl von Personen ohne Rückenbeschwerden. Andererseits werden ernste, behandelbare Krankheiten nur bei sehr wenigen Personen mit (scheinbar) nicht-spezifischen Rückenschmerzen beobachtet (für konventionelles Röntgen siehe [76]; für MRTs siehe [77] ,zur Übersicht [78]). Allerdings weisen Studienergebnisse darauf hin, dass Röntgenaufnahmen die Zufriedenheit von Patientinnen und Patienten mit ihrer Konsultation erhöhen, ohne dass sich ein klinischer Nutzen sichern ließe [79]. Die Unterversorgung betrifft vor allem die mangelnde medizinische und berufliche Rehabilitation von Personen mit schweren chronisch-behindernden Rückenschmerzen. Im internationalen Vergleich schneidet Deutschland ungünstig bei den Rückkehr raten zur Arbeit von Personen mit Rückenschmerzbedingter zwölfwöchiger Arbeitsunfähigkeit [80] ab: In Deutschland nahmen nur 54% der Betroffenen in den folgenden zwei Jahren ihre Arbeit wieder auf; in den Niederlanden waren es dagegen 81%. Gründe könnten eine unscharfe Auswahl der Versicherten, ihre unzureichende und einseitige Behandlung, die häufig fehlende Nachsorge und/ oder eine unzureichende Berücksichtigung beruflicher Belastungen sein [81].
Eine neue Perspektive bieten Modelle einer integrativen Versorgung. Dazu sind in jüngster Zeit aus Deutschland [1, 82, 83]und dem Ausland [84, 85] Vorschläge gemacht und Erfolge berichtet [86, 87] worden. Eine durch eine zentrale Stelle koordinierte Versorgung wird dabei bevorzugt. Solche (wissenschaftlich sorgfältig zu evaluierenden) Programme wären gerade für Deutschland mit seinen immer noch stark getrennten Versorgungsbereichen (haus- und fachärztliche ambulante Versorgung, Krankenhaus, Rehabilitation) besonders wichtig.
11 Prävention
Wirksame Präventionsprogramme zur Verhinderung des Auftretens von Rückenschmerzen ganz generell existieren kaum [88, 89]. Rücken- wie Kopf- und Bauchschmerzen scheinen zu den ebenso häufigen wie unvermeidlichen Gesundheitsbeeinträchtigungen zu gehören.
Damit richtet sich die Prävention zuerst auf den Umgang mit solchen Rückenschmerzen. Sie können im alltäglichen Umfeld behandelt werden und erfordern in der Regel keinen Arztbesuch. Hierfür steht das Konzept »Entmedikalisierung«. Wichtig ist des Weiteren das frühzeitige Erkennen abwendbar gefährlicher Formen von Rückenschmerzen. Dabei hilft das Konzept der »roten Flaggen«, welches eines bedachtsamen Einsatzes und einer kritischen Beurteilung bedarf. Ein falscher Alarm ist häufig [90]. Das Konzept der »gelben Flaggen« ist geeignet, Hinweise auf ein erhöhtes Chronifizierungsrisiko zu geben. Je nach Ausmaß und Ausgestaltung kann mit dem Risiko der Chronifizierung im hausärztlichen, fachärztlichen oder psychotherapeutischen Bereich umgegangen werden. Dabei spielen Bewegung und Sport sowie die Beeinflussung von Schmerzvorstellungen und Schmerzverhalten eine wichtige Rolle.
Mit Tertiärprävention werden Maßnahmen bezeichnet, die der Verschlimmerung einer Krankheit vorbeugen sollen. Die Tertiärprävention hat enge Beziehungen zur Rehabilitation. In diesem Rahmen bieten multi- und interdisziplinäre Programme eine gute Chance bei chronisch-behindernden Rückenschmerzen mit verschiedenen Begleitstörungen (s.o.). Die wohnortferne medizinische Rehabilitation kann der Anfang für ein längerfristigeres und nachhaltigeres Programm am Wohnort sein. Sie bietet die Chance einer multidisziplinären Diagnostik; in ihrem Rahmen können sich die Betroffenen über die zur Verfügung stehenden Therapieoptionen informieren und herausfinden, was ihrer Situation und Neigungen am ehesten entspricht. Ein ausgearbeiteter Nachsorgeplan sollte mit der Entlassung aus der Klinik oder dem ambulanten Programm zur Verfügung stehen und zugleich im Alltag und in der Arbeitswelt der Betroffenen ansetzen. Die Rückenschule, die in Deutschland von unterschiedlichen Anbietern angeboten wird, hat die in sie gesetzten Hoffnungen nicht generell erfüllt [91]. Rückenschule hat den Fokus auf unspezifische Wirbelsäulenerkrankungen, sie kombiniert einen theoretischen und einen praktischen Teil [1]. Sie ist nicht mit ausgearbeiteten multidisziplinären- multimodalen Behandlungsprogrammen [92, 93]zu verwechseln. Eine Empfehlung für Rückenschule, insbesondere bei chronischen nicht-spezifischen Rückenschmerzen kann ausgesprochen werden, wenn sie dem biopsychosozialen Ansatz folgen und sich z.B. am Konzept der Angst-Vermeidung und der funktionellen Rekonstruktion orientieren [1].
