Nosokomiale Infektionen [Gesundheitsberichterstattung - Themenhefte, Juni 2002]
[Heft 7: Chronische Schmerzen] [Heft 9: Alternative Methoden] [Abstrakt] [Inhaltsverzeichnis]
Heft 8 - Nosokomiale Infektionen
aus der Reihe "Gesundheitsberichterstattung des Bundes"
Autoren: |
Dr. med. Christine Geffers
Prof. Dr. med. Henning Rüden Institut für Hygiene Universitätsklinikum Benjamin Franklin Freie Universität Berlin und ZB Krankenhaushygiene und Infektionsprävention Universitätsklinikum Charité Humboldt-Universität zu Berlin |
Prof. Dr. med. Petra Gastmeier
Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene Medizinische Hochschule Hannover |
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Redaktion: |
Robert Koch-Institut
Gesundheitsberichterstattung Dr. Thomas Ziese (v.i.S.d.P.) Seestraße 10 13353 Berlin |
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Herausgeber: |
Robert Koch-Institut
(Juni 2002) |
Einleitung
Gleichzeitig wurde natürlich auch vieles erreicht, was das Erkennen und Verstehen der Infektionsquellen, Reservoire und Übertragungswege der Erreger von Krankenhausinfektionen betrifft. Dieses Wissen wurde durch systematische epidemiologische Untersuchungen erworben sowie durch die Anwendung neuer Labormethoden. Dadurch war es möglich, wirksame Präventionsmaßnahmen zu empfehlen. Ihre ständige Optimierung und die konsequente Umsetzung der Empfehlungen sind eine kontinuierliche Herausforderung für die inzwischen etablierte Disziplin der Krankenhaushygiene.
Begriffsbestimmung
Damit versucht die Formulierung im Infektionsschutzgesetz zu berücksichtigen, dass natürlich auch im Zusammenhang mit der Behandlung in anderen medizinischen Einrichtungen, wie z.B. Rehabilitationskliniken oder in ambulanten medizinischen Einrichtungen (z.B. Arztpraxen), es zu entsprechenden Infektionen kommen kann, die durch den aus dem Griechischen stammenden Begriff »nosokomial« im engeren Sinne nicht erfasst sind.
Der Bezug zum zeitlichen Zusammenhang -»wenn sie bei Aufnahme in das Krankenhaus weder vorhanden noch in der Inkubationsphase war«- macht deutlich, dass es nicht möglich ist, ein festes Zeitintervall anzugeben, ab welchem Tag eines Krankenhausaufenthaltes beim Auftreten von Infektionszeichen von einer nosokomialen Infektion gesprochen werden kann. Unter Umständen -bei sehr kurzer Inkubationszeit- können bereits am ersten Behandlungstag auftretende Infektionen als nosokomial einzustufen sein, im Falle von Krankheiten mit sehr langen Inkubationszeiten, wie z.B. Hepatitis B, können die Zeitintervalle auch entsprechend groß sein.
Der Nachweis eines ursächlichen Zusammenhanges ist nur in den seltensten Fällen sicher zu demonstrieren und erfordert weit über die Routinediagnostik hinausgehende zusätzliche Anstrengungen. Vor allem die Genotypisierung der Erreger spielt hier eine wichtige Rolle, aber selbst dieses Verfahren kann keine absolute Sicherheit bieten. Wenn z.B. mittels Genotypisierung die Identität der Erreger aus der Wunde eines Patienten mit denen von der Haut des Personals nachgewiesen wird, z.B. Staphylokokkus aureus, bleibt meistens immer noch unklar, ob dieser Erreger vom Personal zum Patienten gelangt ist oder ob umgekehrt der Arzt oder die Schwester sich während der Behandlung oder Pflege des Patienten selbst mit diesem Erreger kontaminiert haben.
