INFOBOX 5.8.2: Patientensicherheit [Gesundheit in Deutschland, 2015]
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INFOBOX 5.8.2
PATIENTENSICHERHEIT
Der Begriff Patientensicherheit bezeichnet die Abwesenheit unerwünschter Ereignisse in der Gesundheitsversorgung. Ein unerwünschtes Ereignis ist ein schädliches Vorkommnis, das eher auf der Behandlung als auf der Erkrankung des jeweiligen Betroffenen beruht. Es kann vermeidbar oder unvermeidbar sein [8]. Ein Behandlungsfehler ist definiert als eine nicht ordnungsgemäße, d.h. nicht den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden allgemein anerkannten medizinischen Standards entsprechende Behandlung durch einen Arzt oder eine Ärztin oder auch einen Angehörigen anderer Heilberufe. Er kann alle Bereiche ärztlicher Tätigkeit betreffen - und zwar Tun und Unterlassen. Der Fehler kann rein medizinischen Charakter haben oder sich auf organisatorische Fragen beziehen, oder es kann ein Fehler nachgeordneter oder zuarbeitender Personen sein. Auch eine fehlende, unrichtige, unverständliche, unvollständige oder nicht rechtzeitige Aufklärung über einen medizinischen Eingriff gehört zu den Behandlungsfehlern [9].
Nach einer Untersuchung des Aktionsbündnisses Patientensicherheit (APS) treten in Deutschland bei fünf bis zehn Prozent der Behandlungsfälle in Krankenhäusern unerwünschte Ereignisse auf. In zwei bis vier Prozent der Behandlungsfälle kommt es zu vermeidbaren unerwünschten Ereignissen. Der Anteil von Behandlungsfehlern liegt bei rund einem Prozent aller Behandlungsfälle, der Anteil von tödlichen Fehlern bei etwa 0,1% [10, 11]. Diese Schätzung fasst die Ergebnisse von 184 internationalen Studien zusammen, wobei die sieben Untersuchungen aus Deutschland ähnliche Ergebnisse zeigen wie die internationalen Studien. Demnach würde die Anzahl der unerwünschten Ereignisse in Krankenhäusern in Deutschland, übertragen auf das Jahr 2011, schätzungsweise 900.000 bis 1.800.000 betragen, die Zahl der Behandlungsfehler etwa 188.000 [12].
Wie häufig Behandlungsfehler in Deutschland tatsächlich sind, ist unbekannt; eine entsprechende Statistik existiert nicht. 2014 wurden von den Medizinischen Diensten der Krankenversicherung (MDK) rund 14.700 und von den Ärztekammern rund 7.800 Verdachtsfälle bearbeitet. Ungefähr ein Viertel der gemeldeten Verdachtsfälle wurden als Behandlungsfehler bestätigt oder anerkannt. Insgesamt handelte es sich um etwa 6.000 Fälle [13, 14]. Die meisten dieser Fälle betrafen den stationären Bereich, und dort die Gebiete Orthopädie und Unfallchirurgie. Darüber hinaus gibt es eine große Zahl nicht gemeldeter oder unerkannter Fälle.
Ein besonderes Problem sind die sogenannten nosokomialen Infektionen. Darunter werden Infektionen verstanden, die Patientinnen und Patienten im Zusammenhang mit einer medizinischen Behandlung erwerben. In Deutschland treten jedes Jahr etwa 400.000 bis 600.000 nosokomiale Infektionen in Krankenhäusern auf [15]. Davon sind 80.000 bis 180.000 potentiell vermeidbar. Die Anzahl der Todesfälle aufgrund vermeidbarer nosokomialer Infektionen wird zwischen 1.500 und 4.500 im Jahr geschätzt [16] (siehe auch Kap. 2.8.8).
Patientinnen und Patienten, die einen medizinischen Behandlungsfehler vermuten, können sich an ihre Krankenkasse wenden, die dann in der Regel ihren medizinischen Dienst mit einer Begutachtung beauftragt. Auch über die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Landesärztekammern kann ein Verdacht geklärt und gegebenenfalls eine außergerichtliche Regelung getroffen werden. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, sich an die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD, siehe Kap. 5.9) zu wenden. Auch eine zivil- bzw. strafrechtliche Klärung ist möglich.
Den hohen Stellenwert der Patientensicherheit belegen nicht zuletzt internationale Beschlüsse und Empfehlungen [17, 18]. Deutschland beteiligt sich unter anderem an dem Projekt "Action on Patient Safety: High 5s" der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und am Netzwerk "Patient Safety and Quality of Care" (PaSQ) der Europäischen Union. Seit 2013 gehört Patientensicherheit zu den nationalen Gesundheitszielen (siehe auch Kap. 7).
[8] |
Aktionsbündnis Patientensicherheit (2014) Glossar. www.aps-ev.de/patientensicherheit/glossar/ (Stand: 15.04.2015) |
[9] | Robert Koch-Institut (Hrsg) (2004) Medizinische Behandlungsfehler. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 5. RKI, Berlin |
[10] | Schrappe M, Lessing C, Jonitz G et al. (2006) Agenda Patientensicherheit 2006. Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., Witten |
[11] | Schrappe M, Lessing C, Jonitz G et al. (2006) Agenda Patientensicherheit 2006. Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., Witten |
[12] | Geraedts M (2014) Das Krankenhaus als Risikofaktor. In: Klauber J, Geraedts M, Friedrich J et al. (Hrsg) Krankenhaus-Report 2014, Schwerpunkt: Patientensicherheit. Schattauer, Stuttgart, S. 3 bis 11 |
[13] |
Bundesärztekammer (2015) Statistische Erhebung der Gutachterkommissionen und
Schlichtungsstellen für das Statistikjahr 2014. www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Behandlungsfehler/Behandlungsfehlerstatistik.pdf (Stand: 19.08.2015) |
[14] |
Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (Hrsg) (2015)
Behandlungsfehler-Begutachtung der MDK-Gemeinschaft. Jahresstatistik 2014. www.mdk.de/media/pdf/6_-_Jahresstat-BHF-Begutacht_2014-MDS-MDK.pdf (Stand: 19.08.2015) |
[15] | Gastmeier P, Geffers C (2008) Nosokomiale Infektionen in Deutschland: Wie viele gibt es wirklich? Dtsch med Wochenschr. 133(21):1.111 bis 1.115 |
[16] | Gastmeier P, Brunkhorst F, Schrappe M et al. (2010) Wie viele nosokomiale Infektionen sind vermeidbar? Dtsch med Wochenschr. 135(03):91 bis 93 |
[17] |
World Health Organization (2002)
Quality of care: patient safety, WHA55.18. http://apps.who.int/gb/archive/pdf_files/WHA55/ewha5.518.pdf?ua=1 (Stand: 15.04.2015) |
[18] |
Rat der Europäischen Union (2009) Empfehlung zur Sicherheit der Patienten.
Amtsblatt der Europäischen Union. www.ec.europa.eu/health/patient_safety/docs/council_2009_de.pdf (Stand: 15.04.2015) |
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Gesundheitsberichterstattung des Bundes 14.08.2022