Chronische Leberkrankheit und -zirrhose, Kapitel 5.22 [Gesundheitsbericht für Deutschland, 1998]
[Karies und Parodontopathien, Kapitel 5.21] [Chronische Niereninsuffizienz, Kapitel 5.23] [Abstrakt] [Inhaltsverzeichnis] [Literaturverzeichnis]
5.22 Chronische Leberkrankheit und -zirrhose
Chronische Leberkrankheiten sind in Deutschland im Vergleich mit anderen westeuropäischen
Ländern relativ stark verbreitet. Der Verlust an Lebensjahren ist hoch, weil insbesondere jüngere Menschen an
chronischen Leberkrankheiten sterben. Der weitaus größte Teil der Erkrankungen ist durch
Alkoholmißbrauch verursacht. Vor allem bei der Leberzirrhose und beim Leberzellkarzinom als gravierende
fortgeschrittene Stadien bzw. Folgen chronischer Leberkrankheiten ist die Sterblichkeit hoch. Sterblichkeit und
Arbeitsunfähigkeit infolge chronischer Leberkrankheiten sind im Osten erheblich höher als im Westen.
Bei chronischen Leberkrankheiten gibt es ein erhebliches Vermeidbarkeitspotential. Bei der
Virushepatitis zeichnen sich Erfolge durch Eindämmung der Übertragung im Medizinbetrieb, durch Impfungen und
durch den Einsatz einer medikamentösen Therapie ab. Bei alkoholbedingten Leberkrankheiten kann ein Rückgang
der Krankheitslast nur durch Präventionsmaßnahmen erreicht werden, die den Alkoholmißbrauch
eindämmen.
Krankheitsformen und -verlauf
Der Begriff "chronische Leberkrankheiten"
umfaßt eine Vielfalt krankhafter Leberveränderungen mit unterschiedlichen Ursachen, Krankheitsentwicklungen,
Symptomatiken, Verläufen und Prognosen, sofern sie zumindest sechs Monate lang bestehen.
In Deutschland entstehen chronische Leberkrankheiten in 80% der Fälle infolge
übermäßigen Alkoholkonsums. Die zweithäufigste Ursache sind chronische Virusinfektionen mit ihren
Folgeerscheinungen, insbesondere Hepatitis C. Daneben können noch weitere z.T. sehr seltene Krankheiten eine
chronische Leberkrankheit zur Folge haben. Dazu gehören spezielle Autoimmunprozesse und
Stoffwechselstörungen. Bei einem Teil der von chronischen Leberkrankheiten Betroffenen kommt es durch die
Zerstörung des aktiven Lebergewebes zur Entwicklung einer Leberzirrhose, dem gemeinsamen Endstadium
unterschiedlicher Vorerkrankungen der Leber.
Alkoholbedingte Leberkrankheiten
Bei alkoholbedingten Leberkrankheiten werden drei
Formen unterschieden: Die alkoholbedingte Fettleber, die Alkoholhepatitis und die Alkoholzirrhose. 90% der Menschen mit
Alkoholmißbrauch haben eine Fettleber. Bei 40 bis 50% der Personen mit Alkoholfettleber und fortgesetztem
Alkoholmißbrauch entwickelt sich innerhalb von drei bis fünf Jahren eine Alkoholhepatitis. In etwa einem
Drittel der Fälle kommt es nach 5 bis 25 Jahren zur Entwicklung einer Leberzirrhose. Die Alkoholhepatitis ist für
das Fortschreiten der chronischen alkoholbedingten Leberkrankheiten bis zur Zirrhose die entscheidende
Veränderung. Sie kann ohne Symptome verlaufen, aber auch mit schwersten Krankheitszeichen zum Tod führen.
Typische Beschwerden und klinische Befunde bei mittelschweren und schweren Verlaufsformen sind Appetitlosigkeit,
Übelkeit, Erbrechen, Gewichtsverlust, Bauchschmerzen, Flüssigkeitsansammlung im Bauchraum (Aszites),
Gelbsucht, Fieber, Nierenversagen und Bewußtseinseintrübung bis zum Koma.