In einer australischen Präventionskampagne [89] wurde über die Medien versucht, die gesellschaftliche Wahrnehmung von Rückenschmerzen zu beeinflussen und das Verhalten von Gesunden, Kranken sowie Ärztinnen und Ärzten zu modifizieren (»Entmedikalisierung«). Folgende Botschaften wurden über die Kampagne vermittelt:
- Rückenschmerzen sind häufig und lästig; sie sind aber - selbst wenn sie chronisch werden - als eine Variante »bedingten Gesundseins« zu sehen. Dies sollte Betroffene und Behandler zu einer kritischen Überprüfung ihrer Rückenschmerz- bezogenen Vorstellungen veranlassen.
- Viele Maßnahmen zur Behandlung akuter Episoden und zur Vorbeugung chronischer Verläufe kann man selber ergreifen. Betroffene sollten vor allem aktiv bleiben und, wenn möglich, das Bett meiden. Dabei können frei verkäufliche Schmerzmittel helfen. Auch längere Arbeitsunfähigkeitszeiten sollten vermieden werden.
- Hausärztinnen bzw. -ärzte und Orthopädinnen und Orthopäden stellen begrenzte Therapiemöglichkeiten bei unkomplizierten Rückenschmerzen zur Verfügung.
- Wichtige Ressourcen sind körperliche Fitness und allgemeines körperliches Wohlbefinden. Daher sollten alle sich bietenden Bewegungschancen genutzt (z.B. Treppe statt Fahrstuhl) und neue gesucht (Muskeltraining, Ausdauersport) werden.
- Viele Röntgenaufnahmen, Computertomografie (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRTs) sind verzichtbar - es sei denn, es zeigen sich die o.g. »roten Flaggen« oder die Schmerzen halten unvermindert über mehr als sechs Wochen an oder werden schlimmer. Echte und klinisch bedeutsame Bandscheibenvorfälle sind vergleichsweise selten; viele auf Bildern sichtbare Veränderungen finden sich ebenso häufig bei Personen, die keine Rückenschmerzen haben.
- Eingreifende Behandlungsverfahren wie Operationen sollten nicht ohne kritische Prüfung der Indikation durch eine »zweite Meinung« durchgeführt werden.
Ziel waren die Entdramatisierung von Rückenschmerzen und eine Verringerung der mit ihnen verbundenen Einschränkungen der Aktivität und Teilhabe sowie der Aufwendungen. Dieses Vorgehen führte dazu, dass Rückenschmerzen seitens der Bevölkerung und der Ärzteschaft verändert wahrgenommen wurden und dass sich die Zahl der AU-Tage und damit die Aufwendungen für Rückenschmerzen verringerte.
12 Ausblick
Angesichts aller durch Rückenschmerzen veranlassten Leistungen und Kosten finden sich zunehmend mehr Berichte und Empfehlungen zu einer wissenschaftlich begründeten und wirtschaftlichen Behandlung von Rückenleiden. Nationale und internationale Leitlinien für die evidenzbasierte Therapie, vor allem der nicht-spezifischen akuten und chronischen Rückenschmerzen, liegen vor [1, 94, 95]. Leitlinien haben das Potenzial, die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Rückenschmerzen effektiver und kostengünstiger zu gestalten. Eine australische Arbeitsgruppe konnte dies für Patientinnen und Patienten im Jahre 2001 zeigen [96]. Umso wichtiger ist es, ein leitliniengerechtes diagnostisches und therapeutisches Vorgehen im Versorgungsalltag umzusetzen.