Da es sich bei der Entwicklung von nosokomialen Infektionen darüber hinaus in der Regel um ein multifaktoriell bedingtes Geschehen handelt, könnte eine Definition im Sinne eines kausalen Zusammenhanges zwischen der medizinischen Behandlung und der Infektion -so wie sie früher üblich war- im Hinblick auf eine sachliche und zielgerichtete Infektionsaufklärung und Prävention weiterer Fälle eher hinderlich sein. Als »nosokomial« werden Infektionen also unabhängig davon klassifiziert, ob sie vermeidbar sind oder nicht.
Um nationale und internationale Vergleiche zur Häufigkeit und Verteilung nosokomialer Infektionen zu ermöglichen und Trends zu beobachten, existieren über diese allgemeinen Festlegungen hinaus detaillierte Definitionen für die verschiedenen Arten nosokomialer Infektionen, wie z.B. für die Sepsis (durch Mikroorganismen wie Bakterien oder Pilze und deren Toxine hervorgerufene Blutvergiftung), die Pneumonie (Lungenentzündung), die postoperativen Wundinfektionen, die Harnweginfektionen und andere nosokomiale Infektionen. Sie wurden von den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in den USA bereits in den 70er Jahren niedergelegt und kontinuierlich weiterentwickelt. Inzwischen sind sie die international verbreitetsten Definitionen ihrer Art und werden weltweit in den meisten Erfassungs-Systemen für nosokomiale Infektionen benutzt. Auch in Studien zur Häufigkeit nosokomialer Infektionen in deutschen Krankenhäusern wurden sie verwendet und selbstverständlich auch durch das deutsche Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS), in dem kontinuierlich bundesweit seit 1997 Daten zur Häufigkeit nosokomialer Infektionen erfasst werden.
Nach den CDC-Definitionen basieren die Informationen, die benutzt werden, um das Vorliegen einer Krankenhausinfektion zu bestimmen, auf verschiedenen Kombinationen von klinischen Befunden, Ergebnissen von Laboruntersuchungen und anderen diagnostischen Maßnahmen. Die klinischen Befunde werden aus der direkten Untersuchung des Patienten bezogen oder aus den Patientenunterlagen. Für bestimmte Infektionsarten -wie postoperative Wundinfektionen- ist auch die Diagnose des Arztes, die er aus der direkten Beobachtung während der Operation, endoskopischer Untersuchungen oder anderer diagnostischer Tätigkeiten ableitet oder seine klinische Beurteilung ein akzeptables Kriterium für die Klassifikation als nosokomiale Infektion 2 .
Entstehung von nosokomialen Infektionen
Exogene Infektionen sind das direkte Ergebnis der Aufnahme der Infektionserreger aus der Umgebung. Sie können über den direkten Kontakt mit Personen (z.B. Hände des Personals), die diese Infektionserreger tragen, durch kontaminierte Gegenstände, die Luft oder das Wasser übertragen werden. Auch die Aufnahme über kontaminierte Nahrung oder Injektionen und Infusionen ist möglich.
Endogene Infektionen können in primäre und sekundäre unterschieden werden. Um primär endogene nosokomiale Infektionen handelt es sich dann, wenn die Erreger zur normalen Flora 3 des Patienten gehören. Diese Infektionen treten vor allem dann auf, wenn im Laufe der medizinischen Behandlung das Immunsystem des Patienten eingeschränkt wird. Von sekundär endogenen Krankenhausinfektionen spricht man, wenn die Erreger erst im Laufe des Krankenhausaufenthaltes Teil der patienteneigenen Flora werden und sich dann später auf dieser Basis endogene Infektionen entwickeln.