Die Alkoholzirrhose entsteht durch die Zerstörung der Leberzellen mit ausgeprägter
Narbenbildung (Fibrose). Auch das Erscheinungsbild einer Alkoholzirrhose zeigt ein breites Spektrum zwischen weitgehend
asymptomatischen Verlaufsformen und schwerem, dabei oft tödlichem Verlauf.
Bei Alkoholfettleber und leichter bis mittelschwerer Alkoholhepatitis führt Alkoholabstinenz
i.d.R. innerhalb von zwei bis drei Monaten zu einer weitgehenden Normalisierung der krankhaften
Leberveränderungen. Abstinenz verbessert auch bei einer Leberzirrhose im Anfangsstadium die Prognose deutlich. Von
Zirrhotikern, die weiter trinken, versterben ungefähr 60 bis 80% innerhalb von fünf Jahren. Bei der Mehrzahl der
Personen mit alkoholbedingter Leberkrankheit sind außer der Leber noch ein oder mehrere andere Organe oder
Organsysteme betroffen (siehe auch Kapitel 4.5
Konsum von Alkohol
).
Chronische Virushepatitis
Von einer chronischen Virushepatitis spricht man,
wenn Zeichen der Leberentzündung über mindestens sechs Monate bestehen bleiben. Man unterscheidet inzwischen
fünf verschiedene Erreger der Virushepatitis, die mit A bis E bezeichnet werden. Vor allem die
Hepatitis C-Infektionen nehmen häufig (in 40 bis 60% der Fälle) einen chronischen Verlauf. Bei
Hepatitis B-Infektionen sind es nur 5 bis 10% (siehe auch Kapitel 5.27
Hepatitis B
).
Ähnlich wie bei einer alkoholbedingten Leberkrankheit reicht das Krankheitsspektrum von
asymptomatischen bis zu schweren Verlaufsformen. Leichte Formen können über Jahre und Jahrzehnte weitgehend
symptomlos sein. Dies trifft für die Mehrzahl der Erkrankungen zu. Bei etwa einem Drittel der Fälle mit
chronischer Hepatitis B beginnt die Erkrankung mit den Symptomen einer akuten Virushepatitis. Bei den restlichen etwa
zwei Dritteln und der Mehrzahl der Fälle mit chronischer Hepatitis C sind die Symptome anfangs unklar. Ein
unbestimmtes Krankheitsgefühl, Müdigkeit und Oberbauchbeschwerden stehen im Vordergrund. Nicht selten kommt
es zu einem schubweisen Krankheitsverlauf mit Phasen einer verstärkten Krankheitsaktivität über einige
Wochen oder Monate.
Unbehandelt gehen chronische Hepatitis B und C in ca. 20 bis 30% der Fälle, meist nach jahrelangem
Verlauf, in eine Leberzirrhose mit allen Folgen über. Eine Behandlung mit Interferon-Alpha führt bei einem
Teil der Erkrankungen zu einem Stillstand der Entzündung und zum Verschwinden der Viren.
Fortgeschrittene Zirrhose
Bei fortgeschrittener Zirrhose und schweren
Verlaufsformen einer chronischen Virus- oder Alkoholhepatitis kommt es durch die zunehmende Einschränkung der
Leberfunktion zu Gelbsucht und Flüssigkeitsansammlung in den Beinen und im Bauchraum (Ödeme bzw. Aszites)
sowie zu Krampfadern in der Speiseröhre (Ösophagusvarizen). Schwere Blutungen aus diesen Varizen sind akut
lebensbedrohlich, da durch die Leberfunktionseinschränkung zusätzlich schwere Gerinnungsstörungen
vorliegen können. Weiterhin kann es durch eine zunehmend eingeschränkte Leberfunktion und mangelnde
Entgiftung von bestimmten Stoffen aus dem Darm zur Eintrübung des Bewußtseins bis hin zum Koma kommen. Die
Einschränkung der Nierenfunktion bis hin zum Nierenversagen ist häufig eine weitere Folge der komplexen
Störungen.