Lücken bezüglich der wissenschaftlichen Fundierung (Evidenz) gibt es vor allem im Hinblick auf die operative Therapie von chronischen Rückenschmerzen. Es existieren nur wenige randomisierte klinische Studien hoher Qualität, die eindeutige Empfehlungen für die Anwendung bestimmter (operativer) Therapien bzw. Methoden zulassen würden. Insgesamt scheint es in den letzten Jahren zu einer vorsichtigeren Indikationsstellung gekommen zu sein, da die postoperativen Ergebnisse teilweise unbefriedigend bzw. mit denen nach intensiven konservativ-rehabilitativen Maßnahmen vergleichbar sind [97].
In der Entmedikalisierung leichter Rückenschmerzfälle und der multidisziplinären Rehabilitation chronisch-invalidisierender Rückenschmerzen sind präventive Potenziale zu erkennen. Für die große Gruppe episodisch wiederkehrender Fälle ist die Situation weniger geklärt. Zur Früherkennung riskanter psychosozialer Konstellationen scheint sich jedoch das vorgestellte Konzept der »gelben Flaggen« zu eignen [21]. Eine systematische psychosoziale Beschreibung (Assessment) ist sicher bedeutsamer als die mit verschiedenen Verfahren (u.a. Ultraschall, Licht) durchgeführte Analyse von Haltungs- und Bewegungsstörungen im Bereich der Wirbelsäule, des Rückens und Beckens, die als individuelle Gesundheitsleistung angeboten werden. Die Zuverlässigkeit und Gültigkeit solcher Verfahren sind nicht ausreichend etabliert. Auch ist ihr Wert für die Prognose der Erkrankung und die Therapiewahl ungeklärt. Das gleiche gilt für apparative Verfahren, die die Beweglichkeit der Wirbelsäule und die Kraft der Rückenmuskulatur messen. Diese Methoden werden von der Gesetzlichen Krankenversicherung in der Regel nicht finanziert.
Weitere wichtige Forschungsfelder, in denen mehr Evidenz gefordert ist, beziehen sich auf die leitliniengerechte Vorgehensweise und deren Auswirkungen auf den Verlauf der Beschwerden, die Kosten und die Prognose; die (Kosten-)Effektivität multimodaler Therapie und deren Implementierung in die Primärversorgung; die Erarbeitung von differentiellen Therapieindikationen, um verschiedene Gruppen zu identifizieren, die mehr oder weniger von bestimmten Therapien profitieren.
Im Bereich der Prävention ließ sich zeigen, dass auch bevölkerungsweit Verhaltensänderungen durch Kampagnen möglich sind. Die Botschaften der australischen Präventionskampagne (siehe Abschnitt Prävention) sind erfolgreich vermittelt worden. Eine Übertragbarkeit der Kampagne auf Deutschland ist sicherlich nicht ohne weiteres möglich, die Kernaussagen bleiben aber auch für die deutsche Bevölkerung gültig. Es ließe sich eine geeignete Präventionsmaßnahme entwickeln, die mit Unterstützung verschiedener Medien auch hier zu Einstellungs- und Verhaltensänderungen führen könnte.
Hinweise
Patienten Leitlinie zur Nationalen VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz unter www.kreuzschmerz.versorgungsleitlinie.de
Vertiefende Informationen sind dem Buch »Rückenschmerzen und Lendenwirbelsäule« [98] zu entnehmen.