Dementsprechend haben nosokomiale Infektionen im wesentlichen vier verschiedene Ursachen:
-
Patientenfaktoren
Aufgrund von krankheitsbedingten Vorschädigungen der Patienten steigt ihr Risiko zur Entwicklung von Krankenhausinfektionen. -
Umwelt
Die Krankenhausumgebung fördert die Ausbreitung von nosokomialen Infektionserregern, z.B. schaffen die Nähe zu anderen Patienten, die Kontamination von Geräten, die Exposition zu kontaminiertem Wasser, Bau- und Renovierungsarbeiten und nicht desinfizierte Hände des medizinischen Personals günstige Bedingungen für die Übertragung. -
Technologie
Fortschritte der Medizintechnik, die bessere Methoden des Monitorings und der Pflege der Patienten ermöglichen, bedingen gleichzeitig neue Eintrittspforten für Infektionserreger. -
Menschliche Faktoren
Medizinisches Personal ist im allgemeinen heute mehr in Anspruch genommen als früher, dadurch besteht die Gefahr, dass mangels Zeit einfache Hygienemaßnahmen nicht ausreichend beachtet werden.
Risikofaktoren
-
Patientenfaktoren
Dazu gehören hohes Alter, die Schwere der Grundkrankheiten, Einschränkungen der Immunabwehr, Mangelernährung, genetische Faktoren und Verlust der normalen Schutzmechanismen des Körpers (z.B. bei Defekten der Körperoberfläche). Leider sind diese Risikofaktoren häufig nicht bzw. kaum zu beeinflussen. Außerdem ist es sehr schwierig, die Schwere der Grundkrankheiten objektiv vergleichend zu messen. Deshalb sollte man vorsichtig sein, nosokomiale Infektionsraten als Indikatoren für die Qualität der Krankenpflege zu benutzen. -
Umweltfaktoren
Zu nennen sind hier Luft, Wasser und Oberflächen in der Umgebung des Patienten. -
Mikrobiologische Faktoren
Dazu gehören die Virulenz der Erreger, ihre Überlebensfähigkeit in der Krankenhausumgebung und die Resistenzeigenschaften. So sind z.B. S. aureus und P. aeruginosa sehr virulente Erreger, aber auch Erreger mit geringer Virulenz können bei Patienten mit eingeschränkter Immunabwehr oder Schädigung der Haut- oder Schleimhautintegrität Infektionen hervorrufen. Enterokokken und Acinetobacter baumannii sind für ihre lange Überlebensfähigkeit in der Umwelt bekannt. -
Behandlungsfaktoren
Dazu gehören invasive Maßnahmen wie Operationen, invasive Diagnostik und Therapie (z.B. Katheter, Beatmung, Dialyse), die die Eintrittsmöglichkeiten von Erregern in den Körper vergrößern oder das Immunsystem beeinflussende Behandlungen.
Auftreten nosokomialer Infektionen
Häufigkeit nosokomialer Infektionen
Querschnittsstudien, in denen in der Regel sämtliche Patienten einer Abteilung oder eines Krankenhauses an einem bestimmten Tag erfasst und hinsichtlich des Vorliegens einer nosokomialen Infektion eingeschätzt werden, sind damit relativ schnell und kostengünstig durchzuführen. Sie haben aber den Nachteil, dass der Einfluss verschiedener Risikofaktoren kaum beurteilt werden kann. Da in Querschnittsstudien die Anwesenheit von nosokomialen Infektionen und von Risikofaktoren simultan aufgezeichnet wird, kann nur eine Assoziation zwischen den Infektionen und den Risikofaktoren ermittelt werden, jedoch kein kausaler Zusammenhang. Zu diesem Zweck müssen zeitaufwendigere Längsschnittuntersuchungen durchgeführt werden. Daten zur Prävalenz und Inzidenz von nosokomialen Infektionen dürfen nicht miteinander verglichen werden, da länger andauernde Infektionen eine höhere Chance haben, im Rahmen von Querschnittsuntersuchungen erfasst zu werden.