Die Folgen und Komplikationen lassen sich durch inzwischen verfügbare medizinische
Maßnahmen teilweise beherrschen. Schwerere Komplikationen wie akute Blutungen, ausgeprägte Ödeme,
Aszites und beginnendes Koma erfordern meist eine längere Krankenhausbehandlung und häufig
intensivmedizinische Maßnahmen. Eine länger bestehende ausgeprägtere chronische Leberkrankheit,
insbesondere eine -zirrhose führt durch Appetitlosigkeit und ungenügende Ernährung zu Gewichtsabnahme
und Muskelschwund bis zur deutlichen Abmagerung (Kachexie). Bei fortgeschrittener Leberzirrhose wird außerdem
eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen beobachtet, besonders für Lungenentzündungen,
Harnwegsinfekte und Pilzerkrankungen. Für einen Teil der Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose können
das Befinden und die Überlebenswahrscheinlichkeit durch eine Lebertransplantation deutlich verbessert werden.
Risikofaktoren
Zwischen Dauer und Ausmaß des Alkoholkonsums
und der Leberschädigung besteht ein enger Zusammenhang. Eine Studie kam zu dem Ergebnis, daß das Risiko
einer Leberzirrhose für Männer bei einem durchschnittlichen Alkoholkonsum von 40 bis 60 g je Tag sechsmal so hoch
ist wie bei einem von 20 g je Tag (letzterer entspricht etwa 0,25 l Wein bzw. 0,50 l Bier). Bei einer
durchschnittlichen Alkoholmenge von 120 bis 140 g je Tag steigt das Risiko auf das 50fache. Frauen haben im Vergleich zu
Männern bei ähnlichem Alkoholkonsum ein etwa doppelt so hohes Risiko.
Hepatitis B (vgl. Kapitel 5.27) wird in Deutschland zu einem großen Teil durch
ungeschützte Sexualkontakte übertragen. Daneben spielen vor allem Übertragungen bei Injektionen und
Infusionen eine Rolle. Letzteres betrifft vor allem intravenös Drogenabhängige und Infektionen im Rahmen von
medizinischen Behandlungen. Es gibt eine Reihe von bekannten Risikogruppen, denen aber nur ein relativ geringer Anteil
der Infektionen zuzuordnen ist. Bei ungefähr der Hälfte der Hepatitis B- und C-Infektionen sind die
Übertragungswege bisher ungeklärt. Das Risiko einer Übertragung von Hepatitis B und C im medizinischen
Bereich konnte durch hochempfindliche Nachweisverfahren für die Erreger im Blut und in Blutprodukten, wirksame
Verfahren zur Abtötung der Erreger sowohl in Blutprodukten als auch an medizinischen Instrumenten sowie durch die
Verwendung von Einmal-Injektionsnadeln und -spritzen außerordentlich effektiv gesenkt werden. Das Risiko einer
Übertragung von Hepatitis B-Viren durch Bluttransfusion beträgt ca. 1 : 50.000, von Hepatitis C-Viren ca.
1 : 70.000.
Verbreitung und Trend
Aus den Angaben der Gesundheitssurveys in
Deutschland wird geschätzt, daß in Deutschland 4 bis 5 Mio. Menschen (jetzt oder früher) von Fettleber,
Leberentzündung sowie akuter oder chronischer Hepatitis betroffen sind bzw. waren. Der Anteil der chronischen
Formen läßt sich aus dieser Erhebung nicht ableiten.
Alkoholbedingte Leberkrankheit: Nach Angaben der Deutschen Hauptstelle gegen die
Suchtgefahren (DHS) und Stichprobenerhebungen wird die Zahl der Erwachsenen mit alkoholbedingter Leberkrankheit in
Deutschland auf 2,0 bis 3,2 Mio. geschätzt. 80% davon sind Männer. Die Zahl der Personen mit fortschreitender
alkoholbedingter Leberkrankheit, d.h. einer Alkoholhepatitis bzw. -zirrhose, wird auf 0,6 bis 1 Mio. geschätzt. Die
40 bis 60jährigen sind hiervon besonders betroffen. Wegen der hohen Sterblichkeit von Personen mit fortschreitender
alkoholbedingter Leberkrankheit nimmt die Häufigkeit in höheren Altersgruppen ab.