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95 | van Tulder M, Becker A, Bekkering T et al. (2006) Chapter 3. European guidelines for the management of acute nonspecific low back pain in primary care. Eur Spine J 15 (Suppl 2): S. 169 to S. 191 |
96 | Mc Guirk B, King W, Govind J et al. (2001) Safety, efficacy, and cost effectiveness of evidence-based guidelines for the management of acute low back pain in primary care. Spine 26 (23): 2,615 to 2,622 |
97 | Fairbank J, Frost H, Wilson-MacDonald J et al. (2005) Randomised controlled trial to compare surgical stabilisation of the lumbar spine with an intensive rehabilitation programme for patients with chronic low back pain: the MRC spine stabilisation trial. BMJ 330 (7,502): 1,233 |
98. | Hildebrandt J, Pfingsten M (2011) Rückenschmerzen und Lendenwirbelsäule. Urban & Fischer, München |
14 Glossar
Komorbidität | neben einer bestehenden (Haupt-)Erkrankung auftretende Erkrankungen |
---|---|
Lebenszeitprävalenz | Anteil der Bevölkerung bzw. der Befragten, die jemals von dem erhobenen Gesundheitsproblem betroffen waren |
Manipulation/ Mobilisation | das direkte Einwirken mit Händen auf den Körper des Erkrankten unter therapeutischer Zielsetzung |
MRT | Magnetresonanztomografie |
neurologisch | die Neurologie betreffend bzw. das Nervensystem betreffend |
persistierend | bleibend, beständig |
Prädiktor | Variable, die zur Vorhersage eines Merkmals dient |
Prävalenz | beschreibt Mengen von (i.a.) Personen in einem definierten Zustand. z.B. des Krankseins/Betroffenseins |
Punktprävalenz | Häufigkeit der Personen, die zu einem Zeitpunkt an einer bestimmten Erkrankung leiden |
radikulär | die Wurzel betreffend |
Rezidiv, rezidivierend | Wiederauftreten einer Krankheit |
Sensitivität und Spezifität | Unter Sensitivität versteht man den Prozentsatz richtiger, positiver Ergebnisse eines Untersuchungs-/ Testverfahrens beim Vorhandensein der gesuchten Störung. Unter Spezifität eines solchen Verfahrens versteht man den Prozentsatz von negativen Ergebnissen. |
Stichtagprävalenz | Häufigkeit der Personen, die an einem Stichtag an einer bestimmten Erkrankung leiden |
subakut | Phase nach akuter und vor chronischer Erkrankung |
Symptom | weist auf eine Erkrankung hin; Krankheitszeichen |
Syndrom | gleichzeitiges Vorliegen mehrerer Krankheitszeichen (Symptome) |
vertebral | die Wirbelsäule betreffend |
Tabellen mit Werten aus den Abbildungen 1 bis 4
Frauen | Männer | |||
---|---|---|---|---|
2003 | 2009 | 2003 | 2009 | |
18 bis 29 Jahre | 20,8% | 20,8% | 12,8% | 12,8% |
30 bis 39 Jahre | 26,1% | 27,8% | 19,9% | 20,5% |
40 bis 49 Jahre | 29,0% | 31,5% | 23,3% | 26,1% |
50 bis 59 Jahre | 33,8% | 39,1% | 33,4% | 33,8% |
60 bis 69 Jahre | 34,5% | 41,8% | 32,8% | 35,1% |
70 Jahre u. älter | 36,4% | 46,7% | 30,0% | 36,1% |
Mädchen | Jungen | |
---|---|---|
3 bis 6 Jahre | 3,0% | 2,1% |
7 bis 10 Jahre | 7,6% | 6,3% |
11 bis 13 Jahre | 22,2% | 14,7% |
14 bis 17 Jahre | 50,7% | 38,1% |
[41] | Du Y, Knopf H, Zhuang W et al. (2011) Pain perceived in a national community sample of German children and adolescents. Eur J Pain 15 (6): 649 to 657 |
---|
Frauen | Männer | |||
---|---|---|---|---|
2000 | 2010 | 2000 | 2010 | |
M40 bis M54 Krankheiten der
Wirbelsäule und des Rückens |
178.895 | 317.650 | 163.386 | 261.447 |
M45 bis M49 Spondylopathien | 22.751 | 82.357 | 20.628 | 67.569 |
M50 bis M54 Sonstige Krankheiten
der Wirbelsäule und des Rückens |
145.853 | 202.945 | 136.178 | 172.694 |
[71] |
Statistisches Bundesamt (2012) Diagnosedaten der
Krankenhäuser ab 2000 (Fälle, Pflegetage, durchschnittliche
Verweildauer). Statistisches Bundesamt, Bonn
www.gbe-bund.de (Stand: 24.10.2012) |
---|
Frauen | Männer | |
---|---|---|
2005 | 73.220 | 84.194 |
2006 | 74.262 | 81.751 |
2007 | 79.619 | 89.619 |
2008 | 84.417 | 90.992 |
2009 | 84.959 | 91.836 |
2010 | 82.604 | 87.114 |
[73] | Deutsche Rentenversicherung Bund (2012) Stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und sonstige Leistungen zur Teilhabe für Erwachsene in der Gesetzlichen Rentenversicherung DRV Bund, Berlin |
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