Bei der Beschreibung der Häufigkeit nosokomialer Infektionen beziehen sich üblicherweise Inzidenzdaten auf die Anzahl der neuauftretenden nosokomialen Infektionen in der beobachteten Patientengruppe über einen gewissen Zeitraum, wobei ein Patient natürlich auch mehrere Krankenhausinfektionen entwickeln kann. Die Prävalenzdaten erfassen dagegen meistens die nosokomial infizierten Patienten zu einem bestimmten Zeitpunkt, unabhängig davon, ob nur eine oder mehrere Infektionen vorhanden sind. Für Prävalenzuntersuchungen ist es auch wichtig zu definieren, wie lange eine Infektion als prävalent angesehen wird. In den meisten nationalen Prävalenzstudien wurde festgelegt, eine nosokomiale Infektion solange als prävalent zu betrachten, wie Infektionssymptome vorhanden sind oder der Patient noch entsprechende antimikrobielle Therapie erhält.
zur Tabelle mit Werten
International existieren inzwischen aus zahlreichen europäischen und außereuropäischen Ländern Daten zur Häufigkeit nosokomialer Infektionen. Für landesweite Untersuchungen wurden bzw. werden hierfür überwiegend Prävalenzstudien durchgeführt, z.B. in Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien und Italien. In einigen Ländern wie Spanien und Norwegen ist es sogar üblich, jährlich bzw. regelmäßig nationale Prävalenzuntersuchungen durchzuführen, um Trends zu erkennen.
Auch die WHO initiierte 1983 ein Programm zur Ermittlung der Häufigkeit nosokomialer Infektionen in verschiedenen Ländern und führte eigene Prävalenzuntersuchungen durch. In den Jahren 1983 bis 1985 wurden in 47 Krankenhäusern in 14 Ländern (Ägypten, Australien, China, Dänemark, Griechenland, Großbritannien, Kuwait, Malaysia, Nepal, Niederlande, Singapur, Spanien, Thailand und Tschechoslowakei) Untersuchungen zur Prävalenz von nosokomialen Infektionen durchgeführt. Der Median betrug 8,4%. In einzelnen europäischen Ländern wurden bei verschiedenen zwischen 1980 und 1994 durchgeführten Untersuchungen Prävalenzraten von 6,1% bis max. 9,3% ermittelt.
1994 wurde eine erste repräsentative bundesweite Studie zur Prävalenz nosokomialer Infektionen in Deutschland durchgeführt (NIDEP 1 -Nosokomiale Infektionen in Deutschland- Erfassung und Prävention). Für diese Studie wurden alle Patienten aus 72 zufällig ausgewählten Krankenhäusern, die zum Zeitpunkt der Studie stationär in den Fachrichtungen Innere Medizin, Chirurgie, Gynäkologie und Intensivpflege behandelt wurden, auf das Vorhandensein nosokomialer Infektionen hin untersucht. 14.966 Patienten wurden in diese Studie einbezogen. Die ermittelte Prävalenz betrug 3,0% in der Gruppe der internistischen Patienten, 3,8% bei den chirurgischen Patienten, 1,5% bei den gynäkologisch-geburtshilflichen und 15,3% bei den Intensivpatienten (nosokomial infizierte Patienten pro 100 Patienten). Aufgrund verschiedener methodischer Festlegungen dieser Untersuchung, die ausschließen sollten, dass Patienten fälschlicherweise als nosokomial infiziert eingestuft werden, sind diese Prävalenzraten im Sinne von minimalen Infektionsraten anzusehen.
Die häufigsten nosokomialen Infektionen waren in dieser nationalen Untersuchung die Harnweginfektionen (40%), die Infektionen der unteren Atemwege (20%) und die postoperativen Wundinfektionen (15%), gefolgt von der primären Sepsis (8%).
Da während dieser Studie auch die bereits bei der Aufnahme in das Krankenhaus vorliegenden Infektionen erfasst wurden, war es möglich, die Häufigkeit von diesen Infektionen und den Krankenhausinfektionen bei Patienten in den verschiedenen Fachrichtungen zu vergleichen (Abb.1).