Zwischen der Häufigkeit von alkoholbedingten Leberkrankheiten und dem durchschnittlichen
Alkoholkonsum der Bevölkerung besteht ein enger Zusammenhang. Da letzterer seit den siebziger Jahren relativ
konstant ist, kann man kurzfristig nicht mit einem wesentlichen Rückgang der Häufigkeit alkoholbedingter
Leberkrankheiten rechnen. Alkoholbedingte Leberkrankheiten sind in Deutschland ungefähr ebenso häufig wie in
anderen Ländern mit hohem Alkoholkonsum wie z.B. in Frankreich (siehe auch Kapitel 4.5).
Chronische Virushepatitis: Schätzwerte zur Verbreitung der chronischen Hepatitis C
stützen sich auf die Häufigkeit des Nachweises von serologischen Markern in Stichprobenuntersuchungen,
insbesondere bei Blutspendern. Man geht hier von einer Häufigkeit von 0,1 bis 0,4% und damit von 65.000 bis 260.000
Betroffenen über 20 Jahren aus.
Die Gesamtzahl der jährlich gemeldeten Neuerkrankungen an Hepatitis B und C ist in Deutschland
von 1980 bis 1989 zurückgegangen. Seitdem läßt sich für die Hepatitis B kein eindeutiger Trend mehr
erkennen, am ehesten ist ein leichter Anstieg wahrzunehmen (siehe auch Kapitel 5.27). Die Anzahl nicht gemeldeter
Fälle gilt als sehr hoch.
Folgen
Insbesondere bei langsam fortschreitender Alkohol- und Hepatitis C-Zirrhose ist das primäre Leberzellkarzinom eine wichtige Folgekrankheit . Zur Zeit kann die Diagnose in den meisten Fällen erst so spät gestellt werden, daß eine wirksame und dauerhaft erfolgreiche Behandlung durch Operation bzw. Transplantation nicht mehr möglich ist.
Sterblichkeit
Für Personen mit chronischem
Alkoholmißbrauch verkürzt sich die Lebenserwartung um durchschnittlich 23 Jahre. Bei einer schweren
Alkoholhepatitis oder Leberzirrhose ist sie darüber hinaus erheblich verkürzt. Abhängig vom Schweregrad
der alkoholbedingten Leberzirrhose sterben im Zeitraum von fünf Jahren nach Diagnosestellung zwischen 40 und 80%
der Betroffenen.
Bei chronischer Hepatitis B verkürzt sich die Lebenserwartung, wenn sich eine
Leberzirrhose ausbildet. Je nach dem Schweregrad der Leberzirrhose durch Virushepatitis B beträgt die
durchschnittliche Überlebensrate nach zehn Jahren 20 bis 80%, im Durchschnitt ca. 50%. Bei chronischer Hepatitis C
ist die Sterblichkeit nicht deutlich erhöht. Für die ca. 20% Erkrankten, bei denen sich eine
Leberzirrhose entwickelt, dürfte sich die Lebenserwartung jedoch verringern.
In der Statistik der Todesursachen sind chronische Leberkrankheit und -zirrhose
unterrepräsentiert, da ein größerer Teil der Zirrhotiker an Komplikationen wie z.B. einer
Lungenentzündung verstirbt, obwohl die chronische Lebererkrankung entscheidender Wegbereiter war. Dies gilt
insbesondere für Personen mit Alkoholzirrhose.
Abb. 5.22.1 zeigt, wie sich die geschlechtsspezifische Sterblichkeit an chronischer Leberkrankheit
und -zirrhose (ICD 9-Nr. 571) langfristig entwickelt hat. 1995 überstieg die auf die geschlechtsunabhängige
standartisierte Sterblichkeit der Männer an dieser Todesursache die der Frauen um 146,8%, im Osten sogar um
182,7%. Bei chronischer Leberkrankheit und -zirrhose ist der Anteil von jüngeren Menschen relativ groß, was
zu einem hohen Verlust an Lebensjahren führt. Deutschland zählt im Vergleich mit anderen
westeuropäischen Ländern und den USA zu den Ländern mit einer relativ hohen Sterblichkeit an chronischen
Leberkrankheiten.
Ein nicht unerheblicher Teil der Personen mit Alkoholzirrhose sowie Leberzirrhose infolge
chronischer Hepatitis B und C verstirbt an einem späteren Leberzellkarzinom (ICD 9-Nr. 155). Die Zahl der daran
Gestorbenen hat in Deutschland in den letzten zehn Jahren um ca. ein Drittel zugenommen.
Abb. 5.22.1: Sterblichkeit an Leberkrankheit und Leberzirrhose | ||
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Quelle: StBA, Todesursachenstatistik. Die Sterbeziffern sind auf die neue Europastandardbevölkerung standardisiert. Der Geschlechtsvergleich ist eingeschränkt. |
Weitere Informationen zum Thema Sterblichkeit an Leberkrankheit und Leberzirrhose
Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung
Abb. 5.22.2: Arbeitsunfähigkeitsfälle wegen Leberkrankheit und Leberzirrhose | ||
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Quelle: AOK, Krankheitsartenstatistik; eigene Berech-nungen.
Die Angaben beziehen sich auf die Pflichtmitglieder ohne Rentner der Allgemeinen Ortskrankenkassen. |
Im Westen hat sich bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) von 1965 bis 1975 die Zahl der
Arbeitsunfähigkeitsfälle (AU-Fälle) wegen chronischer Leberkrankheit und -zirrhose je 100.000
Pflichtmitglieder ohne Rentner verdoppelt, seitdem hat sie deutlich abgenommen (siehe Abb. 5.22.2). In der gesamten
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Westen verlief die Entwicklung ähnlich, jedoch lagen die Werte für
Männer hier etwas niedriger als bei der AOK.
Für Deutschland insgesamt wurden 1993 wegen chronischer Leberkrankheit und -zirrhose insgesamt
ca. 1 Mio. AU-Tage der GKV-Pflichtmitglieder registriert. Osten und Westen unterscheiden sich hinsichtlich der
Häufigkeit dieser Arbeitsunfähigkeit (siehe Abb. 5.22.2), vor allem aber hinsichtlich deren Dauer. Sie lag
für die AOK-Mitglieder 1994 im Westen bei durchschnittlich 68, im Osten bei 105 Tagen. Beide Werte
übersteigen den Gesamtdurchschnitt von 17 bzw. 18 Tagen um ein Mehrfaches.
1,5% aller Frühberentungen bei Männern und 0,8% bei Frauen wurden 1995 wegen chronischer
Leberkrankheit und -zirrhose ausgesprochen. Im Jahr 1994 waren es 1,7% bzw. 0,9%. Diese Berentungen erfolgten in
vergleichsweise jungen Jahren und vorwiegend wegen alkoholbedingter Leberkrankheit. 1995 traf letzteres bei
Männern in 64% und bei Frauen in 58% der Fälle zu, im Jahr zuvor bei 91% bzw. 79%. Im Jahr 1995 wurden
insgesamt 3 785 Männer und Frauen wegen chronischer Leberkrankheit und -zirrhose frühberentet, 11% weniger
als im Vorjahr. Zwischen 1993 und 1994 hatte die Zahl dieser Fälle noch um 13% zugenommen.
Leistungen und Kosten
Im Jahr 1995 wurden 40.553 Männer und 25.495
Frauen stationär wegen chronischer Leberkrankheit und -zirrhose behandelt. Dafür fielen insgesamt knapp
1,1 Mio. Pflegetage an. Im Jahr zuvor waren 1,2 Mio. Pflegetage auf die Behandlung von 41.409 Männern und 26.367
Frauen entfallen. Am häufigsten waren jeweils die 45 bis 64jährigen betroffen.
1995 wurden vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger wegen chronischer Leberkrankheit
und -zirrhose 2.232 Maßnahmen zur medizinischen und sonstigen Rehabilitation durchgeführt. Damit ist deren
Zahl im Vergleich zu 1982 um 78% zurückgegangen. 1995 entfielen 63% dieser Maßnahmen auf alkoholbedingte
Leberkrankheit, in drei von vier Fällen wurden Männer behandelt. Damit setzt sich in der Rehabilitation
chronischer Leberkrankheit und -zirrhose ein Trend fort, der Anfang der siebziger Jahre begonnen hatte, als der Nutzen
solcher Leistungen für Patienten dieser Diagnosegruppe kritisch hinterfragt wurde.