Auch wurden in Deutschland vereinzelte Inzidenzuntersuchungen durchgeführt und teilweise publiziert. Die erste große nationale Studie, mit der versucht wurde, die Dimension des Problems der nosokomialen Infektionen in Deutschland repräsentativ zu beurteilen, ist die retrospektiv durchgeführte Studie der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft (DKG) aus dem Jahr 1990. Dabei erfolgte die Ermittlung und Analyse der nosokomialen Infektionen auf der Basis der Daten des Diagnose- und Therapie-Indexes (DTI) des Jahres 1987. Der DTI ist ein spezielles Informationssystem, mit dem für eine repräsentative Auswahl von Krankenhauspatienten alle wesentlichen Daten des Krankenhausaufenthaltes erfasst werden. Auf dieser Basis wurden retrospektiv 5.561 Patienten hinsichtlich des Auftretens nosokomialer Infektionen während des gesamten Krankenhausaufenthaltes beurteilt. Hierbei wurden solche Infektionen, die frühestens am zweiten Krankenhaustag auftraten, als nosokomiale Infektion definiert (keine CDC-Definitionen) und eine Inzidenz von 6,3% ermittelt. Aufgrund dieses Ergebnisses und der Zahl vollstationär behandelter Patienten in deutschen Akutkrankenhäusern von 11,2 Mio. im Jahr 1987 wurde die Gesamtzahl der Patienten mit nosokomialen Infektionen auf 706.000 hochgerechnet. In diese Untersuchung waren nur Krankenhäuser der alten Bundesländer eingeschlossen.
Eine weitere umfangreiche Untersuchung wurde in den Jahren 1995 bis 1998 auf Intensivstationen und in chirurgischen Abteilungen von acht mittelgroßen Krankenhäusern im Raum Freiburg und Berlin durchgeführt (NIDEP 2). Prospektiv wurden mehr als 11.000 Patienten im Hinblick auf die Entwicklung von Krankenhausinfektionen verfolgt, und es wurde eine Inzidenzrate von 6,9% (nosokomiale Infektionen auf 100 Patienten) ermittelt.
Damit ist bereits klar, dass es bei der Surveillance nicht darauf ankommt, sämtliche nosokomiale Infektionen in allen Bereichen des Krankenhauses zu erfassen, entscheidend ist vielmehr solche Daten zu erheben, die für entsprechende Interventionen von Bedeutung sind. Das ist vor allem wichtig, weil der Aufwand, der mit einer derartigen Beobachtung verbunden ist, in einem ausgewogenen Verhältnis zum dadurch zu erwartenden Vorteil stehen muss.
Auch aus diesem Grunde konzentriert sich KISS derzeit auf postoperative Wundinfektionen bei ausgewählten Indikatoroperationen und auf sogenannte » device «-assoziierte Infektionen in Intensivstationen. Darunter versteht man zum Beispiel eine Sepsis in Assoziation mit der Anwendung von zentralen Venenkathetern (ZVK), Pneumonien bei beatmeten Patienten und Harnweginfektionen bei Patienten mit Harnwegkathetern. Dabei wird »assoziiert« als zeitlicher, nicht unbedingt als ursächlicher Zusammenhang definiert.
Insgesamt sind durch KISS inzwischen Daten zu mehr als 330.000 Patienten aus 212 Intensivstationen und zu fast 150.000 Operationen in 217 operativen Fachabteilungen erhoben worden. Eine Auswahl der Daten wird bei den Ausführungen der verschiedenen nosokomialen Infektionen vorgestellt.
Auf der Basis von Daten des Krankenhaus-Infektions-Surveillance-Systems (KISS) und des Statistischen Bundesamtes 5 muss man davon ausgehen, dass in Deutschland allein auf den Intensivstationen jährlich mehr als 60.000 Krankenhausinfektionen auftreten, und es ist mit ca. 128.000 postoperativen Wundinfektionen pro Jahr zu rechnen. Insgesamt kann aufgrund von Hochrechnungen von etwa 500.000 bis 800.000 Fällen nosokomialer Infektionen im Jahr in Deutschland ausgegangen werden.
Verteilung nosokomialer
Infektionen innerhalb eines
Krankenhauses
Erreger von nosokomialen Infektionen
Von besonderer Bedeutung ist das zunehmende Auftreten von multiresistenten Erregern. Vor allem Methicillin resistente S. aureus (MRSA) und Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE) sind hier zu nennen. So sind in Deutschland zurzeit bereits 15% der klinischen S. aureus-Isolate MRSA.
Konsequenzen aus der Beobachtung
und dem Auftreten von nosokomialen
Infektionen
Wirklich präzise Aussagen zu diesen Fragestellungen resultieren nur aus Studien, in denen Patienten mit und ohne nosokomiale Infektionen nach den wesentlichen Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht, Grundkrankheiten, bisherige Aufenthaltszeit im Krankenhaus verglichen werden, d.h. jedem Fall-Patienten (mit nosokomialer Infektion) werden ein oder mehrere Patienten mit möglichst ähnlichen Risikofaktoren (aber ohne nosokomiale Infektion) gegenübergestellt und auf diese Weise die Unterschiede in der Verweildauer im Krankenhaus und in der Sterblichkeit berechnet (zusätzliche Verweildauer bzw. zusätzliche Sterblichkeit). Spezifische Daten sind in den folgenden Abschnitten zu den wichtigsten nosokomialen Infektionen zu finden. Ganz allgemein verdoppelt sich das Sterberisiko für chirurgische Patienten, wenn sie eine Krankenhausinfektion entwickeln.
Neben der Beeinträchtigung für das Individuum ergeben sich aber auch für die Gesellschaft zum Teil weitreichende, insbesondere ökonomische Konsequenzen. Überwiegend sind dies zusätzlich aufzubringende direkte und indirekte Kosten. Aus Deutschland liegen dazu zurzeit leider keine aktuellen Berechnungen vor. Eine kürzlich erschienene britische Studie zu den sozioökonomischen Folgen nosokomialer Infektionen ermittelte eine Erhöhung der Krankenhauskosten auf das 2,8 fache. Insgesamt errechnen sich für Großbritannien zusätzliche Krankenhauskosten von 930 Mio. Pfund pro Jahr. Daneben existieren nur schwer zu bestimmende indirekte Kosten, die sich aus dem zeitlich begrenzten oder dauerhaften Verlust der Produktivität und damit auch durch ausbleibende Steuer- und Versicherungseinnahmen ergeben. Für die USA wurde 1992 die durch nosokomiale Infektionen bedingte ökonomische Gesamtlast auf 4,5 Milliarden US $ geschätzt.