Die direkten Kosten für Leistungen wegen chronischer Leberkrankheiten in Deutschland wurden
für 1994 auf ca. 1,9 Mrd. DM geschätzt (siehe Kapitel 8.6
Kosten nach Krankheitsarten
).
Einrichtungen und Erwerbstätige
Zur Behandlung und Betreuung von Patienten mit
Alkoholproblemen gibt es in Deutschland ein spezialisiertes Versorgungssystem (vgl. Kapitel 4.5).
Alkoholmißbrauch und Frühformen von alkoholbedingten Leberkrankheiten werden sowohl von
Ärzten in der Praxis als auch von Ärzten in Allgemeinkrankenhäusern oft nicht als solche erkannt. Neue
Konzepte für eine verbesserte Früherkennung und -intervention bei Patienten mit Alkoholproblemen wurden in
den letzten Jahren erprobt.
Patienten mit einer chronischen Virushepatitis Typ B oder C sowie mit anderen chronischen
Lebererkrankungen werden z.T. von Allgemeinärzten, schwerpunktmäßig aber von Internisten mit dem
Fachgebiet Gastroenterologie behandelt. Außerdem gibt es in der Mehrzahl der größeren
Krankenhäuser spezielle Abteilungen mit dem Schwerpunkt Gastroenterologie/Hepatologie, mit denen die
niedergelassenen Ärzte bei der speziellen Diagnostik und Behandlung von chronischen Leberkrankheiten
zusammenarbeiten. Sie übernehmen auch die Behandlung im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit sowie bei
Komplikationen.
Spezialisten, die sich vorwiegend oder ausschließlich mit der Behandlung von Patienten mit
Lebererkrankungen befassen, gibt es nur in einem Teil der Universitätskliniken und in wenigen Krankenhäusern
in privater Trägerschaft.
Für Patienten mit stark fortgeschrittener chronischer Leberkrankheit, für die eine
Lebertransplantation erforderlich ist, gibt es in Deutschland 19 Transplantationszentren. Sie werden für einen
jährlichen Bedarf von etwa 550 bis 600 Lebertransplantationen als ausreichend eingeschätzt.
Verbände und Gesellschaften
Die Deutsche Arbeitsgemeinschaft zum Studium der Leber (German Association for the Study of the Liver) ist ein Zusammenschluß von Ärzten, die sich schwerpunktmäßig mit Erkrankungen der Leber befassen (Hepatologen). Die Deutsche Leberhilfe ist eine Selbsthilfevereinigung für Menschen mit Lebererkrankungen jeglicher Art. Außerdem sind rund 3.600 Sucht-Selbsthilfegruppen sowie zusätzlich etwa 4.000 Selbsthilfegruppen der Anonymen Alkoholiker (siehe auch Kapitel 4.5) in der Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossen.
Prävention
Zur Prävention von alkoholbedingten
Leberkrankheiten zählen alle Maßnahmen, die den Alkoholmißbrauch verringern helfen und solche, die der
Betreuung von Alkoholabhängigen dienen. Wichtig wäre es, wirksamere Maßnahmen zur Verhütung des
Alkoholmißbrauchs zu entwickeln und auf ihren Erfolg hin zu bewerten, die Aus- und Weiterbildung der Ärzte
auf dem Gebiet der Alkoholkrankheit und ihrer Folgen zu verbessern sowie die Aktivitäten der Einrichtungen besser
zu koordinieren, die an der Früherkennung, Motivation und Behandlung von Alkoholkranken beteiligt sind.
Für die Vorbeugung der chronischen Hepatitis B und C spielt die Aufklärung über die
wichtigsten Infektionsrisiken eine große Rolle. Die Möglichkeit einer aktiven Schutzimpfung bietet seit
über einem Jahrzehnt einen wesentlich verbesserten Schutz vor Hepatitis B (vgl. Kapitel 5.27). Inzwischen
empfiehlt die Ständige Impfkommission u.a. die generelle Impfung von Säuglingen bzw. Kindern.