Die wichtigsten nosokomialen Infektionen
Harnweginfektion
Tabelle 1
Intensivstationstyp | Harnwegkatheter-Anwendungsrate (pro 100 Patiententage) | Harnwegkatheter-assoziierte Harnweginfektionsrate (pro 1000 Harnwegkathetertage) |
---|---|---|
interdisziplinär | 80,7 | 2,6 |
internistisch | 58,8 | 3,7 |
chirurgisch | 88,6 | 4,6 |
Pneumonie (Lungenentzündung)
Tabelle 2
Studie | Art der Intensivstation | Zusätzliche Letalität in Prozent |
Zusätzliche Aufenthaltstage wegen Pneumonie auf der Intensivstation bei Überlebenden |
---|---|---|---|
Craig et al. (Craig u. Connelly 1984) |
interdisziplinär |
11,8 |
8 |
Leu et al. (Leu et al. 1989) |
Keine Angabe |
6,8 |
9,2 |
Kappstein et al. (Kappstein et al. 1992) |
chirurgisch |
nicht untersucht |
10 |
Fagon et al. (Fagon et al. 1993) |
internistisch |
27 |
13 |
Baker et al. (Baker et al. 1996) |
traumatologisch |
0 |
9 |
Papazin et al. (Papazian et al. 1996) |
interdisziplinär |
1 |
8,8 |
Aznar et al. (Aznar et al. 1996) |
respiratorisch |
6,7 |
25 |
Heyland et al. (Heyland et al. 1999) |
interdisziplinär |
5,8 |
4,7 |
Tabelle 3
Intensivstationstyp | Beatmungsrate (pro 100 Patiententage) |
Beatmungs-assoziierte Pneumonierate (pro 1.000 Beatmungstage) |
---|---|---|
interdisziplinär | 43,6 | 8,4 |
internistisch | 32,4 | 8,5 |
chirurgisch | 46,5 | 11,6 |
Postoperative Wundinfektion
Tabelle 4
Studie | Operationsarten |
Zusätzliche Aufenthaltstage wegen Wundinfektion |
---|---|---|
Coello et al. 1993 | Abdominalchirurgie | 9,5 bis 23,7 |
Kappstein et al. 1992 | Spezielle OP-Arten | 11,4 |
Poulsen et al. 1994 | Chirurgie | 5,7 |
Kirkland et al. 1999 | Chirurgie | 6,5 |
Merle et al. 2000 | Abdominalchirurgie | 7,2 |
Die Häufigkeit der postoperativen Wundinfektionen hängt von der Wundkontaminationsklasse ab, von der Operationsdauer und der Erkrankungsschwere des Patienten. Deshalb wird, um die Vergleichbarkeit sicherzustellen, im KISS jeder Operation jeweils ein Risikopunkt zugeordnet, wenn die Wundkontaminationsklasse kontaminiert oder septisch war, wenn die Operation länger gedauert hat als 75% der Operationen dieser Art dauern oder wenn die Anästhesisten dem Patienten aufgrund seiner Erkrankungsschwere einen ASA-Score 6 von 3 oder höher zuordnen. Dementsprechend können einer Operation 0,1,2 oder 3 Risikopunkte zugeordnet werden. Tabelle 5 zeigt die Wundinfektionsraten nach Anzahl der Risikopunkte für einige ausgewählte charakteristische Operationsarten.
Tabelle 5
Indikatoroperationsart | Postoperative Wundinfektionsraten pro 100 Operationen für unterschiedliche Mengen Risikopunkte |
||||
---|---|---|---|---|---|
-1* | 0 | 1 | 2 | 3 | |
Knieendoprothesen | 1,0 | 1,1 | 1,7 | 0 | |
Hüftendoprothesen in der Orthopädie | 0,9 | 1,6 | 2,8 | 3,6 | |
Oberschenkelhalsfrakturen | 2,0 | 1,8 | 4,3 | 0 | |
Mastektomien (Brustamputationen) | 0,7 | 2,4 | 8,4 | 33,3 | |
Strumektomien (Schilddrüsenentfernungen) | 0,3 | 0,6 | 2,2 | 0 | |
Herniotomien (Bruchoperationen) | 0,9 | 2,1 | 5,1 | 2,6 | |
Nephrektomien (Nierenentfernungen) | 4,8 | 6,2 | 9,9 | 0 | |
Cholecystektomien (Gallenblasenentfernungen) | 0,7 | 1,5 | 2,6 | 2,9 | 6,2 |
Colorektale Operationen (Dick- und Mastdarmoperationen) | 6,1 | 4,3 | 5,3 | 8,2 | 15,2 |
Appendektomien (Blinddarmoperationen) | 1,3 | 2,2 | 4,0 | 5,3 |
Sepsis (Blutvergiftung)
Tabelle 6
Intensivstationstyp | ZVK-Anwendungsrate | ZVK-assoziierte Sepsisrate |
---|---|---|
interdisziplinär | 73 | 1,7 |
internistisch | 51 | 1,9 |
chirurgisch | 82,6 | 1,8 |
Vermeidbarkeit nosokomialer Infektionen
Prävention nosokomialer Infektionen
Die wichtigste Einzelmaßnahme bleibt die Händedesinfektion. In einer kürzlich publizierten deutschen Studie wurde gezeigt, dass beispielsweise nur bei 55,2% der Tätigkeiten, in denen eine hygienische Händedesinfektion erwartet wird, auch entsprechend reagiert wird. Damit ist hier noch ein deutliches Verbesserungspotential gegeben. Auch den Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung von multiresistenten Erregern wird noch nicht immer die notwendige Aufmerksamkeit beigemessen. Wesentlich für die Prävention nosokomialer Infektionen ist auch der restriktive Einsatz aller Maßnahmen, die mit einer Durchbrechung der Haut oder Schleimhaut verbunden sind, und der restriktive Einsatz von Therapieformen, die zu einer Beeinträchtigung der Immunabwehr des Patienten führen.
Perspektive und Zielsetzung
Fußnoten
1
Zeit zwischen der Infektion mit einem Erreger und dem
Auftreten der ersten Krankheitszeichen
2
Robert Koch-Institut (2000) Definition nosokomialer
Infektionen
3
Gesamtheit der Bakterien in einem Organ oder Körperbereich
4
als Epidemie auftretend (Epidemie -zeitlich begrenztes
massenhaftes Auftreten einer Infektionskrankheit)
5
Statistisches Bundesamt: 6,5 Millionen Patiententage auf
Intensivstationen (2000) und 6,4 Millionen Operationen (1999)
6
ASA:
American Society of Anesthesiologists
ASA-Score-Punktescala für die Beurteilung der Schwere der Erkrankung des Patienten
7 Robert Koch-Institut (2000) Richtlinie für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention.
Weiterführende Literatur
Gastmeier P, Mielke M, Nassauer A, Daschner F, Rüden H (2001) Ist die Surveillance von Krankenhausinfektionen sinnvoll und kosteneffektiv? Das Krankenhaus 93: 317 bis 32
Gastmeier P, Rüden H (2001) Epidemiologie und Surveillance nosokomialer Infektionen. In: Krankenhaus- und Praxishygiene, Hrsg. Kramer A, Heeg P, Botzenhardt K. Urban & Fischer München Jena. 17 bis 44
Gastmeier P, Geffers C, Koch J, Sohr D, Nassauer A, Daschner F, Rüden H (1999) Surveillance nosokomialer infektionen. Das Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS). J Lab Med 23: 173 bis 178
Gastmeier P, Rüden H, Lode H, Ekkernkamp A, Seifert J (1998) Qualitätssicherung in der nosokomialen Infektiologie. Aesopus. Stuttgart
Geffers C, Koch J, Sohr D, Nassauer A, Daschner F, Rüden H, Gastmeier P (2000) Aufbau einer Referenzdatenbank für nosokomiale Infektionen auf Intensivstationen. Anaesthesist 49: 732 bis 737
Rüden H, Daschner F, Gastmeier P (2000) eds. Krankenhausinfektionen: Empfehlungen für das Qualitätsmanagement. Springer. Berlin
Steinbrecher E, Sohr D, Hansen S, Nassauer A, Daschner F, Rüden H, Gastmeier P (2002) Surveillance postoperativer Wundinfektionen: Referenzdaten des Krankenhaus-Infektions-Surveillance-Systems (KISS). Chirurg 73: 76 bis 82
Tabellen mit Werten aus Abbildungen
Fachrichtung | Nosokomiale Infektionen | Nicht nosokomiale Infektionen |
---|---|---|
Innere Medizin | 3,0 | 13,9 |
Chirurgie | 3,8 | 7,0 |
Gynäkologie/Geburtshilfe | 1,4 | 4,2 |
Intensivmedizin | 15,3 | 14,2 |