Steuerung und Ziele
Alkoholbedingte Leberkrankheiten sind in hohem Grade vermeidbar. Solange noch keine Abhängigkeit besteht, ließen sich mit angemessener Aufklärung 90% durchaus vom Alkoholmißbrauch zu anhaltender Abstinenz bringen. Bei 50 bis 60% der Alkoholabhängigen kann mit geeigneten Behandlungskonzepten ein lang anhaltender Therapieerfolg erzielt werden. Bisher erhält jedoch nur ein geringer Anteil der Betroffenen eine adäquate Therapie. Zur Verbesserung der Situation sollte angestrebt werden,
- mehr Personen mit alkoholbedingter Leberkrankheit einer effektiven Therapie und Sekundärprävention zuzuführen,
- durch verbesserte Primär- und Sekundärprävention die Sterblichkeit an Alkoholzirrhose im erwerbsfähigen Alter zu senken,
- die Häufigkeit von primärem Leberzellkarzinom infolge Alkoholzirrhose zu vermindern, und
- weniger Lebertransplantationen infolge alkoholbedingter Leberkrankheit notwendig werden zu lassen.
In Deutschland wurden in den letzten Jahren eine Reihe von Projekten mit dem Ziel durchgeführt,
bei primär behandelnden Ärzten die Früherkennung und Qualität der Versorgung von Menschen mit
alkoholbedingter Leberkrankheit zu verbessern. Weitere Forschungsarbeiten zur Primär- und
Sekundärprävention von Alkoholmißbrauch bzw. Alkoholabhängigkeit sollten stärker
gefördert werden.
Bei chronischer Hepatitis B und C ist es vor allem wichtig, das Auftreten von chronischen
Leberkrankheiten und primären Leberzellkarzinomen zu senken. Dies läßt sich erreichen, indem durch
bessere Aufklärung von Risikogruppen und aktive Impfung gegen Hepatitis B-Infektion die Neuinfektionsrate gesenkt
wird.
Bei der großen Zahl von Infizierten in allen Altersgruppen wird sich ein Rückgang der
Neuinfektionen jedoch erst in mehr als zwanzig Jahren auf die Prävalenz von chronischer Hepatitis B und C
auswirken. Den derzeit Infizierten kann nur eine intensivierte Erforschung wirksamerer Therapiemöglichkeiten
helfen.
Vertiefende Literatur
Bode, J.C. [1984]: Epidemiologie und sozioökonomische Bedeutung der chronischen Lebererkrankungen. In: Goebell, H.; Hotz, J.; Farthmann, E.H. (Hrsg.) [1984]: Der chronisch Kranke in der Gastroenterologie . Berlin: Springer.
Casper, W.; Wiesner, G.; Bergmann, K.E. (Hrsg.) [1995]: Mortalität und Todesursachen in Deutschland . Berlin: RKI (RKI-Heft 10/95).
Deutsche Hauptstelle Gegen Die Suchtgefahren [1994]: Jahrbuch Sucht ´95 . Geesthacht: Neuland.
John, U.; Hapke, U.; Rumpf, H. bis J.; Hill, A.; Dilling, H. [1996]: Prävalenz und Sekundärprävention von Alkoholmißbrauch und -abhängigkeit in der medizinischen Versorgung . Baden-Baden: Nomos .
Maier, K. bis P. [1995]: Hepatitis - Hepatitisfolgen . Stuttgart: Thieme.
Seitz, H.; Lieber, C.; Siemanowski, U. (Hrsg.) [1995]: Handbuch Alkohol, Alkoholismus, alkoholbedingte Organschäden . Leipzig: Barth.
Kapitel 5.22 Chronische Leberkrankheit und -zirrhose [Gesundheitsbericht für Deutschland 1998]
[Karies und Parodontopathien, Kapitel 5.21] [Chronische Niereninsuffizienz, Kapitel 5.23] [Abstrakt] [Inhaltsverzeichnis] [Literaturverzeichnis]
Gesundheitsberichterstattung des Bundes 05.02.2023